AfD stoppen – mit euch allen? (Aktion, Leitkommentar) | PPP (Politik, Personen, Parteien), Gesellschaft, AfD

Briefing 359 Gesellschaft, Politik, AfD, Brancenburg, Ost und West, Thüringen

 Liebe Leser:innen, es ist eine Zeit her, dass wir eine Aktion empfohlen haben. Dieses Mal geht es um die AfD. Wir kommentieren kurz im Anschluss. Da der Text von Campact aber recht ausführlich und instruktiv ist, leiten wir zunächst direkt über. Es geht um gesellschaftliches Engagment, weniger um in in diesem Fall geglückte AfD-Abwehr. Wir zeigen den Text deshalb komplett, weil er aus einem Newsletter stammt, wir ihn aber nicht auf der Campact-Webseite gefunden haben, sodass wir ihn nicht zitieren / in Auszügen wiedergeben können.

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Die extrem rechte AfD feiert in den letzten Monaten einen Erfolg nach dem nächsten. Doch in Brandenburg muss sie nun eine Niederlage einstecken. Lies hier, was das mit Campact zu tun hat – und wie wir die AfD auch anderswo aufhalten können.

Hallo Thomas,

das ist gerade nochmal gut gegangen. In Brandenburg hat der rechtsextreme AfD-Kandidat die Stichwahl um das Landratsamt in Dahme-Spreewald verloren. Leider keine Selbstverständlichkeit – wir von Campact mussten uns kräftig einmischen. Mit lokalen Firmen haben wir ein Bündnis gegen Rechts geschmiedet, in den sozialen Medien Argumente gegen die AfD geliefert. Dieses Mal konnten wir den AfD-Mann stoppen, doch das Problem bleibt: Die Partei hat einen Lauf. Sie erobert kommunale Spitzenämter, klettert in Umfragen immer weiter nach oben und profitiert von der Unzufriedenheit mit der Ampel.[1,2,3]

Über ihre gestrige Niederlage ärgert sich die Partei heute – die nächsten Ziele hat sie jedoch schon fest im Visier. Im Januar steht im thüringischen Saale-Orla-Kreis eine weitere Landratswahl an, im September folgen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In allen drei Ländern liegt die AfD vorne.[4,5,6] Und bereits im Juni findet die Europawahl statt; hier könnte die AfD nach der Union zweitstärkste Kraft werden.[7] Uns droht eine braune Welle – doch noch lässt sie sich aufhalten. Wie? Das haben wir in Dahme-Spreewald gelernt. Viele Menschen haben etwas gegen Hass und Hetze und sind bereit, sich zu wehren.

Genau da wollen wir ansetzen – und unsere erfolgreichen Aktionen aus dem Spreewald in großem Stil ausbauen. Wenn es im Januar im Saale-Orla-Kreis und später dann auf Landesebene losgeht, wollen wir vorbereitet sein. Jede Aktion, jeder Handgriff muss sitzen. Dann können wir der Partei weitere Niederlagen bescheren. Doch so eine große und lange Kampagne ist ein Kraftakt mit enormem Arbeits- und Materialaufwand. Dafür brauchen wir Unterstützung, auf die wir dauerhaft zählen können. Deshalb bitten wir heute Dich, Thomas: Fördere Campact ab sofort regelmäßig. Gemeinsam können wir uns der AfD entgegenstellen.

Fördere Campact mit 1 Euro pro Woche

Fördere Campact mit 2,50 Euro pro Woche

Fördere Campact mit 3 Euro pro Woche

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Es tut mir leid, ich kann Campact nicht regelmäßig fördern

Nationalistisch, unsozial, modernisierungsfeindlich: Das sind die Positionen der AfD. Schlecht für eine Region, die auf Tourismus und Innovation setzt, fanden viele Unternehmen im Landkreis Dahme-Spreewald. Auf einer von Campact eingerichteten Plattform warben sie für Weltoffenheit und gegen die AfD. Die Aktion machte bundesweit Schlagzeilen – weil sie zeigt, wie tief verwurzelt der Protest in der Region ist.[8,9,10]

An diesen Erfolg im Landkreis wollen wir anknüpfen, zunächst im Landkreis Saale-Orla und dann bei gleich drei Landtagswahlen und der Europawahl. Dafür haben wir einen detaillierten Plan ausgearbeitet:

  1. Wir mobilisieren Wähler*innen: Wir sind uns sicher, dass die Mehrheit keine rechtsextremen Populist*innen an der Macht sehen will. Darum ermutigen wir die Menschen vor Ort, zur Wahl zu gehen. Viele sind politikmüde und durch die zahlreichen Krisen verunsichert. Das nutzt die AfD aus: Sie vereinnahmt Menschen für rechte Parolen und setzt darauf, dass viele andere schweigen. Wir wollen zeigen, dass es auf jede Stimme ankommt – mit Anzeigen in lokalen Zeitungen und in den sozialen Medien.
  2. Wir liefern Argumente gegen die AfD: Wir wollen darüber aufklären, was die AfD vorhat – mit Fakten statt mit Behauptungen. Aus Gesprächen mit Wähler*innen wissen wir, dass viele erfahren möchten, welche Auswirkungen eine mächtige AfD für sie hätte. Was plant die Partei wirtschafts- und sozialpolitisch oder beim Umweltschutz? Wir wollen starke Argumente gegen rechte Propaganda bereitstellen. Und dafür sorgen, dass jede*r sie ganz leicht an Verwandte, Freund*innen und Kolleg*innen weiterleiten kann.
  3. Wir stärken die Zivilgesellschaft vor Ort: Unternehmen, Schulen oder Kirche – sie alle beteiligen sich an Initiativen, die ebenfalls Wahlsiege der AfD verhindern wollen. Wir unterstützen sie mit Geld und Material. In den letzten Monaten hat Campact 100.000 Euro für lokale Projekte gesammelt; zusätzlich schaffen wir mit eigenen Aktionen Aufmerksamkeit für den Protest der Bürger*innen.

Das alles könnte den Vormarsch der AfD bremsen. Doch dafür brauchen wir jetzt richtig viele Menschen, die das unterstützen. Denn die Aufgabe ist gewaltig: In den nächsten Monaten warten Kommunalwahlen, drei Landtagswahlen und die Europawahl auf uns. Das bedeutet viel mehr Recherchen, Infomaterial, Kosten für Anzeigen sowie Gelder für Initiativen vor Ort. Damit wir nicht bei anderen Kampagnen wie dem Klimaschutz sparen müssen, brauchen wir Dich: Werde jetzt Campact-Förder*in.

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Es tut mir leid, ich kann Campact nicht regelmäßig fördern

Herzliche Grüße

Dein Campact-Team

PS: Über 100.000 Menschen hat unsere Social-Media-Kampagne gegen die AfD in Dahme-Spreewald erreicht. Auf Deutsch und auf Sorbisch warnte die Präsidentin der örtlichen Familienunternehmen dort: „Die AfD gefährdet die lokale Wirtschaft“ – „AfD wobgrozujo lokalne góspodarstwo.“ Das hat gewirkt. Hilf uns, der AfD auch bei der nächsten Wahl eine Niederlage zu bereiten.

Fördere Campact: AfD stoppen (campact.de)  Anmerkung DWB/ TH: Hier waren mehrere Links mit unterschiedlichen Beträgen gesetzt, aber auf eine Auswahl kommen Sie auch wieder, wenn Sie den obigen Link anklicken.

Es tut mir leid, ich kann Campact nicht regelmäßig fördern: AfD stoppen (campact.de)

[1] „Nach erstem Landrat: AfD gewinnt nun auch Bürgermeister-Amt – ‚Es ist beunruhigend‘“, Frankfurter Rundschau Online, 3. Juli 2023

[2] Sonntagsfrage Bundestagswahl, Infratest Dimap, 10. November 2023

[3] „Unzufriedenheit mit der Ampel: ‚Bei solch miserablen Werten müssten CDU/CSU eigentlich bei 40 Prozent liegen‘“, Tagesspiegel Online, 1. September 2023

[4] „AfD führt mit großem Abstand – Regierungsparteien verlieren“, rbb24 Online, 13. September 2023

[5] „AfD mit Abstand vor CDU bei Insa-Sonntagsfrage in Sachsen“, MDR Online, 31. August 2023

[6] „Umfrage: AfD kommt in Thüringen auf 34 Prozent“, Zeit Online, 9. November 2023

[7] Sonntagsfrage Oktober 2023 / Europawahl 2024, YouGov, 13. Oktober 2023

[8] „Vor Landratswahl: Wirtschaft setzt Zeichen gegen Rechts“, Zeit Online, 7. November 2023

[9] „Vor Landratswahl in Dahme-Spreewald: Unternehmen schließen sich zu einem Aufruf gegen Rechts zusammen“, Tagesspiegel Online, 7. November 2023

[10] „Angst vor AfD-Landrat in Brandenburg“, Taz Online, 9. November 2023

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Weil Campact das Ergebnis der Stichwahl und die Namen, um die es geht, oben nicht ausgewiesen hat, hier eine Info zur Sache: Brandenburg: Landratswahl in Dahme-Spreewald – AfD-Kandidat Kotré unterliegt (t-online.de). In der Stichwahl verlor also AfD-Mann Korté gegen den parteilosen Kanidaten Herzberger mit 35,2/64,8. Sicher hätte man auch erwähnen dürfen dass ein breites Bündnis mit einflussreichen Akteuren zugange war, um die Wahl des AfD-Politikers zu verhindern, der Gegenkandidat wurde von allen anderen Parteien unterstützt. Unter diesen Umständen sind auch 36 Prozent viel. Vor allem für einen Landkreis vom Zuschnitt von Dahme-Spreewald.

Mittlerweile gibt es auch einen Artikel, in dem der Gewinner selbst darauf hinweist, dass die AfD auch in diesem Landkreise, über den wir gleich ein paar Sätze verlieren werden, einen hohen Prozentsatz an stabilen Wähler:innen hat. Zu hoch vor allem, weil sich der Zuspruch nicht aus wirtschaftlichen Gründen herleiten lässt.

Der Landkreis grenzt im Süden an Berlin der wirtschaftsstärkste in ganz Brandenburg, legt seit vielen Jahren  an Einwohnern mit städtischem Gepräge zu, die aus Berlin ins Umland ziehen, auch viele Menschenmit West-Hintergrund, vor allem Ote wie Teltow sind dadurch erheblich gewachsen. Der Landkreis hat insgesamt eine für ostdeutsche Verhältnisse außergewöhnlich positive Entwicklung vorzuweisen, legt ständig an Einwohnern zu und gehört zu den wirtschaftsstärksten ostdeutschen Landkreisen,ist im Gesamtrankingaller über 400 deutschen Landkreise nach neueren Auswertungen in die obere Hälfte eingetreten.

Kein typisches AfD-Revier also, sollte man meinen. Viele Menschen dort müssten offen für zivilgesellschaftliche Aktionen und Argumente sein, auch die Unternehmen dort sind vergleichsweise modern, wie etwa der Flughafen BER, der im Landkreis liegt und geradezu symbolisch für die Öffnung in die ganze Welt steht.

Wenn die AfD schon im Berliner Umland, das bessere Kennzahlen hat als einige Bezirke in Berlin, 35 Prozent erreicht, obzwar bei einer persönlichkeitsorientierten Wahl, kann etwa eine Gegenkampagne im hinteren Thüringen oder Sachsen genau in die umgekehrte Richtung losgehen, nämlich in der Form, dass die AfD durch eine massive Anti-AfD-Kampagne sogar zulegt. DieMentalität, jede zivilgesellschaftliche Aktion für eine Bevormundung durch die Gesellschaftslinke aus der Stadt zu halten, ist in einer Gegend, die viele Ex-Städter als Einwohner und gut verdienende Mittelschichtler mit modernen  Jobs hat, wohl kaum so ausgeprägt wie in den wirklich  ländlichen Gegenden.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht versuchen soll, die AfD zu verhindern.

Aber wie man es anfasst, ist von Fall zu Fall zu entscheiden, dafür müssen Menschen als Spezialisten herangezogen werden, die sich vor Ort auskennen. Mit den typischen Argumenten, die wir aus Berlin kennen und die auch im nahen Umland noch überwiegend funktionieren sollten, kommt man in manchen Ostregionen nicht weit. Um das beurteilen zu können, kennen wir insbesondere Thüringen, aber auch Sachsen-Anhalt und Teile Sachsens gut genug. Ein  beinahe blinder Fleck auf unserer auch im wörtlichen Sinne Erfahrungslandkarte ist lediglich Mecklenburg-Vorpommern.

In den „abgehängten Regionen“, in denen es kaum Wirtschaft mit internationaler Anbindung gibt, müssen andere Karten gezogen werden als im wirtschaftlich brummenden südlichen Umland von Berlin, das die niedrigste Arbeitslosigkeit aller Landkreise in den neuen Bundesländern vorzuweisen hat und auch besser als viele Landkreise im Westen liegt (3,6 Prozent). Dass in diesem Kreis ein AfD-Kandidat trotz der Gegenkampagne 35 Prozent erreichen konnte, ist beunruhigend genug. Wir halten aber zwei Bezirke in Berlin, einen im Westen und einen im Osten, durchaus für Terrain, in denen es zu ähnlichen Ergebnissen kommen könnte, wenn z. B. eine vergleichsweise prominente AfD-Person gegen eine schwache Konkurrenz antreten würde. Unter der Voraussetzung, dass das Wahlverfahren so wäre wie in den Landkreisen, was nicht der Fall ist: Bezirksbürgermeister:innen werden von den Bezirsversammlungen, also den  Bezirksparlamenten, die aus den Kommunalwahlen hervorgehen im Stil der repräsentativen Demokratie gewählt. Direktwahlen von Personen sind in Deutschland immer noch die Ausnahme. Vielleicht zu Recht, denn im Osten wird künftig jeder Landratsposten hart umkämpft sein, wenn es darum geht, die AfD von der Besetzung eines solchen Postens fernzuhalten. Wie wir alle wissen, ist das auch schon misslungen.

Deshalb sehen wir die weitergeleitete Unterstützungsaufforderung für Campact, die im obigen Text (von uns hier verkürzt wiedergegeben) enthalten ist, auch eher als eine generelle Zustimmung zu deren zivilgesellschaftlicher Aktivität an.

Wir haben in letzter Zeit keine Petition mehr unterschrieben, in der es um ein AfD-Verbot geht.

Die jüngsten Erfolge der Partei müssen politisch bewältigt werden, für ein Verbot ist es nach unserer Ansicht jetzt zu spät. Es hat viel zu lange gedauert, bis auch nur einzelne Landesverbände vom Verfassungsschutz als rechtsrextrem eingestuft wurden. Ein Versäumnis aus einer Zeit, als ein Verbot noch nicht bedeutet hätte, dass in Ostregionen bis zu einem Drittel der  Wähler:innen sich zusammen mit der AfD in der Opferrolle suhlen würden, wenn man die Partei verbieten würde.

Wir waren schon immer der Ansicht, vor allem bessere Politik für die Menschen  kann den Rechtstrend  stoppen. Das wäre jedenfalls die nachhaltige Trendumkehr.

Bezüglich eines Verbots haben wir lange Zeit auf der Position gestanden: Was verfassungswidrig ist, ist verfassungswidrig, egal, wie viele Menschen es unterstützen. Wir haben auch verfassungswidrige Positionen in Deutschland, die mehrheitsfähig sind, gegen deren Durchsetzung jedoch aus guten Gründen Riegel vorgeschoben wurden. Aber eine Minderheiten diskriminierende  einzelneMehrheitsposition nicht zu faschistischer Politik gerinnen  zu lassen, ist etwas anderes, als eine Partei zu verbieten, die in allen „neuen“ Bundesländern derzeit in den Umfragen vorne liegt. Jetzt noch ein Verbot auszusprechen, kann die Demokratie noch mehr erschüttern, als es nicht zu tun. Und darum geht es letztlich: Den ohnehin unvermeidlichen Schaden so klein wie möglich zu halten. Richtig klargeworden is uns das nicht durch Vorkommnisse in Ostdeutschland. Sondern durch die Wahlin Bayern und Hessen. In Hessen hat die AfD 20 Prozent der Stimmen erzielt, in Bayern haben 30 Prozent zwei Parteien gewählt, die rechts von jener CSU stehen, die einst für sich beanspruchte, die rechteste demokratische Wahlmöglichkeit im Freistaat zu sein.

Die Position, wir sind einem AfD-Verbot gegenüber mehr und mehr abgeneigt, wird jene, die eine Wiederholung der Nazizeit befürchten, nicht beruhigen,

Hätte man doch die Nazis verboten! In der Tat ist das ein gewichtiges Argument. Aber wir müssen uns jetzt gerade als Zivilgesellschaft, klar positionieren und sagen: mehr als 70 Jahre Demokratie im Westen und 33 Jahre im Osten haben ausgereicht, damit diese Demokratie sich aus sich selbst heraus retten kann. Leider dürfen wir dabei auch nicht verkennen, dass überall in der Welt rechte Bewegungen stärker werden und Herausforderungen für demokratische Staaten darstellen. Das kann nicht daher kommen, dass überall die Menschen plötzlich zu Nazis geworden sind, die vor einigen Jahren noch nach heutigen, sich nach rechts verschiebenden Maßstäben gemäßigt wählten.

Es hat gleichwohl tiefgehende Gründe, die unter anderem in einer der Mehrheit gegenüber verächtlichen Politik von Eliten zu suchen sind, aber auch von vielen Fehleinschätzungen sprechen, denen Menschen aufgrund mangelhafter politischer Bildung und mangelhafter allgemeiner Bildung und Analysefähigkeit unterliegen.

Der Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte generiert fast unwidersprochen das, was er tatsächlich will: Aggressionen, Nationalismus, zerklüftete Gesellschaften, in denen alle einander feindlich gegenüberstehen und der die Freit nur für das Kapital immer mehr zunimmt. Diese Entwicklung trifft leider auch uf demokratische  Systemen, die älter und ruhmreicher sind als das deutsche, wohin wir aber immer noch gerne schauen, an denen wir uns orientieren. Es gibt eigentlich keinen Vorbilder mehr in Ländern, die so groß oder größer sind als Deutschland (gemeint ist die Größe der Bevöllkerung, selbstverständlich).

Wer also merkt überhaupt, von wem er wirklich manipuliert wird und kann jahrzehntelange Indoktrination gegen den Gemeinsinn erkennen? Die AfD ist  wegen der deutschen Vergangenheit eine spezifisch deutsche Herausforderung,  aber ihre Gleichgesinnten müssten die Demokratieverteidiger:innen überall auf den Plan rufen. Vor allem dort, wo es keine Traumata gibt, die aus Diktaturerfahrung, aus verlorenen gigantischen Kriegen und der Schuld an der Shoa herrühren. Alles das spielt in Deutschland eine Rolle, wenn ständig Menschen Entscheidungen gegenn ihre tatsächlichen Interessen treffen. In vielen anderen Ländern sollte das aber nicht in dem Maße der Fall sein, trotzdem gibt es auch dort ähnliche Entwicklungen.

Es ist selbstverständlich nicht so leicht, Frustwählen und verfestigte rechte Ansichten immer sauber zu trennen, der Frust in Deutschland ist im Moment riesig. Damit man überhaupt wieder unterscheiden kann zwischen dieser Stimmung, die zu regressivem Verhalten führt und Nazimentalität, wird die Politik der Mehrheit, auch im Westen, bessere Angebote machen müssen, um die Demokratie nicht noch mehr zu beschädigen. Insbesondere die Oktoberwahl in Hessen hat gezeigt, dass die AfD kein ostdeutsches Phänomen mehr ist, sondern fast überall in der Lage, mindestens als zweit- oder drittstärkste Kraft aus einer Wahl hervorzugehen.

Für fast jede gesellschaftliche  und politische Phänomen gibt es freilich mehrere Deutungsmöglichkeiten.

Eine davon ist, dass der überall auf der Welt wirksame Rechtstrend schlicht und ergreifend den dünnen Lack der Zivilisation abplatzen lässt, der in wirtschaftlich besonders sonnigen Zeiten über die teilweise unmenschlichen Züge von Menschen gepinselt werden konnte. Als es richtig gut lief und kaum noch existenzielle Herausforderungen zu bewältigen waren,  da war die Demokratie als Ausdruck von Freiheit willkommen. Wenn aber mehr zusammengerückt werden muss, ruft alles wieder nach der autoritären Führung. 

Wenn diese Deutung richtig sein sollte, ist guter Rat nicht etwa teuer, sondern kaum möglich. Dann würde auch keine bessere Politik den Trend stoppen können. Denn bessere Politik erfordert Geduld und wird erst in Jahren in Ansätzen positiv wirksam, in der Form, dass auch die Selbstgerechten ihr Gerechtigkeitsbedüfnis befriedigt sehen. Sie merken, wir verwenden Begriff  „selbstgerecht“ nicht ganz im wagenknechtschen Sinne.

Wenn diese Deutung stimmen sollte, nützen noch so gut gemeinte Anti-AfD-Projekte insofern wenig, als sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein wären. Wir müssten uns alle darauf einrichten, dass bald wieder das Faustrecht des Stärkeren alleine gilt. Dann haben die gesiegt, die offiziell gar nicht als so rechts gelten wie die AfD, aber den im Sinne der Humanität wenig erfreulichen Zustand der Mehrheitsbevölkerung  immer antizipiert und auf ihn gesetzt haben. Kleiner Tipp dazu, wen wir meinen: Untersuchungen belegen, dass AfD- und FDP-Wähler:innen einander ideologisch innerhalb des Spektrums der größeren, im Bundestag vertretenen Parteien am nächsten stehen. Und die FDP war über viele Jahre eine Partei, die die Politik hierzulande erheblich mitgestaltet und vor allem  ideologisch geprägt hat. Der zweite Pool, der nicht nur aus Frust AfD-anfällig ist und nicht als verfestigt faschistisch bezeichnet werden kann, ist das Bürgertum, das sich selbst als mittig bezeichnet, aber denen die Rechten in der CDU  nicht rechts genug sind. Auch diesen Pool wird man durch progressive Argumente kaum ansprechen können. Es geht also wirklich nur um Impulsiv-Frustwähler:innen, und die sind auf ihre Weise sehr sensibel und unglücklich. Deren Ansprache betreffend, können wir nur hoffen, dass der richtige Ton gefunden wird. Nach unserem Gefühl ist es nicht jener, auf den wir selbst positiv reagieren würden. Das heißt, die Sprache, die wir zum Beispiel oben im Aufruf lesen, muss zu diesem Zweck sachgerecht übersetzt werden, die Inhalte angepasst werden.

Die Latschen der anderen

Gäbe es im Osten hinreichend zivilgesellschaftliche Initiativen, könnte man an ihnen andocken, mit ihnen zusammenarbeiten, aber je dünner die Gegenden besiedelt sind, desto weniger Menschen, die sich dort schon einer Mehrheit oder doch einer lauten Minderheit entgegenstellen müssen, nicht unterstützt von der schweigenden Mehrheit. Menschen, die also wirklich Mut zu beweisen haben. Anders als wir in Berlin beispielsweise, wo eine offene Positionierung gegen rechts noch immer ungefährlich ist (auch hier gibt es ein paar Gegenbeispiele, aber wir reden vom allgemeinen Zustand einer Region). Wer nur das Großstadtleben kennt, kann nicht ermessen, was es bedeutet, sich gegen die Nachbarn im eigenen Dorf, die man alle namentlich kennt und häufig zu sehen bekommt, freiwillig oder nicht, offen gegen rechts zu stellen. Diesen Unterschied muss man berücksichtigen, wenn man eine Kampagne initiiert, die von Menschen vor Ort Engagement fordert.

Eine ganz schwierige Aufgabe, bei der man quasi aus seinen Schuhen und in die manchmal nicht sehr wohlriechenden Schuhe anderer treten  muss, um deren Gang ein wenig besser kennenzulernen. Für die Bewältigung dieser Herausforderung wünschen wir allen, die sich im Osten gegen rechts engagieren wollen, vor allem eines, ganz ironiefrei: viel Glück!

TH

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