Filmfest Cinema – IMDb Top 250 of All Time (145)
Fantasie im römischen Reich
Gladiator ist ein mit fünf Oscars prämierter Monumentalfilm aus dem Jahr 2000. Er entstand unter der Regie von Ridley Scott und spielte weltweit ca. 457 Millionen US-Dollar ein. Allein in Deutschland sahen ihn bis Anfang 2001 rund 3,4 Millionen Menschen im Kino. Das US-Kinomagazin Empire listet die von Russell Crowe verkörperte Figur des Maximus Decimus Meridius auf Platz 95 der 100 wichtigsten Filmfiguren der Kino-Filmgeschichte.[3]
Was ist dieser Film , was will er sein? Das haben wir uns nicht erst nach dem Anschauen, sondern mittendrin bereits gefragt. Schon die Endschlacht gegen die Germanen („Ein Volk sollte wissen, wann es besiegt ist“) gab es historisch nicht, und die Germanen wurden von den Römern nie vollständig besiegt. Vielleicht wäre es so gekommen ,wären die Römer tatsächlich so unendlich überlegen und die Germanen solche Vormenschen gewesen, wie sie im Film dargestellt werden. Aber lohnt sich ein Kampf, in dem es so ungleich zugeht, kinematografisch? Wir schreiben weiter darüber in der –> Rezension.
Handlung (1)
Im Mittelpunkt des Filmes steht der erfolgreiche römische Feldherr Maximus Decimus Meridius, der ein treuer Gefolgsmann des Kaisers Mark Aurel ist. Mark Aurel sieht sein Ende nahen und möchte Rom dem Volk wieder zurückgeben, also das Kaisertum abschaffen und die Republik wiederherstellen. Diese Aufgabe will er Maximus übertragen, der als Feldherr der nördlichen Provinzen hoch geschätzt ist.
Mark Aurels leiblicher Sohn Commodus wird ins Feldlager nach Germanien gerufen und erfährt dort von seinem Vater, dass nicht er der Thronfolger werden soll. Darüber bitter enttäuscht erstickt Commodus seinen Vater, bemäntelt dessen Tod als „natürlich“ und erhebt sich selbst zum Römischen Kaiser. Maximus aber verweigert Commodus die Gefolgschaft, weil er Commodus’ Taten, den Mord am Vater und den Verrat am römischen Volk, erkennt.
Commodus befiehlt daraufhin den Prätorianern die Hinrichtung bzw. Ermordung von Maximus und seiner Familie. Aber Maximus kann die Prätorianer überwältigen, wird beim Kampf verletzt und flüchtet nach Hause, nach Turris Julia (heute: Trujillo, Provinz Cáceres, Spanien) in der römischen Provinz Lusitania. Dort angelangt findet er seine Frau verbrannt und erhängt, seinen achtjährigen Sohn gekreuzigt und sein Haus niedergebrannt vor.
Nachdem er seine Familie begraben hat, verliert er schwer verletzt die Besinnung. Sklaven-Händler nehmen ihn mit, verschleppen ihn nach Afrika (Zucchabar) und verkaufen ihn als Sklaven an die Gladiatorenschule von Antonius Proximo, einem ehemaligen Gladiator. Als Gladiator ist er ähnlich erfolgreich wie als Feldherr. Unter dem Pseudonym Der Spanier erwirbt er sich rasch den Respekt seiner mitkämpfenden Gladiatoren sowie die Begeisterung der Massen. Die Gladiatorentruppe wird nach Rom engagiert, als Commodus vorgeblich zu Ehren seines verstorbenen Vaters Gladiatorenspiele im Kolosseum ansetzt. (…)
Rezension
Es gibt Kritiker, die in „Gladiator“ etwas wie den Offenbarungseid des machtgierigen römischen Reiches sehen wollten (Andrew Johnston). Wir waren erstaunt, dass man den Film auch so sehen kann, bei uns war’s genau umgekehrt. Nicht Rom ist schlecht, sondern zivilisatorisch den anderen Völkern weit voraus, weshalb es logisch ist, dass andere Länder unterworfen werden müssen, damit sie die Vorzüge der römischen Welt kennen lernen; gedemütigt, besiegt, als subalterne Provinzen. Rom selbst ist durch politische Intrigen in Gefahr, oh ja, und sogar viel mehr als die Historie von Marc Aurel und seinen Nachfolgern wirklich hergibt (er wurde weder ermordet, noch war Commodus ein Freak, wie ihn Joaquim Phoenix im Film gibt, noch herrschte er nur für kurze Zeit, sondern 12 Jahre, noch hatte Marc Aurel oder irgendwer sonst vor, in Rom die „Demokratie“ wiederzubeleben und das Kaisertum abzuschaffen).
Allein der historische Hintergrund ist eine Geschichtsklitterung, die weit über die Verfälschungen hinausgeht, die für Historienfilme aus dramaturgischen oder ideologischen Gründen gängig sind.
In Wirklichkeit ist die Art, wie im Film die Germanen besiegt werden, eine Reminiszenz an den Zweiten Weltkrieg, von dem die Amerikaner nie genug bekommen können, weil die Geschichte, die ab den 1960ern folgte, eine Aneinanderreihung von Missgeschicken und Katastrophen ist, unterbrochen von scheinbaren Blütezeiten wie den 1980ern. Nicht einmal die Wälder, in denen die wie Urmenschen gekleideten Germanen hausen, sind korrekt,denn wir sehen hier einen Tannenforst, nicht die ursprüngliche Laubmischbewaldung in Deutschland. Das fiel uns auch auf, ohne dass wir nachher die Wikipedia gelesen haben, ebenso wie die übertrieben schicken Legionärs-Uniformen und Gladiatoren-Outfits. Für fantastischen Modestil hätte der Film einen Oscar verdient, aber fünf in den Hauptkategorien?
In vielen Szenen, bei vielen historischen und optischen Details, hatten wir das seltsame Gefühl, dass wir den Film erstens schon kennen und dass er gleichzeitig der unhistorischste aller Historienfilme ist. Er bezieht sich teilweise auf Figuren, die es wirklich gab, wie die Familie des Marc Aurel, und das gab es schon einmal: in „Der Untergang des römischen Reiches“ (Rezension beim Wahlberliner).
Aber da wurde wirklich eine Untergangsstimmung evoziert, während Rom in „Gladiator“ nie in Frage gestellt wird. So ändern sich die Zeiten – in den 1960ern ging man vergleichsweise kritisch mit Imperien um. Maximus, der Held des Films, dient Rom, nur Rom und dessen Interessen und ist damit eine altruistische und überhöhte Figur, wie wir sie aus vielen anderen Filmen dieser Art kennen. Und diese Überhöhungen sind generell demokratiefeindlich. Man kann nicht ernsthaft glauben machen, dass ein Typ wie Maximus, der das Chargieren des Senates gewiss ebenso verabscheuen muss wie die Tyrannei des Commodus, sich in den Dienst von Commodus‘ intriganter Schwester spannen lässt, weil die beiden einmal ein Paar waren. Dafür ist zu viel geschehen, wie der Tod von Commodus‘ Familie. Dass er Spanier ist, mussten wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, denn er wirkt weder wie ein Iberer, noch ist die Landschaft, in der ein Haus steht, iberisch, sondern mittelitalienisch, eine typische Kulturlandschaft, wie wir sie etwa aus der Toskana kennen.
Der triumphale Einzug von Maximus nach den Nordkämpfen in Rom soll hingegen Leni Riefenstahls Reichtsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ von 1935 inspiriert sein, in der Ästhetik möglicherweise von den im folgenden Jahr gedrehten Olympia-Filmen der Riefenstahl (Quelle: Johnston, aaO). Wenn das so ist, dann gilt es für beinahe alle Historienfilme mit römischem Hintergrund, denn die imposanten, marschierenden Legionen, die Bauten des Forum Romanum und das Gepränge dieses Großreiches reizen nun einmal dazu, dies optisch auszunutzen. Insofern steht „Gladiator“ in einer Tradition, und ob diese von Riefenstahl beeinflusst sind, ist fraglich. Massenszenen und –choreografien gab es im US-Film schon vor 1935, 1936.
Eine weitere Anlehnung lässt sich deutlicher erkennen: Die an „Spartacus“, den Gladiator unter den Filmhelden. Es wäre doch für einen Regisseur wie Ridley Scott, dessen Karriere mit außergewöhnlichen Filmen wie „Blade Runner“ und „Alien“ begonnen hatte, eine reizvolle Aufgabe gewesen, das Gladiatorenleben noch echter, besser dramatischer darzustellen, als es Stanley Kubrick und Anthony Mann 1960 getan hatten, als Legende Kirk Douglas den Spartacus gab. Aber auch hier greift man eher zur Verfremdung und stellt viele Details, ja die ganze Szenerie von Gladiatorenkämpfen unhistorisch dar, weil die Show mehr zählt als die Orientierung an der Realität. Deswegen sprechen wir im Titel von einem Fantasy-Historienfilm.
Wenn schon der ganze Hintergrund inklusive CGI-Kolosseum mehr für Menschen gemacht ist, die eher bescheidene historische Kenntnisse aufweisen, so fragt sich doch, ob er wenigstens schauspielerisch und damit emotional funktioniert.
Das Positive vorweg: Connie Nielsen als Lucilla war die Figur, die uns in ihrer Ambivalenz und ihrem Auftritt überzeugt hat. Auch sie ist überelegant dargestellt, vor allem im früh- oder spätwinterlichen Germanien, aber so in etwa kann man sich eine römische Aristokratin denken und es hilft dabei, dass sie keines der üblichen Gesichter ist, die Hollywood als Zugpferde einsetzt, um den Kassenerfolg von Filmen zu befördern. So kann man sich ganz auf ihre Aura konzentrieren, ohne die Schauspielerin hinter der Figur zu suchen und zu finden.
Wie aber Russell Crowe zu seinem Oscar als bester Hauptdarsteller gekommen ist und Joaquin Phoenix für seinen karikaturhaften Commodus zu einer Nominierung, wird wohl ein Geheimnis der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) bleiben. War es, weil die Rolle so anstrengend wirkte, eine Tour de Force darstellte, zumindest für die Figur Maximus? Oder weil er für seine Rolle in „L.A. Conidential“ nicht einmal für den Nebenrollen-Oscar vorgeschlagen wurde?
Was wir in „Gladiator“ sehen, ist ein Mann, der seine Rolle ausfüllt, das wollen wir nicht bestreiten. Aber was ist diese Rolle? Die Macher von „Gladiator“ schaffen es tatsächlich, einen zweieinhalbstündigen Film zu drehen, ohne die Hauptfigur einigermaßen zu erläutern und zu charakterisieren. Maximus ist komplett humorlos, immer mit riesigen Aufgaben beladen, und so schaut er auch in die Welt. Außerdem ist er in der Lage, jeden Gegner und auch eine hohe Anzahl von Gegnern jederzeit in Schach zu halten, ein typischer Hollywood-Superman also. Nur, für diese Art von Stilisierung gab es in früheren Zeiten noch keinen Oscar, dazu mussten wohl erst die postmodernen 2000er kommen.
Ein Kritiker-Metascore von 64/100 ist für einen fünffachen Oscarpreisträger nicht gerade eine gute Referenz, aber das Publikum liebt den Film und setzt ihn tatsächlich auf Platz 48 der IMDb-Top 250 Filme aller Zeiten. Das Voting ist ähnlich over the Top wie für „Braveheart“, den die IMDb gerne als interessanten ähnlichen Film empfiehlt, wenn man sich die Informationen zu „Gladiator“ anschaut.
Als wir jedoch die Kritik von Roger Ebert lasen, die bei Erscheinen des Werkes geschrieben wurde und die späteren Auszeichnungen nicht im Blick haben konnte, fanden wir uns auf frappierende Weise bestätigt: 2/4 Sterne. Wir sind nich immer mit Ebert einer Meinung, hier aber ganz und gar, auch wenn die Akzente der Kritiken verschieden sind, sonst hätten wir ja bei derartiger Zustimmung auch alles – in etwas anderen Worten – abschreiben können, was Ebert geschrieben hat. Eines dann aber doch: Ja, Maximus ist ein Killer, und wir fügen hinzu, einer, der sich einen staatsmännischen Anstrich gibt und alle Brutalitäten zunächst mit seiner Hingabe an Rom, dann mit seiner Rache für die tote Familie rechtfertigt.
Die dritte wichtige Figur ist Commodus in Person von Joaquin Phoenix. Der ist zweifelsohne ein kapabler Schauspieler, gerade für schräge Charaktere, aber sein Commodus ist nicht nur vom Antlitz her ziemlich flach geraten, eine böse Figur eben, und die Guten funktionieren nur, wenn die Bösen als böse genug dargestellt werden.
Die Empathie, die wir für für Figuren in „Spartacus“, in „Ben Hur“ oder in „Quo Vadis“ empfunden hatten, an bei dem „Gladiator“ sicher mehr Anleihen genommen hat als an Leni Riefenstahl, die wollte sich nicht einstellen. Dazu ist Maximus zu sehr ein Kommisskopf, bedingungslos loyal zur Idee Rom und mit der Nachdenklichkeit einer Dampfwalze ist er außerdem. Angesichts seiner Art, sich in die römische Politik einzuschalten, hätte er seine Familie vorher in Sicherheit bringen lassen müssen. Es ist doch bekannt, wie die grausamen Cäsaren mit allem, was ihren Gegnern lieb und teuer ist, umspringen. Jedenfalls, wenn man sie von Beginn an so eindeutig negativ zeichnet, wie hier Commodus an den Zuschauer übergeben wird.
Finale
Das Filming sehen wir etwas besser als Roger Ebert (a.a.O.), unter Berücksichtigung der Unstimmigkeit unendlich vieler Details. Es ist doch dynamisch, legt die Messlatte für die Tricktechnik wieder etwas höher, auch wenn das Kolosseum gewiss in der Zeit, in der es betrieben wurde, nicht so blank aussah wie im Film. Wir meinen auch, dass genug Handlungselemente für einen so langen Film vorhanden sind und die Spielzeit an sich von 150 Minuten (es gibt natürlich auch „extended Version“ mit noch mehr Dauer) nicht das Problem ist.
Probleme hatten wir aber mit dem üblen Umgang mit der Geschichte, mit der fragwürdigen Botschaft hinter den Bildern, die Institutionen als demokratisch benennt, die es nur noch pro Forma gab und damit, dass die Schauspieler so über die Maßen gelobt und prämiert wurden, Letzteres gilt auf höchster Ebene jedenfalls für Russell Crowe.
Wir tendieren generell dazu, den Regisseuren und vor allem den die Dialoge steuernden Drehbuchautoren die Verantwortung für schlechte Filme zu geben, deswegen müssen wir ergänzend erwähnen, dass die Sprache recht realistisch gewählt ist. Wenn man aber so optiert, dann hat Ridley Scott trotz des Riesenerfolges mit „Gladiator“ keine künstlerische Neubestimmung eines ganzen Genres vorgenommen, sondern lediglich eine technische, eine Messlatte in dieser Hinsicht ist der Film schon. Wir haben uns mehr an den hohen Hürden der Unglaubwürdigkeit gestört.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension: Der Film liegt mittlerweile in der IMDb-Top-250-Liste sogar auf Platz 36, mit einer Durchschnittswertung von 8,5/10. Eine so große Differenz nach unten bei der eigenen Bewertung hatten wir bisher bei einem Top-250-Film noch nicht zu verzeichnen. Zumindest nach unserer im Jahr 2015 geäußerten Meinung eine der krassesten Fehlbewertungen auf der gesamten Liste und, wie oben erwähnt, bei der Vergabe der Academy Awards. Auf eine Weise rekurriert der Film schon auf das Kino nach 9/11 oder nimmt es vorweg, was wiederum belegt, dass wir dieses Datum als Wendepunkt (nicht nur in dieser Rezension) etwas überschätzt haben und inzwischen immer wieder einräumen müssen, dass auch Filme aus den 1990ern schon dem düsteren späeren Stil zumindest nahekommen.
60/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

