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Briefing Special 2 Bayernwahl, Hessenwahl 2023 | Der Stand am Abend nach der Berliner Runde

22:05 / 00:10, 01:03 am 09.10. Gerade kommt noch einmal eine Hochrechnung für Bayern, für Hessen gibt es gegen 1 Uhr morgens noch ein Ergebnis, nur zwei Wahlkreise sind noch nicht ausgezählt:

  • In Bayern verliert die CSU 0,5 Prozent auf 36,7, die FW gewinnen 4,1, die AfD 5,5 Prozent hinzu. Auf ohnehin hohem Niveau wird der rechte Block damit noch einmal um ca. 9 Prozent stärker  und hat eine Zweidrittelmehrheit. Wie einstmals die CSU? Nein, das ist nicht das Gleiche, denn auch zu Strauß‘ Zeiten war die CSU nicht so weit rechts wie die AfD. FJS sagte damals, rechts von der CSU ist kein Platz in Bayern. Der Platz ist aber nicht dadurch entstanden, dass die CSU wesentlich nach links gerückt wäre, sondern dadurch, dass das rechtsextreme Wählerpotenzial seit Strauß‘ Zeiten gestiegen ist. 
  • Die FW haben im Verlaufe des Abends in Bayern noch erheblich  zugelegt und  laufen derzeit mit 15,7 Prozent hauchdünn vor der AfD ein (15,6 Prozent). Die Grünen liegen bei 14,1 Prozent.
  • In Hessen wird die AfD von Hochrechnung zu Hochrechnung stärker und liegt nun als klar zweitstärkste Kraft bei 18,4 Prozent. Das ist das beste Ergebnis, das sie je in einem westdeutschen Bundesland erzielt hat.
  • Nancy Faeser als prominentester SPD-Politikerin, die in Hessen zur Wahl stand, ist es nicht gelungen, ihren eigenen Wahlkreis zu erobern. Nicht nur das: Die SPD hat in Hessen keinen einzigen Wahlkreis mehr gewinnen können.
  • Hubert Aiwanger in Landshut und ein weiterer FW-Kandidat haben erstmals für die Freien Wähler in Bayern Direktmandate geholt. 
  • In Hessen gewinnt die rechte Seite 13 Prozent hinzu (CDU +7,6, AfD +5,5), in etwa gleichem Maße verlieren die Ampel-Parteien.  

Treten wir ein paar Schritte zurück. Treten wir noch ein paar Schritte zurück. Schauen wir uns die Vergangenheit aus der Distanz an. Es war fast zu allen Zeiten üblich, dass die Partei, die gerade im Bund regierte, früher war es ja meist nur eine größere mit einem FDP-Zünglein an der Waage als Koalitionspartner, dann auch mit den Grünen, von den Wählern abgewatscht wurde bei Landtagswahlen, um es in der Sprache eines der beiden undesländer zu schreiben, in denen heute gewählt wurde. Insofern nichts Neues, könnte man denken. Trotzdem sind die Dimensionen bemerkenswert, und vor allem: Der Rechtstrend war noch nie so stark in Deutschland, seit es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Demokratie werden durfte. Und das gilt heute, wohlgemerkt, für  Westdeutschland. Wenn dieser Trend anhält, kann die AfD im Osten tatsächlich Werte über 30 Prozent erreichen. Natürlich kann man ohne eine Partei regieren, die 30 Prozent erreicht, aber wie schwierig das werden wird, weil die Unvereinbaren dann zusammenarbeiten müssen, ist schon absehbar. 

In Bayern und Hessen hingegen wurden die bisherigen Regierungen bestätigt, teilweise sogar eindrucksvoll, wenn man den CDU-Erfolg in Hessen als Maßstab nimmt. Kann der Rechtstrend wirklich nur auf der Migrationsfrage beruhen? Nehmen wir an, das Thema würde radikal im Sinne der AfD abgeräumt. Käme dann nicht ein nächstes auf die Revisions-Tagesordnung, wie die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine und / oder die wirtschaftlichen Probleme inklusive der Nachhaltigkeit gegen den Klimawandel? Wenn die Rechten erst einmal die Bundespolitik komplett vor sich hertreiben, wird es kein Halten mehr geben, so unsere Befürchtung. Fast jeder Standard kann gesenkt werden. Bis auch die Regierung nicht mehr verfassungsmäßig handelt oder das Verfassungsrecht so ausgelegt werden muss, dass es gerade noch passt. Und die anderen stehen  noch weiter rechts. Deutschland wäre nicht das erste demokratische Land, das diesen Weg geht. Aber gerade in Deutschland darf das aus naheliegenden Gründen nicht passieren. Wie es sich verhindern lässt? Die Bundesregierung hat nur die Wahl, selbst nach rechts zu gehen oderden Rechten das Feld zu überlassen. Wir möchten nicht in der Haut von Kanzler Scholz stecken, der außerdem noch die furchtbaren SPD-Ergebnisse der gestrigen Wahl mitverantworten muss. 

21:15 Jetzt haben wir uns die Berliner Runde angeschaut. Ganz klar, die Grünen werden ihr aufnahmefreundliches Konzept in Sachen Migration nicht aufrechterhalten können, wenn nicht  auch soziale Tatbestände endlich verbessert werden. Und die SPD? Auch wenn SPD-General Kevin Kühnert sich sehr geschickt, wie immer, rhetorisch über die Kernfragen stellt., Kanzler Scholz muss die Richtlinien vorgeben, von uns aus gerne leise, wie in der Ukraine-Politik, wo wir seine affirmativ-vorsichtige Linie unterstützen. Dieses Thema hat heute überhaupt keine Rolle gespielt, es ist aber nicht nur bundespolitisch relevant, denn  wenn es um die Bewältigung der Immigration in den Kommunen geht, gilt: Die mit großem Abstand stärksten Zugänge nach Deutschland kommen seit dem Frühjahr 2022 aus der Ukraine, Immigrant:innen von dort müssen nach wie vor keine Asylanträge stellen, 1,1 Millionen Menschen, deren menschenwürdige Unterbringung und Versorgung eine herausragende logistische Leistung darstellt, die wir in diesem Land aufgrund von Versäumnissen der Vergangenheit kaum noch erbringen können.

Denn, siehe dazu auch weiter unten, die Merkel-Regierung hat über Jahre wichtige Daseinsvorsorgemodule wie die Gesundheitsversorgung, die Bildung, die Wohungspolitik schleifen lassen und gegen die Mehrheit gehandelt, auch gegen die Mehrheit der Migrant:innen, die die Kanzlerin 2015 willkommen hieß. Insofern hat Tobias  Bank, der Generalsekretär der Linken, recht, dass man die Migrationsfrage nicht einfach durch Restriktion beantworten kann, bei der Humanität nur noch ein Lippenbekenntnis ist, dessen Hohlheit auf uns selbst zurückfallen wird, vor allem auf diejenigen, die jetzt so ängstlich sind und sich schwach fühlen. Das Land wäre durchaus in der Lage, mehr für alle zu tun, wenn der neoliberale Durchmarsch der letzten Jahrzehnte, der alle Lasten den ohnehin Strapzierten aufbürdet, endlich begrenzt würde. Das hätte der Linke-Politiker klarer hervorheben dürfen, hatte aber auch, gemäß der geringen Bedeutung seiner Partei in Relation zu derjenigen der anderen, die in der Runde vertreten waren, wenig Redezeit. Und wer hat dafür gesorgt, dass links trotz vielfacher linkes Handeln geradezu zwingend erforderlich machender Politikthemen keine Bedeutung hat? Wieder ein Thema, das wir hier nicht vertiefen können.

Kevin Kühnert und der FDP-General Bijan Djir-Sarai tragenDeutschland-Israel-Abzeichenam Revers,  Friedrich Merz und Carsten Linnemann waren am Pariser Platz auf der Israel-Soli-Demo. Am Abend zuvor wurde in Neukölln der Angriff von Hamas und Hisbollah auf Israel gefeiert. Natürlich muss eine Demokratie unterschiedliche Meinungen aushalten, natürlich hat Israel unzweifelhaft Anteile an der niemals zur Ruhe kommenden Situation im Nahen Osten und wir sind erstaunt, dass die ARD es gewagt hat, im an die Berliner Runde und die Tagesschau anschließenden Israel-Brennpunkt den bekannten Historiker Moshe Zimmermann zu Wort kommen zu lassen, der dem expansiven Siedlungs-Zionismus allgemein und dem konkreten Vorgehen der rechtsextremen israelischen Regierung bei der Landessicherung eine Mitschuld an der aktuellen Situation und der Tatsache, dass die israelische Armee so überrascht war, gibt. Auch dieses Thema ist also kompliziert, wenn man es aus gebotener neutraler Distanz betrachtet.

Dennoch: Hier geht es um Terror gegen Unschuldige und Terror-Unterstützung und es geht, da müssen wir leider jenen, die den Einfluss radikaler Hetzer auch in migrantischen Milieus zustimmen, darum, dass es in Deutschland Menschen gibt, die hierherkamen, um auf die verfassungsmäßige demokratische Ordnung, deutlich geschrieben, zu scheißen, inklusive hemmungslosem Antisemitismus, und die in vieler Hinsicht dem Terror  oder dessen Befürwortung nahestehen. Das ist vermutlich kein Massenphänomen, aber ein zuweilen sichtbares und ein gefährliches, wenn es zu antisemitischer Gewalt kommt.

Wir warnen seit Längerem vor allem in gesellschaftspolitischen Zusammenhängen vor einer retardierten, undemokratischen, grundgestzwidrigen Haltung, die nicht nur bei den Rechtsextremen vorhanden ist. Wenn man in Berlin lebt, muss man dieses Problem auch sehen, wenn man die Augen einigermaßen offen hat. Wie soll man dieses Problem aber in den Griff bekommen, nach vieljähriger Indolenz?  Es gibt keine einfachen Lösungen, so viel steht fest, und populistischer Quatsch, der zu neuen Enttäuschungen und Frust über die Handlungsfähigkeit der Demokratie führen wird, sollte sich gerade bei diesem Thema verbieten. Die Versuchung ist jedoch zu groß, es zu instrumentalisieren, und die Angst der Ampel-Regierung, wenn sie dem Druck von rechts nicht nachgibt, noch mehr an Zuspruch zu verlieren, ebenfalls, zumal sie noch viele andere Baustellen hat. Wir werden hier sicher keine Ideen aus einem Wahlabend-Kommentar heraus generieren, denn wir wollen ja selbst immer auf dem Boden der Verfassung, der Grund- und Menschenrechte stehen und dabei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Humanität, Machbarkeit, Sicherheit und Demokratie bewahren. Dieses Quadrat oder diese politische Matrix in der Balance und funktionabel zu halten, ist in einer so unruhigen Welt eine Aufgabe, der sich Demokrat:innen jeden Tag neu stellen müssen.

Eines kann sich die Union jedenfalls abschminken: Dass sie für den Rechtsdrall keine Verantwortung hat und ihn der Ampel zuschieben will, die ihn jetzt in der Tat ausbaden muss, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Die Menschen vergessen zu schnell. Zum Beispiel, dass Angela Merkel, als sie sagte „Wir schaffen das“, vergessen hat, die Infrastruktur des Landes so zu stärken und Extremismus so deutlich anzugehen, dass es wirklich langfristig funktionieren kann. Im Gegenteil, vieles wurde kaputtgespart und die täglichen, unabwendbaren Aufgaben wurden an viele hilfsbereite Menschen in der Zivilgesellschaft delegiert. Wenn es diese Menschen nicht gegeben hätte, wäre Merkel mit ihrem Spruch, verbunden mit dem für uns unvergesslichen „Ich selbst würde keine Geflüchteten aufnehmen, dafür gibt es andere Stellen“  (sinngemäß wiedergegeben) krachend gescheitert.

Was wir jetzt bekommen, ist, dass die Rechten die Versäumnisse der Bürgerlichen bei der Zukunftsausrichtung des Landes ausnutzen. Leider ist an diesem Abend von keinem Journalisten, keiner Journalistin wenigstens bis zu diesem Punkt vorgedrungen worden und die Linke ist zu paralyisiert, um mit Kraft auf diese zentral wichtige Ebene zu verweisen, wenn es darum geht, wie die Probleme von heute entstanden sind. Es ist alles mal wieder nur auf den hektischen Moment, nicht auf die für die Zukunft wichtige Analyse der Ursachen ausgerichtet. Uns wundert nicht, dass ein verwegener Kommentator in der Taz vorgeschlagen hat, die Landtagswahlen alle zusammen an einem einzigen Tag stattfinden zu lassen, am besten zusammen mit der Bundestagswahl, damit nicht ständig irgendwo  im Land Wahlkampfgetöse mit populitischer Grundstimmung anstatt besonnenes, lösungsorientiertes Handeln vorherrscht.  In Berlin war das übrigens 2021 so, die Wahl zum Abgeordnetenhaus fand am selben Tag statt wie die Bundestagswahl.

Es gab eine Grafik, die wir zumindest besprechen müssen: Es geht um die wirtschaftlichen Erwartungen der Menschen.  Die größten Sorgen machen sich AfD-Wähler:innen, es gibt also sehr wohl eine soziale Komponente in diesen Wahlergebnissen – die geringsten Sorgen bestehen auf Seiten der Grün-Wähler:innen. Ganz klar, die jungen staatslästernden Typ:innen von einst haben sich vielfach in besonders sicheren Positionen festgesetzt, die sie  mit linksliberalem Wording ausgestattet haben, von wo sie die den Lauf der Dinge aus einer etwas abgehobenen Position heraus betrachten. Von dieser Position aus wirken die Sorgen der Bevölkerungsmehrheit klein und vernachlässigbar. Wir kritisieren diese ignorante, in dem Teil von Berlin, in dem wir wohnen, auch deutlich sichtbare Haltung schon lange, dafür musste nicht erst die AfD so stark werden wie jetzt. Andererseits ist die ökonomische Angst auch bei den AfD-Wähler:innen wirklich sehr stark überproportional ausgeprägt, bei keiner anderen Partei zeigt die Anhängerschaft auch nur annährend so massiv einen wirtschaftlichen Pessimismus, so viel Existenzangst. Da ist auch etwas Hysterisches drin, ohne Frage. Eine grundsätzliche Wahrnehmungsstörung würden wir es dennoch nicht nennen wollen, dafür haben wir über Mängel in der Wirtschaftspolitik zu oft berichtet. Was aber immer fehlt, ist der progressive, zupackende Ansatz, es geht nur um Abschottung und Einigelung. So werden wir die Zukunft eben nicht gewinnen.

Für uns ist dies dennoch schwierig zu kommentieren: Wir warnten lange vor den jetzigen Krisen davor, dass in Deutschland die Weichen für die Zukunft nicht in gebotenem Tempo gestellt werden, und zwar gleichzeitig auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und auf dem Gebiet der industriellen Absicherung gegen unfaire Konkurrenz. Der eine Aspekt ist klar grün und zielt in Richtung Klimawandel, der andere ist gegen den Neoliberalismus gerichtet und damit insofern nicht grün, als die Grünen keine wirtschaftspolitisch linke, soziale Ausrichtung mehr haben. Anhand der Hessen-Grünen haben wir das in unserem Wahl-O-Mat-Hessen-Artikel aufgezeigt. Kein Wunder, dass sich auch CDU-Anhänger:innen am liebsten eine Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition Schwarz-Grün wünschen, denn die Grünen tragen dort nicht besonders auf oder stören durch soziale Ansätze. Da darf als Ministerpräsident Boris Rhein gerne weiter „sanft modernisieren“ im Sinne der weiteren sanften, nicht im söderschen Sinne populistischen, sondern  unauffälligen Wegbereitung klassistischer,  neoliberaler Tatsachen. Da kann die FDP gerne aus dem Landtag fliegen, sie wird für diese Positionen nicht gebraucht, weil sie gemeinsam von der CDU und den Grünen gehalten werden.

Die Hochrechnungen verändern sich schon gegen 19 Uhr nicht mehr viel. In Hessen wird die AfD zweitstärkste Partei werden, in Bayern auf Rang 3 knapp hinter den Grünen einlaufen. Die CSU konnte sich behaupten, die CDU in Hessen deutlich, fast 8 Prozent, hinzugewinnen. Die Ampelparteien verlieren durchweg, teilweise dramatisch, die FDP wird aus dem bayerischen Landtag fliegen und steht in Hessen auf der Kippe, die SPD fährt historische Niederlagen ein, die Grünen verlieren auf hohem Niveau jeweils ein paar Prozent, die Linke in Hessen geht aufgrund des Wagenknecht-Desasters endgültig in die Knie, derRechtstrend bestätigt sich. 

Die Hochrechnungen haben also die Prognosen fast exakt bestätigt, bisher jedenfalls. Sehr bemerkenswert die Quasi-Rede von CDU-General Linnemann im ZDF, der gar nicht groß auf den Hessen-Wahlkampf eingeht, sondern nur über das Migrationsthema spricht und der Ampelregierung Zusammenarbeit in dem Sinne anbietet, dass hier die Zahlen gesenkt werden sollen. Was wir wissen, ist, dass in Berlin die Zahl der Zugänge von Monat zu Monat steigt, und dass mittlerweile doch vermehrt auf Sammelunterkünfte zurückgegriffen werden muss, dass teilweise neue Unterkünfte erstellt werden müssen, weil der Wohnungsmarkt komplett dicht ist. Das sah, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine ankamen, im Frühjahr 2022, noch anders aus. Dies korreliert damit, dass gemäß Darstellungen im ZDF die Stimmung, ob das Land die Migration bewältigen kann, packt, sich gedreht hat. 

In Bayern wird die SPD wohl das niedrigste Ergebnis in einem Flächenland einfahren, das sie jemals hatte.  

In Hessen ist Die Linke nicht mehr im Landtag vertreten.

Die CDU und die CSU haben in beiden Bundesländern viele Stimmen von den Grünen und der SPD bekommen, hingegen an die AfD bzw. an die AfD und die Freien Wähler verloren. Sind die Unionsparteien dadurch mittiger geworden? Natürlich nicht, sondern die Einstellung vieler Wähler:innen passt im Moment besser zur CDU, hingegen wurde der rechte Rand gestärkt, weil vielen die Union noch nicht rechts genug ist, obwohl sie auf Bundesebene deutliche Akzente nach rechts gesetzt hat, vor allem durch Friedrich Merz selbst, aber auch durch  Generalsekretär Carsten Linnemann.

In Hessen ist der Drops wohl gelutscht: Die AfD wird zweitstärkste Partei werden, erstmals in einem westlichen Bundesland, das wird gerade durch die erste Hochrechnung bestätigt. +1,6 Prozent Abstand zur SPD und +1,3 vor den Grünen. Es gibt vielleicht kleine Hoffnungen in Richtung Verschiebung um jeweils ein paar Zehntel, aber darauf kommt es eigentlich nicht an, denn allein, dass diese drei Parteien fast gleichauf sind, ist eine tektonische Verschiebung im politischen Gefüge, die vor allem Fragen an die SPD stellt., was sie mit ihren potenziellen Wähler:innen gemacht hat. Sogar die Frage, ob die SPD nach dem kleinen Zwischenhoch bei der Bundestagswahl 2021 langsam auserzählt ist, muss erlaubt sein. Wir sind gespannt, wie es in den Bundesländern bei den nächsten Wahlen laufen wird, in denen es noch SPD-Ministerpräsidentinnen gibt (Rheinland-Pfalz, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern). 

Die ersten Prognosen sind da: In Bayern hält die CDU mit 37 Prozent fast ihr Ergebnis vom letzten Mal, die AfD ist der Wahlgewinner mit 15 Prozent (+4,8), Grüne und SPD verlieren jeweils leicht, die SPD auf unfassbar niedrigem Niveau (jetzt 8,5 Prozent), die FW liegen bei 14 Prozent, also doch etwas niedriger, als nach dem jüngsten Auftrieb möglich schien.

In Hessen: Die CDU gewinnt fast sensationell 8,5 Prozentpunkte (jetzt 35,5), Grüne und SPD verlieren jeweils ca. 4 Prozentpunkte, die AfD legt auf 16 Prozent zu, gleichauf mit der SPD, was bedeutet, dass sie zweitstärkste Kraft werden könnte. Die FDP steht auf der Kippe.

In beiden Ländern gehen die aktuellen Regierungskoalitionen nach dieser ersten Prognose gestärkt aus den Wahlen 2023 hervor, allerdings mit unterschiedlicher Akzentuierung: In Hessen gewinnt die ohnehin stärkste Partei hinzu, in Bayern werden die FW in Relation zur CSU etwas stärker.

Sehr interessant sind schon die Grafiken, die Jörg Schönenbohm in der ARD schon um 17:48 erklärt, die schon zur Analyse der 18 Uhr-Prognose beitragen können.

Bayern: Klimawandel, Kriminalität und Migration liegen in beiden Ländern als wichtige Kernthemen mit 64 bis 60 Prozent der Befragten, denen das wichtig ist, fast gleichauf. Auf den ersten, spontanen Blick also ein grünes und zwei rechte Themen. Der Hammer, kann man fast sagen, kommt im nächsten Schaubild: 80 Prozent der Befragten in Hessen und Bayern sagen, es braucht Maßnahmen, um die Immigration zu dämpfen, nur 15 Prozent sagen nein. Bei der Kompetenz auf diesem Gebiet ist die CDU gleich geblieben, die AfD legt erheblich zu, die freien Wähler ein bisschen, Rot und Grün sinken auf ohnehin niedriger Basis. Und seit Jahren verliert die CSU im in Bayern wichtigen ländlichen Raum Lösungskompetenzzuschreibung an die Freien Wähler, die Grafik, die das belegt, reicht bis 2008  zurück und beide Parteien liegen dort jetzt fast gleichauf. Lassen wir uns daraus eine Vorprognose-Spekulation machen: Die Freien Wähler hätten wohl auch ohne den beflügelnden Flugblatt-Skandal dort zugelegt.

Hessen: Wir sehen, dass der bundespolitisch zur Zeit seines Amtsantritts vor eineinhalb Jahren noch relativ unbekannte Boris Rhein persönlich sukzessive in der Wählergunst zulegen konnte, während vor allem SPD-Kandidatin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen immer schwereren Stand hat. Auch ihre Partei bekommt immer schlechter Kompetenzzuschreibungen dort, wo sie punkten sollte, z. B. bei der Sozialen Gerechtigkeit. Die Hess:innen sind mit ihrer eigenen Landesregierung deutlich zufriedener als mit der Bundesregierung, obwohl eine der beiden Regierungsparteien auch in der Ampelkoalition in Berlin tätig ist. Wir haben aber in unserem Wahl-O-Mat-Artikel darauf hingewiesen, wie konservativ der Landesverband Hessen der Grünen tickt. Darauf wurden wir aufgrund unseres sehr geringen Übereinstimmungswertes mit den Grünen aufmerksam (nur 51,1 Prozent, der niedrigste Wert, seit wir die Wahl-O-Mate ausfüllen).

Es ist so weit. Der wichtigste Wahltag des Jahres steht in Deutschland an. Die Nr. 2 und die Nr. 5 unter den Bundesländern, Bayern und Hessen, werden neue Landtage wählen. Sie stehen für fast ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland und für ca.  27 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Hessen und Bayern wählen: Diese Folgen könnten die Wahlen für Deutschland haben | Politik | BILD.de

Die Amtsinhaber von CSU und CDU, Markus Söder und Boris Rhein, werden wohl im Amt bestätigt werden, in der Tat ist aber die Frage: Wie gut werden sie bzw. ihre Parteien abschneiden? In Hessen wird ein Aufwind für die CDU gegenüber 2018 vorausgesagt, in Bayern steht es jedoch auf der Kippe. Vor fünf Jahren  holte die CDU mit 37,2 Prozent mit Söder ohnehin ein ausnehmend schlechtes Ergebnis, die Frage, ob er das nun überbieten kann oder nicht, ist durchaus nicht unwichtig. Sollte es höchstens zu geringen Verlusten kommen, entscheidet dies aber u. E. nicht negativ über die Kanzlerkandidatur von Söder im Jahr 2025, da sind wir anderer Ansicht als die oben verlinkte Quelle.

Die Freien Wähler hatten einen unerwarteten Auftrieb, weil antisemitische Flugblätter in rechten Kreisen fancy sind und die AfD niederzuhalten, ist derzeit überall schwierig. Unmöglich, unter diesen Umständen wieder auf die absoluten Mehrheiten von früher zu kommen und sehr schwierig, die 40-Prozent-Marke zu überspringen, das weiß man in der gesamten Union. Aber eines scheint klar zu sein, der rechte Block aus CSU, FW und AfD wird zulegen, alle links davon stehenden Parteien werden wohl verlieren. Das ist der Haupttrend in Bayern.

In Hessen sieht es nicht viel anders aus. Die AfD wird ihr ohnehin für ein westdeutsches Bundesland hohes Ergebnis von 13,1 Prozent im Jahr 2018 wohl noch verbessern können, die CDU wird ebenfalls zulegen, die SPD wird vermutlich weiter verlieren, die Grünen zumindest nichts hinzugewinnen, die Linke wird möglicherweise nicht wieder in den Landtag einziehen.

Es ist also festzuhalten, dass der Rechtstrend auch in Westdeutschland spürbar ist. Zwar ist er hier noch nicht demokratiegefährdend. Wir müssen nicht weit schauen, um zu erspüren, was er bedeutet. In Berlin  haben wir nun ebenfalls eine Koalition von CDU und SPD an der Backe, die bereits beginnt, neoliberal-rechte, u. a. mieterfeindliche Akzente zu setzen. In Bayern und Hessen wird sich natürlich weniger ändern, weil die Regierungskonstellationen nach der Wahl vermutlich die von vor der Wahl sein werden. In Bayern etwas sicherer als in Hessen, wo die CDU vermutlich auch mit der SPD, anstatt bisher mit den Grünen, zusammengehen könnte, während in Bayern alles andere als eine Fortsetzung der Koalition CSU / Freie Wähler eine große Überraschung wäre.

Was hätten wir getan, wenn wir in den beiden Bundesländern hätten wählen dürfen? Es steht in diesen beiden Artikeln:

Vor der #ltwHessen2023 #Hessenwahl 2023: Unser Wahl-O-Mat mit Überraschung und Analyse, Historie, NSU 2.0, aktuelle Trends: Bewährungsprobe für die Demokratie | Briefing 328 | PPP (Politik, Personen, Parteien) – DER WAHLBERLINER

Bayernwahl 2023: Der Wahl-O-Mat und wir | #ltwby2023 #Bayernwahl2023 | Briefing Special Bayernwahl 1 | PPP | SPD, Grüne, CSU, Freie Wähler, AfD, Die Linke, Die Partei – DER WAHLBERLINER

Hier noch etwas Grundwissen über das Wählen an sich, damit Sie auch schön eine gültige Stimme abgeben:

Was darf man im Wahllokal und was nicht? So bleibt Ihre Stimme gültig | WEB.DE

Es war gar nicht so einfach, das Logo für den heutigen Artikel zu kreieren. Natürlich, wir hätten einfach beide Flaggen abbilden und das Bild in der Mitte teilen können. Aber wir wollten das Staats- bzw. Landeswappen nicht zerschneiden, denn beide sind ja nicht symmetrisch. Also bilden wir nur die Wappen ab, nach einigen Schwierigkeiten. In welches Verhältnis setzen wir das breite Bayern-Wappen und das normalformatige Hessen-Wappen? So, wie die Größenordnung der Länder ist, nach Quadratkilometern oder Einwohnern? Dann hätte uns das Bayernwappen doch zu sehr dominiert, also haben wir das hessische mit etwas größerer Höhe eingestellt. Das bayerische wirkt trotzdem überproportional, aber es ist ja auch ein Staatswappen, nicht ein schnödes Landeswappen. Warum? Nun, weil Bayern eben ein Freistaat in Deutschland ist. Da muss schon etwas mehr Platz sein, und, ehrlich: Entspricht das nicht auch dem bayerischen Selbstverständnis? Dafür haben wir das hessische Wappen nach links gesetzt, obwohl es vom Alphabet her umgekehrt sein müsste. Denn bei uns, wie überall, wo von links nach rechts gelesen wird, fällt der Blick zuerst nach links. Vielleicht ist es doch einigermaßen ausgeglichen.

Mit einem Augenzwinkern warten wir auf die ersten Ergebnisse. Wir sind nicht schlecht gelaunt, trotz des Rechtstrends, denn richtig Angst haben wir vor diesen Wahlen nicht, auch wenn wir den Rechtstrend bedauerlich finden. Es gehören immer zwei dazu, dass so etwas passiert: Eine starke Rechte und eine schwache Linke. Das wird sich im Osten nächstes Jahr vermutlich ändern, wenn nicht noch etwas Entscheidendes passiert. Da können wir nicht die etwas mittigeren Parteien nicht in gleichem Maße dafür in die Verantwortung nehmen, dass dort immer mehr freigedreht wird. Das ist ein antidemokratischer Selbstläufer geworden. Damit sich diese Woge glättet, müsste der Krieg in der Ukraine auf irgendeine Weise zu Ende gehen und müsste das Migrationsthema komplett im Sinne der Menschenfeinde dort geregelt werden, nämlich alles dichtmachen. Darunter werden sie’s nicht tun und weiter AfD wählen. Dürfen wir das aber? Dazu hat der Verfassungsblog ein kluges Editorial geschrieben, eigentlich Grundwissen, aber vielerorts in Deutschland nicht sehr bekannt: Demokratie ist nicht, wenn eine wildgewordene Mehrheit Minderheiten ohne jedes Gewissen diskriminieren und am Ende auch umbringen darf. Das ist die Diktatur des Mobs oder des Pöbels. Hatten wir schon einmal, erinnern Sie sich? Außerdem wirke, so steht es im Editorial, die Handhabe der Humanität nach außen, also gegenüber Geflüchteten, auch zurück auf die Statur einer Gesellschaft im Inneren. Erst kommen die einen nicht rein, dann werden die Missliebigen, die schon drinnen sind, egal welcher Gruppe sie angehören, bedroht und man wird ihnen gegenüber gewalttätig.  

Schon aus diesem Grund sollten wir dazu aufrufen, auch im Westen nicht die rechten oder ganz rechten Parteien zu wählen, auch nicht jene, die meinen, wohlfeil Menschen, die nicht so mächtig sind, diffamieren zu können, wie das auch in der CDU wieder gang und gäbe ist,  und auch nicht die Grünen, die sich in Hessen an der Vertuschung der Staatsverstrickung in Sachen NSU beteiligen wollen. Siehe dazu oben unserem Artikel zum Wahl-O-Mat Hessen. Zu den freien Wählern und wie der Herr Aiwanger eine journalistische Recherche, die ihn eigentlich Sympathien kosten müsste, sogar zu seinem Nutzen ausschlachten kann, weil, man wird das doch mal sagen, man wird doch mal antisemitisch hetzen dürfen, während Israel gerade angegriffen wird (gut, der zeitliche Zusammenhang ist nicht gegeben, aber Sie wissen, was wir meinen), zu dieser Angelegenheit haben wir uns im Rahmen unseres Bayern-Wahl-O-Mat-Artikels geäußert.

In beiden Bundesländern gibt es also aktuelle Vorgänge, die sehr wohl eine Probe für die Demokratie darstellen, auch wenn diese nicht in Gefahr kommen wird, durch die Wahlen selbst zerstört zu werden. Aushöhlen durch Staatshandeln zulasten der Grundrechte, den Diskurs verschieben, Verstrickungen des Staates in Gewaltterror oder Meinungsterror (siehe auch NSU 2.0) mehr oder weniger als normal ansehen, Justizhandeln, das die Opfer des Holocausts verhöhnt (Wie antisemitisch ist Deutschland? (Statista + Leitkommentar / Gewalt, Meinung, Demo, Justiz) | Briefing 327 | Gesellschaft – DER WAHLBERLINER) überall im Land, das bleibt dennoch nicht ohne Wirkung. Wir geben natürlich keine direkte Wahlempfehlung ab. Wie wir selbst tendieren, steht in den beiden erwähnten Artikeln. Aber wenn Sie Demokrat:in sind, sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie diesen Rechtsdrall, den wir haben, wirklich unterstützen möchten. Denn rollt der Stein erst einmal richtig, wird er schwer aufzuhalten sein.

TH

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