Umfragetag: Keine Schulnoten + Hausaufgaben mehr? +++ Alkohol-Werbeverbot? +++ Deutschlandticket weiter anbieten? (Civey + Kommentare) | Briefing 313 | Gesellschaft

Briefing 313 Gesellschaft | Bildung, Alkoholwerbung, Deutschlandticket

Haben Sie Lust, liebe Leser:innen, mit uns wieder einmal auf eine kleine Abstimmungsreise zu gehen? Wir haben einiges aus dem täglichen Leben herausgegeriffen, das viele Menschen direkt betrifft, weniger aus der großen Politik. Politisch ist es natürlich auch, sonst hätte es in diesem Blog keinen Platz. Wir fangen mit dem Bildungsnotstand an, der ist unbedingt politisch.

Die kursiv gedruckten Textteile stammen aus den Civey-Newslettern, mit denen uns die Umfragen zugestellt wurden.

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung der Partei Die Linke, Hausaufgaben und Schulnoten abzuschaffen? – Civey

Am Montag hat die Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler das Papier „Entschlossen gegen den Bildungsnotstand“ vorgestellt. Es enthält verschiedene Maßnahmen gegen die Probleme des deutschen Bildungssystems – wie etwa Lehrermangel, Schulabbruch oder die Abhängigkeit guter Leistungen von der Herkunft. Konkret fordert die Linkspartei etwa, Hausaufgaben und Schulnoten abzuschaffen, um ein „Lernen ohne Druck und Angst” zu ermöglichen. 

„Der alltägliche Hausaufgaben-Stress vergiftet das Familienleben, bedeutet Streit, Überforderung, Tränen und schürt Aggressionen“. Das schrieb Wissler bereits im März in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel. Darin bezeichnete sie Hausaufgaben als Ausgliederung „schulischer Aufgaben in die Familien“. Das vertiefe die soziale Ungleichheit und die Spaltung im Bildungssystem noch, wie das Homeschooling während der Corona-Krise deutlich gezeigt habe. Ohne Hausaufgaben könnte man insbesondere Berufstätige und Alleinerziehende entlasten. 

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, ist gegen die Abschaffung von Noten. „Die Kinder, genauso wie ihre Eltern, möchten die Möglichkeit haben, sich zu vergleichen, und zwar einerseits zu vergleichen mit Mitschülerinnen und Mitschülern und zum anderen natürlich auch mit den Anforderungen in Bezug auf die angestrebten Bildungsabschlüsse“, sagte er der dpa kürzlich. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) lehnt den Vorschlag von der Linken ebenfalls ab. „Hausaufgaben helfen beim Lernen“, sagte Piazolo gegenüber dem Merkur im Frühjahr. 

Im Juli gab es bereits eine Umfrage, die so lautete:

Civey-Umfrage: Sollten Schulen Ihrer Meinung nach statt Schulnoten schriftliche Bewertungen nutzen, um die Leistungen von Schülern zu bewerten? – Civey

Die Forderung war also weniger radikal als das, was die Linke jetzt vorschlägt. Aber es gab eine deutliche Mehrheit gegen diese Änderung (47,5 Prozent waren strikt dagegen). In Sachen Bildung verstehen wir wenig Spaß, um ehrlich zu sein. Damit spielt man nicht und setzt sie nicht weiter ideologischen Experimenten aus, wenn sie schon dermaßen in die Knie geht, weil es schlicht an Kapazitäten fehlt. Deswegen sind wir gegen die Abschaffung der Noten. Leistung muss bewertbar bleiben, wie soll sonst gemessen werden, ob sich in Sachen Bildung etwas verbessert? Wie soll der Zugang zu Universitäten geregelt werden? Durch oh, oh,  bloß noch stressige Aufnahmetests, bei denen dann viele aus allen Wolken fallen werden, die sich als hinreichend gebildet fühlten?

Wir hatten einen Lehrer in Mathe, der hatte die Hefte nach Noten abwärts geordnet auf dem Pult liegen, gab jedes Heft einzeln aus, die Schüler mussten nach vorne kommen, der Lehrer las jede Note laut vor, damit er sich daran weiden konnte, wie die Gesichter der Schüler immer länger wurden und förderte damit die ohnehin oft aggressive Stimmung in der Klasse. Das muss nicht sein, man muss Noten nicht so hypen und als Machtmittel verwenden, aber selbst ein Notenspiegel sollte sein, damit klar ist, wie eine Leistung relativ einzuordnen ist, nicht nur absolut.

In der ersten Klasse gab es bei uns auch keine Noten mehr, sondern nur eine allgemeine Bewertung, eine Art Kommentar zur Entwicklung innerhalb des Jahres. Danach kam es  zu Zensuren. Obwohl wir keine Probleme mit der Beurteilung im ersten Jahr  hatten, warne die Zensuren natürlich viel präziser.

Noten haben teilweise auch etwas Subjektives, daran kann man sich stören, und diese Subjektivität haben wir vor allem im Fach Deutsch durchaus genossen und dann wieder nicht. Wir hätten beinahe Deutsch nicht als Leistungskurs gewählt, weil der Lehrer, den wir in Klasse 10 vorgesetzt bekamen, unsere Arbeiten im Schnitt eine ganze Stufe schlechter bewertete, als die vorherigen Deutschlehrer es taten. Wir sind froh, dass wir uns dann doch gegen unsere eigene Verunsicherung durchgesetzt hatten. Noten können tückisch sein, aber in den Naturwissenschaften und bei reinen Wissensfächern haben sie selbstverständlich eine hohe Aussagekraft und weisen auf Mängel hin, die man abstellen kann, wenn man etwas investiert.

Sie haben es sich vermutlich schon gedacht: Die Ablehnung des Vorschlags der Linken ist überwältigend, derzeit sind fast 70 Prozent exakt dagegen. Zusammen mit den 15 Prozent latent Ablehnenden, zu denen wir uns gesellt haben, liegt der Ablehnungsgrad bei 85 Prozent.

Muss das sein, Die Linke, wenn man eh schon den Zugriff auf die meisten Wähler:innen komplett verloren hat?

Bei den Hausaufgaben sieht es etwas anders aus. Es kommt für uns darauf an, was Ganztagsschulen in dem Bereich leisten können, sprich, ob alles, was erarbeitet werden muss, während der Unterrichtszeit machbar ist. Die Schulform, die wir noch kennengelernt haben, mit maximal sechs Schulstunden am Tag (aber auch an Samstagen), konnte das nicht, das hat auch fast jede:r eingesehen. Deswegen sind wir diesbezüglich eher unentschieden. Die konkrete Aufstellung einer Nicht-Hausaufgaben-Schule macht wohl den Unterschied. Wenn die Schule gut ist und einen zügigen Lernfluss garantiert, können Hausaufgaben möglicherweise unterbleiben.

Wir verstehen auch sehr wohl, dass Hausaufgaben in einem guten sozialen Umfeld leichter zu erledigen sind als im Chaos, das in vielen Familien herrscht, die „bildungsfern“ sind und dass manche Eltern die Aufgaben kontrollieren oder, schreiben wir es moderner, progressiv unterstützend begleiten können, andere nicht. Aus diesem Unentschieden in Sachen Hausaufgaben und einer klaren Ablehnung der Notenabschaffung setzt sich auch unsere gemäßigte Ablehnung des Linke-Vorschlags im Ganzen zusammen.

Haben Sie übrigens gewusst, dass viele Politiker:innen, die so herrlich über eine ganz und gar leistungsbewertungsfreie  und trotz mangelhafter Mittel zur Einzelförderung totalinklusive Schule und andere Experimente reden und letztlich dafür sorgen, dass Inklusion vor allem negative Effekte hat, ihre Kinder sehr gerne auf teure Privatschulen schicken, die überhaupt nicht an eine Abschaffung des Leistungsprinzips denken?   Da sind einige unterwegs, die ihrem eigenen Nachwuchs die Privilegien sichern wollen, die sie selbst aufgrund ihrer hohen Gehälter als Politiker:innen haben, und das ist nicht inklusiv, das ist ein Verbrechen an den vielen Kindern, deren Eltern sich die private Organisation von etwas besserer Bildung nicht leisten können.

Dummerweise hilft die Linke mit ihren Vorschlägen den Neoliberalen, das Bildungssystem für die Kinder weniger Privilegierter noch gruseliger zu  machen, wenn jede Möglichkeit entfernt werden soll, Bildungserfolge zu messen.

Es gibt nur eines, was wirklich für bessere Bildung sorgt, und auch dann ist der kurzfristige Erfolg eher nicht zu erwarten, weil schon so viel falsch gemacht wurde: Massiv Geld in die Hand nehmen, um endlich die Lehranstalten für die Anforderungen der Zukunft zu ertüchtigen.

Bloß nicht am falschen Ende sparen, weil die FDP es so will. Soonstwird das nichts, auch nicht mit der Bildung, Ampel! Und ohne Noten wird es garantiert nicht besser, nur, weil es keine Noten gibt, Linke. Wir könnten uns schon wieder aufregen, wie so häufig beim Thema Bildung, deshalb gehen wir zum nächsten Thema über.

Damit man u. a. konzentrierter in der Schule sitzen und lernen kann, wäre es sinnvoll, am Abend zuvor weniger zu saufen, oder?

Civey-Umfrage: Sollte Alkoholwerbung Ihrer Meinung nach verboten werden? – Civey

Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung fordert umfangreiche Einschränkungen bei der Alkoholwerbung. „Um dem bestehenden Wildwuchs bei Alkohol- und Tabakangeboten endlich den Riegel vorzuschieben, brauchen wir viel stärkere und ganz eindeutige Leitplanken etwa bei den Werbebeschränkungen“, sagte Burkhard Blienert (SPD) Anfang der Woche gegenüber der dpa. Der Umgang mit Alkohol sei in Deutschland zu lax. 

Werbung bestimme maßgeblich mit, ob und wie viele Menschen auf Alkohol aufmerksam würden, argumentierte Blienert. Sie müsse besonders dort unterbunden werden, wo sie v.a. Kinder und Jugendliche wahrnähmen und zu den Hauptsendezeiten von Fernsehen und Radio. Ein komplettes Werbeverbot für Alkohol forderte laut ZDF die Bundesärztekammer im Mai. Dabei verwies sie auf Zahlen des Gesundheitsministeriums, wonach Alkohol jährlich 74.000 Todesfälle und 57 Milliarden Euro Krankheitskosten verursacht. 

Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft hält die derzeitigen Einschränkungen für Alkoholwerbung für ausreichend, wie ntv im Mai berichtete. Den Regeln des Deutschen Werberats für Werbung für alkoholhaltige Getränke zufolge darf sich Werbung etwa nicht an Kinder oder Jugendliche richten oder den Eindruck erwecken, Alkohol fördere „sozialen oder sexuellen Erfolg“. Laut einer Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages von 2021 würde ein umfassendes Werbeverbot für alkoholhaltige Getränke „gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit verstoßen”. Hier geht es zudem um „eine Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (hier: in Form der Werbung)” und u.a. „dem Gesundheitsschutz”.

Wir wussten gar nicht, dass für Zigaretten überhaupt noch geworben werden darf. Wo denn, bitte? Außerdem sind sie mittlerweile so teuer, dass der Preis durchaus präventiven Charakter entfaltet.

Alkohol hingegen ist in vielen seiner Verabreichungsformen billig und wird gesellschaftlich immer noch als absolut tolerabel angesehen, auch, wenn er im Überfluss „genossen“ wird, obwohl es mehr Alkoholkranke als Suchtkranke aufgrund jeder anderen Droge gibt. Deutschland ist außerdem auf einem ganz unrühmlichen Gebiet weltweit ganz vorne dabei: Wenn es um die Menge an Alkohol geht, die gezwitschert wird. Liste der Länder nach Alkoholkonsum – Wikipedia. Die Liste ist leider auf dem Stand von 2016, die Aussagekraft dürfte aber immer noch hoch sein. Wenn man ein paar kleinere Länder aus der Tabelle nimmt und die Nachbarn aus Tschechien mit ihrem sehr hohen Bierkonsum, führt Deutschland die Liste sogar an. Länder wie die USA zum Beispiel liegen weit dahinter, aus Gründen. Dort haben die Spirituosen einen hohen Anteil am Alkoholkonsum, und die sind mittlerweile dort sehr teuer. Nach dem, was wir gehört auf fragmentarischer privater Ebene mitbekommen, wird ersatzweise gekifft ohne Ende. Das lässt sich allerdings auch statistisch bestätigen und hat sich vermutlich in den letzten Jahren noch mehr ausgeprägt (die Statistik zeigt den Stand von 2017): Liste der Länder nach Cannabiskonsum – Wikipedia.

Die Ungleichbehandlung mit den anderen Suchtmitteln zugunsten des Alkohols kommt uns jedenfalls seltsam vor, seit z. B. gegen den Tabak rigoros zu Felde gezogen wird, beim Alkohol aber kaum relevante Einschränkungen zu erkennen sind.

Der Bierkonsum, mit dem Deutschland traditionell gerne in Verbindung gebracht wird, ist aber schon seit Jahren rückläufig: Bierkonsum in Deutschland pro Kopf 2022 | Statista

Wir haben klar für ein vollkommenes Werbeverbot gestimmt. Das ist für die Werbeindustrie nicht einfach, das ist schon klar, aber deren Interessen dürfen nicht über die des Gesundheitsschutzes gestellt werden. Fast die Hälfte der Abstimmenden sieht es im Moment ebenso, hinzu kommen 12 Prozent, die mit „eher ja“ gestimmt haben.

Nun aber zum Straßenverkehr. Achtung, nicht nur, wenn man selbst Auto oder Fahrrad fährt, sollte man das möglichst nüchtern tun, sondern auch im ÖPNV oder im Schienenfernverkehr, denn die gekostzte Sauerei, die wir in Berliner Bahnsystemen manchmal erleben und die gefährliche Schwankbreite der Nachschwärmer und ihrer mitgeführten Alkoholflaschen, die Scherben allüberall, nun ja … nun aber zum Transport selbst. Das Deutschland-Ticket war zuletzt ein verkehrspolitischer Hotspot, daher bietet sich folgende Frage an:

Civey-Umfrage: Sollte das Deutschland-Ticket für den ÖPNV Ihrer Meinung nach auch 2024 weitergeführt werden? – Civey

Das Deutschlandticket seit dem 01. Mai dieses Jahres erhältlich. Für 49 € monatlich kann damit deutschlandweit der öffentliche Personennahverkehr genutzt werden. Bis 2025 beteiligen sich Bund und Länder mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr an der Finanzierung. 

Die Länder und die Verkehrsverbünde sehen das Deutschlandticket nun wegen fehlender langfristiger Finanzzusagen in Gefahr. Zuletzt hatten mehrere Bundesländer in einem Brandbrief an Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) appelliert. Ohne eine Einigung in offenen Finanzfragen für die Zeit nach 2023 sehen sie „die Fortführung des Deutschlandtickets oder zumindest dessen flächendeckende Anwendung ernsthaft gefährdet“, zitierte die SZ Mitte August Inhalte aus dem Schreiben. 

Wissing lehne eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes am Deutschlandticket ab und fordere die Länder zum Sparen auf, berichtete die Tagesschau Ende August. „Ich empfehle den Ländern, jetzt mutig weiter voranzugehen und den Flickenteppich der Verkehrsverbünde effektiv neu zu ordnen“, sagte Wissing. „Wir haben alleine zwei Milliarden Euro Vertriebskosten für ÖPNV-Tickets. Das muss sich ändern.“, so der Verkehrsminister weiter

Was der FDP-Minister nicht sagt: Die Verkehrsverbünde sind bereits viel weiter als in anderen Ländern und bilden eines der besten ÖPNV-Netze der Welt, zumindest in den Städten und jedes Ticket, auch für Kultur etc., verursacht ein paar Cent Vertriebskosten. Wir versuchen persönlich, beim Mindern dieser Kosten zu helfen, indem wir unser BVG-Tickets mit der App Jelbi buchen.

Auf dem platten Land ist es sowieso schwierig, einen eng getakteten ÖPNV sicherzustellen. Aber viele dieser durchaus funktionablen Verbünde sind öffentlich oder überwiegend öffentlich, und das passt der neoliberalen FDP grundsätzlich und ideologisch nicht.

Deshalb auch der Stunk gegen das Deutschlandticket. Ansonsten haben wir die Umfragen so in diesen Artikel geschrieben, wie wir die Themen derzeit priorisieren, und zwar abwärts. Das heißt, das Deutschlandticket ist sicher für viele eine gute Sache, deshalb haben wir auch solidarisch mit „überwiegend ja“ gestimmt, aber kein Aufreger in dem Maße wie das Thema Bildung.

Es gibt ein Argument, das im obigen Civey-Text nicht genannt, aber diskutiert wird: Wie sehr verteuert das Deutschlandticket ebenjenen ÖPNV und verhindert dadurch vielleicht sogar Erleichterungen für Geringverdienende im Nahbereich? Da haben wir noch eine Informationslücke, noch keine Meinung. Aber grundsätzlich ist alles gut, was den Öffentlichen Nahverkehr und den Schienenverkehr fördert, daher haben wir dezent mit „ja, weitermachen“ gestimmt.

TH

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