Kanzler oder Kanzlerkandidat: Merz geeignet? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 351 | PPP (Politik, Personen, Parteien)

Briefing 351 PPP Friedrich Merz, CDU

Wir starten in die Woche ausnahmsweise mit einer Einzelumfrage. Sie lautet: Merz: Geeigneter Kanzler? Das ist aber die verkürzte Version, die den Titel des Newsletters zur Umfrage bildet:

Civey-Umfrage: Wäre der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Ihrer Meinung nach ein geeigneter Kanzlerkandidat für die Union? – Civey

Begleittext von Civey aus dem Newsletter

Nach der Bundestagswahl-Niederlage 2021 war die Union lange orientierungslos und durch interne Machtkämpfe gezeichnet. Die nächsten Bundestagswahlen finden planmäßig im Herbst 2025 statt. Die Debatten über mögliche Spitzen-Kandidatinnen und – Kandidaten ist aber bereits jetzt in vollem Gange. Aufgrund seines Amtes gilt Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU), der zugleich CDU-Parteichef ist, als potentieller Kandidat für CDU und CSU. 

Seit Merz letztes Jahr den Fraktionsvorsitz übernommen hat, bemüht sich die Union um ein geschlossenes und durchsetzungsstarkes Bild. Dem Handelsblatt zufolge hat Merz intern auch Erfolg damit. Er gilt demnach in den eigenen Reihen als zielorientierter und gesprächsbereiter Brückenbauer, der für „Teamgeist” sorge. Auch wird er für seine „klare Sprache” und „wirtschaftspolitische Sachkompetenz” geschätzt. Zudem schaffe er es, „die Regierung vor sich her zu treiben und Entscheidungen zu erzwingen” – etwa bei der Ukraine- oder Israel-Politik. 

Wahlforscher Matthias Jung räumt Merz keine guten Chancen ein. Durch seine Polarisierungen wirke er „unglaubwürdig und schreckt die [erfolgsentscheidene] politische Mitte ab”, sagte Jung jüngst dem Handelsblatt. Kontroverse Aussagen tätigte der CDU-Chef etwa in puncto Homosexualität oder Migration. Zuletzt sorgte er im September für Empörung, als er Asylsuchenden unterstellte, sich hier „die Zähne neu zu machen”, während Deutsche auf einen Termin beim Zahnarzt warten. Die SZ verweist auf die erfolgreichen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst in NRW oder Boris Rhein in Hessen, die Gegenmodelle zum teils „ruppigen” Kandidaten Merz seien.

Wir haben uns an dem ersten Titel orientiert, den wir gesehen haben. Ob Merz ein guter Kanzler wäre. Danach haben wir abgestimmt. Ob er von der Union als gut empfunden wird ober sie sogar nach vorne bringen kann, interessiert uns heute weniger. Wir sehen eher das Bild vor uns, dass er der Kanzler aller Menschen in diesem Land sein soll. Und dazu haben wir eine klare Meinung, die von fast 50 Prozent der Abstimmenden exakt geteilt wird, weitere 13 Prozent sehen es ähnlich. Wir glauben, dass die meisten sich dabei, wie wir, nicht am maximalen CDU-Erfolg orientiert haben, sondern daran, wen sie sich als Kanzler oder Kanzlerin wünschen würden.

Um es gleich ganz offen zu schreiben: Wir haben es satt. So satt. Diesen Politikertyp, den Merz darstellt, den können wir nicht mehr sehen. Lobbyistisch, klassistisch, unempathisch, nur auf Effekt und Spaltung aus. Diese Leute beschädigen die Demokratie und sind mit für den Aufstieg der AfD verantwortlich. Nach rechts kriegen sie, trotz ihrer üblen Einlassungen, keinen Tritt und zur tatsächlichen Mitte hin, die wir etwas links von vielen sehen, die sich selbst als mittig empfinden, kriegen sie ebenfalls keinen Fuß auf den Boden, weil die Menschen dort so denken wie wir: Nicht immer weiter dieser Typ.

Was hatten wir schon Kanzler, die alles andere als empathisch und mitnehmend waren. Einige waren richtig stolz darauf, wie die SPD-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, wie sackig sie ein können. Damals haben noch viele Menschen gewählt, die in der Nazizeit sozialisiert wurden und diesen autoritären Stil sehr schätzten. Helmut Kohl, der selbst nicht gerade ein Wunder an visionärer Menschenfreundlichkeit  war, hatte es schwer, gegen diese Stinkstiefel rhetorisch zu bestehen. Gegen den einen, als er Kanzler werden wollte, gegen den anderen, als es zu Ende ging. Und nun haben wir Schnodder-Merz, der genau in dieses Schema der Übergreifer passt und der Clacquere, von denen sie umgeben waren. Unter ihm kommen in der Bundes-CDU nur noch Typen wie Carsten Linnemann nach vorne, die genauso wirken wie Merz. Die Ministerpräsidenten hingegen sind Politiker im eigenen Recht, die nicht von Merzens Wohlwollen abhängig sind, er kann ihnen höchsten die Wahlen versalzen, indem er die CDU bundespolitisch gegen den Wind stellt. Das hat er zuletzt erkennbar nicht getan, gerade die Hessenwahl hat das gezeigt, insofern ist er für das, was er ist, nämlich Parteivorsitzender, nicht ganz falsch.

Aber ihn als Kanzler zu haben, ist eine ganz andere Sache. Sicher war Angela Merkel ein Gegenmodell zu ihm innerhalb der CDU, die beiden konnten einander so gar nicht ausstehen und sie hat es konsequent verhindert, dass Merz noch während ihrer Kanzlerschaft Parteivorsitzender wird und ihr das Leben schwermacht. Wir wünschen uns Angela Merkel nicht zurück, die eine Art von Politik gemacht hat, die wir genauso wenig zielführend finden, um ihre Ausdrucksweise an dieser Stelle zu adaptieren, wie das Hahnen- und Pfauenhafte der oben erwähnten Herrschaften. Das wiederum spielgelt in Teilen den Kohl-Stil wieder. Auch wenn sie mit ihm brach, er war ihr Ziehvater und vom Temperament  her sind beide ähnlich (gewesen). Sie hat das Land eingeschläfert, nicht etwa mitgenommen, in dem sie dem „Wir schaffen das“ ein sinnvolles „So machen wir das“-Konzept beigefügt hätte. Jetzt haben wir das Problem, dass der konzeptionelle Mangel die aktuellen Krisen zumindest in den Augen vieler Menschen im Land noch verschärft. Wir schreiben hier schon lange, Merkels Politik des Aussitzens wird uns noch auf den Kopf fallen.

Die Einschläge sind nicht mehr zu übersehen und betreffen viele Bereiche und Themen. Nun könnte man meinen: Wenn Merz schon kein netter Typ ist, der es schafft, wirklich eine Mehrheit so  hinter sich zu bringen, dass sie ihm vertraut, kann er dann wenigstens Zukunft? Kann er mit der Wirtschaftskompetenz, die man ihm zurechnet, die Karre aus dem Dreck ziehen?

Eindeutig nein. Merz ist geprägt vom Finanzkapitalismus, der mit zu verantworten hat, dass nicht nur Deutschland gerade in einer teilweise hausgemachten Sonderkrise steckt, sondern dafür, dass es überall im Gebälk der Wirtschaft knirscht und die Spielräume für progressive Politik immer enger werden. Dagegen anzusparen, wie Finanzminister Lindner es will, ist noch verrückter, als jetzt wenigstens noch zu investieren, was geht, bevor es wieder knallt. Merz ist aber zu allem anderen, was ihn als Kanzler disqualifiziert, ein Austeritätspolitiker, der nicht antizyklisch agieren kann, was gerade jetzt unbedingt notwendig wäre, um wieder Schwung in den Betrieb zu bekommen. Wirtschaftskompetenz ist in dem Zusammenhang nur ein Schlagwort. Es kommt auf die ideologische Ausrichtung eines Politikers an, nicht darauf, ob er mal für BlackRock tätig war und dem man deshalb Wirtschaftskompetenz zurechnet. Merz ist von Grund auf nämlich Jurist, wie so viele andere Politiker, die so wenig menschlich wirken.

Ihnen ist sicher aufgefallen, dass wir den aktuellen Bundeskanzler noch nicht erwähnt haben. Gegen ihn hätte Merz als Kanzlerkandidat im Jahr 2025 anzutreten. Wir meinen, angesichts der allgemeinen Rechtsverschiebung und der Unfähigkeit von Scholz, die Ampelkoalition gut zu verkaufen, könnte Merz ohne Weiteres der nächste Kanzler werden. Vielleicht könnte die Union auch einen Elefant in den politischen Raum stellen, der würde es wohl auch ins Kanzleramt schaffen, wenn sich bis dahin die Stimmungslage nicht ändert. Vielleicht ist Merz auch der Elefant.

Genau das wollen wir aber nicht sehen. Weil es uns reicht, mit diesem elefantösen Politikertyp.

Wer sind die Menschen, die solche Menschen wählen? Wer wählt permanent eine Bequemlichkeitspolitik à la Merkel, die Jahr für Jahr ein Stück Zukunft verspielt? Wer geht Leuten wie Merz auf den Leim, die auf keinen Fall nachhaltige Lösungen für dieses Land organisieren werden? Deren Denke auf Bewahren der Systemfehler ausgerichtet ist?

Wir wissen es natürlich nicht genau, die Union hat immer noch eine relativ breite Basis. Aber eines dürfte die meisten innerhalb dieses Clusters einigen: Dass sie auf die merztypische Bewahrung und die Anwendung althergebrachter Rezepte aus sind – in einer Zeit, in der klar sichtbar geworden ist, dass Bewahren Verlieren bedeutet. Wenn Typen wie Merz erfolgreich sind, ist das auch ein Ausdruck der Agonie, in der sich dieses Land befindet.

Zugegeben, wer nach Alternativen sucht, kann lange suchen. Es ist furchtbar, aber wir sehen derzeit in keiner einzigen Partei jemanden, den wir sofort empfehlen könnten. Es ist der Fluch der Prägung der aktuellen Politikergeneration, die nicht mehr aus dem Erleben und dem Schicksal heraus agiert, aber auch nicht mit einer modernen, universalistischen Haltung, die unter anderem das Reden auf Augenhöhe mit Menschen in anderen Teilen der Welt glaubwürdig machen könnte. Geschweige denn das Absehen von Spaltungsrhetorik nach innen. Und da kommen die CDU-Ministerpräsidenten ins Spiel. Wir würden die Union auch nicht unterstützen, wenn einer von ihnen anstatt Merz in den Ring steigt, um Scholz den Kanzler-K.-O. nach nur vier Jahresrunden zu verpassen. Es hat damit zu tun, dass die Unionsparteien für uns nicht Zukunft sind, nicht so sehr mit diesen noch relativ jungen Politikern. Wir könnten uns sicher mit der Person Daniel Günther anfreunden, aber der wird es nicht werden, der MP von Schleswig-Holstein, weil er innerhalb der CDU als zu links gilt. Schaut man genauer hin, geht es in S-H mit ihm und den Grünen auch nicht viel anders zu als anderswo, wo die traditionellen und die neuen Bürgerlich-Konservativen (deshalb jetzt in dunklem Tannennadel-Grün oder JägerGrün) regieren. Wir wollten nur ausdrücken, dass es auch in der CDU Menschen gibt, die auf uns verschieden wirken und daraus ergäbe sich für uns eine Wahlpriorität, wenn wir nur zwischen CDU-Kandidaten zu wählen hätten. Nicht aber, wenn mehrere Parteien zur Auswahl stehen.

Vielleicht wird es am Ende ja Söder, der für die Union antritt. Söder, der Wendige, der Populistischste in der Union, und zwar in der negativen Bedeutung des Wortes: Hängt sein Fähnchen immer in den Wind, dorthin, wo er gerade eine Übereinstimmung mit der Volksstimmung vermutet. Heißt auch: Gegenwärtig sind seine Linie und die von Merz fast gleich, weil in der Migrationspolitik der Wind von rechts weht. Bei Merz ist es aber Überzeugung, wenn er die Zahnarztmasche abzieht, das wirkt auf uns authentisch. Bei Söder weiß man nicht einmal das so genau.

Vielleicht könnte man mit einem Kanzler Merz viele Kilometer der Flugbereitschaft einsparen, weil er sich fast überall hin selbst pilotieren kann oder wenigstens mit seinem eigenen Flugzeug. Aber irgendwie zieht das bei uns nicht so richtig. Wir halten wegen dieser Form von Selbstermächtigung, die nichts mit der partizipativen Selbstermächtigung für die Mehrheit zu tun hat, einen Politiker noch lange nicht für einen geeigneten Kanzler in diesen schwierigen und unruhigen Zeiten.  

Leider können wir Ihnen immer noch niemanden von ganzem Herzen als Alternative empfehlen. Auch nicht die sich abzeichnende neue Partei mit ihrer Führerin. Seit es dieses Blog gibt, läuft es immer auf dieselbe Empfehlung hinaus: Seien Sie Zivilgesellschaft. Machen Sie selbst mit. Vertrauen Sie nicht Politikern zu sehr Ihr Leben an. Sie haben nur dieses eine und es ist erfüllter, wenn Sie sich eingebracht haben, anstatt immer nur missmutig solche Typen wie Merz zu wählen oder die Ampelparteien oder wen auch immer. Allein die Aussichten sind ermüdend, deshalb schließen wir an dieser Stelle und geben den Artikel frei zur Veröffentlichungö.

TH

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