Cabaret (USA 1972) #Filmfest 742 #Top250

Filmfest 742 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (88)

Cabaret ist ein US-amerikanisches Film-Musical unter Regie von Bob Fosse aus dem Jahr 1972. In den wichtigen Rollen spielen Liza MinnelliMichael YorkHelmut GriemFritz WepperMarisa Berenson und Joel Grey. Die Musik stammt aus der Feder von John Kander, die Liedtexte von Fred Ebb. Die Vorlage zum Film lieferten das gleichnamige Broadway-Musical und der autobiografische Roman Goodbye To Berlin von Christopher Isherwood. Der Film gewann bei der Oscar-Verleihung 1973 insgesamt acht Oscars. Bei vielen Kritikern gilt es als eines der größten Film-Musicals aller Zeiten.

Die vielen Fans von „Der Pate“ werden auf „Cabaret“ nicht gut zu sprechen sein, denn mit einer Ausbeute von 8 Oscars sorgte liegt der Film, der im Berlin von 1931 spielt, weit vor dem Film, der in der New Yorker Unterwelt ab den 1930ern spielt. Der Oscar für den besten Film des Jahres aber ging an „Der Pate“, und damit können sich die Fans trösten, zumal es bei den Hauptarsteller-Statuen pari ausging: Beste Hauptdarstellerin Liza Minelli („Cabaret“), bester Hauptdarsteller Marlon Brando („Der Pate“). Dass wir die eine oder andere Schwierigkeit damit haben, den Mafia-Verherrlichungsfilm von Francis Ford Coppola als den besten aller Zeiten zu benennen, wie es die IMDb-Nutzer mit ihrer Wertung von 9,2/10 und derzeit Platz 2 auf der Liste der Top 250 Filme aller Zeiten suggerieren, hat dazu geführt, dass es zu diesem Werk noch keine Rezension von uns gibt, der Film ist uns im Moment zu sperrig. Das haben wir anlässlich des Entwurfs des vorliegenden Textes im Jahr 2015 geschrieben und es gilt fort, weshalb wir uns „Der Pate“ ohnehin noch einmal anschauen müssen. Zu „Cabaret“ aber steht mehr in der –> Rezension.

Handlung (1)

Schauplatz ist Berlin 1931, kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Der englische Sprachwissenschaftler und angehende Autor Brian Roberts zieht in eine heruntergekommene Pension, wo er an seinem Doktortitel arbeiten will und für seinen Lebensunterhalt gleichzeitig Englischunterricht gibt. In der Pension lernt Brian die ebenfalls dort lebende Sängerin Sally Bowles kennen. Die gebürtige Amerikanerin tritt im Kit Kat Club auf, wo jeden Abend ein dekadentes, erotisches Nummernkabarett über die Bühne geht. Sally träumt von einer Karriere als „richtige“ Schauspielerin, wofür sie sich auch auf Verehrer und Affären einlässt. Als sie Brian zu verführen versucht, bleibt dieser ihr gegenüber sehr zurückhaltend. Seine Aussage, dass er sich bisher noch nicht wirklich zu Frauen hingezogen fühlte, deutet Sally als Homosexualität. Doch schließlich entwickelt sich tatsächlich eine enge Liebesbeziehung zwischen den beiden. Als der wohlhabende, weltmännische Adelige Maximilian von Heune in das Leben von Sally tritt, wird Brian zunächst eifersüchtig. Jedoch zeigt Maximilian ebenfalls sexuelles Interesse an Brian, worauf dieser zunehmend eingeht. Der verheiratete Maximilian reist später nach Argentinen ab und hinterlässt ihnen eine Summe Geld. Sally und Brian finden heraus, dass der jeweils andere mit dem Adeligen geschlafen hat. Brian schlägt in seiner Frustration darüber zwei Nazis nieder und wird daraufhin verprügelt. Als Sally ihn gesundpflegt, verzeihen sich beide. (…)

Rezension

Bei „Cabaret“ war das sofort anders. Die Gewalt wird nicht nur kritisiert, sondern auch psychologisch höchst effektiv und drastisch inszeniert, und wo alles herkommt und welche Sehnsüchte sich im Aufkommen der Nazis ausdrücken, das wird in ganz wenigen Szenen illustriert. Wir meinen hier die Sequenz im Biergarten, in der ein blonder Sängerknabe mit einem beinahe zu hübschen Gesicht die anwesenden volkstümlichen Gäste verzaubert und sie animiert, deutsches Liedgut immer mächtiger zu intonieren. Eine Gegenwelt zum „Kit-Kat-Club“, dem Varieté, in dem Sally Bowles auftritt (einen Club dieses Namens gibt es in Berlin auch heute), diesem Überbleibsel der verruchten 1920er, in dem abgetakelte oder halbschattige Figuren zugange sind, die aus einem Gemälde von George Grosz stammen könnten. Grosz hat allerdings eher die Stützen der Gesellschaft auf schrecklich gute Art hässlich dargestellt, die Leute, welche die Nazis an die Macht bringen würden.

In einer Zeit, in welcher der deutsche Film künstlerisch auch wieder ein wenig Fahrt aufnahm, war es ein amerikanisches Kinostück, das nach unserer Ansicht das beste Porträt der ausgehenden Weimarer Zeit bis zu diesem Zeitpunkt lieferte. Nicht der Realismus entscheidet dabei, denn die Welt der Sally Bowles, in die der grundanständige englische Lehrer Brian Roberts hineinstolpert, ist kein echtes Sittenbild, sondern nur eine Gegenwelt zu dem, was die Nazis sich unter einer Volksgemeinschaft vorstellten. Als sie am Ende schon im zuvor der Bohème angehörenden Publikum sitzen, kann man sich vorstellen, wie es weitergeht: Die Bude mit den lasterhaften Frauen und dem anzüglichen Conferencier wird erst noch etwas bestaunt und genossen, dann dichtgemacht oder es müssen andere Lieder gesungen gesungen werden. Den Besitzer oder Manager, der zu Beginn des Films noch die Chuzpe hat, einen mit der Sammelbüchse umherstreifenden Nazi rauszuwerfen, haben die Braunhemden ohnehin umgebracht.

Bob Fosse, der diesen Film inszeniert hat, offenbarte sich uns in „All that Jazz“, sodass wir wissen, welch ein Ausnahmekünstler, welch ein Maniac und Freak sich des Berlin-Musicals filmisch angenommen hatte, das für den Broadway geschrieben worden war. Der exzessive Stil des Films passt aber perfekt zum hysterisch-überbordenden Ende des ersten freien, demokratischen Deutschlands, das nur ein paar Jahre hatte leben dürfen und von seinen eigenen Bewohnern unter Zurschaustellung einer besonders niedrigen Gesinnung ermordet wurde. Die schrille und gefahrgeladene Atmosphäre jener Zeit fängt der Film auf fantastische Weise ein. Und er wirkt so authentisch wie kaum ein anderer amerikanischer Film über Deutschland, weil man den Bau der Sets und die Dekorationen den Deutschen überlassen hatte. Zudem bereichern einige deutsche Schauspieler wie Helmut Griem oder Fritz Wepper in substanziellen Rollen das Ensemble, das von Amerikanerin Liza Minelli als amerikanische Varieté-Künstlerin Sally Bowles angeführt wird und in dem Briten Michael York als britischem Englischlehrer Brian Roberts eine wunderbar sensible Darstellung abgibt. Jede Figur wirkt auf uns bei aller Unwahrscheinlichkeit der Konstellation, die sich entwickelt, lebensecht.

Mit einer filmischen Verdichtung muss, insbesondere bei Literaturadaptionen, eine Vereinfachung einhergehen – die Kunst guter Filme ist es unter anderem, diese Vereinfachung nicht zur Banalisierung werden zu lassen, und das hat Bob Fosse mit „Cabaret“ geschafft. Vielleicht nicht in allen Punkten, die Herleitung der nationalsozialistischen Bewegung in ihren soziologischen Wurzeln betreffend, aber ein Musical und ein Künstler wie Fosse haben natürlich eine eigene, von ihrer Welt geprägte Sicht auf die Dinge.

So führt Roger Ebert in seiner Kritik einleitend aus: „Cabaret“ explores some of the same kinky territory celebrated in Visconti’s „The Damned.“ Both movies share the general idea that the rise of the Nazi party in Germany was accompanied by a rise in bisexuality, homosexuality, sadomasochism, and assorted other activities. Taken as a generalization about a national movement, this is certainly extreme oversimplification. But taken as one approach to the darker recesses of Nazism, it may come pretty close to the mark. The Nazi gimmicks like boots and leather and muscles and racial superiority and outdoor rallies and Aryan comradeship offered an array of machismo-for-rent that had (and has) a special appeal to some kinds of impotent people.

„Cabaret“ erforscht einige derselben perversen Gebiete, die in Viscontis „Die Verdammten“ gefeiert wurden. “ The Damned „. Beide Filme teilen sich die allgemeine Vorstellung , dass der Aufstieg der NSDAP in Deutschland durch einen Anstieg der Bisexualität, Homosexualität, des Sadomasochismus und verschiedener anderer Aktivitäten begleitet wurde. Genommen als eine Verallgemeinerung zu(m Entstehen, A. d. Verf.) einer nationalen Bewegung, ist dies sicherlich eine extreme Vereinfachung. Aber als eine Annäherung an den dunkleren Winkel des Nationalsozialismus, kommt dies der Wahrheit recht nah. Die Nazi-Gimmicks wie Stiefel und Leder und Muskeln und rassische Überlegenheit und Außenkundgebungen und arische Kameradschaft bot eine Reihe von Machismo zum Mieten, die auf einige Typen von impotenten Leuten eine besondere Anziehungskraft ausübte (und ausübt).

Wir müssen zugeben, die Sadomaso-Szene und einige Ausprägungen des Schwulen-Milieus und die Braunhemden hatten wir bisher nicht zusammengebracht, sondern andere Winkel beleuchtet, die im Film – Vereinfachung UND Pointierung! – nicht so zu sehen sind.

Die Stiefel, die Massenkundgebungen, das waren für uns durchaus Demonstrationen von Potenz, aber eher welche, die auf dem Militarismus in Deutschland fußten, der ja gerade so männlich-sauber sein sollte, das Gegenteil von Spielchen mit und Verschiebungen der sexuellen Identität. Kraft und Freude und ein Revival deutscher Tugenden bedeutet natürlich auch die Zerstörung aller „Sondermilieus“, nicht nur die Ausgrenzung und schließliche Ermordung von politischen Gegnern und Juden. Aber warum soll eine „Bewegung“ nicht das anfeinden, was unterschwellig zu ihrer Popularität beiträgt? Kaum ein Nazi wird sich die mögliche homoerotische Wirkung der SS-Uniformen klargemacht haben, die im Ganzen oder en detail heute so gerne als Fetischklamotten verwendet werden. Rückwärts betrachtet, stimmt also einiges – ob der Umkehrschluss zulässig ist, wie er von Ebert beschrieben wird, das wollen wir damit nicht bewerten.

Als Musical ist „Cabaret“ ebenfalls etwas sehr Besonderes. Nie zuvor und nie danach war ein Musikfilm mit einer so negativen Stimmung assoziiert. Selbst das kraftvolle „Live is a Cabaret“, das Liza Minelli mit einer Stimme schmettert, die unter anderem die Frage aufwirft, warum ihre Sally niemals von einem Produzenten entdeckt und für den Film oder die große Bühne als Star herausgestellt wird, ist keine Hymne ans Theater, sondern eine Absage an das Leben, wie es ist – da gibt es nichts Echtes, alles ist Theater. Die Beziehungen vor allem, das spiegelt die Bowles-Figur sehr deutlich, die sich einlassen kann, aber nie allzu viel von sich preisgibt. Bei Musiknummern wie „Money“ (makes the World go round) kommt dann alles aber zu einer Einheit. Alle jagen hinter dem Geld anderer Leute her, die schon welches haben, und der Nihilismus, der Exhibitionismus und der Defätismus gehen eine unheilvolle Liaison ein und bilden das morsche Gerippe einer Gesellschaft, eines Systems, bei dessen Beseitigung die Nazis leichtes Spiel haben. Es wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen, die Musik des Films sehr traurig wirken zu lassen und das Melodramatische der Situation hervorzuheben, aber das Schrille ist besser. Wenn man deutsche Komödien aus den echten 1930ern betrachtet, kann man nur entsetzt beobachten, wie laut, unsensibel und von welch untergründiger Panik sie durchsetzt waren. Wer das heute witzig findet, und merkt nicht, was in den Köpfen damals los war – allerdings ist Voraussetzungen, diese Übertriebenheit, diesen schreiend humorarmen Humor richtig zu deuten, dass man in etwa weiß, was im eigenen Kopf los ist.

Die Parabel, die in der Szene liegt, in der Sally immer schreit, wenn eine U-Bahn oberirdisch vorbeifährt – die betreffenden Szenen sind mit U-Bahnen der frühen 1970er tatsächlich in Berlin gedreht – liegt auf der Hand. Was zunächst wie übermütiges, etwas kindliches Verhalten wirkt, erklärt sich ohne Weiteres in der anderen Richtung: Angst kann man am besten herausschreien, wenn es drum herum so laut ist, dass dieses Schreien kein Aufsehen erregt.

Finale

Aus besonderen Winkel in einer schattigen Ecke des Gesellschaftsraums wirft „Cabaret“ ein sehr grelles Licht, einen Strahl, der nur auf die Halbwelt des Varietés gerichtet scheint, der seltsamen Figuren, die um es herum gruppiert sind, und auf eine sehr spezielle Situation, wie sie in unserer Wahlstadt vor 85 Jahren bestand. Mit viel Witz und Sinn für Kontraste inszeniert er ein Stück vom Untergang einer kurzen, freizügigen, aber im wirtschaftlichen und, wenn man das, was man in diesem Film sieht, pars pro toto nimmt, im moralisch-sittlichen Chaos endenden Epoche, aus der wohl zwangsläufig eine Gegenbewegung entstehen musste. Das Überraschende ist, dass die Gegenbewegung gemäß „Cabaret“ auf genau den Tendenzen fußt, gegen die sie alsbald heftig vorgehen wird. Wenn man diese Idee zur Grundlage der weiteren Entwicklung nähme, dann wäre das, was im Folgenden geschah, auch ein Symbol dafür, dass nur die Schmelze des inneren Kerns dafür sorgt, dass an der Oberfläche immer Hitze besteht und alles in dynamischer Vernichtung endet – wenn der Kern weggeschmolzen ist und die Oberfläche einstürzt.

Von 1998 bis 1999 war „Cabaret“ Mitglied der IMDb-Top-250-Liste und seine Vorstellung auf dem Filmfest rechnet damit zu unserem Konzept, alle Filme, die in dieser Liste enthalten waren, im Laufe der Zeit hier zu besprechen. Die IMDb-Nutzer:innen vergeben heute noch ansehnliche 7,8/10 für dieses Werk.

88/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Bob Fosse
Drehbuch Jay Presson Allen
Produktion Cy Feuer für
Allied Artists
Musik John Kander
Kamera Geoffrey Unsworth
Schnitt David Bretherton
Besetzung

 













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