Dogma (USA 1999) #Filmfest 1030 #Top250

Filmfest 1030 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (138)

Was Sie schon immer über Religion und (katholische) Kirche wissen wollten oder nicht

Dogma ist eine Fantasy-Satire des Regisseurs Kevin Smith aus dem Jahr 1999 und die Fortsetzung der New-Jersey-Filme. In seinem Film setzt sich Kevin Smith mit der Dogmatik der Ein-Gott-Religionen, speziell des Christentums, und der Institutionalisierung dieser Religion auseinander.

Als wir den Film auf der IMDb recherchierten, waren wir überrascht von der hohen Durchschnittswertung von 7,4/10. Unser Gedanke war, dass das etwas mit den Amerikanern und deren Zugang zur Religion zu tun haben muss. Der Unterschied zwischen US-Nutzern (7,5/10) und Nicht-Amerikanern (7,3/10) ist marginal und für US-Filme nicht unüblich. Ergänzend zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Textes fügen wir bei: 7,3/10 ist mittlerweile die Durchschnittswertung. Vor allem aber ist wichtig, dass der Film zumindest kurzzeitig Mitglied der Top-250-Liste der IMDb war. Es kam Ende der 1990er, als diese Liste „erfunden“ wurde, häufiger vor als jetzt, dass neue Filme Eingang fanden, aber die Fallhöhe ist groß – nicht nur zur heutigen Wertung, sondern noch mehr zu der unseren. Mehr darüber lesen Sie in der –> Rezension.

Handlung (1)

Nachdem die zwei Engel Loki und Bartleby vor tausenden von Jahren in die Ungnade Gottes gefallen sind und von ihm auf ewige Zeiten aus dem Himmel nach Wisconsin verbannt worden sind, möchten sie nun zurück nach Hause gelangen. Ein ihnen vom Todesengel Azrael zugespielter Zeitungsartikel zeigt einen möglichen Weg auf, denn ein Kardinal aus New Jersey bietet anlässlich der Einhundertjahr-Feier seiner Kirche allen Katholiken einen Generalablass zur Vergebung aller Sünden an, sobald sie diese Kirche betreten. Loki und Bartleby hoffen, so in den Himmel zurückkehren zu können. Damit wäre allerdings die Unfehlbarkeit Gottes widerlegt, und alle Existenz würde vernichtet werden.

Da Gott von einem Skee-Ball-Ausflug (in der deutschen Synchronisation: Minigolf) in Menschengestalt nicht wieder zurückgekehrt ist, muss die personifizierte Stimme Gottes, der Engel Metatron, die einzige überlebende Nachfahrin der Eltern Jesu, Bethany, davon überzeugen, dass sie die beiden Engel aufhalten muss. Unterstützung erhält Bethany vom dunkelhäutigen 13. Apostel Rufus, der sich darüber beschwert, dass er wegen seiner Hautfarbe nicht in der Bibel erwähnt wird, den beiden Propheten Jay und Silent Bob sowie der Muse Serendipity, die zwar andere inspirieren kann, selbst aber als Stripperin arbeitet, da sie als Autorin an einer Schreibblockade leidet.

Auf ihrer Odyssee nach New Jersey bekommen es Bethany und ihre Begleiter unter anderem mit einem Höllendämon, dem Golgathaner, zu tun, der aus den Exkrementen gekreuzigter Verbrecher entstanden ist. Sowohl ihn als auch Azrael können die göttlichen Freunde ausschalten. Währenddessen betätigen sich Loki und Bartleby als Racheengel und töten einen untreuen Ehemann und die Vorstandsmitglieder der Produktionsfirma einer Zeichentrickserie, da diese mit ihrem populärsten Produkt, einem goldenen Kalb, angeblich ein Götzenbild erschaffen und noch eine Reihe anderer schwerwiegender Sünden begangen haben. (…)

Rezension 

Trotzdem machen wir die gute Publikumsrezeption in den USA mal vorsichtig daran fest, dass die Amerikaner in religiösen Dingen zumindest pubertärer sind als Mitteleuropäer und alles irgendwie furchtbar wörtlich  nehmen, unter anderem die Bibel. Der Film hat wohl auch Glück, dass er den Katholizismus mehr aufs Korn nimmt als die übrigen monotheistischen Religionen / Konfessionen, sonst hätte es im   fundamentalistisch-protestantischen Teil der USA vielleicht mit der Bewertung anders ausgesehen. Andererseits – unter der Oberfläche sind auch dort die Leute vielleicht froh, endlich über die institutionalisierte Religion lachen zu dürfen.

Beim Metascore hingegen liegt der Film mit 62/100 schon eher dort, wo wir ihn ebenfalls ansiedeln. Das liegt nicht daran, dass wir bestimmte Aussagen nicht teilen würden, vor allem diese:

Institutionalisierte Religion führt zu Fanatismus, der wiederum führt zu  Krieg und damit verkehrt sich alles, was Religion sein sollte, ins Gegenteil: Intoleranz anstellte von Freundschaft, kruder Tunnelblick anstatt weltumarmende Spiritualität. Wer sich in unseren Tagen anschaut, was mal wieder dort los ist, wo die Weltreligionen aufeinandertreffen und größtenteils entstanden sind, im Nahen Osten, der weiß, dass Religion nicht nur Opium, sondern ein rasch wirkendes, tödliches Gift sein kann. Juden gegen Araber, Sunniten gegen Schiiten, mittendrin ein paar Christen ohne Lobby. Auch wenn die Konflikte bei näherer Betrachtung teilweise ethnischen Ursprungs sind, die Religion wird immer als Grund für die grausamsten Verbrechen hergenommen, die man sich vorstellen kann und niemand kommt über das kindliche Stadium der Vergeltung hinaus.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Dezember 2023: Der obige Absatz ist „original“, stamm aus dem Jahr 2014, ist nicht etwa durch den Krieg intendiert, der nach dem 7. Oktober 2023 entstanden ist. Eher ist wohl der Syrienkrieg gemeint, der im Jahr nach dem Entwurf zum „Herbst der Geflüchteten“ geführt hat.

Über die speziell katholische Einrichtung der möglichen Absolution haben wir uns kürzlich innerhalb der Tatort-Anthologie geäußert: Bei allem Charme, den sie zweifelsohne hat, wir stehen dem protestantischen Modell näher, das uns eben nicht die Möglichkeit gibt, mit ein paar Rosenkränzen alle menschlichen Verfehlungen abzulegen wie einen alten Mantel. Andererseits hat der Katholizismus, wo er nicht seine düstere, rückwärts gewandte Seite zeigt, auch mehr Lebensfreude-Potenzial als jede andere Religion außer vielleicht dem Buddhismus, und enfaltet eine mystische Pracht ohnegleichen mit seinen Engeln, dem Teufel und seiner Hölle und der großartigen Liturgie, die beweist, dass die Macher der katholischen Kirche ein Gespür dafür hatten, was eine gute Show ist. Man vergleiche einen katholischen Kirchgang mit einer Messe mit dem tristen Alltag, den die meisten Menschen über Jahrhunderte hinweg hatten. Kein Wunder, dass die so dargebotene, mithin manipulative Religion ein hervorragendes Instrument in der Hand der Herrschenden war.

Man darf nach unserer Ansicht jede Meinung über Religion äußern, aber es gibt Grenzen, die in der Verletzung der Gefühle anderer liegen. Denn diese Kränkungen tragen dazu bei, dass kein Frieden entstehen kann. Zwischenzeitlich haben wir beim Anschauen von „Dogma“ über diesen Aspekt nachgedacht und überlegt, wie Katholiken auf ihn reagieren könnten. Das überraschende Ergebnis: Er ist zu harmlos, um wirklich Wellen zu schlagen und die Religion und der Katholizismus werden zu rudimentär dargestellt.

Elemente des Films wie jenes, dass Jesus ein Farbiger gewesen sein soll, sind bekannt, mindestens gibt es Vermutungen in diese Richtung, aber dann eins draufzusetzen, indem ein ziemlich plumper Scheinfeminismus uns Gott als junge, charmante, aber etwas naive Frau, als das genaue Gegenteil von dem präsentiert, was der nach wie vor herrschenden Gottesvorstellung entspricht, falls wir eine haben, konterkariert die zugespitzte Engel-Konstellation, die den Film hätte tragen können und müssen. Es ist mal wieder zu viel von allem. Gerade der chaotische Anfang des Films nervt gewaltig, und wir fragen uns, was Leute machen, die sich mit den Aspekten des katholischen Christentums nicht auskennen. Wir hätten uns vermutlich vorher einlesen müssen, der Film bleibt uns  zunächst wichtige Informationen schuldig. Wir haben’s neulich bei einer anderen Rezension geschrieben: Versteck spielen an sich ist noch nicht spannend, wenn alle in den Verstecken kichern und furzen. Das gilt auch, wenn man nicht weiß, wer von den üblichen Verdächtigen jetzt wo steckt. Mit anderen Worten, aber das etwas Trashige passt durchaus zu „Dogma“, der seine Mission nicht gerade stilvoll verfolgt.

Die vielen Filmzitate zu erkennen, die hier verbastelt sind, erfordert eine Instruktion, gut, dass wir die meisten nicht entdeckt haben. Damit entfiel der Effekt, dass man sich immer freut, wie wenn man eine Quizfrage erraten hat, wenn man ein solches Zitat herausfindet – und sich damit die kritische Haltung ein Stück weit kaputt macht. Diese nicht nur in US-Filmen mittlerweile unendliche Zitiererei von älteren Filmen ist natürlich ein guter Trick, mit dem man  kenntnisreiche Menschen zufriedenstellen kann, weniger kenntnisreiche haben einfach Spaß auf einer anderen Ebene, weil sie die Anspielungen nicht identifizieren. Die Erklärung dazu gehört allerdings nicht zur Besprechung von „Dogma“.

Wirklich neue Erkenntnisse und Sichtweisen kann der Film nicht vermitteln, niemand wird durch ihn auf die Idee kommen, seine Position zur Religion zu hinterfragen. Er hat nicht die Relevanz. Und dass „Der Spiegel“ ihn mit Bunuels „Die Milchstraße“ verglichen hat, erschien uns ein wenig sehr hoch gezielt. In Wirklichkeit schaffen es die Amerikaner in ihrem Mainstream-Kino auf eine beinahe gespenstische Art, alles mit dem Banalisierungs-Fluch zu belegen, was nicht rechtzeitig auf die Bäume kommt.

Anmerkung 2023: Ob der Spiegel den Film mit „Milchstraße“ vergleicht oder der Film selbst diesen Vergleich gerne für sich in Anspruch nehmen möchte, geht aus dem kurzen Zitat in der Wikipedia nicht hervor.

„Eine unausgegorene Mischung aus gescheiten bis albernen, teils auch geschmacklosen Gags, vulgären Beimischungen in den Dialogen bis hin zu zahllosen cineastischen Verweisen und Anspielungen auf theologische Fragen. Seine Wirkung bezieht der Film eher aus dem oberflächlichen Gag-Feuerwerk als aus den wenigen Ansätzen zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens.“ – Lexikon des internationalen Films[4]

„[Eine] fromm-frivole Himmelfahrtsburleske, die den Vergleich mit Buñuels Pilger-Farce „Die Milchstraße“ nicht scheut.“ – Der Spiegel[5]

Mittlerweile habe ich einige Bunuel-Filme gesehen, „Die Milchstraße“ war nicht dabei, wohl aber ist klar, dass Bunuel einer der kühnsten Religions- bzw. Katholizismus-Kritiker der Filmgeschichte war. Da wir schon dabei waren,  haben wir  auch das Wiki-Zitat des Filmlexikons abgebildet. Wenn wir schon einmal weitgehend übereinstimmen, sollten wir das auch hervorheben. Die großen Diskrepanzen beziehen sich allerdings in erster Linie auf das, was in den 1950ern und 1960ern von der Seite kam, weil sie Filme vor allem unter Gesichtspunkten der – sic! – „katholischen Moral“ betrachtet hat. Erst, wenn ein Film den Moral-Passierschein bekam, durfte er auch künstlerisch wertvoll sein.

Schon der Anfang mit der Idee, allen, die in die Kirche kommen, Generalabsolution ohne Buße zu erteilen und aus Christus am Kreuz „Kumpel Jesus“ zu machen, um die Kirche in modernerem Gewand erscheinen zu lassen, wirkt reichlich infantil. Die Monty Pythons haben in „Das Leben des Brian“ bewiesen, wie man einen wunderbar satirischen, absurden Film über Religions- und Massenwahn macht, ohne religiöse Gefühle als solche zu beleidigen oder gar zu platt zu werden – allerdings hatte die Kirche das durchaus missverstanden. In „Brian“ wurde auch das Leben von Jesus mehr als nur gestreift, vielmehr in dem des Brian gespiegelt, aber der Unterschied zwischen falschen Propheten, verquasten Ideologien und dem Leben des (echten) Zimmermannssohn aus Galiläa blieb gewahrt.

Eine an Schreibblockade leidende himmlische Muse, der 13. Apostel und die zwei Propheten hätten locker ausgereicht, um den Film zu bevölkern, nebst den erwähnten Engeln, die sich Absolution verschaffen wollen und so eine dogmatische Lücke im Katholizismus zu nutzen gedenken. Der dunkle Engel Azrael tritt ebenfalls auf, sowie ein göttliches Stimmwerkzeug namens Metatron. Der Film ist die halbe Zeit damit beschäftigt, sein eigener Talking Head zu sein, damit man noch halbwegs mitkommt, wer jetzt für was steht. Die Figuren müssen es dem Zuschauer weitschweifig erklären, und das ist bekanntlich keine gute Filmsprache. Als Hörspiel würde dies alles durchaus funktionieren, aber von einem Film erwarten wir mehr.

Dabei hat „Dogma“ durchaus Optisches zu bieten. Zum einen Linda Fiorentino als Bethany, letzte Nachfahrin von Jesus‘ Eltern Maria und Josef und daher auserwählt, die Welt zu retten. Wir haben ihre erotische Ausstrahlung schon als eines der Benefits von „Men in Black“ (1997) gewürdigt und sie sorgt auch in „Dogma“ dafür, dass man sich nicht in diesem Film verliert, sondern etwas wie einen Fixpunkt erhält. Außerdem ist sie tatsächlich als italienischstämmige Amerikanerin auch (zumindest geborene) Katholikin und wirkt schon deshalb auf eine nur knapp oberschwellige Weise glaubhaft in ihrer Rolle.

Die Darstellungen von Ben Affleck und Matt Damon hingegen sind nicht so prägnant wie in anderen ihrer Filme, vor allem Ben Affleck ist stellenweise ein richtiges Nerverl. Auffällig hingegen die echt witzige, an der Pantomime orientierte Spielweise von Silent Bob, dem schweigsamen der beiden Propheten. Er wird von Kevin Smith gespielt, der den Film inszeniert hat und der ein bekannter Komiker ist. Er hat sich die Rolle also auf den Leib geschrieben und in der Tat gehört seine Figur mit  zum Besten an diesem Film.

Immerhin spielt Salma Hayek die schreibblockierte Muse Serendipity und Alanis Morissette Gott als Frau, der Film ist also insgesamt sehr hochkarätig besetzt, gerade in den Nebenrollen. Aber er macht zu wenig daraus. Gerade daraus muss man mehr machen, auch wenn die verspielte Göttin dem Bild entspricht, das wir haben sollen: Dem eines liebenden, experimentell veranlagten Gottes, nicht dem der alttestamentarischen Rache.

Finale

Sicher kann man „Dogma“ für blasphemisch halten, aber man zeigt damit vor allem eine zu sinistere Auffassung der Dinge. Wenn wir es uns alle ein wenig mehr zu eigen machen, uns auf die wirklichen Herausforderungen zu konzentrieren und einen Film einen Film sein zu lassen, müssen wir uns auch nicht darüber aufregen, dass er den Katholizismus bei seinen offensichtlichen logischen Schwachstellen packt oder wo er sie auszumachen glaubt.

Der dogmatische Twist ist ja der, dass Gott zwei Engel zu ewiger Verdammnis in Wisconsin bestimmt hat. Wenn sie aber durch diesen Kirchenbesuch in New Jersey Absolution und den Zustand der Gnade erlangen können, dann wäre Gottes Fehlbarkeit bewiesen. Dies wiederum würde seine Schöpfung auslöschen. Warum, wird leider nicht gesagt, denn es ist offensichtlich, dass Gott besonders bei der Erschaffung des Menschen schwerwiegende Fehler unterlaufen sind und auch die Arche-Noah-Revision letztlich nicht viel gebracht hat. Trotzdem hält er uns immer weiter die Stange – oder lässt uns immer weiter leiden, wie man’s nimmt. Vielleicht gibt es aber einen Unterschied.

Die Fehlbarkeit der Menschen ist eine Sache, dass Gott selbst bestimmten möchte, wer trotzdem ins Paradies kommt, eine andere.

61/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Kevin Smith
Drehbuch Kevin Smith
Produktion Kevin Smith,
Scott Mosier
Musik Howard Shore,
Alanis Morissette
Kamera Robert Yeoman
Schnitt Scott Mosier,
Kevin Smith
Besetzung

 

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