UPDATE: Würden Sie Sahra Wagenknechts Partei wählen? (Umfrage + Leitkommentar) | Briefing 213 | #PPP #Wagenknecht

Briefing 213 | Politik, Personen, Parteien

Wir haben den Artikel einen Monat nach seiner Erstveröffentlichung aufgrund der recht großen Resonanz ergänzt sowie einige Kleinigkeiten sprachlich verbesert und präzisiert.  Hier geht’s zum Ausgangsartikel vom 15.06.2023.

Im Grunde liegt es seit Jahren in der Luft , wird immer wieder diskutiert, ist bisher nicht passiert: Wird die frühere Co-Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht, aus der Partei austreten und eine neue politische Partei gründen? Die Anzeichen verdichten sich, dass dies tatsächlich der Fall sein wird.

Derzeit verweist Wagenknecht auf die große organisatorische Herausforderung einer solchen Parteigründung, aber gleichzeitig will sie etwas bewegen und sieht dafür keine Möglichkeiten in der Linken. Ein erster Ansatz wurde mit der „Bewegung“ namens „Aufstehen“ bereits verpasst, die sich hätte als Liste Wagenknecht etablieren können. Andererseits kann Wagenknecht u. a. auf die Erfahrungen ihres Mannes Oskar Lafontaine mit Austritt & Gründung (Austritt aus der SPD  und Gründung der WASG, die sich dann mit der PDS zur Linken vereint hat und wieder Austritt aus der Linken, Zweifel an der Richtigkeit des SPD-Austritts) zurückgreifen und dessen Einfluss sollte man trotz seines hohen Alters nicht unterschätzen. Civey hat zum Thema eine Umfrage erstellt und wir haben wieder ein schön kontroverses Thema, das wir in Q & A im ausführlichsten Kommentar seit Wochen behandeln werden. Lesen Sie bitte auch diesen Kommentar, bevor Sie abstimmen und auch dann, wenn Sie das schon längst getan haben.

Civey-Umfrage: Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, eine von Sahra Wagenknecht (Linke) gegründete neue Partei zu wählen? – Civey

Der Text aus dem Civey-Newsletter zur Frage:

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht erwägt seit einiger Zeit, eine eigene Partei zu gründen. Grund sind die zunehmenden parteiinternen Streitigkeiten, unter anderem zum Ukrainekrieg. Die Linken-Spitze stellte sie im März vor die Wahl – sich entweder zur Partei zu bekennen oder auszutreten. Nachdem eine Reaktion Wagenknechts bis dato ausblieb, forderte sie der Linken-Vorstand am Samstag zur Aufgabe ihres Mandats auf. 

Ihre Ankündigungen zu einer möglichen Parteineugründung „stellen die Einheit der Linken infrage und schaden uns seit geraumer Zeit massiv”. So lautet die Begründung des Vorstandes der Zeit zufolge. Partei-Co-Chefin Janine Wissler verteidigte den Beschluss auf einer Pressekonferenz als eine notwendige Absage an „Spaltungsversuchen” – andernfalls drohe der Verlust des Fraktionsstatus. Zustimmung dafür gab es etwa von den Landesvorständen aus Brandenburg, Berlin und Niedersachsen. 

Die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali nannte den Beschluss auf Twitter „einen großen Fehler”. Die Entscheidung sei „einer Partei unwürdig, die sich Solidarität und Pluralität auf die Fahnen schreibt”. Auch die Linken-Fraktionsvize Gesine Lötzsch plädierte am Dienstag im ZDF für Wagenknechts Verbleib in der Partei und verwies dabei auf ihre Beliebtheit. Der Linken-Abgeordnete Alexander Ulrich forderte den Linken-Vorstand laut dpa sogar zum „Rücktritt” angesichts der „Inkompetenz” auf. Wagenknecht schloss sich der Forderung an und sagte dem Spiegel diese Woche, dass sie ihr Mandat nicht abgeben werde.

Verraten wir erst einmal, ob Nachdenken unsererseits über das Thema kompetent ist und warum man uns zusätzlich zu dem Text oben lesen sollte, bevor man antwortet?

Ich war Mitglied in der Partei Die Linke von November 2016 bis Anfang 2022. Ausgetreten bin ich sowohl wegen Wagenknecht als auch wegen ihren Gegner:innen. Beide Seiten gingen für mich so nicht mehr. Ich kenne den einen oder anderen Anhänger von SW (Sahra Wagenknecht), weil die Berliner Gliederung der Linken in meinem Bezirk stark an SW orientiert ist, habe sie natürlich auch schon selbst auf Veranstaltungen erlebt, als sie noch mehr in die Arbeit der Linken integriert war.

Fangen wir vorne an: Wie steht die Abstimmung derzeit?

Es gibt eine absolute Mehrheit, die sagt, ich würde niemals eine Wagenknecht-Partei wählen. Die Mehrheit ist sogar etwas größer als die derjenigen, die sagt, ich würde niemals die AfD wählen (56 gegenüber 54 Prozent). Aber fast 12 Prozent sagen, ich würde sie auf jeden Fall wählen und weitere 10 Prozent antworten mit überwiegend ja, weitere 8 Prozent sind unentschieden und etwa 13 Prozent sind nicht strikt, sondern nur einigermaßen ablehnend. Würden sich die fast 12 Prozent, die gegenwärtig „auf jeden Fall“ sagen, in Wähler:innen-Stimmprozente umsetzen lassen, wäre das ein Start, wie ihn noch keine neue Partei in der BRD zuvor hatte. Nur die Gründungsparteien SPD und CDU waren logischerweise von Beginn an stärker, waren einmal echte Volksparteien mit klarer Richtung.

Zweistellig, das wäre also ein Riesenerfolg. Warum nutzt sie das Momentum nicht schon längst?

Weil sie einerseits ein Gespür für Stimmungen hat. Die aktuelle Lage nach Corona und während des Ukrainekriegs sorgt für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung, vor drei, vier Jahren war es viel ruhiger, mithin die Aufgeschlossenheit für Neues geringer, der Unmut mit dem Bestehenden ebenfalls, ich erinnere an die hohen Zufriedenheitswerte, die Angela Merkel hatte. Andererseits: Weil sie Sahra Wagenknecht ist. Und das ist auch eines der Probleme, die ich sehe. Sie ist gut im Fordern und im Polarisieren, vielleicht die profilierteste Populistin im Land, aber eine Organisation führen, auch dort wieder Dissonanzen aushalten, die sich unweigerlich einstellen werden, konstruktiv nach vorne arbeiten, möglicherweise sogar die eigenen Grenzen erfahren als Teil einer Mitte-Links-Regierungskoalition …

Oder einer Rechtskoalition, einigen ihrer Positionen zufolge.

… der Reihe nach, denn das ist ein weiterer Grund für meine Skepsis. Also, ich halte sie nicht für fähig, konstruktive Vorwärtspolitik zu machen. Im Grunde das Gleiche wie bei Ihrem Mann, der in seiner politischen Laufbahn viel gepoltert und auch einige richtige Positionen vertreten, aber wenig bewegt hat. Seine Zeit als MP des Saarlandes war alles andere als von überzeugenden Leistungen geprägt und auf erfolgreiche Zeiten, wie zu Beginn der Vereinigung seiner WASG mit der PDS, folgte immer wieder narzisstisches Freidrehen.

Aber SW kann ich mir schlicht in einer Regierungsposition gar nicht vorstellen. Ich denke mir gerade, sie müsste, wie ihr Noch-Parteikollege oder Noch-Genosse Bodo Ramelow in Thüringen, pragmatische Politik machen. Ich sehe dieses Bild nicht vor mir.

Sie sieht es aber wohl eher als ihre Aufgabe, wachzurütteln und wirklich Opposition zu sein.

Sicher ist das eine persönliche Einstellung, aber ich messe Politiker:innen nicht nur an ihren Positionen, sondern auch daran, was sie wirklich für uns als Bevölkerung tun können oder könnten, wenn sie denn in die Position dazu kämen, ihre Positionen in Realpolitik zu fassen. Wagenknecht ist keine Macherin, das hat man auch in ihrer Partei schon häufig kritisiert. Ihr selbstgewählter Mangel an Partizipation und Basisarbeit ist sprichwörtlich. Stattdessen bespielt sie die Medien, besonders konservative Medien, rauf und runter. Das dient aber nur ihr selbst, nicht der Bevölkerung, und so kommt es auch, dass sie die mit Abstand bestverdienende Bundestagsabgeordnete der Linken ist.

800.000 Euro Nebeneinnahmen im Jahr 2022 sind doch ein Wort.

Sie kann gut polarisieren und andere dazu bringen, sich aufzuregen, das zieht immer ein großes Publikum an. Im Grunde ist sie eine Sensationspolitikerin, die genau weiß, dass sie nur aktuell bleibt, wenn sie immer wieder provoziert. Sie kritisiert immer so hart die gesellschaftliche Spaltung, spaltet aber selbst. Nicht nur ihre Partei in Gegner:innen und Anhänger:innen, sondern auch alle möglichen Gruppen. Außerdem ist sie rigide bewegungsfeindlich und autoritär, wie man ihren Einlassungen über die Klimabewegungen sehen kann oder seinerzeit an „Unteilbar“. Jedenfalls macht sie nicht erst seit der „Letzte Generation“ Wind gegen alle, die aktivistisch sind. Da gibt es eine Kontinuität, die mich erschreckt und themenübergreifend ist. Sie ist paternalistisch veranlagt, auch wenn sie eine Frau ist. Für emanzipatorische, minderheitenfreundliche und gesellschaftlich progressive Ansätze hat sie nur Verachtung übrig.

Damit stellt sich aber auch die Frage, ob sie links ist.

Die Frage kann ich, ehrlich gesagt, nicht in einem knappen Satz beantworten. Sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch hat sie es drauf, knallhart zu analysieren und das auch richtig rüberzubringen. Aber für mich ist links etwas mehr. Es muss einen integrativen Ansatz haben. Sie kritisiert immer die Abgehobenheit der Gesellschaftslinken, nimmt also einen AfD-Spin auf. Sie ist aber selbst abgehoben und bastelt sich als Ersatz für eine moderne, progressive und soziale Linke eine Masse von Arbeitsmenschen, die es so gar nicht gibt. Nicht mehr gibt. Gleichzeitig habe ich nicht den Eindruck, dass sie die Produktionsmittel-Besitzverhältnisse ernsthaft infrage stellt. Vielleicht kommt das irgendwo in ihren Büchern vor, aber ich orientiere mich an dem, was in ihren Medieneinlassungen zu lesen oder hören ist. Bitte mich am Ende noch einmal an das Medienthema erinnern, denn es gehört zur Wagenknecht-Analyse unbedingt dazu.

Damit verpasset sie auch eine moderne, die heutige Wirklichkeit abbildende Form des Klassenkampfes. Ich fühle mich von ihr genauso alleine gelassen, wenn ich diesen Kampf führen will, wie von ihren Gegner:innen, die in der Hinsicht indiskutabel indifferent geworden sind.

Wo man in der Linken auch hinschaut, es ist zum Verzweifeln.

Deswegen gibt es ja auch so ein großes Potenzial für eine echte linke Partei, die bezüglich des Wirtschaftssystems auslotet, wie weit man gehen kann, ohne den Boden der Verfassung zu verlassen und sich beim „Boden der Verfassung, auf dem man stehen soll, weil die Verfassung es so will“ nicht von den engen Auslegungen der Neoliberalen düpieren lassen darf. Wagenknecht aber ist in manchen Punkten richtiggehend rechts, das passt wunderbar dazu, wie das Grundgesetz aktuell und zunehmend gehandhabt wird. Sie würde zum Beispiel die „Klimakleber“ wohl am liebsten wegsperren lassen. Schon FFF ist bei ihr nicht gut weggekommen, weil sie deren junge Aktivist:innen alle sozial in eine Schublade stecken wollte, in der es viel zu wohlig zugeht, als dass man, darin aufgewachsen, die soziale Dimension einer klimagerechten Politik erkennen könnte.

Aber da besteht doch wirklich Erläuterungsbedarf.

In der Tat, aber dazu kann ich nicht die doch recht wenigen jungen Menschen, die sich engagieren, vor den Kopf stoßen, nur, weil sie aus dem Mittelstand kommen. Das war doch immer schon so, war so, seit die Geschichte der Bundesrepublik von jungen Menschen mitgeprägt wurde, war bei den 68ern so, bei den Grünen, der Friedensbewegung, auf die sich heute ja auch SW beruft, auch bei den meisten heutigen Linken. Alles diese Blase, auf die sie herabschaut, nicht umgekehrt. Und dies bei ihrem Einkommen. Das ist elitär. Normalerweise gönne ich Menschen alles, was sie sich selbst halbwegs legal erarbeitet haben, aber diese Anmerkung muss erlaubt sein.

Was ist mit dem Ukrainekrieg?

Pro forma kann Wagenknecht so oft wiederholen, wie sie will, dass auch sie Putins Angriffskrieg verurteilt, in Wahrheit arbeitet sie ihm zu, indem sie alles tut, um die Bevölkerung in Deutschland in Bezug auf die Ukraine zu entsolidarisieren. Nicht der Frieden, sondern der Frieden nach russischem Muster soll es sein. Hat sie sich mal zu den unrechtmäßigen Wahlen geäußert, die jetzt in nahezu entvölkerten besetzten Gebieten durchgeführt werden sollen? Klar, dass die Verbliebenen oder neu Angesiedelten überwiegend prorussisch sind. Und matcht wieder pefekt mit ihrem Friedensvorschlag, Referenden in diesen Gebieten durchzuführen. Das ist schon sehr machiavellistisch.

Aber es gibt nun einmal verschiedene Ansichten über diesen Krieg und seine tieferen Gründe.

Ich verstehe, das habe ich in der Linken noch einmal besser gelernt, warum die Menschen aus dem Osten, wie SW, Russland gegenüber häufig eine andere Einstellung haben als wir aus dem Westen.

Wir haben in unterschiedlichen Lagern gestanden, das lässt sich nicht einfach beiseiteschieben, auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht. Die Basis, der Ausgangspunkt, war die Nazidiktatur, für beide Seiten, und die Notwendigkeit einer kompletten Neuorientierung auf beiden Seiten war die Folge. Es sind nicht einfach 40 Jahre, es sind besondere Jahre der totalsten Veränderung, die man sich vorstellen kann und die nur wenige Völker so erfahren haben und erfahren mussten, um sich überhaupt wieder aufstellen zu können. Die sehr unterschiedlichen Wege, die man in Ost und West dabei gegangen ist, die trennen uns noch immer. Es ist, wie wenn wir als Kinder unsere Prägungszeit haben, sie bestimmt ein Leben lang wesentlich über das, was wir sind. Wenn da viel schiefgelaufen ist,  müssen wir unendlich viel Arbeit mit uns selbst investieren, um es wenigstens in den Griff zu bekommen, geschweige denn, fundamental neu zu denken und zu  handeln.

Russlandfreundlichkeit ist also eine falsche Prägung?

Es geht nicht um Völker, es geht um aktuelle Politik, ich habe überhaupt nichts gegen die Russen, ich finde das Land, seine Menschen, seine Kultur und Geschichte spannend und faszinierend.

Ich bin aber kein Putinversteher in dem Sinne, dass ich seine Politik billige, aber ich verstehe, dass Menschen ihn in diesem Sinne verstehen wollen. Das Problem bei SW ist, dass sie auch als oppositionelle Populistin nicht immer nur spalten sollte, und das tut sie auch bei diesem Thema. Die Risse, die sie mit ihren Einlassungen verursacht, bringen Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen links sein sollen, nicht autoritär nach rechts blinken wollen,  immer wieder in Dilemmata. Mir persönlich war das zu viel an innerer Reibung. Hinzu kam die luschige Einstellung dem Klassenkampf gegenüber bei fast allen in der Partei Die Linke. Wagenknecht vertritt und vereint ihrerseits nicht das, was man heute als eine Klasse, als eine Gruppe mit ähnlicher Mentalität, ähnlichem sozialen Status und ähnlichen Interessen, definieren könnte – anders strukturiert, aber ebenso ansprechbar wie die frühere Arbeiter:innenschaft. Eine doch sehr große Gruppe, die linker Politik zur Mehrheit verhelfen würde, auch wenn ihre Mitglieder sich als Inhaber verschiedener Identitäten verstehen, die nicht nur sozial, sondern z. B. auch genderseitig, religiös usw. definiert sind.

Kann man aber eine solche Gruppe definieren?

Die frühere Arbeiterklasse ist eine Klasse der Arbeitenden im weiteren Sinne geworden. Die Lebenswelten haben sich ausdifferenziert, das muss man berücksichtigen, sonst kriegt man kein Wir-Gefühl mehr hin.  

Wagenknecht versucht es nicht einmal, versucht nicht einmal, sich als Teil einer vereinten Linken zu sehen, sondern fährt vor allem ihr eigenes Ding, das genau in die Gegenrichtung von Integration im Land und Universalismus darüber hinaus zielt. Sollte sie ihre Partei gründen und bei der nächsten Bundestagswahl in den Bundestag einziehen, freue ich mich für einige ihrer Anhänger, die dann doch aufs richtige Pferd gesetzt haben, nachdem ihnen in der (Berliner) Linken die Wege wegen ihrer Wagenknecht-Präferenz ziemlich verstellt sind. Sie sollen dann zeigen, was sie draufhaben. Es sind ein paar Gute dabei, die ich nach wie vor als Personen mag und interessant finde. Das ändert nichts daran, dass diese Politik nicht zukunftsfähig ist.  Die Entwicklung der heutigen Milieus in Großstädten, auf deren Unterstätzung eine progressiv ausgerichtete Politik unbedingt angewiesen ist, ist nicht reversibel und das will Wagenknecht nicht wahrhaben, stattdessen greift sie wirklich jedes Thema auf, das nicht rechtzeitig auf den Baum kommt und gibt Meinungen dazu ab, mit denen sie Keile in diese Milieus zu treiben versucht. Wie schade das ist!

Die Verbreiterung, die in Wahrheit eine Limitierung darstellt?

Ja, so kann man es bezeichnen. SW hat zu wirklich allem eine Meinung, und zwar eine sehr dezidierte, da gibt es keine Kompromisse oder Relativierungen, wie sie z. B. eine Regierungspolitikerin SW  berücksichtigen müsste. Aber sie ist nicht allkompetent, auch wenn sie das mit ihren unzähligen Medienauftritten zu jedem Thema suggeriert. Sie verengt sich durch ihre Verbreiterung selbst, weil sie dadurch den Markenkern verliert, der zum Beispiel Menschen wie mich überzeugen könnte: Zutreffende wirtschaftliche Analyse, was sie gelernt hat, die sozialen Ableitungen daraus oder umgekehrt und den Blick dafür, wie man daraus eine partizipatorische sozialistische Vision für die Zukunft schmieden kann. Ihr Charisma ist für mich überwiegend verschenkt, weil sie durch ihr Bashing aller möglichen Gruppen die Sympathie wirklich linker Menschen verspielt. Und mit denen müsste sie Zukunftspolitik machen, wenn sie sich einer Mission verschreiben würde, die über das Polarisieren und die Selbstdarstellung hinausgeht, nicht mit Charakteren, die ansonsten die AfD wählen würden.

Wäre dann nicht die Gründung der Wagenknecht-Partei das beste Mittel, um den Aufstieg der AfD zu stoppen?

Ganz sicher, wenn man es in Stimmprozenten ausdrückt. Die Linke kann nicht mehr viel verlieren, vier oder fünf Prozent wird wie wohl auch ohne und gegen Wagenknecht bekommen, von der SPD wird Wagenknecht ein paar Stimmen holen, von den Grünen kaum, von der Union vielleicht sogar mehr, vor allem aber von der AfD, ein paar Nichtwähler:innen könnte sie wohl auch mobilisieren.

Dies vorausgesetzt, wäre zu betrachten, warum so viele, vor allem im Osten, von der früheren PDS umstandslos zur AfD wechseln konnten und dann zur Wagenknecht-Partei. Waren das Linke oder hat die PDS viele Menschen angezogen, als sie noch die einzige Ost-Protestpartei war, die bloß eine Heimat gesucht haben und die SED sozusagen gewöhnt waren?  Menschen, die sogar SED-affin im Sinne ihrer diktatorischen Seite waren und bis heute keine guten Demokraten sind. Von denen wird Wagenknecht einige ansprechen, ganz klar. Ja, Wagenknecht kann der AfD einiges an Wähler:innenwasser abgraben. Komischerweise macht mich das nicht so froh, wie es sollte, wenn die AfD aus diesem Grund Verluste zu befürchten hat, denn was ist dadurch gewonnen? Irgendetwas, womit wir die Zukunft gewinnen können?  

Eine Verbreiterung des politischen Angebots, damit sich wieder mehr Menschen mit dem System identifizieren können, ohne dass sie meinen, die AfD wählen zu müssen?

Wenn eine populistische Masche gerade etwas besser ankommt als die andere, weil die Person besser ankommt, die an dieser Masche strickt, ist das alles andere als ein Fortschritt. Wenn man biespielsweise scharfe Wagenknecht-Rhetorik gut findet, dann muss man aber festhalten: Sie hat, wenn man sich als Sozialist versteht, nur dem Klassenkampf zu dienen, einer Abgrenzung zwischen der Mehrheit und einigen übermäßig Privilegierten. Aber Menschen, die im Grunde ähnliche Interessen habenm, gegeneinander aufzuhetzen, ist nicht das, was ich von jemandem erwarte, der ernsthaft linke Politik machen will.

Was ist stattdessen zu befürchten?

Wenn es blöd läuft, wird Wagenknecht die Lafontainesche Tradition der wechselweisen Spaltung, Vereinigung und Spaltung weiterführen, auch auf organisatorisch-formaler Ebene, die sie inhaltlich ohnehin befördert, und damit das linke Spektrum weiter fragmentieren und die Rechten stärken. Dann werden wir von einer gesammelten Linken weiter denn je entfernt sein. Sie will eine solche Linke ja auch gar nicht, weil sie sich dann wieder mit Positionen auseinandersetzen müsste, die doch recht weit von ihren eigenen entfernt sind. Sie müsste sich sogar bereit zeigen, sogenannte Gesellschaftslinke, Angehörige des „Juste Milieu“, das sie anfeindet, als Teil dieser versammelten Linken zu begreifen. Ich glaube nicht, dass sie das kann. Sie ist keine Konstruktivistin und keine Person, die linke Disparitäten überbrücken kann.  

Ich wünsche mir echten Fortschritt, nicht ein wohlgefälliges Anbiedern an rechts, in dem noch ein paar richtige Ansätze in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht enthalten sind. Eine Marxistin, und das wäre ja immerhin eine kohärente Position, ist sie sowieso nicht.

Die Nähe zu Ludwig Erhardt ist größer als zu Marx?

Wagenknecht war ursprünglich eine Stalinistin, das muss man so klar sagen, und das bedeutet auch, sie war keine Marxistin, vermutlich auch keine Marxistin-Leninistin, sondern eigentlich schon immer ziemlich bourgeois-autoritär in dem Sinne, wie auch die sowjetische Nomenklatura nicht wirklich kommunistisch orientiert war in ihrem diktatorischen Zentralplanungswahn, ihrer zeitweiligen Säuberungs-Paranoia, ihrer imperialistischen Ausrichtung parallel zu den USA im Kalten Krieg.

Wir hatten noch nirgends auf der Welt einen echten Sozialismus auf gesamtstaatlicher Ebene, weil Menschen, die erst einmal an der Macht sind, so verdammt ungern teilen. Deswegen funktioniert es bisher nur im Kleineren. Jede Genossenschaft nach Modell , das gemäß dem in Westdeutschland etablierten Genossenschaftsgesetz entwickelt wurde, ist dem Sozialismus näher, als es die DDR mit ihrer massiv ineffizienten staatskapitalistischen Wirtschaft je war.

Im Grunde weiß Wagenknecht das und entwirft daher sehr bürgerliche, wenig innovative Szenarien eines besseren nationalen Sozialstaats, die sich prima mit abschottenden rechten Positionen vereinbaren lassen. Hingegen sehe ich sie nicht als Sozialistin, weil sie jedweder partizipatorischen Entwicklung und allem, was sie nicht kontrollieren kann, was sich selbst auf  Gleichordnungsbasis entwickelt, abhold ist. Wie für einige ihrer Anhänger sind daher, siehe oben, zivilgesellschaftliche Bewegungen und Module suspekt, wenn nicht das Grauen, das viel schlimmer ist als die rechten Sammlungen, die wir leider verstärkt sehen.

Jede neue Bewegung wird erst einmal von ihr danach durchleuchtet, wer ihr angehört, sozialschichtig gesehen, wer sie finanziert, wer dies und das und alles, was auch Verschwörungstheoretiker gut unterschreiben können, anstatt auf die Ziele zu schauen und zu überlegen, ob es wichtig ist und nützt, dass jemand sich für diese Ziele einsetzt. Es ist dieselbe Methode, mit der von gewissen Kreisen sämtliche supranationalen Einrichtugen diskreditiert werden. Nun ja, es sind auch nicht die Ziele von SW. Sie ist von einer Weltsicht des Kalten Krieges geprägt, die wir hinter uns lassen müssen, um auf diesem Planeten zu überleben.

Ist sie eine Klimaleugnerin?

Sie bringt auffällig oft soziale Aspekte gegen eine gute Klimapolitik in Stellung. Auch hier Spaltung, Spaltung, Spaltung, weil es so schön populär in, sagen wir mal, konservativen Kreisen ist, anstatt an guten Ideen anknüpfen und sozial korrigieren und stets darauf hinweisen, dass und warum die gegenwärtige Form des Kapitalismus klimafeindlich ist und daraus gemeinschaftlichere Ansätze ableiten. Um diese Tatsache zu durchblicken, muss man sich anderer Quellen bedienen als den Ausführungen von Sahra Wagenknecht. Es wirkt immer so, als ob Wagenknecht auf einer soliden ideologischen Basis steht, weil sie gerne Größen der Vergangenheit zitiert. In Wirklichkeit sind diese Zitate aber oft eine krasse Vulgarisierung und dadurch eine Verfälschung, das habe ich zuletzt wieder gedacht, als sie Brecht meinte in Anspruch nehmen zu müssen, als es um den Ukrainekrieg ging.

Jede dieser Entscheidungen bringt uns einem dritten Weltkrieg und einer atomaren Apokalypse näher. „Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“, wusste Bertolt Brecht.

Um eine solche Binse zu verkünden, nämlich, dass man sich nach einer gravierenden Fehlentscheidung auch mal korrigieren können muss, um zu überleben, brauche ich mich nicht auf Brecht zu berufen, als handele es sich hierbei um intellektuell-politische Raketenwissenschaft. So verfährt sie aber oft und manipuliert auf diese Weise. Ich würde übrigens mal gerne sehen, dass Wagenknecht sich korrigiert. Mir fällt gerade kein Beispiel ein. Und, nein, nicht alles, was sie sagte ist unkorrigierbar richtig gewesen, über die Jahre.

Zum Beispiel nicht das deutsch-russische Energieprojekt, das sie noch immer prometet?  

Gerade wieder gelesen: Die Ukraine und die Sprengung von Nord Stream 2. Eigentlich hätte das oben schon zum Thema Ukrainekrieg gehört, das wir hier natürlich nicht episch diskutieren können. Es wird getan, als ob nicht Putin, sondern die andere Seite Nord Stream tatsächlich stillgelegt hätte. Es ist aber nicht so und über kurz oder lang wäre dieses veraltete Energieträger-Besorgungskonzept der Regierung Merkel sowieso auf den Prüfstand gekommen. Am besten strategisch gut vorbereitet, ohne die ruppigen Folgen, die wir jetzt für unsere eigenen Geldbörsen sehen. Ich muss immer aufpassen, wenn ich meine Rechnungen angucke, dass ich nicht denke oder den Gedanken nicht zu sehr Raum greifen lasse: Und hat SW nicht recht?

Hat sie nicht?

Nein, hat sie nicht, weil der Ausgangspunkt falsch ist. Nicht russisches Gas bis in alle Ewigkeit, sondern eine rechtzeitige Energiewende, weniger wirtschaftliche Abhängigkeit, was sie, wenn es gerade passt und unter Ausklammerung der Russlandabhängigkeit fordert, wäre der richtige Move gewesen. Deswegen meine Kritik seit gut zwölf Jahren, seit der Gründung des „ersten Wahlberliners“ an der unsäglichen Merkel-Zukunftsverweigerungspolitik. Da sind sich so viele Politiker:innen leider sehr ähnlich, auch Merkel und Wagenknecht: Keine Idee für ein Morgen, das wenigstens noch genauso gut ist wie das Gestern, sagen wir bis 2019, bis 2020, bevor Corona kam.

Das sind im Grunde alles Doomsday-Politiker:innen. Sie klammern sich an die Drogen, die ein Durchregieren ohne viel Aufhebens ermöglicht haben, weil  die Bevölkerung sich hat einlullen lassen. Merkel kann man wenigstens noch zugutehalten, dass ihre Wandel-durch-Handel-Politik nicht nur bequem für die Menschen damals war und im Blick auf Putins Regime wenig vorausschauend, sondern tatsächlich im Hier und Jetzt ausgleichend und ein kleines Stück unabhängig vom großen Bruderin Washington. Krim-Bedenken hin oder her. Doch dass Wagenknecht diese Präferenzen angesichts des Ukrainekriegs noch vertritt, ist mehr als unerfreulich.

Ein Wort zur Historie, die zum Ukrainekrieg führte?

Da müssten wir mal eine Gegenüberstellung verschiedener Positionen dazu machen, das ist ein kompliziertes Thema, aber im Moment zerstört die russische Armee dieses Land und da kann man nicht hingehen und sagen: Friede! Friede auf den Gräbern der Angegriffenen und alles dem Angreifer! Man sieht doch, wozu der Krieg führt! Das ist unwürdig, angesichts der Tatsache, dass ein Friedensschluss nach Wagenknechts Geschmack Putin für alles, was er schon angerichtet hat und noch anrichten wird, belohnen soll.

Ich hatte kürzlich eine Überlegung darüber angestellt, wie man aus der Sache rauskommen könnte: Russland lässt die Ukraine in Ruhe, und zwar im Ganzen, dafür wird ernsthaft an einer neuen, integrativen Sicherheitsarchitektur gearbeitet, die der Westen, das ist mir schon klar, bisher nicht wollte. Geostrategisch wäre das eine Win-Win-Situation und damit könnte man Putin vielleicht überzeugen, oder einen etwas flexibleren Nachfolger, aber es muss etwas Werthaltiges sein, das Gesichtswahrung erlaubt und die Welt wirklich friedlicher macht.

Aber die Rüstungsindustrie, was macht die dann? Frieden als Katastrophe!

Ja, eben, wir haben das kürzlich im Artikel über den Ukraine-Support behandelt. Da würde wohl auch Wagenknecht mitgehen: Der militärisch-industrielle Komplex ist die gefährlichste Machtgruppierung auf diesem Planeten. Auch deswegen sehe ich leider niemanden, der solche Verhandlungen auf eine Weise in die Wege leiten könnte, dass alle Seiten Vertrauen fassen. Das wird noch eine ganz schwierige Situation bleiben, für längere Zeit. Überraschungen nicht ausgeschlossen. Außerdem habe ich mich in letzter Zeit eher an negative als an positive Überraschungen gewöhnen müssen.

Das alles klingt bezüglich des eigenen Abstimmungsverhaltens bei der obigen Umfrage nicht so, als ob man sich zu den überzeugten 12 Prozent gesellt hätte.

Nein, ich habe mich zu den 56 Prozent gestellt, die sich gar nicht vorstellen können, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber Wagenknecht ist mir zu sehr verstrickt zwischen rechts, links, oben, unten, gestern und heute und ohne ein Morgen. Ich kann mir demgemäß auch keine Wandlung einer Partei hin zu einer wählbaren politischen Kraft vorstellen, solange sie diese Partei führt. Doch was sonst soll die Marke sein, wenn nicht sie als Person mit all ihren Widersprüchen? Eine Liste Wagenknecht müsste aber als Team aufgestellt sein, das auch helfen kann, ihre Mängel auszugleichen, um für mich wählbar zu werden. Das wiederum würde die Teamfähigkeit Wagenknechts voraussetzen.

Jemand, dem man mehr dem modernen Links zurechnen könnte?

Ja, aber was sie braucht, ist Gefolgschaft, das sieht man an ihren Vertrauten, die alle hinter ihr zurückstehen und eher Fans sind als gleichberechtigte Begleiter:innen im Sinne eines sich ergänzenden Teams, das aus den vorhandenen Kapazitäten das Beste macht. Das tut Wagenknecht alleine schon nicht, wenn man von ihrer finanziellen Aufstellung absieht. Ich wünsche mir so sehr eine linke Partei, die ich wieder mit ähnlicher Überzeugung unterstützen könnte wie seinerzeit Die Linke – was ich getan habe, bis ich etwas mehr Bescheid wusste über deren inneres Gepräge und die wirklich rüde Art von angeblich linken Menschen, miteinander ihre Machtkämpfe auszutragen, über SW und ihre Opponenten, die nicht meiner Vorstellung von links entsprechen.

Man muss, wenn man sich eine vereinte Linke wünscht, aber auch andere Vorstellungen von links akzeptieren als die eigene.

Natürlich. Eine starke Linke mit  tradtionellen Sozialdemokrat:innen und klassenkämpferischen Kommunisten, wie sie prinzipiell die Linke ja auch umschließt, wäre zu akzeptieren, wenn sie ein Sammelbecken wäre, das eine echte Gegenmacht zum Kapital aufbauen könnte. Ist sie aber nicht. Sie kann den Kampf nicht, reibt sich intern auf, erreicht draußen im Land kaum jemanden. Könnte sie den Kampf, der uns einen soll, wäre ich immer diskussions- und kompromissbereit, aber dieser interne Separatismus, diese ideologische Verstocktheit und teilweise Rückwärtsgewandtheit, das ist es nicht, worauf man haltbare Kompromisse basieren kann.

Die Begeisterungsfähigkeit und Naivität sind eh weg, die lassen sich auch nicht mehr zurückholen. So ein Fenster wie 2016 öffnet sich in meinem Alter nur einmal. Ich hatte kürzlich überlegt, und das war für mich neu, die nächsten Wahlen auszulassen. Wir werden sehen. Wagenknechts Parteigründung, wenn bzw. falls sie kommt, wird für mich jedenfalls keine Erlösung aus der politischen Diaspora sein.

A cheap Solution cannot replace true Salvation?

Billig wäre es wohl, sie zu wählen, aber nicht einmal eine billige Lösung. Ich verstehe Menschen, die glauben, das mit den Menschen wird alles nix mehr, heute besser denn je. Konstruktivist zu sein in einer politischen Welt von Dilettanten, Opportunisten, Karrieristen, Lobbyisten und Populist:innen bedeutet permanenten Schmerz.

Sahra Wagenknecht kann Schmerzen aber nicht lindern, die Wunden nicht heilen. Sie ist eine von vielen Profiteur:innen der Abspaltung von Menschen in einer kranken Gesellschaft und vor allem auf sich selbst konzentriert. Von ihr haben vor allem die etwas, die dicht genug an ihr dran sind, um persönlich zu profitieren, falls sie ihre Partei gründet und die in ihrem Fahrwasser, etwa als Mitglieder der dann entstehenden Bundestagsfraktion, doch noch Karriere machen können.

Viele würden sich endlich wieder repräsentiert sehen. Besser als durch die AfD.

Sie ist alles andere als eine messianische Figur. Das sollten Menschen wissen, die sie wählen wollen. Und wirklich lieber selbst denken und handeln, sofern sie in diesen Zeiten die Kapazität dafür haben. Das bekümmert mich sehr, dass Menschen sich nach jemanden wie SW sehnen, anstatt dass sie diese Kapazität noch aufbringen können. Ja, daran ist die herrschende Politik in großen Teilen schuld, kein Zweifel. Egal ob die AfD oder Wagenknecht, sie schafft sich fragwürdige Gegner:innen selbst.

Was müsste geschehen, damit man selbst wieder aktiver wird?

Das System hat erst einmal gesiegt, weil ich meinen Idealismus nicht verlieren will. Ich konzentriere mich auf meine persönlichen Kämpfe, alles andere wäre ein krasser Mangel an Selbstfürsorge. Und aufs Schreiben natürlich. Jede:r Leser:in, auch, wenn er oder sie nicht mit mir übereinstimmt, gibt mir mehr als eine Frau Wagenknecht, die als Gestaltungspolitikerin ein Mängelexemplar von vielen wäre, zum Scheitern verurteilt, insbesondere, weil sie dann noch weiter als die meisten anderen von ihrer Oppositionsrolle entfernt zu agieren hätte.

Wenn man auf Enttäuschte setzt, die nur die Persona toll finden, die man verkörpert, nicht aber politisch fundiert nach vorne blicken können, riskiert man auch, dass man selbst Teil dieser Enttäuschung wird, wenn man nicht liefert. Und Wagenknecht, die die Erwartungen so hochschraubt, wird, gemessen an diesen Erwartungen, nicht liefern können, falls sie in politische Verantortung kommt.  Die Chance dafür ist sowieso gering, aber man weiß ja nie. Deswegen schreibe ich das hier mal ins Unreine und war mir selten so sicher, dass ich recht behalten werde, falls SW wirklich ran muss, um etwas anzuschieben und nicht nur die gesellschaftlichen Fliehkräfte auszunutzen und zu verstärken.

Ich weiß nicht so recht, warum, aber ich sehe gerade vor mir, wie Oskar Lafontaine in seiner SPD-Zeit mal Bundesfinanzminister war und sich beleidigt vertschüsst hat, anstatt Schröder dem Schrecklichen die Stirn zu bieten.

Eigentlich war der letzte Satz schon ein rahmendes Schlusswort, aber jetzt doch die erbetene Erinnerung an das Thema Wagenknecht und die Medien.

Wer wissen will, wie Wagenknecht wirklich tickt, der muss sich anschauen, wie sie Medien bespielt und welche es sind. Bei öffentlich zugänglichen Talkshows, in denen sie so häufig sitzt wie kaum ein:e andere:r Politiker:in, kann man noch sagen: Es dient der allgemein zugänglichen Verbreitung ihrer Ansichten, wie bei anderen medienaffinen Politiker:innen, nur halt noch etwas mehr, sie hat ja auch keine Regierungsverantwortung, die  viele Stunden in der Woche von der  Uhr nehmen könnte und in der Partei tut sie sich auch nicht gerade mit zeitraubender Basisarbeit hevor. Aber was macht sie noch?

Sie gibt Interviews.

Und wem? Man hat den Eindruck, die Springer-Presse und Wagenknecht (und Lafontaine, der mal eine eigene Kolumne hatte, wenn ich das richtig erinnere) sind untrennbar. Und wie schräg ist das, aus linker Position! Da wird zum beiderseitigen Profit ständig Neues fabriziert, was natürlich nicht grundlegend neu sein kann. Ich bin schon gespannt, ob sie die Parteigründung über die Springer-Presse lancieren und sich dafür auch noch bezahlen lassen wird. In ihren Newslettern heißt es dann immer wieder: Ich habe hier und da wieder ein tolles, wichtiges Interview gegeben, leider ist es hinter einer Bezahlschranke. Als gelernter Kaufmann finde ich diese Methode cool, aber nicht als links denkender Mensch. Da glauben ein rechter Pressekonzern und eine Politikerin von unklarer Ausrichtung, für Wertvolles von Wagenknecht werden Leute, die sonst nie BILD oder Welt lesen würden, schon mal ein paar Euro lockermachen.

Gleichzeitig zeigt Wagenknecht allen ganz bewusst das Heck, die einen epischen Kampf gegen die gehässige, spaltende, rechtslastige Medienmacht des Axel-Springer-Verlages geführt haben und noch führen. Auch in dieser Hinsicht sehe ich wieder nur Spaltendes von SW und natürlich kann man noch den einen oder anderen auf dieser Spaltung aufbauenden Euro mitnehmen. Ist das links? Glaubt das wirklich jemand? Kann man denn so beständig die Augen verschließen? Ist es nicht sogar klassitisch, dass man für Wagenknechts Weisheiten ständig zahlen muss, um nicht die neuen Welterkenntnisse zu verpassen?  Das passt zu einem weiteren Vorgang, der vor einiger Zeit für Aufregung gesorgt hat, dabei geht es um ihr letztes Buch über die Selbstgerechten, in der sie mitten im Bundestagswahlkampf 2021 ihre eigene Partei angegriffen hat. Aber das ist es nicht alleine.

Geht es noch schlimmer, als so illoyal zu sein?

Über das Buch wurde von einigen Privilegierten, die es vorab lesen konnten, schon diskutiert, da war es noch gar nicht für die Allgemeinheit, also auch nicht für mich, zugänglich. Wenn das nicht klassistisch und von oben herab ist, weiß ich es auch nicht, denn natürlich waren dadurch ein paar dezidierte Anhänger und Gegner in der Partei gegenüber uns, dem Publikum, im Vorteil. Zum Schaden der Partei, nach meiner Ansicht, für Wagenknecht war diese vorzeitige Diskussion eine Extraportion Werbung. Und so läuft das bei ihr immer wieder. Aus dem Medienbetrieb das Maximale rausholen und immer schön auf die populistische Tube drücken. Ich habe den starken Verdacht, dass sie ähnlich menschenfeindlich-narzisstisch ist wie ihr Mann Oskar Lafontaine. Die beiden verstärken sich auf sehr ungute Weise gegenseitig, anstatt dass jemand da wäre, der Wagenknecht ein wenig moderner und gegenüber Menschen gütiger wirken lassen würde, die mindestens so sehr wie sie selbst das Recht haben, sich als links zu bezeichnen.

Die beiden haben sich wegen dieser Grundzüge ihrer Charaktere m. E. auch gefunden, nebst Grundüberzeugungen wie Antiamerikanismus als Ersatz für profunden Sozialismus, selbstverständlich. Auch die enge Verbindung zu Lafontaine ist nur tragfähig, er kein Sozalist, sondern ein ehemals im SPD-Sepktrum links verorteter Sozialdemokrat ist und weil sie ebenfalls keine Sozialistin ist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstehen, wie eine Partnerschaft zwischen einem solchen Typ und einer antiautoritären Sozialistin aussehen sollte, die es wagt, Herrschaftsstrukturen, die der Mehrheit schaden, infrage zu stellen. Lieber die immer mal wieder die rechte Karte ausspielen und damit diese Herrschaft zementieren helfen. Wie auch durch die Kollaboration mit der Springer-Presse. 

Jetzt habe wir also die geupdatete Wagenknecht-Analyse. Das wird sicher nicht das Ende sein, aber wir wissen, w arum man ihre Partei als politisch linke Person nicht wählen sollte.

Ich werde sie nicht wählen, das ist nicht das Gleiche. Wenn jemand im Herzen links ist und trotzdem ein Fan von ihr, dann ist das so. Mir verwehrt die obige Analyse diese Fan-Position. Wenn jemand ihre rechten Positionen so gut findet, dass er dafür nicht die AfD wählt, ist das wenigstens kein größerer Schaden, als wenn er diese wählen würde. Was mir Sorgen macht, sind diejenigen, die wieder einmal von einer politischen Person enttäuscht sein werden. Jede solche Enttäuschung schadet der Demokratie und mein leiser Verdacht ist, dass Wagenknecht das sogar im Blick haben müsste, wenn sie wirklich so intelligent ist, wie manche denken. Was sagt uns das? Es gibt darauf zwei Antworten, wie meistens.

Siehe oben, der Schluss dieses Artikels wird nicht das Ende der Überlegungen sein. 

TH

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