Neues vom Hexer (DE 1965) #Filmfest 97 Update #EdgarWallace #DGR

Filmfest 97-UD Cinema "Special Edgar Wallace" (16) – Die große Rezension

Nun weiß man alles

Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Für Lord Curtain fällt der letzte Vorhang; als er mit dem Jagdgewehr übt, wird er von hinten erschossen, gefunden wird ein Zettel, der auf den Hexer als Täter hinweist, doch der lebt in Australien und da wir mittlerweile wissen, wer sich hinter der Maske verbirgt (wir erfuhren es natürlich in „Der Hexer“) und der Hexer aus eigener Erfahrung nicht glaubt, dass die Polizei den Curtain-Mörder fassen kann und weil die Zeit drängt, da weitere Mitglieder der Familie in Gefahr sind, macht er sich auf den Weg nach England und bietet der Polizei Unterstützung an.

Zur besonderen Gestaltung der Edgar Wallace-Rezensionen innerhalb der FilmAnthologie des Wahlberliners siehe „Der Frosch mit der Maske“.

„Der Hexer“ ist der 23. von 38 Nachkriegsfilmen über Stoffe des britischen Kriminalschriftstellers Edgar Wallace, die mit deutschen Schauspielern und deutschem Stab gefilmt wurden und mehrheitlich eine Produktion der dänischen bzw. dänisch-deutschen Rialto-Film von Preben Philipsen waren. Wir haben die Rezensionen zu den beiden Hexer-Filmen für das „Special Edgar Wallace“ hintereinander publiziert („Der Hexer„, Filmfest 94).

Produktionsdaten und Trivia

  • „Der Hexer“ ist einer von vierzehn Filmen, die Alfred Vohrer als Regisseur zur Reihe beigesteuert hat. Seinen Arbeiten wird die Entstehung des speziellen Stils der deutschen Wallace-Filme von 1959 bis 1972 wesentlich zugeschrieben. Dieser Stil ist in „Neues vom Hexer“ präsent, aber weit zurückhaltender als im überschäumenden „Der Hexer“ aus dem Vorjahr. War „Der Hexer“ eine Essenz aus allen bisherigen Wallace-Filmen unter Berücksichtigung, Zitierung, Persiflierung neuester Trends, ist „Neues vom Hexer“ der bisher britischste Wallace-Film deutscher Herkunft, den wir gesehen haben und leistet sich sogar hin und wieder ein Understatement.
  • Trotz der Rückkehr zu den Wurzeln bei gleichzeitiger Verfeinerung war der Höhepunkt der Wallace-Serie überschritten. Konnte „Der Hexer“ mit 2,6 Milionen Kinozuschauern viele Fans zurückgewinnen, erreichte letztmalig „Der unheimliche Mönch“, der im selben Jahr, aber vor „Neus vom Hexer“ entstand, ebenso 2,6 Millionen. Danach fielen die Zuschauerzahlen kontinuierlich und erreichten keine 2 Millionen mehr. An der Wende zu den „späten“ Wallace-Filmen wurde „Neues vom Hexer“ von 1,8 Millionen Menschen im Kino besucht. Den Rekord  der gesamten Serie hält „Das Gasthaus an der Themse“ aus 1962 mit 3,6 Millionen Eintrittzahlern vor „Das Geheimnis der gelben Narzissen“ aus 1961 mit 3,5 Millionen.
  • Der Film, der auf dem Roman „Neues vom Hexer“ (Originaltitel: Again the Ringer) von Edgar Wallace basiert, wurde von 15. März bis 27. April 1965 unter der Regie von Alfred Vohrer und nach dessen Erkrankung zeitweise von Will Tremper in West-Berlin Am 4. Juni 1965 wurde der Film im Passage Kino in Saarbrücken uraufgeführt.
  • Herbert Reinecker, der bereits das Drehbuch zum Film „Der Hexer“ verfasste, schrieb auch das Drehbuch für dessen Fortsetzung (1).
  • Wegen einer Erkrankung des Regisseurs Alfred Vohrer übernahm zeitweise Will Tremper die Regie dieses Films (2).
  • Heinz Drache gab sich im Vorgänger „Der Hexer“ noch als Kommissar Wesby aus. In der Fortsetzung stellte er sich lediglich als Inspektor vor (3).
  • Brigitte Horney und Hubert von Meyerinck wirkten erstmals in einem Film der Wallace-Reihe mit.
  • Teddy Naumann war der Sohn des bekannten Dompteurs Heinz Naumann (3).
  • Die Außenaufnahmen in West-Berlin fanden unter anderem in der Zitadelle Spandau und im ehemaligen Hotel Esplanade Die London-Aufnahmen entstanden bei den Dreharbeiten zu Der Zinker und Wartezimmer zum Jenseits. Die Innenaufnahmen drehte man in den Studios der CCC-Film im Berliner Bezirk Spandau.
  • Eine Parodie auf die Wallace-Filme entstand 2007 unter dem Namen „Neues vom WiXXer“, der seinerseits eine Fortsetzung von „Der WiXXer“ aus 2004 ist.

Ausführlichere Handlungsbeschreibung mit Auflösung (Wikipedia)

Der vermögende Lord Curtain wird von seinem Neffen Archie Moore unter Beihilfe des Butlers Edwards umgebracht. Am Tatort findet Inspektor Wesby (von Sir John als Vertretung für Inspektor Higgins rekrutiert) eine vermeintliche Visitenkarte des „Hexers“. Dieser befindet sich jedoch wieder in Australien. Er reist mit seiner Frau Cora-Ann und Butler Finch nach London, um den Fall aufzuklären und sich vom Mordverdacht zu befreien, denn es wurde eine Gerichtsverhandlung mit ihm als Angeklagten in Abwesenheit angesetzt. Einen ersten Eindruck seiner Fähigkeiten hinterlässt der „Hexer“, als er die Stelle eines beisitzenden Richters einnimmt und ein Tonbandgerät aus einem Versteck am Tatort abspielen lässt, mit dem die Täter eine falsche Spur legen wollten.

Im Hause Curtain geschieht ein weiterer Mord, dem Lady Curtain zum Opfer fällt. Kurz darauf wird Archie Moore tot aufgefunden. Inspektor Wesby, vormals auf der Jagd nach Arthur Milton, ist von dessen Unschuld überzeugt und legt Sir John eine Zusammenarbeit mit dem „Hexer“ nahe. Sir John schlägt Cora-Ann Milton die Einstellung der Verfolgung ihres Gatten für die Dauer der Mithilfe in diesem Fall vor.

Auf die nun nächsten Verwandten des Toten, Margie Fielding und das Kind Charles, werden Mordanschläge verübt. Im letzten Moment werden deren Leben von Inspektor Wesby, der Edwards erschießt, und vom „Hexer“ gerettet. Dieser kann auch den Tod seines Butlers bei der Verfolgung des Rechtsanwalts Bailey verhindern. Kurz darauf ist auch Bailey tot.

Charles wird trotz Polizeibewachung entführt. Lady Aston, die Schwester von Lady Curtain, gesteht, die Stimme, mit der Edwards beim Mordanschlag per Funk in Kontakt war, als die von Philip Curtain, dem totgeglaubten Bruder von Lord Curtain, erkannt zu haben. Als Philip Curtain, nach einer Täuschung mittels einer Maske des „Hexers“, Margie Fielding erneut umzubringen versucht, ist Archibald Finch zur Stelle und erschießt den Drahtzieher der Verbrechen. Auf dem Weg zum Flughafen wird das australische Trio von Wesby ausgetrickst und festgehalten.

Rezension im Filmverzeichnis Nr. 8 aus dem Jahr 1989

Ein wenig peinlich ist es schon, ein Update zur großen Rezension von (fast auf den Tag genau) vor drei Jahren zu installieren, nur wegen eines einzigen Satzes, der zudem keinen sehr großen informatorisch-rezensorischen Mehrwert bietet. Es ist nicht einmal erwähnt, dass dieser Film der zweite Teil des einzigen Zweiteilers innerhalb der Wallace-Reiihe ist. Man kann sich beide Filme („Der Hexer“ haben wir hier rezensiert) aber auch alleine anschauen, ohne dabei Kopfschmerzen wegen mangelhafter Möglichkeiten, die Handlung zu verstehen. Aber wir wollen ja vollständig sein und wir haben noch ältere Ausarbeitungen, von denen wir in den bisherigen Filmfest-Beiträgen noch gar nichts gezeigt haben. Das soll keine Drohung sein, für sie werden wir vermutlich keine Updates posten, sondern sie in bestehende Beiträge einfügen.

Zum ersten Teil, „Der Hexer“, gibt es im FVZ von 1989 keine Angaben. Es war eben alles fragmentarisch, ein Tasten durch die faszinierende Welt des Films. Insgesamt vier Wallace-Filme sind darin kurz angerissen. Im Rahmen der Werkschau oder Gesamtschau der Reihe, die von 1959 bis 1972 entstand, haben wir 2020-2021 dann 37 von 38 Filmen sichten können. Nur „Der Teufel kam aus Akasava“ (1971) konnten wir partout nicht auftreiben. Vermutlich war der Teufel auch gleich wieder weg, weil es ihm hier nicht gefallen hat, angesichts der nachlassenden Begeisterung für ihn und andere Edgar-Wallace-Bösewichte. Die Reihe fand bald darauf ihr hochverdientes Ende. Sie lief von 1959 bis 1972, die „klassische Phase“ endet etwa in der Mitte, nach „Neues vom Hexer“, mit den in Schwarz-Weiß gefilmten Krimis, zu denen diese Inszenierung von Alfred Vohrer noch zählt.

Aufgrund des geringen Anteils an neuem Text haben wir für dieses Update keine neue Filmfestnummer vergeben.

Rezension

Das Tableau von „Neues vom Hexer“ wirkt beinahe klein. Angesichts dessen, was beim Vorgänger an Pesonal und Action aufgeboten worden war, trägt der Nachfolger fast kammerspielartige Züge. Das wirkt aber nur im direkten Vergleich so, denn setzt man „Neues vom Hexer“ zu anderen Filmen der Reihe in Bezug, bemerkt man die Kontinuität und – die Rückkehr zum guten, alten Wallace.

Dass der Film britischer wirkt als alle anderen, die wir bisher aus der Reihe im Zusammenhang mit den WB-Rezensionen angeschaut haben, liegt daran, dass James Bond dieses Mal sogar direkt erwähnt wird („008“ ist als Wesby an Bord), aber inhaltlich sind die Bezüge weitaus geringer als bei „Der Hexer“, als Joachim Fuchsberger sich an einer Bond-Parodie versuchte. In „Neues vom Hexer“ macht er gerade Urlaub mit seiner frisch Angetrauten. Vermutlich in einem Schlauchboot auf dem Meer treibend, wie das große Vorbild.

Die Abwesenheit dieses Schauspielers, den wir in der Spielart und optisch in allen Wallaces als sehr deutsch wahrgenommen haben, trägt ebenso zur Britishness bei wie die Tatsache, dass dessen Vorgesetzter, Sir John (Siegfried Schürenberg) immer mehr zu einer typisch britischen Polizeifigur wird – liebenswert und steif, mit Tee, Stock und Melone, aber auch zunehmend vertrottelt. Dass die Briten gerne ihre Polizei so darstellen, hat nicht nur mit dem erwähnten Mangel an Autoritätsgläubigkeit der Insulaner zu tun und mit sozialen Gesichtspunkten der industriellen Revolution, die sich besonders in London fokussierten, dies haben wir bereits in der Rezension zu (…) angesprochen.

Es gibt noch einen viel einfacheren Grund, der sich in „Neues vom Hexer“ in aller Deutlichkeit zeigt. Während mit Sir John und mit Higgins im Vorgänger noch zwei Menschen aus dem Polizeiapparat das Ermittlungsgeschehen gegen den Hexer leiteten, ist Wesby als Hauptermittler hier quasi Privatmann und somit Privatdetektiv, dass der Hexer selbst ebenfalls tätig wird, um seine(n) Epigonen zu stellen, doppelt noch einmal den Eindruck, dass nicht die Polizei nicht handelt, sondern in Person von Sir John nur kommentiert. Und das ist der Grund. Britische Kriminalschriftsteller, auch amerikanische, sangen das Hohelied aufs Individuum, das dem Staat skeptisch gegenübersteht. Und wo hätten Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und die anderen Raum für die Ermittlungen und das Kombinationstalent ihrer begnadeten Hobbydetektive finden sollen, wenn die Polizei kapabel und fix wäre?

Edgar Wallace nimmt im Ganzen eine Mittelposition zwischen diesen typisch britischen Kriminalschriftstellern (die amerikanischen sind ihnen nachgefolgt) und dem in Deutschland, aber auch in Frankreich eher anzutreffenden Polizeikrimi ein. In „Neues vom Hexer“ schlägt das Pendel klar zugunsten der privaten Investigation, und auch das trägt zum britischen Touch des Films bei.

Mit Brigitte Horney hat man wieder einen Ufa-Star gecastet, wie in vielen Wallaces zuvor. Und auch hier passt es, sie wirkt als Lady mehr als einen Tick britischer als z. B. die exaltierter spielende Lil Dagover, auch wenn sie optisch sehr deutsch ist – und ist auch nicht ganz so auf Horrortrash hin gekleidet. Ebenso reflektiert die Figur von Barbara Rütting als Nichte Margie einen Londoner Frauentyp, der genau zu der Zeit, als „Neues vom Hexer“ entstand, als emanzipiert und modern den Weg ins britische Kino fand, auch wenn er dort, wie in „Darling“, manchmal ein wenig bedrohlich wirkte. An starken Frauen ist das Empire glücklicherweise nicht gescheitert und zum Commonwealth geworden.

Eddi Arent und Klaus Kinski als Helfer des Guten und des Bösen spielen wie gewohnt – humorvoll-ironisch der eine, düster-sarkastisch der andere. Beide machen ihre Sache sehr gut, wobei man Kinski nicht so effektvoll inszeniert hat, wie man es in anderen Wallace-Filmen sehen konnte. Dafür aber geht von ihm mehr echte Bedrohung aus als von den Hintermännern im Mordkarussell Curtain & Verwandte, weil er wieder einmal das ausführende Subjekt darstellt. Er ist wirklich ein Subjekt, dieses Mal, nicht, wie in „Die seltsame Gräfin“ ein verstörtes Objekt unter Einfluss.

Nett ist Hubert von Meyerinck als Richter mit glasklarem Verstand, der mit den Zeugen gut Pingong spielen kann – erst als er die Richterperücke auszieht und die charakteristische Glatze zum Vorschein kommt, waren wir sicher, er ist es. Die Stimme allein hatte nicht alle Zweifel ausgeräumt.

Dieses Mal gibt es auch wieder das Schloss als Setting, das für einen richtigen Wallace-Krimi beinahe unabdingbar ist. Mit einem Speiseaufzug als Gimmick, der zur Verwirrung der Beteiligten beiträgt, da sie an diese Möglichkeit, von einem ins andere Stockwerk zu gelangen, erst einmal nicht denken. Nur ein  Klaus Kinski, so ein schmächtiger Wicht, passt da auch wirklich rein.

Die Logik ist allerdings auch in diesem Film in unruhigen Gewässern. Am Ende stellt sich ein ziemlich aus dem Hut gezauberter und auf Rache abonnierter Verwandter namens Phillip Curtain als Drahtzieher heraus („Habgier ist als Motiv für eine solche (geplante) Mordserie nicht stark genug“, referiert Lady Ashton an einer Stelle, obwohl doch der Mord an Curtain aus Habgier geschah und, wenn man sich andere Werke aus der Feder britischer Krimischriftsteller anschaut, Habgier für jedes Verbrechen herhalten kann, wie in der Wirklichkeit). Zunächst dachte man also, Habgier sei im Spiel, wegen des beträchtlichen Vermögens von Lord Curtain. Deswegen bringt ja auch Neffe Archie ihn um – aber wie von Geisterhand springt dann alles auf Phillip um und dieser lässt Archie beseitigen, als habe Archie den anderen erst auf den Plan gerufen. Aber dieser wird nicht etwa von Archies Tat sozusagen inspiriert, was noch halbwegs in der Logik gewesen wäre, nach dem Motto, wenn die blöde Familie schon anfängt, sich gegenseitig umzubringen, erleichtert das meine Absichten und es ist günstig, gerade alles dem Hexer in die Schuhe zu schieben. Es wirkt aber, als sei der Racheplan von Phillip unabhängig vom Ausgangsgeschehen und damit kommt wieder dieser Generalzweifel ins Spiel – warum gerade jetzt, nach so vielen Jahren? Das haben wir uns allerdings bei Krimis, besonders, wenn die Spur in die Vergangenheit führt, schon oft gefragt.

Die Atmosphäre ist wieder etwas dichter und die Inszenierung mehr auf Spannung angelegt als in „Der Hexer“, es gibt keine U-Boote mehr, dafür aber Polizeifahrzeuge, die im Archivmaterial einen anderen Wagentyp darstellen als Sekunden später in für den Film gedrehten Aufnahmen. Kleinigkeiten, die auch in Großproduktionen nicht selten vorkommen, dort aber ärgerlicher sind als in einem Edgar Wallace-Film, der bei allem Spaß, den man damit haben kann, nicht dem Anspruch unterzogen werden sollte, dass alles absolut korrekt und präzise gemacht sein muss.

Dass man das alles nicht so ernst nehmen sollte – wie immer – merkt man auch daran, wie sich hier verschiedene Menschen der Masken anderer Menschen bedienen, auch wenn derlei Vorgehen, wie bei Wesby, gar nicht zum Typ passt. Immerhin hat er auf diese Weise den Hexer mit dessen eigenen Waffen geschlagen.

Im Ganzen wirkt „Neues vom Hexer“ älter als der ein Jahr zuvor entstandene Film, als dessen Fortsetzung er angelegt ist. Da ist wieder mehr Nostalgie-Faktor, hervorgerufen durch die klassischere Art zu filmen, durch ein etwas weniger exzessives Panorama und die Dramatik, die vor allem dadurch hervorgerufen wird, dass der einarmige Junge Charles entführt wird und in Lebensgefahr schwebt. Man fühlt  immer mit Kindern und noch mehr, wenn sie ein Handicap haben. Dass gerade dessen Schicksal in der tatsächlich atemberaubenden Tigerszene kulminiert, stellt sicher ein Highlight der gesamten Wallace-Produktion dar und bringt dem Film einen Bonus in unserer Schlussbewertung.

Dieses Mal gibt es auch der Moral nichts zu deuteln: Sir Phillip, der Rächter, wird gestellt und stirbt, denn Selbstjustiz geht nicht. Der ehemalige Richter und Henker in eigener Sache, Arthur Milton alias „der Hexer“, stellt sich hingegen in den Dienst der Polizei. Nicht uneigennützig, denn es geht mal wieder um seinen Ruf. Dass er am Ende gefasst wird, ist beinahe ärgerlich. Ein Sprung zur Seite: An wen erinnert diese Konstellation, dass jemand eingreifen muss, um sich reinzuwaschen? An Klassiker wie „M“, wo der Unterweltmob der Polizei bei der Suche nach dem pathologischen Kindermörder hilft oder vielmehr nebenher aufklärt, zum Beispiel. Allerdings geht es da mehr um den geschäftsstörenden Auftrieb, den die Mordserie auslöst und der die Geschäfte der Unterweltler stört. Passt also nicht perfekt, der Vergleich. Aber wie wär’s mit „Über den Dächern von Nizza?“, wo John Robie, der ehemalige Juwelendieb, jemanden stellen muss, der nach seiner Methode arbeitet, um sich selbst reinzuwaschen. Das kommt hin. Aber natürlich hat jedes Genre seine grundsätzlichen Plotkonstruktionen, an denen entlang mehr oder weniger gut Figuren entwickelt werden, es ließen sich also viele Vergleichsfilme finden.

Typische Merkmale von Edgar Wallace-Filmen gemäß Wikipedia (kursiv) und unsere Anmerkungen zum jeweiligen Film:

  • Regie: Kein Regisseur hat den Stil der Edgar-Wallace-Filme mehr beeinflusst als Alfred Vohrer. Der erfahrene Synchronregisseur inszenierte 14 Filme der Serie, darunter Klassiker wie Die toten Augen von London, Das Gasthaus an der Themse und Der Hexer. Die leicht übertriebene Schauspielführung und die pointierte Schnitt- und Zoomtechnik sind für praktisch alle Film- und Fernseharbeiten Vohrers typisch.
    • Nachdem Vohrers Wallace-Stil bei „Der Hexer“ zu voller Ausformung und Blüte entwickelt war, hat man beim Nachfolger erkennbar auf die Bremse getreten, weil gerade der Hexer ein Beispiel dafür ist, dass die Macher ihre Produkte nicht mehr ganz ernst genommen haben und alle möglichen Fiktionsstörungen und Selbstzitate anhäuften, also mit einem ziemlich heftigen Augenzwinkern unterwegs waren.
    • Dieses Augenzwinkern ist zwar auch in „Neues vom Hexer“ nicht gewichen, aber es gibt mehr einen festen Kern, der tradtionellem Kriminalfilm-Handwerk entspricht. Auffällig ist, wie wenig brutal „Neues vom Hexer“ daherkommt. Er wurde zwar erst ab 16 Jahren freigegeben, doch abgesehen von dem furchtbaren Schrei des Lord Curtain, der so nett für die Inszenierung eines falschen Mordzeitpunktes verwendet wird (auch dabei gibt es Logiklücken, die lassen wir hier aber mal unbeleuchtet und somit im Dunkeln stehen wie bestellt und nicht abgeholt), kommen keine so erschütternden von vor allem blutigen Momente vor wie in einigen anderen Wallace-Filmen.
    • Zeitweise ist „Neues vom Hexer“ sogar richtig spannend, wir haben uns keine Sekunde gelangweilt.
  • Darsteller: Die Besetzung mit bewährten Schauspielern in ähnlichen Rollen war typisch für die Edgar-Wallace-Verfilmungen. Zu den meist reifen und besonnenen Ermittlern zählten Joachim Fuchsberger (13 Filme), Heinz Drache (acht Filme), Siegfried Lowitz (vier Filme), Harald Leipnitz (drei Filme) oder Klausjürgen Wussow (zwei Filme). In den weiblichen Hauptrollen waren meist attraktive, junge Schauspielerinnen wie Karin Dor (fünf Filme) (…) zu sehen. (…) Komische Rollen übernahmen Eddi Arent (23 Filme), Siegfried Schürenberg (16 Filme) und Hubert von Meyerinck (vier Filme) (…).
    • Heinz Drache ist an Bord, Schürenberg, Barbara Rütting in ihrem zweiten Wallace, Brigitte Horney in ihrem einzigen. Dass allerdings die Ermittler so reif sind, wie oben erwähnt – das kommt uns jetzt erst – trifft auf Drache sicher zu, aber Fuchsberger gibt auch manchmal den jugendlichen Draufgänger und sogar ein wenig einen Hallodri, wie in „Der Hexer“. Hubert von Meyerinck hat hier erstmalig für eine Wallace-Produktion vor der Kamera gestanden. Für ihn kann man sagen: das Beste verpasst. Daher hat man ihn, wenn man auf die Klassiker unter den Wallace-Verfilmungen abonniert ist, die von 1959 bis etwa 1965 entstanden, nicht als typischen Wallace-Schauspieler im Kopf.
  • Titel: Die Filmtitel, die meist den Romantiteln entsprachen, sollten beim Publikum eindeutige Assoziationen mit dem Genre des Edgar-Wallace-Films hervorrufen. So verbarg sich hinter vielen Titeln ein eindeutiger Hinweis auf den Hauptverbrecher des Films (Der grüne Bogenschütze, Der Zinker, Der Mönch mit der Peitschea.).
    • Das Besondere ist, dass man die Titelfigur dieses Mal kennt, weil sie am Ende von „Der Hexer“ enttarnt wurde. Das heißt, sie kann nicht zum Spannungsaufbau verwendet werden und wird der guten Seite zugeordnet, um einen neuen möglichen Bösewicht präsentieren zu können.
  • Handlung: Die Handlungselemente der Edgar-Wallace-Filme waren ähnlich angelegt. So drehte sich das Geschehen vordergründig um einen meist fantasievoll maskierten Hauptverbrecher. Im Gegensatz zum Psychothriller war hierbei das Entlarven des bis zum Finale unbekannten Verbrechers entscheidend (Whodunit). Die Motive der Verbrecherfiguren waren meist Habgier, Rache, Erbschleicherei sowie Mädchen- und Drogenhandel.
    • Die Auflösung steht weniger im Vordergrund als die Hinführung zu ebenjener. Dieser Phillip Curtain wird bei weitem nicht so „aufgebaut“ wie im Vorgängerfilm der Hexer namens Milton. Die Hinführung, eine Mischung aus Whodunnit und Thriller im Kampf gegen die Zeit ist ein auch in heutigen Krimis gängiges Muster, das die Spannungsmomente des Rätselkrimis und die des Thrillers vereinigen soll.
  • Handlungsorte: Der (hauptsächliche, A. d. Verf.) Handlungsort war, wie in den Romanvorlagen, fast immer London und Umgebung, wobei sich die Akteure vorwiegend in alten Schlössern, Herrenhäusern oder Villen bewegten. Auch verruchte Nachtlokale, düstere Blindenheime, Irrenanstalten und finstere Kellergewölbe waren beliebte Haupt- und Nebenschauplätze der Handlung. In späteren Filmen kamen Mädchenheime und -pensionate hinzu. Die tatsächlichen Drehorte befanden sich aufgrund geringerer Produktionskosten jedoch selten in Großbritannien sondern in Deutschland. So dienten vor allem Straßen in Berlin und Hamburg. (…) Als Kulisse für London-Szenen. Für die nötige Authentizität in den Filmen sorgten oft allein Archivaufnahmen Londons, die man in die Filme einfügte.
    • Das Schloss der Curtains und Hafen sind die Angelpunkte des Geschehens. Dass stellenweise in Berlin gedreht wurde, ist uns aufgefallen, vor allem wegen der charakteristischen, zugemauerten U-Bahn-Bögen. In vielen davon sind heute Restaurants untergebracht, in denen es gemütlich und stylisch ist und zuweilen etwas von der Decke her rumpelt.
  • Vorspann: Die meisten Edgar-Wallace-Filme begannen mit einem spektakulär in Szene gesetzten Mord. Dann folgte der Vorspann des Films, der ab 1961 (bis auf zwei Ausnahmen) farbig gestaltet war (der Rest des Films war Schwarzweiß). Schon die Gestaltung der Namensnennung mit blutroten oder giftgrünen Buchstaben sollte einen spannenden Film ankündigen. Um der Serie einen noch höheren Wiedererkennungswert zu verleihen, wurde der Vorspann der Wallace-Filme ab 1962 mit aus dem Off erklingenden Schüssen und dem Satz „Hallo, hier spricht Edgar Wallace“ eröffnetDieser Satz wurde in einigen Fällen von Regisseur Alfred Vohrer
    • Alles dies erfüllt „Neues vom Hexer“, hinzu treten die Schüsse, die jeden Buchstaben von „Edgar Wallace“ untermalen. Der 23. Wallace-Film der Nachkriegszeit setzt sogar noch eins drauf, indem er eine gesungene Titelmusik zeigt, in welcher während des Vorspanns „Der Hexer“ gesungen bzw. mit Nachhall geflüstert wird. Das hat er mit dem Vorgänger gemeinsam, ohne dessen Überspitzung anzuzielen. Die Übergänge von S/W nach Farbe und zurück hat man jetzt aber fließend gestaltet, kleine Innovationen gibt es also immer noch.
  • Musik: Besonders prägnant gerieten auch die Soundtracks der Filme, vor allem die oft reißerische und eingängige Titelmusik. Die Musik von insgesamt 18 Filmen der Serie stammt von Peter Thomas, der mit seinen phantasiereichen Arrangements und modernen Aufnahmetechniken der markanteste und dominanteste Komponist der Serie war. Während die Soundtracks von Martin Böttcher (fünf Filme), Willy Mattes (zwei Filme) oder Peter Sandloff (ein Film) eher aus zeitlosem Orchestersound mit Easy-Listening-Charakter bestanden, griffen Heinz Funk (drei Filme) und Oskar Sala (ein Film) auch auf neue Techniken der elektronischen Musik und experimentelle Kompositionen zurück.
    • Der Gipfel dessen, was wir innerhalb der Reihe von Peters gehört haben, stellt zweifelsfrei sein Score für „Der unheimliche Mönch“ dar, der von „Der Hexer“ war schon weniger „lavish“ und in „Neues vom Hexer“ gibt es sogar ein paar störende Momente. Die Musik wirkt moderner als die Inszenierung oder auch ein wenig vorbei an der Inszenierung und kontert manchmal die Stimmung, welche durch die Bilder erzeugt wird.

Finale

„Neues vom Hexer“ hat viele Qualitäten, welche die klassischen Wallace-Filme auszeichnen, er macht nicht ganz so viel Wind wie „Der Hexer“. Ist er ein Muss, wenn man sich die Wallace-Serie nur anhand einiger typischer und wichtiger Filme zurechtlegen will, also, wie wir, interessiert, aber nicht so sehr ein Fan des Materials ist, dass man sie alle 38 gesehen haben will? Gar nicht so einfach.

Wir meinen aber: so ist es. Weil der Sprung in der Art des Filmens zwischen dem älteren und dem neueren Krimi erstaunlich ist: Rückwprung ins Traditionelle. Außerdem gibt es gute Figuren, einiges an Spannung, die einprägsame Tigerszene und ein japanisches Tonbandgerät, das bereits auf kommende Herausforderungen für die deutsche Industrie hinweist (welche sie in weiten Teilen nicht bestanden hat).

Also empfehlen wir „Neues vom Hexer“ als wichtigen Film innerhalb der Reihe, aber wenn, dann am besten als Double-Feature mit „Der Hexer“ anschauen.

71/100

© 2023, 2020 (Entwurf 2014) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

  1. Reinecker hatte unter anderem die Serien „Der Kommissar“ mit Erik Ode in der Titelrolle (1968-1975) und „Derrick“ mit Horst Tappert entworfen und eine große Zahl von Drehbüchern für beide Reihen verfasst. Von Karl May über Edgar Wallace bis zu vielen Einzelfilmen, die teilweise in der jungen Bundesrepublik hoch dekoriert wurden, reichen seine Drehbuch-Arbeiten. Reinecker hatte sich in jungen Jahren ebenso wie viele andere Filmer mit einer dezidierten NS-Vergangenheit besudelt, die wohl mit dazu geführt hat, dass die Wallace-Reihe vielen linksorientierten Kritikern ein Dorn im Auge war. Gerade in dieser Reihe waren einige Filmschaffende mit einer ähnlichen Biografie am Werk und nicht nur die inhaltlichen und künstlerischen Aspekte dürften daher die zeitgenössische Kritik insgesamt beeinflusst haben, als sie die Wallace-Filme zerriss.
  2. Für einen Moment dachten wir beim Anschauen des Films wirklich, er hat schon ein wenig von dem Stil, den Will Tremper ein Jahr später in „Playgirl“ pflegte. Zu dem Zeitpunkt wussten wir nicht, dass Tremper tatsächlich an „Neues vom Hexer“ mitgewirkt hat. Vielleicht ist ihm der etwas trockenere Stil mit zu verdanken, der den Film für ein Vohrer-Produkt vergleichsweise cool wirken lässt.
  3. Wir hatten den Eindruck, dass der Name Wesby mindestens einmal fiel, legen aber nicht die Hand ins Feuer. Manchmal spielt die Kognition einen Streich, es ist möglich, das wir den Namen noch aus „Der Hexer“ in Erinnerung hatten und eine Projektion vorgenommen haben.
  4. Die Tigerszene war echt. Wir hatten uns auch gefragt, wie man das getrickst haben wolle und fanden keinen Anhaltspunkt dafür. Ungewöhnlich, aber dann wieder erklärbar, wenn der Junge, der den Erben Charles spielt, von klein auf mit (gezähmten) Raubtieren aufgewachsen war – als Sohn eines bekannten Zirkusdompteurs.
Regie Alfred Vohrer
(Will Tremper)
Drehbuch Herbert Reinecker
Produktion Rialto Film
(Horst Wendlandt,
Preben Philipsen)
Musik Peter Thomas
Kamera Karl Löb
Schnitt Jutta Hering
Besetzung

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