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Crimetime 1169 – Titelfoto © NDR

Schlimmer als ein Wessi!

Gefährliche Küsse ist ein deutscher Kriminalfilm von Manfred Stelzer aus dem Jahr 1996. Der Fernsehfilm erschien als 181. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110.

Sagt Groth an einer Stelle zu Hinrichs, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, jedenfalls fällt der Satz polizeiintern. Ich habe mich beim Anschauen gefühlt wie in Dresden, mit Ehrlicher und Kain, bei denen aber die Hierarchie klar, während der alte VoPo Groth sich von dem „nicht vorbelasteten“ Hinrichs, der das Glück hatte, erst nach der Wende richtig in den Beruf einzutreten, geschurigelt fühlt, dieser wiederum muss um seine Autorität kämpfen und sagt aus, ihm gefiele das Teamwork nicht. Das kennen wir wiederum aus Tatorten und anderen Polizeirufen, aber es vermischt sich in diesem Film mit einer seltsamen Zwischen-den-Welten-Atmosphäre, die heute zumindest dokumentarisch interessant ist. Und sonst? Wir behandeln das Wichtigste zum Film in der –> Rezension.

Handlung (1)

In der Sperrzone in Tschernobyl erhält Jakob Smiri einen Auftrag, der ihn nach Schwerin führt. Hier beschattet er Silke Kuhlmann, die Frau von Rechtsanwalt Jan Kuhlmann. Er folgt ihr zu ihrem Liebhaber, dem Nacktputzer Karl Saibel. Silke will mit Saibel schlafen, doch weist er sie wegen eines Termins zurück. Silke verlässt ihn und wird kurz darauf von Smiri im Fahrstuhl getötet. Smiri kann ungesehen entkommen und reist in die Ukraine zurück.

Kriminalhauptkommissar Jens Hinrichs sucht eine Ehefrau, wird jedoch vom Treff mit einer Internetbekanntschaft in einem Café direkt zum Tatort gerufen. Da Kellermann von der Mordkommission erkrankt ist, darf Hinrichs mit Kriminalkommissar Groth zusammen seinen ersten Mordfall bearbeiten. Groth ist schon vor ihm da und hat alle Aufgaben erledigt, die Hinrichs eigentlich erst voller Elan angehen will. Hinrichs ist verstimmt, glaubt er doch, dass Groth gegen ihn arbeitet.

Als Täter kommt zunächst nur Karl Saibel infrage, der kurz nach Silkes Verschwinden ebenfalls das Haus verlassen hat, um zu seinem Termin zu gehen. Er gibt an, dass der Fahrstuhl besetzt war, weswegen er die Treppe nahm. Die Spuren am Tatort bestätigen dies. Neben Silkes Fingerabdrücken finden sich auch die einer unbekannten Person. Sonnenblumenkernschalen, die Groth im Treppenhaus fand, weisen deutliche radioaktive Spuren auf. Hinrichs hält einen Auftragsmord für möglich, was Groth in Schwerin vollkommen abwegig erscheint.

Groth hört sich bei seinen früheren Freunden von der sowjetischen Armee um und erhält den Namen Romanoff, der angeblich alles organisieren kann. Auf der Suche nach den Auftraggebern für einen möglichen Mord schauen Hinrichs und Groth bei Witwer Jan Kuhlmann vorbei und sind erstaunt, dass bei ihm bereits eine neue Frau aus Polen als Geliebte lebt. Hinrichs vermutet, dass das organisierte Verbrechen nicht nur für den Mord der Ehefrau zuständig ist, sondern auf Bestellung auch eine neue Frau organisiert. Mit Zustimmung seines Vorgesetzten Dr. Stuber beginnt Hinrichs, verdeckt zu ermitteln.

Hinrichs wendet sich über Mittelsmänner an Romanoff, der ihm ein Treffen in drei Tagen verspricht. In dieser Zeit mietet Dr. Stuber für Hinrichs eine eigene Wohnung an und besorgt ihm eine „Ehefrau“, Kriminologin Anita. Sie soll als Lockvogel dienen und Ziel des Mordanschlags werden. Hinrichs zahlt 15.000 Mark für die Ermordung, verliebt sich während des mehrtägigen Zusammenlebens jedoch tatsächlich ein wenig in Anita, die gut aussieht und gut kochen kann. Akribisch plant er alles, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Sie ist für den Killer als Museumswärterin tätig. Hinrichs lässt das Museum mit Kameras, Mikrofonen und Sicherheitssystemen versehen.

Jakob Smiri wird von Romanoff mit der Tötung Anitas beauftragt. Er folgt ihr zum Museum, wobei Anita auf dem Weg verschiedene Beamte passiert, die als Posten für ihre Sicherheit während des Arbeitswegs zuständig sind. Am Morgen hatte Groths Enkelin Juliane zufällig Hinrichs getroffen, der sie jedoch mied. Sie erzählt ihrem Großvater davon, der zwar in die Geheimaktion eingeweiht ist, jedoch nicht weiß, wo sich Hinrichs aufhält. Er begibt sich zur falschen Wohnung Hinrichs’, wo einer der Posten ihn zum Museum schickt. Vor dem Museum sieht Groth Sonnenblumenkernschalen und weiß, dass der Killer schon im Museum sein muss. Hier ist gerade eine große Touristengruppe eingetroffen. Hinrichs sieht Groth auf den Überwachungskameras und holt ihn zu sich in sein Überwachungszimmer. Groth berichtet, dass der Killer im Haus ist, und beide sehen, wie die Touristen das Museum verlassen. Anita jedoch ist verschwunden und Groth schlussfolgert, dass sie auf der Toilette ist – dem einzigen Ort, den Hinrichs nicht hat präparieren lassen. Beide eilen zur Toilette, wo sie Anita in letzter Sekunde retten können. Jakob Smiri wird festgenommen.

Offiziell vermelden die Zeitungen am nächsten Tag, dass die Museumswärterin Anita ermordet wurde. Durch einen Kontaktmann lässt sich Hinrichs nun potenzielle Ehefrauen-Nachfolgerinnen präsentieren. Jan Kuhlmann wird von den Ermittlern zu einem angeblichen Treffen mit Romanoff bestellt und erscheint, wobei er sich als Auftraggeber des Mordes an seiner Frau zu erkennen gibt. Die Ermittler können zahlreiche Mitglieder der Bande um Romanoff sowie auch Jan festnehmen. Anita wiederum verlässt die Stadt, da ihre Arbeit in Schwerin getan ist. Hinrichs verabschiedet sie schweren Herzens und Groth fragt ihn, warum er eigentlich nicht heirate.

Rezension

Durch den Satz, den wir als Überschrift verwendet haben, werden die Zuschauer Zeugen der übelsten Beleidigung, die man im Osten aussprechen kann: „Wessi!“. Beim Ostsender MDR wurden die damit verbundenen Klischees so hinreichend gepflegt, besonders natürlich bei der Tatortschiene Dresden und vor dem Wechsel nach Leipzig, dass sich die Menschen im Osten nie selbst hinterfragen mussten. Heute haben wir den politischen Salat dieser in Wirklichkeit rechtsgestrickten und so gar nicht linkssolidarischen Denkungsart in Form von über 20 Prozent AfD-Wähler:innen und zudem sind die übrigen Parteien alle dort weiter rechts als im Bundesdurchschnitt, besonders natürlich die CDU und die FDP. Und Uwe Steimle hat sich mittlerweile mit seinem Haussender, ebenjenem MDR, verkracht, weil er selbst dieser nach rechts doch einigermaßen toleranten ARD-Anstalt zu extrem wurde.

Aber vom NDR habe ich bisher keinen so deutlich in diese Richtung tendierenden Film gesehen. Was soll man darauf antworten? In der neuen Welt kann man sich als Nacktputzer verdingen, weil die Karriere einen Knick bekommen hat, in der alten musste man Material immer klauen, weil es keines zu kaufen gab. Beides ist, schlicht ausgesprochen, Scheiße, sofern der Nacktputzer keine exhibistionistischer Ader hat und sich auf die Ausführung seiner Aufträge freut. Auf diese Lesart kann ich mich vereinbaren und wenn ich sie in Relation zur großen Freiheit und der Menschenwürde setze, die uns doch grundgesetzlich zugesprochen wird und nur so, ist vieles, was seit 1990 gelaufen ist, ein Desaster. Aber die Wende kam nicht dadurch, dass man zuvor irgendwem irgendetwas versprochen hätte, es waren Beobachtungen der Menschen in der DDR, aus denen sie geschlossen haben, dass es den Genoss:innen im Westen besser geht als ihnen, die den Druck aufgebaut haben. Das mit den blühenden Landschaften hat Helmut Kohl erst gesagt, als es schon so weit war und in einer Mischung aus Verkennung und Beschönigung der realen Lage in den letzten Jahren der DDR. Wie sich das alles entwickelt hat, lässt sich anhand vieler Dokumentationen und auch der Art, wie die DDR-Polizeirufe gestrickt waren, gut nachvollziehen.

Kritik ist aber immer und muss auch sein und damit zu dem, was der Film als Kriminalfall darstellt.

Auch wenn Mörder und Auftraggeber früh feststanden, haben es die Drehbuchautoren verstanden, „die Spannung immer wieder nachzuladen“, befand die Frankfurter Neue Presse.[3] Die Süddeutsche Zeitung schrieb, dass sich auch der Polizeiruf der „neue[n] Fernsehspieldramaturgie“ unterordnen musste, die forderte, dass „dem nach Sex gierenden weiblichen Opfer richtig scharf in den Hals geschnitten wird. Reichlich Blut muß fließen, damit wir in noch schärferen Erwartungen uns auch den Rest der Geschichte antun“. Regisseur Manfred Stelzer jedoch gelinge es, „das alles geschickt ins Menschelnde [zu retten] – in der Schilderung der kleinen Versagungen und Verbrechen und der provinziellen Atmosphäre ist er ganz außergewöhnlich gut.“[4]

„Fazit des Abends: solides Krimihandwerk, mehr aber auch nicht“, befand die Stuttgarter Zeitung.[5] Für die TV Spielfilm war Gefährliche Küsse hingehen ein „melancholischer bis heiterer Provinz-Krimi“.[6]

Der Mörder stand sofort im Moment der Tat fest, eigentlich schon vorher, weil man ahnte, weshalb er unterwegs war. Den Auftraggeber betreffend ist der Film formal ein Whodunit, aber es stimmt, auch ihn hat man schnell auf dem Schirm und es gibt keine Überraschungen. Was mich persönlich an der Atmosphäre mehr beeindruckt hat als der Ossi-Blues, war das Schicksal des Auftragskillers. Womit sollte man sonst in der Ukraine so viel Geld verdienen, dass es reicht, den Kindern, die schwer geschädigt sind durch den Reaktorunfall von Tschernobyl, teure Westmedikamente zukommen zu lassen, als mit schwerster Kriminalität? Dieser treusorgende Familienvater, der den Kindern aus dem Westen auch immer etwas mitbringt, ist gleichzeitig jemand, der ziemlich bedenkenlos das Leben Unschuldiger auslöscht oder von Personen, über deren Charakter er nichts weiß. Ein ganzer Ring von Menschen in Deutschland steht dahinter, eine verschworene Gemeinschaft, die diese Auftragsmorde organisieren. 15.000 Mark kostete damals ein Menschenleben bzw. dessen Beseitigung. Wie viel davon erhält der Ukrainer, wo doch auf jeder Seite noch Mittler daran verdienen? Damit dieses Dilemma fundiert ist, muss das Opfer, gespielt von Karin Düwel, recht unsympathisch rüberkommen, man darf aber gleichzeitig kein Mitleid mit ihrem Widersacher haben.

Das moralische Problem, das wir hier aufgetischt bekommen, hat mich also mehr beschäftigt als die mittlerweile hinreichend bearbeiteten Probleme mit dem Ankommen in der neuen Zeit. Dass dies bei einigen Menschen nach 30 Jahren noch nicht geklappt hat, tja, wer ist dafür verantwortlich zu machen? Wirklich immer nur die anderen? Falls man sich wirklich permanent ungerecht behandelt fühlt, könnte man sich doch uns anschließen, die wir im politischen Teil des Wahlberliners für mehr Solidarität und Gerechtigkeit eintreten und nicht zum Beispiel nach rechts abdriften, wie der Herr Steimle.

Auffällig ist die sehr langsame Art, wie „Gefährliche Küsse“ gefilmt ist und wie Julia Jäger als Anita aus den wenigen Minuten Spielzeit, die sie hat, viel herausholt und eine sehr moderne und eindringliche Performance gibt, ohne auch nur für einen Moment zu überspielen, wie Steimle als Hinrichs es gerne tut, was aber auch sein Markenzeichen als Komödiant darstellt.

Der Lockvogeleinsatz als Plotanlage muss immer wieder neu verteidigt und glaubwürdig dargestellt werden und damit tun sich Krimis aus nachvollziehbaren Gründen schwer: Zum einen muss jemand bereit sein, eine solche gefährliche Position zu übernehmen, während diejenigen, die sich das ausgedacht haben, in Sicherheit sitzen und zuschauen können, was passiert, zum anderen muss der Lockvogel viel Vertrauen in ebenjene Menschen haben, die ihn „führen“. Wie man in „Gefährliche Küsse“ sieht, hat die Polizei nämlich wieder einmal etwas nicht bedacht, nämlich auch die Sanitärräume zu überwachen und sicherzustellen, dass dort nichts geschehen kann. Mithin hätte dort jemand postiert werden müssen, ohne als Polizist aufzufallen.

Finale

Was in dem Film gezeigt wird, Auftragsmörder aus dem Osten, das gibt es wirklich oder gab es damals zumindest und sogar die Preise sind, wenn ich richtig informiert bin, nicht unrealistisch, ich habe in den 2000ern mal etwas von 7.000 Euro gehört. Das Dumping, aber ein höherer Preis macht es natürlich nicht ehtisch besser, nicht einmal dann, wenn das Opfer jemand wäre, den wir alle gerne los sein würden, damit er die Welt nicht mehr mit Hass und Hetze vergiften kann. Notwehr ist es trotzdem nicht, ihn umbringen zu lassen. Aber möglich wäre es und ich rätsele immer wieder, wieso das nicht häufiger passiert. Vielleicht sind manche wenig spektakuläre Todesfälle aber auch verdeckte Morde. Im Familienkreis sogar ziemlich sicher. Die Mordrate, vor allem das Töten alter Menschen, die zum Beispiel einer Erbschaft im Wege stehen, dürfte um einiges höher liegen als offiziell ausgewiesen.

Die Ermittler sind in diesem Film beide etwas nervig, um es dezent auszudrücken. Überrascht hat mich das deswegen, weil man in anderen Filmen mit den beiden das Skurrile und das Ernsthafte meist recht gut in die richtige Balance zu bringen wusste und mit dem Ableben von Groth und dessen wundervollem Darsteller Kurt Böwe kam ohnehin ein anderer Ton rein, weil der Generationenkonflikt wegfiel, der zwischen den beiden auch immer mitschwingt und davon kündet, wie es ist, wenn man sich als erfahrener Mensch übergangen fühlt. Atmosphärisch ist der Film sehr dicht, da stimme ich mit den Kritikern überein, die es so sehen, aber der Krimi leidet eben auch darunter. Ausgeglichen wird das wiederum dadurch, dass man dem Gewissen des Zuschauers den Mann aus der Ukraine als Hürde in den Weg stellt. Über das Ost-West-Ding haben wir alle hingegen in den letzten Jahren aus politischen Gründen wieder so viel nachdenken müssen, dass ich hier keine neuen Erkenntnisse gewinne. Knappe

7/10.

Regie Manfred Stelzer
Drehbuch Gert Möbius
Manfred Stelzer
Produktion Doris J. Heinze
Klaus-Dieter Zeisberg
Musik Rio Reiser
Kamera Michael Wiesweg
Schnitt Heidi Endruwelt
Besetzung

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