Briefing 346-UD Wirtschaft, Energiepreise, Preisexplosion, Gas, Strom
Wir hatten uns gestern bereits mit den Energiepreisen in Deutschland befasst und dabei ziemlich den Kopf geschüttelt. Später am Abend entdeckten wir eine weitere Statista-Grafik zum Thema, die uns aber nicht per Newsletter zugesendet wurde. Diese ergänzen wir heute.
Energiepreise in Deutschland über dem EU-Schnitt
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Die Energiepreise in Deutschland liegen mit 112 Index-Punkten über dem Durchschnitt aller Länder der Europäischen Union (100 Punkte). Das zeigt die Statista-Grafik auf der Basis von Eurostat-Daten. Damit belegt Deutschland Position sieben des Ländervergleichs. An der Spitze bei den Preisen für Strom, Gas und anderen Brennstoffen liegt Dänemark mit 149 Punkten. Knapp unter dem Durchschnitt ist das Preisniveau in den Niederlanden, in Griechenland, Frankreich und Portugal. Vergleichsweise niedrig sind die Energiepreise in vielen osteuropäischen Ländern.
Der Krieg in der Ukraine und die Abkehr von russischen Energielieferungen haben die Energiepreise in vielen Ländern der Europäischen Union zuletzt deutlich steigen lassen. In Deutschland zeichnet sich bei den Energiepreisen allerdings eine leichte Entspannung der Lage ab. So liegen die Preise für Haushaltsenergie im September 2023 bei einer Reihe von Energieträgern unter dem Niveau des entsprechenden Vorjahresmonats.
Im letzten Satz verweist Statista auf die Grafik, die wir gestern schon besprochen haben. Dabei haben wir kritisiert, dass nicht im Text, dort wird der Zusammenhang erwähnt, aber in der optischen Darstellung der Bezugspunkt 2022 problematisch ist. Richtig wäre es gewesen, 2020 als Ausgangspunkt zu nehmen, wie es die linke Skala (Index 100 = 2020) nahelegt. Dass Deutschland „nur“ bei 112 Prozent des EU-Durchschnitts liegt, hat uns eher überrascht. Die Länder, in jenen Energie wirklich günstig ist, sind meist auch jene mit niedrigeren Einkommen innerhalb der EU, insofern ist das Niveau dort nicht wirklich niedriger, wenn man es mit der Kaufkraft der Menschen in Bezug setzt.
Uns hat die relativ gerne Marge über den Durchschnitt, die Deutschland aufweist, ins Nachdenken gebracht. Wir gehen danach von folgenden Tatsachen aus: Die Energieträgerpreise wurden addiert, daraus wurde durch Teilung durch die Anzahl der Posten ein Mittelwert errrechnet. Hingegen wurden die Energieträger nicht gewichtet, d. h., in welchem Maße ein Energieträger in einem Land zum Einsatz kommt. Da gibt es große Unterschiede innerhalb der EU, wie wir wissen, z. B. in der Form, dass in Frankreich Atomstrom über 70 Prozent des Bedarfs abdeckt. Der Preis für fossile Energieträger ist in dem Bereich also weit weniger wichtig für die Verbraucher:innen dort als bei uns, auch wenn er vielleicht höher liegen mag. Bei den Preisen fällt auch auf, dass Die Energiewende, die Dänemark so weit getrieben hat wie kein anderes Land weltweit, offenbar nicht zu günstigen Preisen zu haben ist. Das ändert aber nichts daran, dass in Dänemark viel weniger Armut herrscht als bei uns, dadurch sind die Preise für die Menschen auch eher zu stemmen. Interessanterweise liegt das Land bei den CO2-Emissionen pro Kopf trotzdem nicht viel niedriger als Deutschland (2021) und höher als Schweden oder Frankreich. Das leitet zu einer weiteren Feststellung: Nicht nur der Preis ist wichtig, sondern auch, welche Energieträger eingesetzt werden. Ein niedriger Preis, der durch einen sehr hohen CO2-Ausstoß erkauft wird, ist ebenso wenig zukunftsweisend wie die Preissprünge in Deutschland bei gegebenem Energiemix.
TH
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Deshalb haben wir, wie meistens, ein paar zusätzliche Informationen recherchiert. Die Überschrift, die Statista gewählt hat, stimmt also, mit der Betonung auf „meistens“, aber im untenstehenden Begleittext wird der in der Grafik gezeigte Bezugszeitpunkt richtigerweise relativiert. Auf dieser Basis erfolgt unser anschließender Kommentar.
Infografik: Heizen derzeit meist günstiger als vor einem Jahr | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Zu Beginn der Heizsaison sind die Preise für zum Heizen benötigte Energie weiterhin hoch. Sie liegen aber im September 2023 bei einer Reihe von Energieträgern unter dem Niveau des entsprechenden Vorjahresmonats. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis von Daten des Statistisches Bundesamtes. Entspannt haben sich die Preise für leichtes Heizöl und Erdgas: Im September 2023 mussten Verbraucherinnen und Verbraucher gut ein Viertel (-26,0 %) weniger für leichtes Heizöl bezahlen als noch im Vorjahresmonat.
Erdgas verbilligte sich für Endverbraucher im September 2023 gegenüber dem Vorjahresmonat erstmalig in diesem Jahr (-5,3 %). Hintergrund für diese Entwicklung sind die sehr hohen Preise für leichtes Heizöl und Erdgas im Vorjahr. Infolge der Kriegs- und Krisensituation waren die Energiepreise 2022 enorm gestiegen: So hatten sich die Preise für leichtes Heizöl auf der Verbraucherstufe im September 2022 binnen Jahresfrist mit einem Plus von 108,6 % mehr als verdoppelt, die Teuerung für Erdgas betrug 95,8 %.
Für private Haushalte, die alternativ oder ergänzend mit festen Brennstoffen heizen, ergeben sich aktuell ebenfalls Preisrückgänge: Brennholz, Pellets und andere Brennstoffe verbilligten sich im September 2023 um 18,1 % gegenüber dem Vorjahresmonat. Im September 2022 hatte sich der Preis hierfür im Vergleich zu September 2021 mehr als verdoppelt (+103,1 %).
Strom hingegen ist teurer als noch vor einem Jahr. Dies trifft auch die privaten Haushalte, die sich für den Einbau einer Wärmepumpe entschieden haben. Auch hier war das Niveau im Vorjahresmonat bereits sehr hoch: Für Strom hatte die Teuerungsrate im September des Vorjahrs bei +20,3 % gelegen. Fernwärme kostet in etwa gleich viel.
Wie das Statistische Bundesamt außerdem mitteilt, erhöhten sich die Verbraucherpreise für Haushaltsenergie im September 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat im Schnitt um 6,3 %. Der Preisanstieg der Haushaltsenergieträger übersteigt somit weiterhin die Gesamtteuerung: Die Verbraucherpreise insgesamt nahmen im September 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 4,5 % zu.
Im obigen Text ist dann erwähnt, was wirklich Phase ist. Zusammengefasst: Es gibt keinen Energieträger, der nicht mindestens knapp 50 Prozent teurer geworden ist, als er 2020 war. Am wenigsten verteuert, über drei Jahre hinweg betrachtet, haben sich Fernwärme und Strom mit jenen knapp 50 Prozent an der unteren Grenze. Wir wissen aber alle, wie es beim Strom zwischenzeitlich aussah. Die Preise hatten sich mehr als verdoppelt. Bei uns hat das zum Wechsel des Anbieters geführt. Wir machen so etwas nicht gerne, wir finden es stressig. Erfolg: Bei uns ist der Strom „nur“ 40 Prozent teurer als Anfangs 2022. Dazu können wir uns wirklich beglückwünschen, denn wir haben versucht, auf eigene Faust etwas zu dämpfen, was die Politik schlicht und einfach versaut hat.
Trotzdem halten wir den Ansatz der Grafik dieses Mal für falsch, so sehr wir Statista schätzen. Denn die Abbildung von nur einem Jahr suggeriert, dass per Saldo sogar eine Ermäßigung eingetreten ist. Das Visuelle wirkt, das darf man nicht unterschätzen, und das sind erst einmal diese schönen, fast waagerechten Balken. Aber das Desaster offenbart sich auf der linken Skala. 2020 = 100, heute, nur drei Jahre später, 150 bis 225 Prozent davon.
Wenn jetzt die Politik und sogar die Kommentatoren, die es besser wissen müssten, gemeinsam behaupten, man habe sich ja so ins Zeug gelegt, um die Energiekrise zu meistern und es sei auch nie der Strom ausgefallen, kann man nur fragen: Und zu welchem Preis, bitte? Wer muss das bezahlen?
Nur zur Erinnerung: Schon vor diesem Knall, in energiepolitisch ganz normalen Zeiten, mit günstigem russischem Gas, wurde in Deutschland die Privatverbraucher:innen u. a. mit den weltweit höchsten Strompreisen „beglückt“. Das heißt, schon der mittlerweile marginalisierte Bezugspunkt 100 stellt in Relation zu vergleichbaren Ländern eine Zahl von 150 oder 200 dar.
Was das Gas betrifft, sieht es etwas anders aus, deswegen wurde ja hierzulande auch Gas zum Heizen politisch gefördert. Bis zum „Knall“ blieben die Gaspreise über lange Zeit sehr stabil:
Gaspreisentwicklung 2022: Diagramme, Tabellen & Prognosen – Kesselheld
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern lag Deutschland zuletzt sogar immer noch günstig, aber bei uns hat die Gasheizung ja auch einen höheren Anteil am Energiemix, weil sie promotet wurde, lange Zeit auch von der Regierung Merkel:
Gaspreise Europa: Vergleich & Gaspreisentwicklung 2023 (energiemarie.de)
Hier sieht man die Preise im ersten Halbjahr 2022, die gegenüber den Zahlen in der oberen Tabelle (bis 2021) schon einen deutlichen Anstieg aufweisen. Man kann also sagen, wer den Deal angenommen hat, mit Gas zu heizen, hatte einen gewissen Ausgleich für die hohen Stromkosten, denn alle Länder, in denen das Gas noch billiger war, waren auch wirtschaftlich wesentlich schwächer als Deutschland. Die wohlhabenden EU-Länder hingegen weisen teils deutlich höhere Gaspreise für Endverbraucher:innen aus. Zwischenzeitlich stand aber Deutschland auch hier ganz an der Spitze, mit einem Preis von fast 22 Cent / kWh. Mittlerweile gilt dieser Deal nicht mehr, wenn man sieht, dass der Gaspreis sich seit 2020 verdoppelt hat.
Es ist bitter, was die Menschen sich hier aus ideologischen Gründen aushalten müssen, dass der Wohlstand von Jahrzehnten auf vielen Ebenen erodiert und das sogar politisch gewollt ist. Und natürlich sind es die Meinungsführer mit den hohen Einkommen, denen es wumpe ist, ob Ärmere noch mit ihren explodierenden Energiekosten haushalten können. Ob sie mit den steigenden Mietkosten, mit den ebenfalls stark anziehenden Lebensmittelpreisen (dieses Jahr zwischen 20 und 14 Prozent Inflation in den Monaten März, April, Mai) klarkommen. Kein normaler, arbeitender, leistender Mensch hat jedoch Einkommenssteigerungen, die das abfedern können. Nur die Profiteure dieser Krise freuen sich, Konzerne bestimmter Branchen und deren Anteilseigner.
Wir haben leider keine sinnvolle Empfehlung, wen Sie beim nächsten Mal wählen könnten, um dieses Ampel-Desaster zu beenden. Mit dem, was wir oben – nicht zum ersten Mal, aber aktualisiert – beschrieben haben, ist es ja nicht getan. Das Nächste, was kommen wird, sind Kürzungen im Bereich Migration & Soziales, sodass Integrationsaufgaben aller Art noch schwieriger wahrzunehmen sein werden als bisher. Die Grünen haben ohne Bedenken die höheren Preise organisiert, die Gelben werden die seit Jahren rissige Sozialstruktur endgültig einreißen und dann zusammen mit der AfD die Ergebnisse ihrer klassistischen Politik abfeiern. Dazwischen ein Kanzler, der das alles laufen lässt. Wir haben bisher geschrieben, dass die SPD den Unmut dafür am meisten abbekommt, sei nicht wirklich gerecht. Eigentlich ist es doch gerecht, denn sie wäre für das soziale Korrektiv dessen zuständig, was sich derzeit an Krisenfolgen zeigt und was die anderen Ampel-Parteien der Mehrheit im Land zumutet. Zunächst in der GroKo, dann in der Ampel sich ein wenig zu bemühen, dass der Abwärtstrend nicht noch stärker wird, als er ohnehin ist, reicht nicht mehr aus, denn der Abwärtstrend beschleunigt sich trotzdem. Die Gleichung stimmt leider noch immer:
Ampelkoalition = Preisexplosion.
Wir sind gespannt darauf, wie sich die Energiepreise in den nächsten Monaten entwickeln. Experten haben das, was sich bereits abzeichnet, vorausgesagt: Es wird wieder teurer werden. Von 2020 aus gesehen: Der Irrsinn geht weiter. Das kann oder sollte man nicht mit Grafiken kaschieren, indem man sie so kurzfristig anlegt, das das Grundproblem optisch verschwindet. Aber Sie haben ja den Begleittext und unseren Kommentar.
TH
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