Gefährliche Wanzen – Tatort 43 #Crimetime 1185 #Tatort #Stuttgart #Lutz #SDR #Wanze

Crimetime 1185 – Titelfoto © SDR, Jehle

Technik, besser als im Film

Gefährliche Wanzen ist die 43. Folge der ARD-Krimireihe Tatort. Die Erstausstrahlung der vom Süddeutschen Rundfunk produzierten Folge erfolgte am 29. September 1974 im Ersten und konnte Zuschauer in einem Marktanteil von 59 % binden.[1] Für Kriminalhauptkommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher) ist es sein vierter Fall.  

In „Gefährliche Wanzen“ kann man schön sehen, wie die ARD sich ihre späteren Kommissare gezüchtet hat, indem sie diese erst einmal als Schurken eingesetzt hat – besonders bei Karl-Heinz von Hassel , dem späteren Frankfurt-Kommissar Brinkmann, ist das auffällig und war schon in vielen Tatorten jener Anfangsjahre zu beobachten. Auch der spätere Kommissar Bienzle, Dietz-Werner Steck, ist in einer Nebenrolle zu sehen.

Insgesamt ist die Besetzung, rückwirkend betrachtet, toll, aber zum Zeitpunkt des Drehs von Tatort Nr. 43 waren diese Darsteller noch nicht sehr bekannt. Auch eine Gastrolle für einen anderen ARD-Kommissar gab es: Für Trimmel aus Hamburg. Auch diese Kurzauftritte von Kollegen waren damals in Tatorten häufig und gerne ein wenig herbeizitiert, wie leider auch in „Gefährliche Wanzen“. Hätte man in Karlsruhe und Umgebung nur einen einzigen Spezialisten für Abhörtechnik gehabt und nicht auf deren zwei zurückgreifen müssen, hätte Lutz nicht nach Hamburg reisen dürfen, was sein Vorgesetzter ohnehin nicht gerne sieht. In der Realität hätte man natürlich einen Spezialisten, wofür auch immer, zum Tatort reisen lassen, nicht dem Kommissar mitten im Ermitteln einen Ausflug gegönnt. Das war ein Anriss, mehr steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Die Gangster Scholl und van Ammen, die gerade aus der JVA Bruchsal ausgebrochen sind, schlagen an einem Autobahnparkplatz einen Autofahrer nieder und stehlen seinen PKW. Scholl wurde wegen Räuberischer Erpressung, van Ammen wegen Mordes verurteilt. Scholl will nach Karlsruhe, da van Ammen ihn entgegen der Absprache nicht dorthin bringen will, kommt es zwischen den beiden Gangstern zum Streit, Scholl greift van Ammen ins Lenkrad, der Wagen kommt von der Fahrbahn ab und landet kopfüber im Graben. Scholl klettert leicht benommen aus dem Wagen, nimmt dem reglosen van Ammen Waffe und Mantel ab und verschwindet, ohne sich um seinen bisherigen Komplizen zu kümmern. Scholl nimmt kurz darauf eine Autofahrerin als Geisel, um seine Flucht fortzusetzen. Er lässt sich bis kurz vor Karlsruhe mitnehmen, nimmt der Frau das Geld auf und droht ihr für den Fall, dass sie die Polizei oder irgendwen sonst über den Vorfall informiert. Lutz und seine Kollegen erscheinen am Unfallort, der Fahrer, dem der Wagen, sein Jacket und sein Mantel gestohlen wurden, ist ebenfalls dort. Van Ammen ist tot. Der fehlende Mantel, den Scholl nun trägt, wird bemerkt. Auch die Papiere des Autofahrers hat Scholl mitgenommen. Lutz kann den Sachverhalt rekonstruieren und vermutet, dass Scholl nicht Richtung Frankfurt, sondern an dieser Stelle von der Autobahn abfahren wollte, um die Richtung gen Süden zu ändern.

Scholl sucht eine Ölraffinerie bei Karlsruhe auf und schleicht sich auf das Gelände. Dort ist auch gerade Lutz, der den Leiter vom dortigen Wachdienst, Herrn Wöhrle, sprechen will. Wöhrle und Lutz kennen sich von früher, da Wöhrle früher auch bei der Polizei war. Er musste den Polizeidienst quittieren, weil er gegen Scholl als Verdächtigen handgreiflich wurde. Lutz fragt Wöhrle, ob er wisse, dass Scholl geflohen sei. Dieser hatte damals gedroht, Wöhrle fertig machen zu wollen, sobald er wieder draußen sei. Lutz befürchtet, er könne die Drohung jetzt wahrmachen, doch Wöhrle hat keine Angst. Scholl nimmt an einer Führung auf dem Raffinerie-Gelände teil. Lutz‘ Vorgesetzter Oberrat Mangold ist der Überzeugung, dass sich Scholl nach Frankreich abgesetzt hat, Lutz hingegen ist der Überzeugung, dass Scholl noch in Deutschland ist und sich an Wöhrle rächen möchte. Zudem spricht Scholl kein Wort Französisch, so dass er in Frankreich nicht arbeiten und leben könne. Mangold hört nicht auf Lutz und konzentriert die Fahndung auf die französische Grenze. Scholl ist derweil auf der Suche nach einem Restaurant, doch er findet nur ein geschlossenes vor. Der Wirt Witkowsky lässt ihn allerdings trotzdem herein und bekocht ihn. Witkowsky hat Scholl als entlaufenden Sträfling erkannt, lässt sich allerdings nichts anmerken. Scholl fällt auf, dass Witkowsky für einen Wirt auffällig gut gekleidet ist und eine teure Uhr hat. Scholl möchte zahlen, doch Witkowsky lädt ihn ein. Lutz ruft derweil Wöhrle an und informiert ihn, dass sich die Autofahrerin, die von Scholl gezwungen worden war, ihn mitzunehmen, sich als Zeugin gemeldet hat. Dies bestärkt Lutz in seiner Überzeugung, dass Scholl zu Wöhrle will und er mahnt seinen ehemaligen Kollegen zur Vorsicht. (…)

Rezension 

In manchem Tatort der Anfangszeit hat sich die Logik verblüffenderweise noch mehr gewissen Manierismen und sachfremden Anforderungen beugen müssen als heute. Deswegen war es gewiss auch damals schon schwierig, vernünftige, stringente Drehbücher zu schreiben. Von Beginn der Reihe an. Wer es trotzdem geschafft hat, der empfahl sich auch für höhere Aufgaben. Bei The Mezger, der „Gefährliche Wanzen“ inszeniert hat, war es eher umgekehrt, er kam vom Fernsehspiel zu dieser neuen Krimi-Reihe, die mittlerweile eine der am längsten laufenden weltweit ist.

Eine der Prämissen in „Gefährliche Wanzen“ ist, dass die Technik am Tatort besser ist als im Film, zum Beispiel bei der Verfolgung von Autos mittels Peilsender. Wir wissen nicht, ob es diese Wanzen für  Wagenböden wirklich gab, aber erstens ist es witzig, im Film vom Film zu sprechen, wie bei allen selbstreferenziellen Aussagen, zweitens ist es Unsinn.

Nehmen wir einmal die Peiltechnik zum Vergleich, die es schon in den 1960ern bei James Bond gab. Die erinnert stark an das heutige GPS mit Ortungstechnik für Mobiltelefone. Man konnte in aller Seelenruhe mit großem Abstand einem Wagen folgen, der auf einem Bildschirm als beweglicher Punkt zu sehen war. Superb. Wenn also, wie in „Gefährliche Wanzen“ ein Zug, der geschlossene Schranken an einem Bahnübergang verursacht, Verfolgten und Verfolger trennt, gibt es keinerlei Grund zur Hektik. Hingegen ist diese Art Geigerzähler-Peilsender nur dann wertvoll, wenn es piept, und das tut es erstens nicht auf sehr große Entfernung, zweitens – wenn das Signal weg ist, ist es weg. Niemand kann dann mehr fesettellen, in welche Richtung das Auto der Verfolgten gefahren ist. Ganz abgesehen davon, dass die große Antenne am Dienst-VW von Kommissar Lutz es ohnehin angeraten erscheinen lässt, nicht in Sichtweite des Vefolgten zu agieren.

Die Wanzentechnik in der Raffinerie ist hingegen so gut erklärt, dass die Darstellung einfach richtig sein muss. Es stimmt nämlich, dass man Elektrowellen mit einem Gerät orten kann, wie es im Film verwendet wird. In den 200ern war einmal der „Elektrosmog“ ein Gegenstand unserer vielen Ängste, und in dem Zusammenhang wurden solche Geräte eingesetzt – von Leuten, die Anti-Smog-Matratzen verkauften, und von ihnen, um Leuten klarzumachen, wie sehr sie möglicherweise krebsfördernden Elektrostrahlen ausgesetzt sind. Allerdings: Das relativ schwache Signal solcher Sender dürfte schwieriger als im Film zu orten sein, wenn es alle möglichen weiteren elektromagnetischen Felder gibt, und die gibt es in Büros und Produktionsstätten zuhauf. Besonders eindrucksvoll, wie unser erklärt wurde, wie Wanzen in Telefonen arbeiten, die keine eigene Energiequelle benötigen und daher zeitlich unbegrenzt einsatzfähig sind.

Man sieht schon, das Thema ist originell, die Möglichkeiten, das Publikum zu instruieren, sind vielfältig. Und, was denken wir darüber, die wir heute so medial übersättigt sind und beinahe jedwede Informaion, die man sich denken kann, googeln und uns von dort allenfalls noch vertiefend mit Papierliteratur befassen? Wir denken, die Menschen in den 1970ern fanden das, was in „Gefährliche Wanzen“ gezeigt wird, sehr spannend. Und da die Zuschauer überwiegend Deutsche waren und damit ohnehin einen Technikfimmel aufwiesen und sich gewiss auch nicht von der technokratischen Art dieser Szenen stören ließen, passte das alles wunderbar. Man darf nicht den Fehler machen, unsere heutige Wahrnehmung auf die 1970er zu übertragen, wenn man eruieren will, ob ein Tatort nach den Maßstäben jener Zeit als gut, spannend, schlüssig empfunden wurde.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2023: An die vorstehende Maxime halten wir uns aber auch nicht immer und nicht vollständig, sondern bewerten sehr wohl solche Filme auch aus heutiger Sicht, wenn auch in der Form, dass wir in der Regel diesen Zeitabstand in unsere Überlegungen einfließen lassen und das Zeitgeistige alter Tatorte stärker hervorheben als bei Krimis in Form von Kino-Spielfilmen.

Denn auch die Schärfe, mit der wir heute Logik-Gesichtspunkte angehen, wird es damals eher selten gegeben haben. Diesbezüglich haben wir auch unsere eigenen Ansichten im Lauf der Zeit ein wenig revidiert. Ursprünglich waren wir zu sehr von Kinoklassikern im Bereich Krimi oder Thriller als Maßstab ausgegangen, und da gab es schon vor vor langer Zeit beeindruckende Werke. Der Tatort aber war der Nachfolger der eher einfach gestrickten Stahlnetz-Reihe und von dort aus eine deutliche Weiterentwicklung. Das Dokumentarische war noch sichtbar, und Regisseur Theo Mezger hat es nicht nur in „Gefährliche Wanzen“ so sehr gepflegt, dass es gar nicht so einfach ist,  zu registrieren, wann es unschlüssig wird, sowohl technisch als auch bezüglich der Motive und Handlungsverläufe.

Außerdem hat er es geschafft, ein beachtliches Darsteller-Ensemble so nüchtern, ja hölzern wirken zu lassen, dass dagegen die Wirklichkeit geradezu exzentrisch gewesen sein muss, denn die unterschied sich in den 1970ern nicht ganz so sehr von der heutigen wie sich die heutigen Tatorte von denen der 1970er unterscheiden. Es ist eine Stilfrage, und der damalige Stil war auf Unterspielen angelegt, war eine bewusse Gegenreaktion zum Pathos der 1950er, das dem  Pathos der 1930er, also der NS-Zeit, entsprang. Auffällig zeigt sich dies zum Beispiel auch daran, wie sich der Ton in Nachrichtensendungen und Sportreportagen innerhalb weniger Jahre deutlich veränderte. Heute werden wieder viel mehr Emotionen vermittelt, das gilt fürs Journalistische ebenso wie für die fiktionalen Fernsehprojekte.

Dies bedeutet auch, dass man nicht das Tempo heutiger Handlungen zugrundelegen darf und auch nicht den extrovertierten Stil, den die heutigen Regisseure pflegen. Es wird sehr interessant sein zu sehen, wohin sich der Stil der Tatorte in den nächsten Jahren hin entwickeln wird. Wir vermuten, die postmodernen Handlungs- und Stilelemente, die nicht mehr auf eine vorgebliche Logik oder auf betont nüchterne, naturalistische Darstellung setzen, werden ihren Vormarsch fortsetzen.

Tatorte wie „Gefährliche Wanzen“, unabhängig von der Fortentwicklung der Technik, wird es nie wieder geben, weil diese Zwischenphase des nüchternen, vorgeblich dokumentarischen Erzählens so nicht wiederkehren wird.

Finale

„Gefährliche Wanzen“ wandelt sich im Verlauf von einem Flucht-Movie zu einem Industriespionage-Whodunit, das ist eine ungewöhnliche Handlungsführung, deren Verzahnung nicht perfekt ist, die aber davon kündet, wie damals das Prinzip Zufall noch ein fester Bestandteil des Konzeptes war: Die Wirklichkeit hält oft einen seltsamen Verlauf der Dinge bereit. Da man sich heute wieder mehr an klassischen Varianten von Plotanlagen innerhalb des Kanons der Erzähltheorie für fiktionale Texte orientiert, stören kleine Abweichungen von jenen Mustern, die erwiesenermaßen sehr gut auf die Bedürfnisse der Menschen als Empfänger rekurrieren, wesentlich mehr, als sie es in einem Film tun, der dem Leben abgeschaut wirkt, es aber nicht ist.

Heutige Tatorte sind einerseits optisch und auch inhaltlich viel anspruchsvoller als die der 1970er, andererseits müssen sie, um eine besondere Wirkung zu erzielen, viel mehr auf das Irrationale setzen, das uns allen innewohnt. Niemals hätte es in den ersten Tatortjahren eine Theater- und Filmzitate-Inszenierung geben können wie den bisherigen Höhepunkt aller Kunst-Tatorte, „Im Schmerz geboren“, der letztes Jahr Premiere feierte (2014, ein Jahr, bevor der Entwurf zu diesem Text entstand, Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung).

6/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Theo Mezger
Drehbuch Wolfgang Menge
Produktion
Musik Jonas C. Haefeli
Kamera Willy Pankau
Schnitt Hans Trollst
Premiere 29. Sep. 1974 auf ARD
Besetzung

 

 


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