Ukraine-Militärhilfe verdoppeln? (Umfrage + Lage + Leitkommentar) | Briefing 363 | Geopolitik, Wirtschaft

Briefing 363 Geopolitik, Wirtschaft, Ukraine, Russland, Ukrainekrieg

Uns geht es so: Der Ukrainekrieg hat viel mehr direkte Auswirkungen auf Deutschland als der neu aufgeflammte Nahostkonflikt. Trotzdem verdrängt Letzterer Ersteren aus den Schlagzeilen. Das hat nicht nur mit dem Neuheitsfaktor zu tun.

Zumindest nicht bei uns. Eine schlimmere Entwicklung hätte es gar nicht geben können. Denn nichts emotionalisiert uns so sehr wie das, was in Israel und Palästina geschieht, außer Geschehnissen in Deutschland und direkt in unserer Umgebung. Aber nur dann, wenn sie eine bestimmte Größenordnung erreichen, was sehr selten vorkommt. Eigentlich gar nicht. Was aber wird derweil aus der Ukraine? Dort tobt der Krieg seit nunmehr 20 Monaten und guter Rat wird immer teurer, in Waffenlieferungen gerechnet. Und ist es überhaupt ein guter Rat, immer mehr Waffen zu liefern, nur um allenfalls den Status Quo zu halten? Die Spatzen pfeifen mittlerweile von den Dächern, dass es in der Ukraine kaum ein Vor und  Zurück gibt. Man muss sogar eher befürchten, dass Russland neue Kräfte sammelt, als dass die Ukraine noch weitere Reserven mobilisieren kann. Woher nehmen? Nun will Deutschland die Militärhilfe für die Ukraine im Jahr 2024 verdoppeln, von 4 auf 8 Milliarden Euro:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Ankündigung der Bundesregierung, die militärische Unterstützung für die Ukraine von aktuell 4 auf 8 Milliarden Euro zu erhöhen? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Nach den USA ist Deutschland der größte Geldgeber und zweitwichtigste Waffenlieferant der Ukraine. Dem „Kieler Institut für Weltwirtschaft“ zufolge hat Deutschland insgesamt bereits über 17 Milliarden Euro an militärischer Unterstützung für das von Russland angegriffene Land bereitgestellt. Die deutschen Militärhilfen für die Ukraine sollen 2024 von aktuell vier auf acht Milliarden Euro verdoppelt werden. Beratungen darüber finden morgen im Haushaltsausschuss des Bundestages statt. Darüber berichtete der RND am Sonntag. 

„Das ist auch ein starkes Signal an die Ukraine, dass wir sie nicht im Stich lassen“. So begründete Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Ampelpläne am Sonntag in der ARD. Ähnlich äußerte sich SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz. Dieser nannte die Verdopplung in der BamS „richtig und wichtig”. Damit würde „das Versprechen an die Ukraine mit dem nötigen Geld hinterlegt.” Zugleich sei es ein großer Erfolg der Ampel, dass Deutschland somit auch das Zwei-Prozent-Ziel der Nato im nächsten Jahr erfüllen könnte.  

Hierzulande sprechen sich Linke und AfD gegen weitere Militärhilfen aus. Grund ist ihre Sorge vor einer Ausweitung des Krieges. „Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung gegen den Angriff Russlands. Aber mehr Waffen-Lieferungen werden nicht zu einem Ende des Krieges führen – das geht nur mit Verhandlungen und Diplomatie”, heißt es etwa auf der Webseite der Linkspartei.

In Europa spricht sich derzeit Ungarn gegen weitere EU-Gelder für die Ukraine aus. Der ungarische Staatschef Victor Orbán begründete dies u.a. mit dem Umgang der ethnischen Ungarn in der Ukraine, berichtete der Merkur im Oktober. 

Mehr Fakten und ehrliche Lageeinschätzung

Wird das Geld dafür aus dem deutschen Militärhaushalt, aus dem Rüstungsbudget abgezweigt bzw. auf ihn draufgeschlagen, damit man das ominöse und in Wahrheit nicht zielführende 2-Prozent-Ziel erreicht? Das wäre im Grunde Augenwischerei, denn damit würde nicht die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gestärkt, die ja der Hintergrund für vermehrte Rüstungsanstrengungen sein sollte. 

Anders als die USA, der nominell größte Geld- und Waffengeber, verschenkt Deutschland die Waffen und das Geld an die Ukraine, während die USA nach altbewährter Manier Kredite vergeben und deren Rüstungsindustrie außerdem erheblich am Ukrainekrieg verdient. Diesen Unterschied kann man nicht oft genug betonen, auch wenn die Kredite kaum zurückgezahlt werden dürften, wenn die Ukraine ihre Staatlichkeit durch eine Gesamtbesetzung verliert. Auch, wenn es nicht zu diesem maximalen Erfolg für Russland kommt, dürfte es schwierig werden. Es  sei denn, die EU wird sich neben den aktuellen Hilfen auch daran erheblich beteiligen. Das wird mindestens dann der Fall sein, wenn offensiven Plänen der Kommission und ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen die Ukraine alsbald EU-Mitglied wird. Das heißt auch, besonders die Geberländer wie Deutschland haben eine große Aufgabe, eine bezüglich ihrer Größenordnung kaum zu überschätzende Mission vor sich, die sich mit dem Wiederaufbau eines zerstörten und schon vor dem Krieg nicht besonders wirtschaftsstarken Landes verbindet.

Dass die Deutschland nach den USA Nr. 2 bei den Waffenlieferungen sind, ist zwar richtig, aber  nicht die ganze Wahrheit. Relativ zur Größe seiner Volkswirtschaft gibt Deutschland mit Abstand am meisten von allen Ländern an die Ukraine. Dafür musste sich die Bundesregierung in den ersten Kriegsmonaten einem gewissen Herrn Müller ständig auf eine wirklich unverschämte Weise behandeln lassen nd sah sich Forderungen dahingehend ausgesetzt, was sie nicht alles noch mehr tun müsste. Zum Glück hat man wenigstens diesen Lautsprecher abberufen, dessen Übergriffigkeit bei uns dazu geführt hat, dass sich unsere Solidarität mit dem angegriffenen Land abgeschwächt hat. Wer so auftritt und außerdem erwiesenermaßen rechtsextremes Denken pflegt, kann nicht unsere Sympathie haben oder die Sympathie für sein Volk steigern.

Die Crux der deutschen Hilfe ist allerdings nicht der militärische, sondern der humanitäre Teil. Kein anderes Land tut auch nur entfernt so viel, in diesem Bereich. Eine Zeitlang war Polen das Fluchtland Nummer eins für Ukrainer:innen, aber Deutschland ist nun einmal ein Magnet, an dieser Erkenntnis führt nichts vorbei, und das wirkt sich so aus, wie wir es hier dargestellt haben: Top-Unterstützer der Ukraine: Deutschland ganz vorne, wenn man realistisch rechnet.

Die militärische Lage hingegen verbessert sich nicht, das merkt mittlerweile auch der Teil der Presse in Deutschland, der sich zu Beginn des Krieges besonders kämpferisch gab: Ukraine-Strategie des Westens ist gescheitert – jetzt geht es um eines (t-online.de). Wer etwas zurückhaltender war, konnte die aktuellen Meldungen problemlos schon etwas früher publizieren: Gegenoffensive erstarrt: Top-General fürchtet Stellungskrieg (fr.de).

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir haben unsere Meinung, dass die Ukraine das Recht hat, sich zu verteidigen, nicht geändert. Aber der Weg der Hilfe ist so, wie wir ihn schon vorgezeichnet haben, als es um Panzerlieferungen ging. Panzer, Flugzeuge und am Ende, wenn alles nicht reicht, Bodentruppen, weil die ukrainische Armee ausgepowert ist. Bei den Flugzeugen sind wir mittlerweile angekommen, auch wenn Deutschland hier nicht federführend ist. dafür wird heftig über die Marschflugkörper vom Typ Taurus diskutiert, die immerhin 500 Kilometer Reichweite haben und daher auch problemlos russisches Gebiet erreichen können. Deutschland hat aber selbst nur 150 Taurus-Einheiten, die tatsächlich einsatzfähig sind.

Das neue Defensiv-Defensiv-Narrativ

Das neue Narrativ ist aber nicht mehr: Die Ukraine muss die von Russland besetzten Gebiete zurückerobern, sondern sie muss wenigstens die 75 Prozent ihres Gebietes verteidigen können, die noch nicht besetzt sind.

Es hilft nichts, man muss die Lage immer wieder neu bewerten, wenn sich  neue Erkenntnisse zeigen, sonst fährt man unweigerlich alles gegen die Wand. Wir stehen deshalb dazu, dass wir anfangs, als ein Bewegungskrieg möglich erschien, offensiver bezüglich der Waffenlieferungen waren als jetzt und die Sanktionen zumindest nicht in Bausch und Bogen verworfen haben, sondern bloß skeptisch waren, angesichts der Wirkungslosigkeit dieses Mittels in bisher schon so vielen Fällen, ungeachtet der großen Bedeutung der Sanktionen selbst. Das Gas aus Russland betreffend, muss daran erinnert werden, dass Wladimir Putin Nord Stream 1 stillgelegt hat, nicht die Bundesregierung. Nord Stream 2 dürfte nach gegenwärtigen Erkenntnissen allerdings von ukrainischen Kräften gesprengt worden sein, mindestens mit Wissen der USA. Auch dieser Vorgang hat unsere Solidarität nicht unbedingt gefördert, denn es handelt sich nun einmal um einen gravierenden Angriff auf Eigentum eines befreundeten Staates.

Das Narrativ derer, die gerne mehr Waffenlieferungen hätten, ist also nun, dass diese notwendig sind, damit Russland nicht komplett durchmarschiert. Natürlich, es gibt immer gute Gründe, jetzt sind es 75 Prozent des Territoriums, in einem Jahr vielleicht 50 Prozent, 2025 dann 25 Prozent. Inzwischen werden weitere Hunderttausende von Menschen gestorben sein. Wenn man jetzt alles auf einmal liefert, was das eigene Waffenarsenal noch hergibt, könnten es dann vielleicht 60 anstatt 40 Prozent sein, 80 inklusive einiger Rückeroberungen anstatt 75? Wer weiß das schon. Die Experten sind sich uneinig, also können wir dazu keine schlüssige Angabe machen. Fest steht aber, dass es so gut wie unmöglich ist, die gesamten von Russland eroberten 130.000 km² zurückzuholen. Das ist ein Gebiet von der Größe der Ex-DDR, und vergleichen Sie damit einmal die Fortschritte, die bisher mit der Gegenoffensive erzielt wurden. Jene Offensive, die nun zum Erliegen kommt, weil einfach die Mittel und Menschen fehlen, um weiterzumachen wie bisher. Die Waffen, die geliefert werden, müssen auch sinnvoll eingesetzt werden können und dazu braucht es intakte Truppen.

Die Zeit spielt jetzt für Russland, das war vor einem Jahr noch nicht so eindeutig. Das Land konnte aber seitdem seine Wirtschaft stabil halten, dank der Hilfe der „Neutralen“ bei der Abnahme von Rohstoffen und der Anlieferung von Technik, und dank der verstärkten Rüstungsproduktion.

Die Wirtschaft der gesamten EU hingegen leidet unter dem Krieg, am meisten die deutsche.

Die Ukraine ist nicht schuld an den deutschen ökonomischen Strukturproblemen, eher schon kann man Russland mit in die Verantwortung nehmen, weil es der deutschen Politik bereitwillig die Droge des billigen Gases zur Verfügung gestellt hat, die nicht nur die Energiewende verzögert, sondern auch die relevanten Strukturprobleme teilweise verdeckt hat. Das ist natürlich nur eine Art Zuschreibungsmodell, in Wirklichkeit poppt jetzt hoch, was wir kritisieren, seit es den (ersten) Wahlberliner gab, also seit mehr als zwölf Jahren: Es gibt hierzulande keine strategische Wirtschaftspolitik, sondern blanken Opportunismus und Lobbyismus, und ein Problem türmt sich auf das andere, ohne dass irgendetwas gelöst wird. Das schlägt immer stärker auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft im Hier und Jetzt durch. Wir können aber nun einmal anderen nur helfen, wenn es uns selbst wenigstens noch so lala geht, alles andere wäre selbstzerstörerisch. Von einer Entwicklung zum Besseren sollte man in den nächsten Jahren lieber nicht sprechen. Der verspätete Umbau der Ökonomie wird, falls er endlich kommt, Unsummen und bei den Reichen Teile des gehorteten Wohlstands beanspruchen. Zumindest dann, wenn er gerecht finanziert wird, was ja auch wieder nicht sicher ist. Es ist sogar unmöglich, solange neoliberale Klassisten an der Regierung beteiligt sind, und es wäre auch ohne sie nicht sehr wahrscheinlich. Das heißt, diejenigen, die ohnehin nicht viel haben, werden am meisten belastet werden.

Unter diesen Umständen und angesichts der Tatsache, dass Deutschland schon so viel für die Ukraine tut, haben wir uns entschieden, mit „eher nein“ zu stimmen. Derzeit gibt es eine knappe relative Mehrheit für „eher nein“ (ca. 12 Prozent) und „entschieden nein“ (ca. 32 Prozent).

Unsere Skepsis hat auch damit zu tun, dass es immer wieder zu Fehleinschätzungen kommt. Konnte die Bundesregierung die Entwicklung nicht besser voraussehen, obwohl ihr so viel Expertise zur Verfügung steht? Oder hat sie sich treiben lassen, weil sie in ein System eingebunden ist, das keine eigenständige Außenpolitik zulässt, obwohl sie es besser wusste? Kanzler Scholz trauen wir letzteres Verhalten durchaus zu, und es würde auch damit korrelieren, dass er vergleichsweise vorsichtig mit Erweiterungen aller Art ist. Was wir wiederum richtig finden.

Leider wird unsere Unterstützung für den Kanzler wegen der Ukrainekrise mittlerweile dadurch aufgezehrt, dass er nicht performt, wo es am meisten darauf ankommt, nämlich bei der Vermittlung einer Vision oder wenigstens einer Roadmap für die nächsten Jahre, die ein Bild davon entstehen lässt, wo man eigentlich mit diesem in immer stärkerem Maße fragmentierten Land hinmöchte. Stattdessen wird einfach eine Verdoppelung der Ukraine-Waffenhilfe durchgewunken. Alles ist faktisch, for the better or worse. Besonders worse ist, dass gerade das Bundesverfassungsgericht die Verschiebung von 60 Milliarden Euro in den Klimafonds gekippt hat.

Trotzdem will man an dieser Verdopplung der Waffenhilfe festhalten? Man sollte sich da wirklich nicht von der Opposition treiben lassen, die lieber das Land beschädigt, als mit der Regierung vernünftig zusammenzuarbeiten, nur, um aus dem Desaster politisch Kapital schlagen zu können, und schon gar nicht treiben lassen von Anforderungen, die von außerhalb des Landes an die Regierung herangetragen werden. Man darf gerne auf das verweisen, was man tagtäglich ohnehin tut.

Statt aber der hiesigen Bevölkerung mit einer stärkeren Herausstellung dieser Ausnahmeposition Deutschlands das Gefühl zu vermitteln, die Anstrengungen sind bekannt, werden gesehen und gewürdigt, geht es nur um Kampf und Krampf im Bereich der wenig erfreulichen Fakten. Nichts ist emotional mitnehmend und gibt den Menschen in diesem Land wieder Zuversicht, die so pessimistisch sind wie nie zuvor. Und das will etwas heißen, denn die Deutschen haben grundsätzlich nicht die sonnigsten Gemüter auf diesem Planeten. Die Generation Z ist in einem Zustand der negativen Zukunftserwartung gefangen, der zu allen notabene faktischen Problemen auch noch zu einer mentalen Krise geführt hat, die sich langsam festfrisst. Dies, obwohl Corona vorbei ist, das einige der Generation Z das eine oder andere schöne Jahr der Jugend „gekostet“ hat, wenn man die eingeschränkten Aktivitätsmöglichkeiten als Kosten bezeichnen will.

Ja, aber damals, als Krieg war! Da waren ja wohl ganz andere Opfer angesagt.

Nein, der Vergleich hinkt. Den letzten Krieg hatten die Deutschen selbst angezettelt, dafür mussten sie die Folgen verantworten. Das war bei der Pandemie nicht so. Sie war eine Ohnmachtserfahrung. Und sie spiegelt sich bei den Jüngeren in einer immer mehr wachsenden Distanz zur Politik und bei den Älteren in dem Gefühl, dass vieles, wofür sie lange gearbeitet haben, umsonst gewesen sein  könnte, weil die Politik das Land ruiniert. Wir betonen auch heute wieder pflichtgemäß, dass man dafür nicht die Ampelregierung alleine verantwortlich machen kann. Die Bundesregieurngen haben seit vielen Jahrzehnten zur aktuellen Deutschlandkrise ihren Teil an Ursachen beigesteuert. Auch wir Wähler:innen, die diese Politik akzeptiert oder gar gewollt haben, sind verantwortlich. Wir kommen da nicht einfach so raus. Doch mit jedem Tag, den die Ampel länger regiert, wächst ihre Verantwortung für die aktuellen Zustände. Die Umfragewerte sind so grottenschlecht für die Regierungsparteien, dass es an der Zeit ist, dieses Zeichen endlich zu verstehen. Wir wollen keine Unionsregierung im Jahr 2025, wir wollen aber auch keine FDP mehr in der Regierungsverantwortung sehen, wir wollen keine grüne Inkompetenz und keine kommunikative Verstopfung bei der Person, die dieses Land führt. Was wollen wir also? Dass von hier und heute an endlich mit der Bevölkerung vernünftig in Richtung Zukunft kommuniziert wird und dass die Demokratie durch mehr Partizipation wiederbelebt wird, auch wenn es für die Politik mehr Aufwand bedeutet als das Durchregieren.  

Für eine Politik, die gerade wieder den Fehler macht, ein so schwieriges politisches Zeichen wie die Verdoppelung der Ukraine-Waffenhilfe nicht wenigstens mit guter Kommunikation in seiner negativen Wirkung etwas einzufangen, zu begleiten, also nicht in jeder Hinsicht von oben herab zu handeln.

Wenn zu der Waffenhilfe auch noch eine Kürzung des Sozialetats treten sollte, weil das Geld für den Klimafonds erst einmal weg ist, dann wird zwar eine garstige vorgebliche Umfragen-Mehrheit das cool finden, aber das sind jene, die nicht merken, wie damit weitere Schäden angerichtet werden. Eines muss jetzt erkannt werden: Dass die vorhandenen Mittel gebraucht werden, um Deutschland zu stabilisieren, und nicht immer mehr Geld in fragwürdige Unternehmungen zu investieren. Es gibt keine unbegrenzte Solidarität. Wenn wir aus Überzeugung schreiben, die darf es nicht einmal mit Israel geben, nicht in der Form, dass alle dortigen Entwicklungen vorbehaltlos unterstützt werden, dann trifft das umso mehr für die Ukraine zu. Natürlich wird es heißen, man habe nicht genug getan, wenn Russland in der Ukraine weitermarschieren sollte, aber welche Aufgabe hat Deutschland eigentlich? Mitzumachen, seinen Teil zu leisten oder immer voranzugehen, obwohl die Mittel dazu nicht mehr ausreichen? Sie würden es ja, wenn man endlich den Reichen, die von der Steuerungerechtigkeit jahrzehntelang bestens profitiert haben, eine Krisenabgabe aufbrummen würde, aber dazu fehlt, wie zu so vielen anderen in diesen Zeiten logischen Maßnahmen, der Mut, außerdem regiert die Klientelpartei der Wenigen, die FDP, das betreffende Ressort, und verhängt lieber eine Haushaltssperre, eine Sperre gegen die Zukunft, als der eigenen Klientel ein paar Euro abzuverlangen.

Und damit haben wir den Grund, warum wir nicht ganz eindeutig mit „nein“ gestimmt haben. Es kommt nämlich doch auf eine Sache an: Wo kommen die Mittel für mehr Waffenhilfe her? Wieder von der Allgemeinheit, vom „Bauch der Nation“, unter Einschluss von Kürzungen bei den Ärmsten? Oder wird doch eine gerechtere Lösung für die Beschaffung dieser Mittel gefunden, nämlich dass die Profiteure der Krisen auch etwas beitragen? Wir erkären anhand eines Beispiels, was wir meinen: Die vielen Geflüchteten aus der Ukraine tragen mit zum Wohnungsmangel bei, weil sie unbedingt nicht in Sammelunterkünften untergebracht werden sollten. Das freut die Vermieter, die sich aus den  Engpässen goldene Renditen schnitzen. Wird diese Klasse von konservativen Kapitalisten nun auch ein wenig stärker in die Pflicht genommen? Wir haben bisher nichts dergleichen gehört. Im Gegenteil, die rechten Parteien wollen den ohnehin mageren Mieterschutz z. B. in Berlin weiter herunterfahren.

Wenn diejenigen, die am lautesten als Kriegstreiber hervortreten, nämlich das Kapital und seine politischen Handlanger vor allem in der FDP und der Union, das, was sie fordern, auch bezahlen, dann sind wir nicht dagegen, die Ukraine noch mehr zu ertüchtigen, wenn die Menschen in diesem Land selbst es richtig finden.

Denn letztlich müssen die Menschen dort selbst wissen, wie lange sie kämpfen wollen. Mit den Mitteln, die möglich sind, nicht mit solchen, die nur eine Hypthese bezüglich der Optimalaustattung darstellen. Mehr geht nämlich immer, das ist keine Frage, wenn überall im Westen die Rüstungsproduktion nur noch für die Ukrainehilfe arbeitet, und nicht mehr für die eigene konventionelle Landesverteidigung. Man kann auch Russland nicht totrüsten, dazu gibt es im konventionellen Bereich viel zu wenig aus, sondern verlässt sich auf die Sicherheit durch Atomwaffen. Verschwinden wird das Land durch die inneren Anspannungen, die der Ukrainekrieg verursachen könnte, sowieso nicht, auch wenn einige Strategen das hoffen. Es wird höchstens zu einem wirklich epischen weiteren Schlachten in der Ukraine kommen.

Wir hatten in einem früheren Artikel skizziert, wie ein Kompromissfrieden aussehen könnte.

Russland zieht sich aus den besetzten Gebieten zurück, dafür bleibt die Ukraine dauerhaft bündnispolitisch neutral, das ist der Kern dieses Vorschlags. Er wäre auch ein Lackmustest für die Putinfreunde. Geht es wirklich um Sicherheitsinteressen Russlands oder um Imperialismus? Stimmt Putin zu, könnte das Narrativ aufrechterhalten werden, es sei nur um Ersteres gegangen, wenn auch mit rüden Mitteln erkämpft.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Ukraine nicht zusammenbricht. Das Dilemma ist uns klar, aber es gibt ja noch andere Länder als Deutschland, die etwas tun können und einige halten sich auffällig zurück, die ebenfalls die westliche Wertegmeinschaft mitverteidigen müssten, die so gerne als durch den Ukrainekrieg gefährdet dargestellt wird. In Realpolitik umgesetzt wird diese Einschätzung aber vor allem in Deutschland, es ist eines der wenigen Länder, in denen echte Opfer gebracht werden. Auf die geschätzte Gesamtsumme, die weit über die gemäß dem verlinkten Artikel verbuchten 30 Milliarden Euro hinausgeht, kommen wir noch.

Die Sichtweise der Demokratie-Vorwärtsverteidigung in einer Region, in der es nicht besonders demokratisch zugeht, auch nicht in der Ukraine, wo 2014 eine gewählte Regierung weggeputscht wurde, weil sie nicht prowestlich genug war, haben wir von Beginn an nicht geteilt, sondern das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und die Hilfe zur Selbstverteidigung in den Mittelpunkt gestellt, wenn wir uns in etwa in dem Rahmen, in dem die Bundesregierung bisher tätig war, für Waffenhilfe ausgesprochen haben. Bisher heißt eben nicht, einfach mal verdoppeln, denn eines ist auch in unserem oben verlinkten Artikel nicht berücksichtigt.

Dreistellige Milliardensumme als wahre Größenordnung der deutschen Hilfe & Opfer für die Ukraine

Es geht darum, dass nicht nur die aktive Hilfe Deutschlands, mittlerweile weit über 30 Milliarden Euro inklusive des humanitären Teils, in Anrechnung gebracht werden muss, sondern auch die wirtschaftlichen Schäden durch den Ukrainekrieg, die, siehe oben, so groß sind wie in keinem anderen Land, berücksichtigt werden müssen, wenn man die Wahrheit im Ganzen umfassen will. Dies einbezogen, darf man von über 100 Milliarden Euro ausgehen, die Deutschland sich den Ukrainekrieg bisher hat kosten lassen, und die nächsten Energiepreissteigerungen sind schon in Sicht.

Welches Land auf der Welt macht das sonst und wieviel Undank bekommt Deutschland  dafür, und wie riskant ist das für die eigene Zukunft? Selbst, wenn man sagen würde, in der Ukraine wird der Westen verteidigt, muss man doch abwägend im Blick behalten, dass eine Destabilisierung Deutschlands und möglicherweise der gesamten EU durch diesen Krieg garantiert mehr Schaden für das westliche Bündnissystem und seine geopolitische Stellung anrichtet als ein russischer Erfolg in der Ukraine, selbst wenn es ein vollkommener Erfolg werden sollte. Dann hat sich der Westen wieder einmal verspekuliert, wie eigentlich immer seit 9/11, aber er wird wenigstens nicht im Kern beschädigt und könnte aus den vielen Fehlern der letzten Jahrzehnte endlich die Konsequenz ziehen, es weltpolitisch etwas vorsichtiger anzugehen. Nun ja, Wunschdenken, solange die USA struktuiert sind, wie sie nun einmal sind.

Die Fragilität der Demokratien

Ein weiterer Faktor ist die konkrete politische Lage in ebenjenen USA, die instabiler ist, als es nach außen den Anschein hat. Man hat es kürzlich wieder gesehen, wo die Ukrainehilfe erst einmal von den Republikanern blockiert wurde, als wieder einmal eine Schlacht um die Erweiterungsmöglichkeit des Schuldenbergs ausgetragen wurde. Ein mittlerweile gewohntes Ritual, das aber jedes Mal auch für  politische Inszenierungen und Erpressungen taugt.

Joe Biden ist in einer ähnlichen Lage wie die hiesige Ampelregierung, nämlich in der Defensive. Wenn die Republikaner die nächste Präsidentschaftswahl gewinnen, könnte es sein, dass die USA sich aus dem Ukrainekrieg zurückziehen, und wer ernsthaft glaubt, Deutschland könne allein oder auch nur als Führungsland einer Pro-Ukraine-Koalition deren Rolle übernehmen, muss – wieder einmal – größenwahnsinnig sein.

Da geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Einfluss und  um die Gestaltungsmacht, die Deutschland einfach nicht hat. Die nicht einmal die EU im Ganzen hat. Man kann sich endlos darüber aufregen, dass Putins Kalkül aufgehen könnte, den Krieg solange fortzuführen, bis die USA aussteigen. Letztlich ist das aber ein Problem des Westens, der Demokratien und der systemimmanenten Unzuverlässigkeit einer Führungsmacht, die schon seit Jahrzehnten unfassbar planlos in Konflikte hineingeht und dabei immense Schäden anrichtet. Was unter anderem dazu führt, dass einige sagen, so planlos kann doch diese Elite nicht sein, hinter dieser Destabilisierung immer weiterer Länder muss Absicht stecken.

Was es auch ist, es kostet den Westen in erheblichem Maße politisches Kapital, nicht etwa der Versuch, das aggressive und zähe Verhalten Russlands einzudämmen. Die Doppelstandards, die damit verbunden sind, werden überall außer im Westen auch deutlich gesehen.

Demokratien dürfen sich eben so kopflos nicht verhalten, weil nun einmal berücksichtigt werden muss, dass die Bevölkerung von Zeit zu Zeit etwas zu ihrem Schicksal beitragen will. Das macht Demokratien anfälliger und sensibler als Diktaturen, deshalb haben sie das Recht, einen großen Aufwand zu ihrem eigenen Schutz zu betreiben, auf mehreren Ebenen. Deshalb haben ihre Regierungen aber auch die Pflicht, über die eigene Existenz, über die einer Koalition hinauszudenken, sonst beschädigen sie die Demokratie im eigenen Land,  und damit ist niemandem geholfen außer den Feinden der Demokratie in aller Welt.

Die USA gerieren  sich aber als ein Imperium, das seine eigene Konstanz garantieren kann, so, als ob sie selbst eine absolut kohärente Strategie fahren könnten, obwohl dahinter in Wirklichkeit ein Schlingerkurs erkennbar wird. Verdeckt wird das durch die bleibenden Strukturen wie die NATO. Doch wir erinnern uns, wie Trump auch sie als Druckmittel gegen die eigenen Verbündeten verwenden wollte. Dreht sich irgendein Wind, gewinnt eine andere Strömung in der Politik die Oberhand, werden die Karten werden dadurch auch für uns als im Fahrwasser der USA Dahindümpelnde neu gemischt. Das hat man während der Trump-Präsidentschaft leidvoll erfahren müssen. Im Fall des Ukrainekriegs werden bei einem nächsten Move dieser Art die die Europäer in noch stärkerem Maße als bisher den Preis bezahlen, egal, wie der Ukrainekrieg ausgeht. Deutschland ist dabei aufgrund seiner krisenanfälligen, in Teilen veralteten, zudem exportorientierten und auf Rohstoffe von außen angewiesenen Wirtschaft besonders gefährdet.

Das richtige Zeichen ist  ein Nein unter den gegenwärtigen Voraussetzungen

Deswegen wäre jetzt das richtige Zeichen, angesichts der Finanznot in Deutschland und der kippeligen Wirtschaftslage, die Waffenhilfe zwar nicht einzustellen, weil irgendein Land ja zuverlässig an der Seite der Ukraine stehen muss. Jedoch sie zu verdoppeln, ist unter gegebenen Voraussetzungen nicht angängig.

Man kann überlegen, welche Waffensysteme man am sinnvollsten an die Ukraine gibt. Vielleicht sind es nicht die Panzer, die auf Minenfelder fahren, wie in einem Artikel jüngst geschrieben wurde, sondern doch eher die Taurus-Flugkörper. Aber was immer es ist, es darf nicht das Doppelte kosten, während die humanitäre Hilfe unvermindert andauert. Denn seien wir ehrlich: Von den vielen Menschen, die ohne einen Asylantrag stellen zu müssen, aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, wird nur der kleinere Teil wieder ins Land zurückkehren, selbst wenn die Ukraine bestehen bleiben sollte. Die Mehrzahl der Übrigen wird noch lange staatlich unterstützt werden müssen und die Infrastruktur wird noch lange an der Belastungsgrenze sein, selbst wenn man endlich mehr in sie investiert. Durch eine Stimmung des Anpackens könnte man einiges bewirken, aber die Regierung tut genau das Gegenteil, wie schon die Merkel-Administration. Fakten werden geschaffen und ohne größere Empathie dargereicht und die Bevölkerung muss zusehen, wie sie damit klarkommt.

Der Zustrom nach Deutschland wird auch nicht ohne weiteres aufhören, wie man daran sieht, dass zum Beispiel immer noch viele Menschen aus Afghanistan, Syrien und neuerdings auch welche aus der Türkei hierzulande um Asyl nachsuchen. Die Herausforderungen sind und bleiben gewaltig und eine Politik der vollkommenen Zerfledderung ihrer selbst in unzählige unlösbare Aufgaben ist Gift für die Stimmung im Land.  Überall Baustellen, aber keine Richtfeste.

Dies befördert das ohnehin immer mehr dominierende Gefühl der Menschen, all dem hilflos ausgesetzt zu sein und es durch demokratische Entscheidungen überhaupt nicht beeinflussen zu können. Das bedeutet psychologisch auch, die Ohnmacht aus der Corona-Zeit setzt sich fort, keine Krise wird gelöst, sondern es treten immer neue  und folgenträchtigere Problemstellungen hinzu.

Auch deshalb braucht es eine andere Politik

Eine Politik, die erklärt, wie die gesellschaftlichen Spaltungen überwunden werden sollen, die durch immer weitere weltpolitische Eruptionen wie den Ukrainekrieg und nun auch wieder den Nahostkonflikt hierzulande erzeugt werden. Und sie muss es nicht nur erklären, sie muss nachhaltige Lösungen dafür auch finanzieren und darlegen, was sie jetzt und in Zukunft zu tun gedenkt, um die Krisenresilienz zu erhöhen.

Solche Zukunftsgestaltungsmaßnahmen sind prioritär vor allen Rüstungsprojekten, die über die Sicherung der eigenen Landesverteidigung hinausgehen. Deutschland nimmt mehr Geflüchtete auf als alle anderen EU-Länder, es kann nicht auch noch mehr Waffen liefern als alle anderen zusammen. Überzogenen Forderungen diesbezüglich nachzugeben, ist unfassbar opportunistisch und kurzsichtig, wenn man nicht auf der Einnahmeseite umgehend gravierende Änderungen vornimmt. Da es zu diesen, in dem Sinne, dass Mehreinnahmen generiert werden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht kommen wird, weil man damit unangenehme Widerstände überwinden müsste, muss man eben bei den Ausgaben die richtigen Prioritäten setzen.

Irgendwann und in einer Form holen Fehler eben die Politik ein. Die Stunde der Wahrheit ist nicht erst heute gekommen, aber sie hat für sich selbst eine Verlängerung erwirkt. Das bedeutet aber auch, es gibt jeden Tag eine neue Möglichkeit, es besser zu machen als bisher. Zum Beispiel, indem man die Waffenhilfe für die Ukraine auf dem bisherigen hohen Niveau belässt, anstatt sie noch weiter zu expandieren.

TH

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