China setzt auf Atomkraft: Neue Kernkraftwerke in vielen Ländern (Statista + Kurzkommentar) | Briefing 317 | Wirtschaft, Kernenergie weltweit

Briefing 317 Wirtschaft, Energiewirtschaft, Kernkraft, Ausbau der Kernkraft in vielen Ländern

Liebe Leser:innen, wenn Sie Themen in Zusammenhängen betrachten wollen, brauchen Sie Fakten. Wir liefern Ihnen immer wieder Grunddaten, die zum Weiterrecherchieren, Vertiefen, Nachdenken anregen sollen.

Wie wir wissen, endete die Produktion von Atomstrom in Deutschland im April 2023. Schon damals und selbstverständlich während der vorausgehenden Diskussion hatten wir darauf hingewiesen, dass dieser Trend, weltweit betrachtet, ein besonderer ist. Und können Volkswirtschaften mit einem so gigantischen Energiehunger wie die chinesische ohne Atomkraft ihre CO2-Werte wenigstens auf dem jetzigen, viel zu hohen Level halten? Andererseits haben wir bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die Folgekosten von Atomstrom die höchsten von allen Energieträgern sind. Freilich ist auch dies wieder eine Frage der Berechnung und hängt unter anderem davon ab, wie man die CO2-Bilanz der verschiedenen Energieträger einpreist. 

An einer Wahrheit führt jedenfalls nichts vorbei: Die Erneuerbaren müssen viel schneller ausgebaut werden, als das in Deutschland in den letzten Jahren der Fall war. Es kann nicht sein, dass jetzt wieder mehr Kohle verfeuert werden muss, wegen des Atomausstiegs, und dass aus anderen Länder Energie importiert werden muss, deren Mix auch Kernkraft beinhaltet. Das erinnert zu stark an die Geschichte vom russischen Öl, das nicht mehr direkt importiert wird, sondern auf teuren Umwegen und möglicherweise mehr davon als zuvor. Chronologisch betrachtet ist es natürlich umgekehrt.

China setzt auf Atomkraft

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Mittelfristig gelten Atomkraftwerke für einige Expert:innen als effizienteste Übergangslösung, um die weltweiten Klimaziele noch zu erreichen. Kritik gibt es vor allem bezüglich der weitestgehend ungelösten Endlagerfrage und potenzieller Sicherheitsrisiken. Im Zug der grünen Energiewende wurden in Deutschland die letzten Kraftwerke im vergangenen April vom Netz genommen, befürchtete Versorgungsengpässe, Blackouts oder Brownouts blieben bislang aus. Während Deutschland innerhalb der Landesgrenzen keinen Atomstrom mehr generiert, sehen die globalen Pläne vor allem aufsteigender Volkswirtschaften anders aus.

Alleine in China befinden sich derzeit 24 neue Atomreaktoren in Planung oder im Bau, ein neues Kraftwerk soll laut aktuellen Daten der World Nuclear Association noch dieses Jahr ans Netz gehen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei planen mit dem Neuanschluss jeweils eines Kraftwerks, in Südkorea sollen es dieses Jahr noch zwei werden. Auf Platz zwei liegt Indien, das bis 2027 acht neue Kernkraftwerke gebaut und an das Stromnetz angeschlossen haben will, gefolgt von den bereits erwähnten Ländern Türkei mit vier und Südkorea mit drei Reaktoren.

Auffällig dabei: Mit China, Indien und Russland, sind drei der fünf BRICS-Mitglieder unter den Top 8. Unter dem Kürzel versteht man seit der Aufnahme Südafrikas 2011 eine lose Vereinigung aufstrebender Volkswirtschaften, zwischen 2001 und 2011 waren die vier restlichen Länder unter dem Begriff BRIC bekannt. Ab dem 1. Januar 2024 stoßen Saudi-Arabien, der Iran, Äthiopien, Ägypten, Argentinien und die Vereinigten Arabischen Emirate als neue Mitglieder dazu. In drei der sechs zukünftigen Mitgliedsländer, den Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Argentinien, befinden sich derzeit ebenfalls neue Atomreaktoren im Bau.

In Deutschland stammten 2022 6,4 Prozent des innerhalb des Landes erzeugten und eingespeisten Stroms aus Kernenergie, 47,3 Prozent aus anderen konventionellen Energieträgern. Zur Kompensation der Abschaltung dreier weiterer Atomkraftwerke Ende 2021 wurde unter anderem drei Prozent mehr Strom als im Vorjahr mit Kohle erzeugt.

Eines scheint bereits sicher: In den nächsten Jahrzehnten sind die Weichen überall dort, wo mit wachsendem Energiebedarf gerechnet wird, komplett anders gestellt als in Deutschland. Wir erinnern uns an das Jahr 2011, als einer unserer ersten Artikel des „alten“ oder „ersten“ Wahlberliners sich der weltweiten Einstellung der Menschen zur Atomkraft widmete. Das war kurz nach dem Fukushima-GAU, der in Deutschland zur Kehrtwende nach der Kehrtwende führte. Nachdem der Atomausstieg schon unter Rot-Grün beschlossen war, machte Kanzlerin Merkel ihn zunächst rückgängig und beschleunigte ihn im Anschluss an die Katastrophe in Japan sogar. Mittlerweile leben wir in Deutschland auch ohne Atomstrom und das Licht ist bisher nicht ausgegangen. Ist es so einfach? Wir meinen, nicht ganz. Was wird von wo importiert und welcher Strommix ist dabei gegeben und wie stark muss auf fossile Rohstoffe als Ersatz zurückgegriffen werden, solange die Erneuerbaren nicht genug ausgebaut sind, um wirklich grünen Strom für alle zu gewährleisten?  Schlussendlich wird sich der Umstieg auf Erneuerbare Energien wohl auszahlen, aber eher die Nachhaltigkeit als die Sicherheit betreffend, denn um uns herum und anderswo auf der Welt werden in den nächsten Jahren mehr Atomkraftwerke tätig sein als bisher, nicht weniger. 

Andererseits ist es sehr gewagt, von einer „effizienten Übergangslösung“ zu sprechen, denn Atommeiler, ihr Rückbau und die Entsorgung des strahlenden Mülls sind Aufgaben und Hypotheken für viele Jahrzehnte, auch nach dem Ende der aktiven Nutzung einer Anlage. Der Übergang wird somit wohl mindestens bis ins 22. Jahrhundert dauern.

TH

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