Scarface (USA 1983) #Filmfest 1013 #Top250

Filmfest 1013 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (134)

Scarface (Alternativtitel: Scarface – Toni, das Narbengesicht) ist ein US-amerikanischer Spielfilm des Regisseurs Brian De Palma, in dem Al Pacino die titelgebende Hauptrolle spielt. Der Film ist eine von De Palma sehr frei interpretierte Neuverfilmung des Originals von Howard Hawks aus dem Jahre 1932.

Im Abspann steht, der Film sei Ben Hecht und Howard Hawks gewidmet, dem Regisseur und dem Drehbuchautor des „Originals“. Bearbeitet hat dieses Originaldrehbuch für die Neuverfilmung übrigens niemand Geringerer als Oliver Stone.

In der letzten Szene fällt Scarface Tony in seinem Haus in ein Wasserbecken, vor dem eine vergoldete Skulptur steht, verziert mit einer neonbeleuchteten Aufschrift: The World Is Yours. Im Originalfilm „Scarface“ von 1932 fällt Tony in den Dreck und über allem flimmert eine Werbebotschaft mit dem Titel: The World Is Yours. Trotzdem hätte ich gedacht, das Remake eines solchen Films könne allenfalls eine Aufgabe für Martin Scorses oder Francis Ford Coppola sein. Aber es war Brian de Palma, der diesen heute noch hochgeschätzten Film inszeniert hat.  Aktuell gilt er als Nr. 106 unter den besten Filmen der Welt, wenn man die IMDb-Liste der Top 250 heranzieht (8,3/10). Damit steht er allerdings, anders als es bei Scorsese oder Coppola der Fall wäre, ziemlich einsam an der Spitze von de Palmas Werk, mit „Carlito’s Way“ hat der nächste Film schon 0,4/10 Rückstand und es geht herunter bis in die Vierer-Kategorie, was Trash nahekommt. Ein Glücksgriff also in einem Werk, das von starken Qualitätsschwankungen gekennzeichnet ist? Dies und mehr klären wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

Im Mai 1980 öffnete Fidel Castro den Hafen von Mariel in Kuba, um kubanische und amerikanische Familienangehörige wieder zusammenzuführen. Dabei zwang er die Bootsbesitzer, die in die Vereinigten Staaten fuhren, auch Oppositionelle, Kriminelle und psychisch Kranke mitzunehmen. Von den 125.000 Einwanderern, die nach Florida kamen, waren Schätzungen zufolge 25.000 vorbestraft (Mariel-Bootskrise).

Unter ihnen befindet sich auch der verarmte Ex-Sträfling Antonio „Tony“ Montana, der in den USA sein Glück versuchen möchte. Nach einem hitzigen und von einem Wutausbruch gekennzeichneten Gespräch mit den Grenzbeamten wird er in eine Art Sammellager, die sogenannte „Freedom Town“, gebracht. Nachdem er dort Rebenga, einen ehemaligen hochrangigen Kommunisten, während eines Aufstandes getötet hat, werden er und einige seiner Freunde mit einer Greencard aus dem Lager entlassen.

Mit seinem Freund Manny arbeitet er zunächst als Tellerwäscher, bekommt aber schließlich die Möglichkeit, mit Omar Suárez im Drogenmilieu mitzumischen. Tony und Manny Ray sollen im Sun Ray Hotel von dem kolumbianischen Drogendealer Hector Kokain erwerben. Neben Tony und Manny kommen noch Chi Chi und Angel Fernandez mit zum Deal. Tony und Angel gehen ins Apartment, um das Geschäft unter Dach und Fach zu bringen, während Manny und Chi Chi draußen warten. Angel stellt sich an die offene Tür, damit er sehen kann, ob alles in Ordnung ist. Manny flirtet intensiv mit einer jungen Amerikanerin, so dass er nicht bemerkt, dass Angel und Tony in einen Hinterhalt geraten, und nun von Hector mit dem Tod bedroht werden, falls Tony ihm nicht das Geld gibt, das sie für die Drogen bezahlen sollten. Tony lässt sich allerdings nicht von Hectors Drohungen einschüchtern, wofür sein Freund Angel einen hohen Preis zahlen muss: Er wird im Apartment von Hector brutal mit einer Kettensäge ermordet. Manny und Chi Chi bemerken, dass irgendwas nicht stimmt, und gelangen gerade noch rechtzeitig ins Appartement, um Tony zu retten und die Komplizen von Hector zu erschießen. Dieser kann mit der Kettensäge bewaffnet zunächst noch entkommen, wird aber von Tony verfolgt, gestellt und auf offener Straße erschossen. Anschließend fliehen die drei Überlebenden mitsamt dem Kokain vom Ort des Geschehens.

Tony und Manny lernen danach Frank Lopez kennen, für den Tony in Freedom Town Rebenga getötet hatte; Lopez hat dies als Rache für seinen Bruder veranlasst, der von Rebenga getötet worden war. Lopez führt Tony ins Geschäft ein und schnell macht sich Tony einen Namen auf der Straße, was Lopez wiederum missfällt.

Die nächste Station ist Cochabamba in Bolivien, wo Tony ein millionenschweres Geschäft mit dem Drogenbaron Alejandro Sosa abschließt, in dessen Verlauf Lopez‘ Handlanger Omar als vermeintlicher Informant der Drogenbehörden enttarnt und ermordet wird. Allerdings hat Tony den Geschäftsabschluss ohne die Zustimmung seines Bosses vollzogen, wodurch der Bruch mit Lopez erfolgt. Dieser hetzt Tony, der auch ein Auge auf Lopez‘ Frau Elvira geworfen hat, zwei Killer auf den Hals. Tony schießt auf die beiden und verletzt sie schwer. Anschließend nimmt er Rache an Frank Lopez und dem ihm zuarbeitenden korrupten Polizisten Mel Bernstein, indem er beide hinrichtet, und so zum Gangsterkönig von Miami aufsteigt. Er errichtet ein Imperium, heiratet Elvira und führt die Geschäfte mit Sosa weiter. (…)

Rezension

 Also ist diese Skulptur („The World is Yours“) eine Abwandlung, eine Hommage. An Ben Hecht, den Drehbuchautor, an Howard Hawks, den Regisseur des Originalfilms von 1932. Dessen Handlung spielt auf den Aufstieg von Al Capone an, allerdings nicht auf dessen Fall, der unspektakulärer war, nur hat man aus der italienischen Mafia und den Iren von 1932 eine Schwemme kubanischer Einwanderer im Jahr 1980 gemacht, die von Fidel Castro geschickt von der Insel in die USA geschickt wurde. Im Rahmen der Familienzusammenführung durften ca. 125.000 Kubaner auswandern. Neben den etwa 100.000 erwünschten Immigranten gab es allerdings ca. 25.000 verurteilte Schwerverbrecher, und zu denen zählt auch Tony Montana, genannt „Scarface“.

Die Narbe ist gar nicht so auffällig, der Typ hingegen schon. Wer Michael Corleone in „Der Pate I“ und „Der Pate II“ von F. F. Coppola spielen konnte, der wird allemal geeignet sein, einen kubanischen Emporkömmling zu geben, der sich den Weg an die Spitze der Drogenmafia freischießt. So dachte wohl Regisseur Brian de Palma, und das stimmt und stimmt wieder nicht. Während der junge Corleone, Sohn von „Don Vito“, anfangs ein richtig sympathischer, staatstragender Typ ist, der im Zweiten Weltkrieg im US-Militär gedient hat und mehr oder weniger gezwungen wird, in die Familiengeschäfte einzusteigen, ist Tony Montana das genaue Gegenteil. Der Mann hat noch nie etwas Legales gemacht, ehrlich gearbeitet oder zwei Sätze hintereinander ohne Fäkalwort gesagt. Und er hat ein ganz lockeres Verhältnis zur Gewalt, ein ebensolches zu Loyalität und Ehre, und das betrifft auch die Loyalität, ohne die Gangsterorganisationen nicht funktionieren können. Wenn jeder sein eigenes Ding machte und sich für schlauer als alle anderen hielte, dann käme in der Tat ein solches Ende heraus wie in „Scarface“. Nämlich ein poppig hochstilisierter Kugelhagel in ebensolcher Umgebung, nämlich dem Haus, das Tony sich mittlerweile auf einem Millionenhügel hat erbauen lassen und das ebenso pompös wie geschmacklos ist.

Ultralogisch, dass „Scarface“, der zu Beginn der 1980er so stylisch war wie kein anderer Gangsterfilm, in die Kultur des Hip-Hop, insbesondere des Gangsta-Rap Eingang gefunden hat. Die Ästhetik der Videoclips dieser Musikrichtung, auch die Texte der Songs, die Attitüden der Gangsta-Rapper, sie alle finden Wurzeln in „Scarface“ und in den Filmen, die wiederum auf „Scarface“ aufbauen. Dieses Werk war ein Bruch mit dem zwar ebenfalls schon gewalttätigen, aber eher kritisch-realistischen Krimi der 1970er und weist über New Hollywood hinaus zu den heutigen Inszenierungen des Verbrechens als einer ritualisierten Form der Ressourcenbeschaffung im Kapitalismus und des Menschseins an sich.

Keine Frage aber, dass de Palmas Werk eben nicht verbrecherfreundlich sein sollte. Es macht sich unsere Faszination für Gewaltorgien gleichwohl zunutze. Tony ist ein wirkliches Arschloch, mit dem sich nur Menschen identifizieren können, die so schwach sind, dass sie lieber Arschlöcher wären als überhaupt keine Persönlichkeiten. Doch einmal wird dieses Negativbild geschickt durchbrochen, und das lasten wir de Palma tatsächlich an: Als sein bolivianischer Partner Sosa in New York mit Tonys Hilfe jemanden liquidieren lassen will, verhindert Tony dies, weil der unbequeme Typ mit seiner medialen Wirkung nicht allein in dem Auto unterwegs ist, das hochgehen sollte, sondern mit Frau und Kindern. Das war nicht abgesprochen, und bevor Tony die Frau und die beiden Kinder mit umbringen lässt, erschießt er lieber den von Sosa nach New York geschickten Attentäter. Dies löst den Endkampf aus, in dessen Verlauf Montana stirbt.

Dass junge Menschen sich dafür begeistern können, ein solches, im Grunde vollkommen leeres und recht kurzes Leben wie Tony zu haben, sagt einiges über die Alltagskultur insbesondere, aber nicht nur in den USA aus. Die Identifikation kommt vermutlich schon mit der Tatsache, dass Montana ebenso ungebildet wie rücksichtslos ist und das eine aus dem anderen gespeist wird. Und wie er sich gegenüber den alten Geldsäcken im Restaurant auskotzt, in dem es  zum Eklat mit seiner Freundin Elvira (gespielt von einer verführerisch jungen und schönen Michelle Pfeiffer) kommt. Die Gangster der alten Garde, besonders im Film noir, waren dagegen geradezu zivilisiert, manche erschienen uns wie gute Freunde, die zufällig auf der falschen Seite des Lebensflusses geboren worden waren oder die von einem mächtigen Schicksal auf ihr unseliges Ende hingetrieben wurden. Für so etwas hat man eher Verständnis, da fühlt man sogar mit, wenn die Figur differenziert und kompetent gespielt wird.

Bei Tony ist davon nichts zu spüren, zumindest nicht, wenn es darum geht, Sympathie für jemanden zu wecken, der auf der schiefen Bahn ist. Dafür kommt aber die Faszination durch die Inszenierung zustande. Die poppige, sinnfreie, aber auch signifikante Musik des damals sehr beliebten Giorgio Moroder, die eine ganze Ära von Filmmusiken der 1980er prägte oder inspirierte, tut ein Übriges, um das Künstliche des Szenarios zu unterstreichen. Die Stilisierung ist seitdem weiter vorangetrieben worden, aber „Scarface“ ist visuell und in der Art, wie Figuren aufgebaut werden und wie Gewalt eingesetzt wird, ein Meilenstein. Eines hat er allerdings nicht, was später, etwa bei Quentin Tarantino und den Coen-Brüdern eine ironische Brechung verursachte: Den augenzwinkernden Humor, der auf eine durchaus perfide Art suggeriert, es sei alles nicht echt und alles nicht so schlimm.

Formal ist „Scarface“ also hochmodern, inhaltlich lehnt er sich aber an die Gangsterepen an, die seit dem bahnbrechenden „Underworld“ von 1927 (Drehbuch: ebenfalls der erwähnte Ben Hecht, Regie: Josef von Sternberg) immer wieder Einblicke in das gaben, was die Welt zusammenhält: In das von allen gesetzlichen Auflagen befreite Geschäft mit dem Geschäft, mit der Geldbeschaffung als Selbstzweck, die anhand zweier  Geldzählvorgänge in „Scarface“ sinnfällig inszeniert wird. Der amerikanische Traum ist auf Schwarzgeld aufgebaut, mithin auf Geld aus illegalem Business, sagt Tony Montana, und so mögen wir’s gerne glauben. Jedenfalls ist er das zu einem zumindest bis dato größeren Teil als der Wohlstand in Europa, der sehr viel langsamer gewachsen ist und weitgehend auf handwerklich-industriellen Entwicklungen fußt. Wo aber die Finanzwirtschaft gebraucht wird, sieht man im Film auch: als Geldwäsche-Automat, und die Banker haben auch das Recht, um ihre Unverzichtbarkeit (heute heißt es „Systemrelevanz“) wissend, sogar gegenüber Drogenbossen wie Tony eine gewisse Arroganz an den Tag zu legen.

Gerade an den Stellen, an denen „Scarface“ das Original zitiert, wie etwa in der Szene, in der Tony seiner Mutter Geld geben will, diese es aber als „schmutzig“ ablehnt, seine Schwester nimmt es jedoch an, wirkt der Film etwas dogmatisch und ungelenk, man merkt, dass diese Reminiszenzen nicht so recht ins bunte Miami und die Welt der Drogen-Großkopferten passen mag, die das Szenario beherrschen – der Film wirkt nicht so integral und einheitlich wie das Original, obwohl er in der IMDb eine formidable Nutzerwertung von 8,3/10 hat und damit auf Platz 111 der besten Filme aller Zeiten steht, das Original aus 1932 kommt auf 7,8/10 und ist ein gutes Stück von dieser Liste entfernt (Stand der Recherche: 24.04.2015).

Finale

Brian de Palmas Version vom Aufstieg und Fall eines Verbrechers leidet ein wenig unter dem, was wir zuletzt in „The Black Dahlia“ schon moniert haben, wobei „Scarface“ aus einer Zeit stammt, die man als Hochphase in de Palmas Schaffen bezeichnen muss. Das heißt, er ist nicht ganz so zitatehaft, so eklektizistisch und maniriert wie das mehr als 20 Jahre später entstandene, zitierte Werk, aber ob er wirlich einen tieferen Gehalt hat, darüber kann man bereits streiten. Nicht hingegen darüber, dass es ihm, und das ist auch ein wenig de Palma-typisch, an einer straffen Dramaturgie mangelt. Diese Verdichtung ist nachrangig gegenüber den Show-Werten und weist auf die postmoderne Masche hin, dass famose Bilderwelten dazu dienen, den Mangel an inhaltlicher Griffigkeit und Dynamik zu kaschieren.

Nicht, dass „Scarface“ keinen nachvollziehbaren Inhalt besäße, ganz im Gegenteil, der Weg des Tony Montana, von seiner Ankunft in den USA bis hin  zu seinem Ende, werden logisch nachvollziehbar und ohne Brüche dargeboten – nur die Dichte, die packende Knappheit der legendären Gangsterfilme aus den 1930ern, die fehlt ebenso wie die düstere und durch innere Spannungen in den Figuren erzeugte Stimmung im Film noir. Selbstverständlich ist „Scarface“ aber ein wichtiger und ansehnlicher Gangsterfilm.

80/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Brian De Palma
Drehbuch Oliver Stone
Produktion
Musik Giorgio Moroder
Kamera John A. Alonzo
Schnitt
Besetzung

 

 

 


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