Ein Mann für gewisse Stunden (American Gigolo, USA 1980) #Filmfest 976

Filmfest 976 Cinema

Sex sells in einer neuen Sichtweise

Ein Mann für gewisse Stunden (Originaltitel American Gigolo) ist ein US-amerikanischer Thriller von Paul Schrader aus dem Jahr 1980.

An der Wende zu den 1980er Jahren war es noch nicht unmöglich, das Kino weiterzuentwickeln, neue Themen aus neuer Perspektive zu zeigen – und doch das klassischen Dreiecke aus Geld, Liebe und Verbrechen zu inszenieren. Regisseur Paul Schrader hatte wenige Jahre vor „American Gigolo“ das Drehbuch für „Taxi Driver“ geschrieben, der zu den besten Filmen zählt, die wir 2014 rezensiert hatten. Es im Regiefach Martin Scorsese, den Regisseur von „Taxi Driver“, nachzumachen, ist allerdings nicht so einfach, und es ist gut möglich, dass Schrader das gar nicht wollte, als er die Story um den Schönling mit dem ältesten Beruf der Welt drehte und dabei einen neuen Star in Hollywood etablierte. Mehr dazu lesen Sie in der –> Rezension.

Handlung (1)

Julian Kaye ist ein Edel- Callboy, der in Los Angeles wohnt. Er genießt einen gehobenen Lebensstil, der sich im Besitz eines Mercedes Cabriolets, teurer Kleidung und einem Apartment mit Pool und Hotelkomfort äußert. Bei seinen beiden Zuhältern Anne und Leon aber stoßen seine arrogante Überheblichkeit sowie seine ständigen Nachverhandlungen und Nebengeschäfte übel auf. Beruflich sendet Leon „seinen“ Julian zu einem seiner Stammkunden nach Palm Springs zu einem angeblich gewöhnlichen Auftrag.

Schnell wird aber für Julian ersichtlich, dass der Auftrag beim Ehepaar Raymond eine sexuell- gewalttätige Art an sich hat, die ihm übel aufstößt. Julian soll die Frau schlagen, während der Ehegatte zuschaut. Privat lernt er bei einem seiner Streifzüge nach potenzieller Kundschaft durch die gehobenen Etablissements L.A.s die Senatorengattin Michelle Stratton kennen. Sie verliebt sich in ihn und findet seine Privatadresse heraus, sie schlafen miteinander, und es beginnt sich allmählich eine Beziehung zu entwickeln. Tags darauf liest Julian kurz vor einem von Michelles Besuchen in der Zeitung, dass seine Kundin Judy Raymond aus Palm Springs ermordet aufgefunden wurde, zudem wurde ihr Schmuck geraubt.

Nachdem der Ehegatte Mr. Raymond der Polizei einen Hinweis gegeben hat, heftet sich der hartnäckige Los Angeles Police Department-Detective Sunday an Julians Fersen, der diesen vorurteilsbehaftet für den wahrscheinlichsten Täter hält. Problematisch ist, dass Michelle Stratton das Alibi nicht zu decken vermag, da der Ruf des Senators und ihr eigener leiden würde. Während seine Beziehung zu Michelle Stratton immer tiefer wird, richtet sich der Mordverdacht zunehmend gegen ihn. Zusätzlich gerät Julian nun auch ins Visier von Senator Stratton, Michelles Ehemann, der genau erkennt, dass Julian mit seiner Frau eine Liaison unterhält, aber auch von einer rufsensiblen Klientel abhängig ist. Er bietet Julian eine Zahlung an, wenn er fortan die Finger von seiner Frau Michelle lässt. Julian geht jedoch nicht darauf ein.

Rezension 

Der Film machte Richard Gere zum Star, den Ruhm bestätigte er kurz darauf mit seiner Rolle in „Ein Offizier und Gentleman“, in dem er ebenso einen problematischen Charakter spielt wie in „Ein Mann für gewisse Stunden“.

Der Film wirdvon den Nutzern der IMDb nur noch mit durchschnittlich 6,1/10 bewertet, obwohl er bei seinem Erscheinen immerhin für zwei Golden Globes nominiert war – allerdings für die Musik von Giorgio Moroder bzw. den Song „Call me“, nicht für Regie oder Schauspielleistungen. Im Jahr der Veröffentlichung der Rezension hat sich die Bewertung leicht auf 6,3/10 verbessert.

An Richard Gere scheiden sich die Geister, aber wir meinen, in der Rolle des Gigolo ist er ausgezeichnet. Da ist eine Mischung aus Arroganz, Understatement und ein dazu ein Hauch einsamer Wolf, der gut zu dem großgewachsenen Typ passt. Seine Physiogonomie ist nicht außgerwöhnlich schön, vom goldenen Schnitt aus betrachtet, sind seine Augen etwas zu klein, die Partie bis zur Stirn etwas groß, ebenso wie die Nase, die zudem keine prägnante Form hat. Trotzdem ist er als Gesamterscheinung in gepflegtem Outfit fraglos eine Attraktion, und dass ältere Damen sich so einen Typ gerne für Geld halten,  zumal, wenn er so gut im Bett ist, wie es den Anschein hat, kaufen wir ohne Nachfrage. Vieles ist sowieso Typfrage, und ein Typ mit Wiedererkennungswert ist Gere auf jeden Fall.

Unser Nachdenken über die Optik hängt damit zusammen, dass es hier um eine Persönlichkeit geht, die sich zunächst ausschließlich über die Optik definiert, sich sogar über andere lustig macht, die weniger bevorzugt sind, wie den Polizisten, der ihm wegen Mordverdachts nachstellt, sich ihrer Sache sehr sicher ist.

Dadurch stößt er Menschen vor den Kopf, die ihn, wie krude auch immer sie geschäftlich sein mögen, nach vorne gebracht und ihm Möglichkeiten eröffnet haben. Man erfährt nicht, was er beruflich gemacht hat, bevor er ins Liebesbusiness einstieg, aber es wird nicht herausragend gewesen sein. Er ist undankbar den Leuten gegenüber, die ihm zudem eine persönliche Sympathie entgegenbringen – zumindest zu Beginn des Films. Er ist wählerisch. Er ist eitel.

Mehr als in Europa sind dies alles Eigenschaften, die den Amerikanern zutiefst zuwider sind, da gibt es kaum Zwischentöne. Obwohl die Figur Julian differenziert ist, Manches vage bleibt, viele Charaktere nicht ohne Weiteres greifbar sind, erkennt man die  Botschaft des Films ohne Mühe: Ein Mann wird geläutert durch ein kathartisches Erlebnis – in diesem Fall die Situation, in der sich die Schlinge der Polizei immer enger um seinen Hals zieht, ohne dass er sich des ihm zur Last gelegten Verbrechens schuldig gemacht hat.

Was ihn beinahe  zerstört, ist seine Haltung, nicht ein singuläres Ereignis. Die Mordsache ist nur ein Sinnbild für das Prinzip der Selbstzerstörung, die Julian an seinem Charakter betreibt, bis er – ja, bis er Michelle trifft, die Gattin eines hochrangigen Politikers, die eine Kunden hätte sein können, aber seine vielleicht erst wirkliche Liebe wird. Und Liebe schafft die Wende, wie wir wissen. Zynisch ist der Film nämlich nicht, am Schluss wird alles gut.

Wenn man so will, ist er abgesehen davon, dass erstmals ein Mann in der Hauptrolle der Prostitution nachgeht, konventionell und befasst sich mit einer christlichen Thematik, auch wenn die Religion an keiner Stelle erwähnt wird. Es geht um Vergebung und Erlösung, um eine Wandlung, die damit einhergeht und die hier glaubwürdig scheint.

Finale

Roger Ebert schrieb in der Chicago Sun-Times, dass der Film eine „gewinnende Traurigkeit“ („winning sadness“) aufweise. Er sei – die Elemente der Sensation ausgenommen – eine Studie über die Einsamkeit. Dies sei durch die Darstellung von Richard Gere gestützt.[3]

Das Lexikon des internationalen Films schrieb, dass der Film „elegant inszeniert“, aber „oberflächlich“ sei und lediglich „anspruchsvollere Unterhaltung“ biete.[4]

Dass alles ein wenig oberflächlich wirkt, passt im Grunde gut zum Milieu und den Menschen, die sich darin bewegen. Die Einsamkeit der älteren Damen, die alles haben, außer einen Mann, der sich um sie kümmert und zum Orgasmus bringt, ist für Julian eine Mission, er hat Spaß an seinem Job und ist in keinem Moment ein Opfer, bis er in eine Intrige gerät, die er nicht durchschaut. Hätte er einen normalen Job gehabt,  wäre ihm das nicht passiert. Atmophärisch ist der Film noch klar in den 1970ern verhaftet, was wir als Plus verstehen. Die Handlung hingegen steht beinahe am Ende eines langwierigen Liberalisierungsprozesses und beinahe auch an seiner Wende zurück zu konservativeren Darstellungen, der Materialismus, die Settings, das ist schon eine Vorausahnung des Verlaufs der 1980er, Richard Gere ist ein Role Model und hatte sicher auch optisch großen Einfluss auf das, was Männer in den kommenden Jahren schick fanden. Es gab zuvor bereits Filme über männliche Prositutierte wie „Midnight Cowboy„, die aber ganz im Sinne von New Hollywod ganz unglamourös inszeniert waren.

74/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Paul Schrader
Drehbuch Paul Schrader
Produktion Jerry Bruckheimer,
Freddie Fields
Musik Giorgio Moroder
Kamera John Bailey
Schnitt Richard Halsey
Besetzung

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