Crimetime 1171 – Titelfoto © NDR
Spuk aus der Eiszeit ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom Norddeutschen Rundfunk produziert und am 10. Juli 1988 erstmals ausgestrahlt. Es handelt sich um die Tatort-Folge 207. Für den Kriminalhauptkommissar Paul Stoever (Manfred Krug) ist es der 8. und für seinen Kollegen Peter Brockmöller (Charles Brauer) der 5. Fall, in dem er ermittelt.
Wenn man den Namen Erich Loest im Stab eines Tatorts liest, merkt man auf, denn dieser hoch produktive und wichtige Schriftsteller und Zeitzeuge der deutsch-deutschen Vergangenheit hatte etwas zu sagen, und das blieb auch nach der Wende so. Im September 2013 verstarb Erich Loest und am 3. Oktober 2015 war der 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Ein guter Zeitpunkt, um einen Kriminalfilm zu senden, in dem es um die Verschleppung eines Mannes aus Hamburg in die DDR und zur Stasi geht, um elf Jahre in Bautzen und um eine mögliche, späte Rache.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2023: Wir haben den Entwurf aus dem Jahr 2015 weitgehend beibehalten. Mehr zum Film steht in der Rezension.
Handlung
Die Geschichte spielt 1988. Hartmut Menkhaus erkennt für Sekunden ein Gesicht wieder, das er nie vergessen konnte: Es ist Martin Scholko, der Mann, dem Menkhaus elf Jahre Bautzen zu verdanken hat. Kurz nach dieser Begegnung wird Astrid Nicolay tot aufgefunden – eine ehemalige Sekretärin des Transportunternehmers Peter Kurbis, für den auch Scholko gearbeitet hatte.
Auf der Suche nach einem Motiv für diesen zunächst unerklärlichen Mord dringt das Kommissaren-Gespann Stoever und Brockmöller in ein beklemmendes Kapitel deutsch-deutscher Beziehungen ein.
Menkhaus, ein Kioskbesitzer, der gelegentlich auch mal mit Informationen gehandelt hatte, war auf dem Höhepunkt des kalten Krieges in die DDR verschleppt worden. Astrid Nicolay und Martin Scholko waren daran beteiligt. Aber welche Rolle spielte ihr ehemaliger Chef Kurbis? War der Mord so viele Jahre nach der Entführung ein verspäteter Racheakt, oder sollte eine lästige Mitwisserin beseitigt werden?
Rezension
Schon der allererste Tatort („Taxi nach Leipzig“, 1970, rezensiert, noch nicht veröffentlicht) befasst sich mit der innerdeutschen Lage, insofern steht bereits „Spuk aus der Eiszeit“ in einer Tradition – und natürlich in der Tradition der Reihe, sich aller denkbaren politischen Themen anzunehmen und Delikte aus ihnen erwachsen zu lassen – oder die Delikte mit einem politischen Kommentar zu versehen. Hier aber ist es tatsächlich erstere Variante, die einstige Teilung bestimmt das Geschehen. Wenn man genauer hinschaut, ist das, was geschieht, aber nicht unbedingt typisch für die deutsch-deutsche Vergangenheit, sondern für das Milieu der Geheimnisbeschaffer. Dass ein Spion, wenn auch ein kleiner, unschädlich gemacht oder ergriffen wird, damit er Informationen verrät, ist nicht system- und zeitspezifisch. Der Austausch von Agenten, der in solchen Fällen oftmals organisiert wird, ist dann ein übliches Verfahren nach den Spielregeln der Geheimdienste.
„Spuk aus der Eiszeit“, da dachten wir vor dem Anschauen eher an ein Mammut-Relikt, das irgendwo aufgetaucht ist, und dessen DNA zur Reanimierung verwendet werden sollte, aber gestohlen wird, wobei es zu Todesopfern kommt. Das wäre aber vor „Jurassic Park“ kaum denkbar gewesen. Die Eiszeit ist vielmehr der Kalte Krieg, der 1960 bzw. 1973, als sich das Ausgangsgeschehen zutrug, in vollem Gang war. 1973 gerade nicht so sehr, aber selbstverständlich waren die Systeme noch voll aktiv und gegeneinander ausgerichtet, in den frühen 1980ern verschlechterte sich das Verhältnis der Blöcke sogar noch einmal, insbesondere nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan (u. a. Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 durch einige westliche Länder unter Führung der USA, Gegenboykott der SU und auch der DDR 1984 bei den Spielen von Los Angeles als Symbolhandlungen in dieser „neuen, kleinen Eiszeit“). Aber 1988? Die Stimmung im Tatort wirkt, als seien die Blöcke bereits in Auflösung begriffen, und in der Tat, nach einigem anfänglichen Misstrauen seitens der maßgeblichen Politiker im Westen wurde deutlich, dass Generalsekretär der SU Michail Gorbatschow es mit Glasnost und Perestroika ernst meinte. Ein Jahr zuvor hatte US-Präsident Reagan Berlin besucht und Gorbatschow aufgefordert, die Mauer niederzureißen, im selben Jahr gab es den ersten Staatsbesuch eines DDR-Staatsratsvorsitzenden in Westdeutschland – und den Kredit an die DDR, den Franz-Josef Strauß eingefädelt hatte. Persönlich erinnern wir uns, dass ein Austausch inklusive Besuchsmöglichkeit zwischen den Jugendorganisationen westlicher Parteien und der FDJ keine Seltenheit mehr war.
Niemand konnte voraussehen, dass schon im Jahr darauf die Mauer fallen würde, aber es lag eine Annäherung in der Luft, und gerade aus dieser Stimmung heraus wollten die Macher von „Spuk aus der Eiszeit“ an Schicksale erinnern, die in einer anderen Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte in diese Geschichte verwickelt waren. Was dabei als Tatort herauskam, ist interessant, aber nicht zwingend und wie häufig in Fällen, in denen die persönlich-politische Botschaft dominiert, wirkt die Handlung stellenweise flach und fragwürdig, steht qualitativ deutlich hinter dem Anliegen zurück.
Vor allem der Quasi-McGuffin des Lieferscheins ist nicht nur enervierend als ein Druckmittel von jedem gegen jeden, sondern vor allem: Was soll denn auf diesem Lieferschein draufstehen? „Ein Spion in Holzkiste, frei Grenze und Entgegennahme durch Organe der Staatssicherheit der DDR“? Sicher nicht. Der Lieferschein musste ja gerade so ausgestellt sein, dass er nicht verdächtig war, und das hat auch funktioniert, denn die „Ware“ gelangte, ohne dass der westdeutsche Zoll etwas bemerkt hätte, in die DDR. Sehr fraglich, dass überhaupt ein Dokument Aufschluss über diese Sonderfracht geben konnte, denn das Mittel der Wahl wäre das eine Kiste in einem Konvolut von vielen mit üblicher Handelsware gewesen, mit Frachtpapieren für die gesamte Ladung, peinlich genau ohne jede Auffälligkeit verfasst. Einzig die Idee, einen Speditionsunternehmer immer mal wieder mit solchen heiklen Transporten zu betrauen und ihm als Gegenleistung Aufträge für den Rücktransport nach Hamburg zuzuschanzen, wirkt stimmig.
Im Gegensatz zum Mordmotiv desjenigen, der die damals beteiligte Frau umbringt, die sich nunmehr als Dauer-Erpresserin betätigt und keinerlei Vorstellung davon hat, dass der Punkt absehbar ist, an dem die Erpressten sich wehren werden. Der Fall, dass jemand jahrelang Taschengeld einnimmt, weil „10.000 bei mir sofort weg wären“, ist ziemlich unwahrscheinlich, denn das Risiko steigt ja durch eine solche Dauerbelagerung immer weiter an. Aber dass sich eines der Erpressungsopfer der Täterin entledigt, damit die Mutter nicht in einen spektakulären, öffentlichkeitswirksamen Fall hineingezogen wird? Einer, der sonst so gar nicht gewalttätig wirkt? Ein Ödipus-Komplex liegt nah, und den kann man aus den Verhältnissen in der Spediteursfamilie durchaus ableiten, ebenso wie einen Vater-Sohn-Konflikt.
Die Akteure in der Intrige spielen ihre Rollen beachtlich, und das Ende ist tragisch – Aufklärung ja, befriedigende Lösung nein, denn der alte Mann stirbt an Herzschwäche, als er denjenigen zur Rede stellen will, der ihn damals verschleppt hat. Stoever und Brockmöller greifen erst nach etwa einer halben Stunde ein, weil den Autoren auch die Person der Ermordeten wichtig war, und sie bleiben vergleichsweise dezent, was nicht nur daran liegt, dass Brocki in seinen frühen Tatort-Jahren, ohne Schnurrbart, weniger markant ausschaut. Für Humor sorgen dieses Mal nicht die beiden, sondern nur Meyer Zwo in seiner unnachahmlich tapsig-effizienten Art. Und da dieser nur wenige Szenen hat, dominiert der Ernst der Sache. Die Stimmung ist melancholisch, wie oft in den 1980er Tatorten, als wüsste man, dass irgendetwas damals noch nicht Fassbares zu Ende geht und etwas ganz anderes kommt, Ausgang ungewiss. Heute kann man mit Fug sagen, die Melancholie war berechtigt.
Allerdings glauben wir eher nicht, dass sie einer Vorahnung der heftigen Einheitswehen und der heutigen Zustände in perfekter Antizipation geschuldet sind, sondern eher, dass die 1980er deshalb in den Tatorten häufig trist wirken, weil die Kraft, der gesellschaftspolitischen Schub der frühen 1970er, einem konservativen Verharren, einer gewissen inneren Erstarrung in Deutschland gewichen war – zumindest scheinen das die Krimimacher so empfunden zu haben, auch wenn sie nicht verschweigen, dass zwischen den Systemen etwas in Bewegung gekommen war.
In den Tatorten der Zeit hat diese Grundstimmung zur Folge, dass auch sie seltsam statisch wirken – nicht mehr mit den überaus kernigen Plots und Typen der ersten Zeit ausgestattet, aber auch nicht mit dem heutigen Tempo und der heutigen visuellen Pracht. Eine wesentliche Weiterentwicklung gab es nach unseren Beobachtungen in dieser Zeit nicht, auch hier kam der Schub nach der Wende, vor allem in den späten 1990ern und frühen 2000ern, in denen die heutige Sprache der Serie weitgehend entwickelt und seitdem immer wieder erweitert wurde.
Allerdings darf man bei „Spuk aus der Eiszeit“ nicht vergessen, dass man speziell an der tristen Stimmung gearbeitet hat. Durch eine Langsamkeit der Handlung, die stärker spürbar ist als beim Durchschnitt der damaligen Tatorte, durch das humorfreie Verhältnisse aller zueinander – und natürlich durch das permanent schlechte Wetter in diesem Film. Selbst die ausgesucht hässlichen Dekors im 207. Tatort sollen die Unbehaustheit und Disharmonie der Figuren ausdrücken, besonders anhand der Wohnung von Frau Nicolay soll das wohl auffallen – ein Leben ohne Design, das nie wächst, auch nicht materiell, Ähnliches gilt für das Speditionsbüro gerade dort, wo die Chefs verkehren. Die Einrichtung des Kurbis-Hauses entspricht zwar der in den späten 1970ern aufgekommenen Mode, das Interieur von Häusern dunkel und schwer wirken zu lassen, aber auch damit spielt der Film recht geschickt und natürlich sagt der Zeitgeschmack etwas über die Zeit selbst aus.
Finale
Mit der Tragödie in dem Film sind wir nicht warm geworden. An den Schauspielern hat es nicht gelegen, aber vielleicht doch am Thema, das uns heute tatsächlich vorkommt wie aus der Eiszeit aufgetaut, unterstützt durch die Art, wie es filmisch umgesetzt wurde. Kriminaltechnisch ist „Spuk aus der Eiszeit“ nicht hervorzuheben. Das trifft auf viele Stoever-Brockmöller-Tatorte zu, aber der Swing, der einiges herausreißt, die vielen Manierismen der Kommissare, die im Verlauf ihrer Karriere für Kolorit sorgen würden, die gibt es hier nicht. Einerseits richtig, angesichts der ernsten Grundstimmung, andererseits sucht man immer etwas wie Anbindung an diesen Tatort und findet sie nicht.
6/10
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Stanislav Barabáš |
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| Drehbuch | Erich Loest |
| Produktion | Jürgen Ehlers |
| Musik | Edward Aniol |
| Kamera | |
| Schnitt | |
| Premiere | 10. Juli 1988 auf Erstes Deutsches Fernsehen |
| Besetzung | |
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