O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee (O Brother, Where Art Thou?, USA 2000) #Filmfest 1047 #Top250

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Die nostalgischen Coens

Die Geschichte spielt in Mississippi im Jahre 1937 zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Im Vorspann wird die Odyssee Homers als Inspirationsquelle des Films genannt. So zitieren mehrere Szenen Motive aus diesem Werk, beispielsweise den lockenden Gesang der drei Sirenen, der die Helden vom Weg abbringt und ins Verderben lockt.

Der erste Film der Coen-Brüder war für uns „Barton Fink“, ein klaustrophobischer, alptraumhafter Trip durch Hollywood, wie man es nicht kennt. Zuletzt hatten wir „True Grit“ rezensiert, davor „No Country for Old Men“ und „The Big Lebowski“, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags auch „Fargo“ (1996), der als einer der besten Filme der Coen-Brüder gilt. „O Brother, Where Are Thou?“ haben wir im Jahre 2008 schon einmal angeschaut und uns verbindet mit ihm nun auch schon eine nostalgische Erinnerung. Derlei sollte sich nicht auf die Bewertung auswirken. Ob dies doch der Fall ist oder nicht, dürfen Sie nach dem Lesen der –> Rezension entscheiden.

Handlung (1)

Der Film beginnt mit der Flucht der drei Sträflinge Ulysses Everett McGill, Pete Hogwallop und Delmar O’Donnell aus dem Gefängnis. Ziel ihrer Flucht ist der Ort, an dem Everett die Beute seines letzten Raubzuges vergraben haben will. Doch Eile ist geboten, denn angeblich befindet sich das Versteck der Beute in einem Tal, das in vier Tagen durch den Staudamm des Arkabutla Lake geflutet werden soll.

Die Reise wird zu einer abenteuerlichen Odyssee, die mit der Begegnung mit einem blinden Seher beginnt. Die Flüchtigen treffen unter anderem auf einen Zyklopen mit Augenklappe, der Bibeln verkauft, und werden wie Odysseus von Poseidon von einem teuflischen Sheriff mit dem Höllenhund Zerberus gejagt. Auch Begegnungen mit dem Bankräuber George „Babyface“ Nelson und einer Horde von Anhängern des Ku-Klux-Klan bleiben ihnen nicht erspart. Ganz nebenbei nehmen die Drei mit Blues-Gitarrist Tommy Johnson, der seine Seele an den Teufel verkauft hat, als „Soggy Bottom Boys“ eine Platte auf und werden, ohne es zu merken, zu Country-Musik-Stars.

Dann erfahren Pete und Delmar von Everett, dass der versprochene „Schatz“ gar nicht existiert, sondern Everett auf der Suche nach seiner Ex-Frau ist, die er an einer erneuten Heirat hindern will. Nicht zufällig erinnert ihr Name Penny an Penelope, die Frau des Odysseus.

Da sich die drei Sträflinge bereiterklären, den amtierenden Gouverneur des Staates Mississippi, Menelaus Pappy O’Daniels, bei seinem Wahlkampf zu unterstützen, werden sie begnadigt. Diese Figur ist zwei Gouverneuren nachempfunden: W. Lee O’Daniel, der 1938 in Texas mit Hilfe einer Radiosendung die Wahl gewann, und Jimmie Davis, Gouverneur von Louisiana, der das Lied You Are My Sunshine schrieb, das im Film auch die Erkennungsmelodie des Wahlkampfs ist.

Everett kann Penny nicht nur von ihren Hochzeitsplänen abbringen, sondern sie auch überreden, ihn erneut zu heiraten, so dass er als freier Mann mit Frau und Töchtern wieder vereint ist.

Rezension

Lediglich „Lebowski“ fanden wir nicht ganz so grandios wie es zweifelsfrei bei den meisten Kritikern und dem Publikum der Fall ist, die anderen entsprachen in etwa unseren hohen Erwartungen. Bei „Barton Fink“ hatten wir allerdings keine solchen, weil uns die Coen-Brüder damals noch kein Betriff waren und außerdem erst am Beginn ihrer Karriere als Autoren und Regisseure standen. Aber es geht auch umgekehrt. „O Brother, where are thou“ wird in der Coen-Liste nicht am höchsten eingeschätzt, aber er ist wundervoll. Eines der wenigen Werke, die wir bisher gesehen haben, welche die 1930er wirklich zum Leben erwecken, obwohl er nicht in Schwarz-Weiß gefilmt ist, wie es zur Steigerung der Authentizität denkbar gewesen wäre. Im Gegenteil, alles ist in lichte, teilweise pastellartige Warmfarben getaucht, die uns in jeder Minute klarmachen, dass diese Odyssee dreier Sträflinge ein gutes Ende nehmen wird. Warum auch nicht? In diesem Fall ist Vorhersehbarkeit kein Nachteil, denn „O Brother“ ist kein Rätselkrimi und nur in Ansätzen ein Thriller.

Es geht viel um Verbrechen, das ist wahr, aber es gehört auch zum Zeitkolorit jener Jahre der Großen Depression. Einen McGuffin gibt es auch, den Schatz, den Ulysses den anderen einredet, damit sie mit ihm ausbrechen. Ohne sie geht es nicht, weil alle im wörtlichen Sinn aneinander gekettet sind. Wir denken an „I Am a Fugitive From A Chain Gang“ aus 1932, einen der Filme, die zur Reformierung des US-Strafsystems geführt haben,  – es gibt noch mehr solcher sozialkritischer Werke aus den 1930ern, so direkt, so ehrlich, wie niemals wieder in der langen Geschichte des US-Films.

„O Brother“ ist ganz anders. Er lässt nicht nur den Realismus der 1930er hinter sich, an dem er sich hätte orientieren können, sondern auch die Moderne mit ihren übertriebenen Aktionsfilmen und ihrer mittlerweile oft und aus guten Gründen düsteren Atmosphäre. Er beruft sich auf die griechische Mythologie und damit auf Kulturschätze, die zu Standards für ein Genre, für eine Reise, für einen inneren Zustand geworden sind: Das Leben ist eine lange, höchst interessante Tour, auf der so viel Zufälliges passieren kann, wie es in diesem Film gezeigt wird.

Natürlich lebt „O Brother“ auch von seinen Darstellern. Die drei Sträflinge, gespielt von George Clooney, John Turturro (der auch „Barton Fink“ war, siehe oben) und Tim Blake Nelson. Auch der unvergleichliche John Goodman, Barton Finks Alptraum, hat eine wiederum böse Rolle als Bibelverkäufer, der seine Kunden ausraubt. Es gibt sowieso einige Seitenhiebe auf das Christentum oder das, was manche Menschen dafür halten, wie etwa den KluKlux-Clan, der in den 1930ern noch einmal ziemlich mächtig wurde, weshalb die Szene, die wir hier des Nächtens erleben, zwar stilisiert, aber im Ganzen nicht so weit hergeholt ist, im Süden der USA. Das flammende Kreuz ist ein Symbol für alles, was eine Odyssee und eine Kultur zum Scheitern bringen kann.

Unabänderlich hat ein Film für uns einen Bonus, wenn die männliche Hauptrolle von George Clooney gespielt wird. Eine Rezension ist immer subjektiv, deshalb dürfen wir schreiben, dass er der einzige lebende Filmschauspieler ist, für den wir vom distanzierten Kritikmodus in die Fanposition wechseln. Um einen nicht mehr lebenden Schauspieler zu nennen, bei dem wir das ebenfalls tun und mit dem Clooney hin und wieder verglichen wird: Cary Grant.

Clooney kann aus jeder Rolle etwas Hervorragendes machen, nur eines kann er nicht, das zumindest teilt er mit dem genannten Cary Grant, dem er als Typ nicht in so vielen Punkten ähnelt, dass wir einen synoptischen Vergleich sinnvoll fänden: Er kann nicht unsympathisch wirken. Anders ausgedrückt: Wir haben noch keinen Film gesehen, in dem er unsympathisch wirkt. 

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Beitrags im Jahr 2024: Cary Grant hatte in seinen frühen Jahren durchaus Rollen, in denen er zumindest glaubhaft eine zweifelhafte Figur darstellen konnte.

Clooneys Ausstrahlung ist für den Film ebenso wichtig wie die Inszenierung, um eine Stimmung zu schaffen, die uns als Zuschauer durch mehr als zwei Stunden schweben lässt, ohne dass wir eine steile Dramaturgie vermissen würden. Für seine kontemplative, relaxte Erzählweise wurde „O Brother“ teilweise kritisiert. Wir meinen, sie passt hervorragend zum Sujet und zu den Typen und dieser ein wenig in Watte gepackten modernen Odyssee, die aber nicht kitschig wirkt oder die Wahrheit über die schwierigen 1930er verfälscht. Dieses rudimentäre Leben der Sträflinge, die alles andere als einfache Typen sind, sorgt dafür, dass wir uns stets der Umstände bewusst sind. Ein Sheriff versucht sie auszuräuchern. Wir sind nicht besorgt um die drei Jungs, aber wir wissen, wie fanatisch viele Menschen insbesondere im Süden der USA in jeder Hinsicht – waren, zu jener Zeit. Wir haben auch einen Moment lang an Fritz Langs „Fury“ gedacht, der ziemlich genau in der Zeit entstand, in welcher „O Brother“ spielt. „Fury“ ist die ernste, anklagende Variante der Darstellung eines Lynchmobs und eine der eindringlichsten bis heute. Ein typischer Film jener Zeit, bereichert um die visuellen Mittel eines der ganz großen Regisseure. „O Brother“ lässt uns spüren, wie es war, in jener Zeit getrieben, arm, ein Halunke aus Not, ein Manipulationsobjekt korrupter Politiker zu sein.

Auch die Politik spielt demnach eine Rolle, und zwar keine gute. Der Reformkandidat, der mit der Vetternwirtschaft des aktuellen Gouverneurs Schluss machen will, wird enttarnt, als die Kapuze vom Kopf fällt – als ein sinisterer Anhänger des Kuklux-Clans. Also gewinnt der konservative alte Knochen, dem man die Bestechlichkeit auf hundert Meter ansieht, noch einmal die Wahlen. Denn es gibt wohl doch eine Mehrheit von Menschen, die das kleinere Übel vorziehen.

Das alles wird en passant erzählt, dazu gibt es wunderbare „Traditionsmusik“, also Countrymusik aus den Anfängen derselben. Nicht, dass wir Country-Fans wären, aber die Songs und der Bühnenauftritt der drei Sträflinge am Ende des Films bei einer Wahlveranstaltung sind wunderschön. Da spielen sie ein Hinterwäldler-Gesangstrio mit riesigen Bärten, um nicht erkannt zu werden. Als dies doch der Fall ist, begnadigt sie der gut gelaunte Gouverneur und alles ist perfekt.

Ein wenig wird auch über die Familienwerte gespöttelt, aber das darf man nicht zu sehr auf die Goldwaage legen, denn es ist nun einmal die Einzelperson Everett, die hier ihre Ansichten kundtut, sie sind erkennbar subjektiv, werden geschieden von den Ereignissen, die aus neutraler Perspektive gezeigt werden. Am Ende führt Everett seine Frau zum zweiten Mal zum Traualtar und fünf Töchter an einem Seil, damit alle schön zusammenbleiben. Ob der Mann mit dem Hang zu einer bestimmten Sorte von Pomade damit glücklich wird? Uns erschien er als ein zu freier Geist für diese Art von Familienleben. Da aber niemand weiß, was die Zukunft bringt, könnte er eine Wandlung durchlaufen.

Finale

„O Brother, Were Are Thou“ ist derzeit unser Lieblings-Coen. Das bedeutet nicht, dass er besser ist als die anderen, nur, dass er uns so etwas vermittelt wie ein Gefühl der Erwartung an eine Welt, die Erwartungen täglich torpediert, dass er mehr als andere Werke dieser Brüder Joel und Ethan auch eine Art von Versprechen enthält.

Es ist eine andere Welt als unsere, der Optik nach, in diesem Film. Aber so viel anders als heute war in den 1930ern vieles auch wieder nicht, diese Botschaft dürfen wir mitnehmen. Ein Roadmovie ist der Film natürlich auch, was ihn für uns als Roadmovie-Enthusiasten noch einmal hebt.

Nicht alle Anspielungen in diesem beziehungsreichen Film werden wir entziffert haben, denn so sehr wir uns auch bemühen, den US-Film zu verstehen und die Epochen, in denen er spielt, wenn er historisierend ist, unvermeidlich stellt sich beim Grenzübertritt und bei einer Rezeption im alten Europa ein gewisser Verlust an Detailwahrnehmung ein.

86/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Joel Coen
Drehbuch Ethan Coen,
Joel Coen
Produktion Ethan Coen
Musik T-Bone Burnett,
Carter Burwell
Kamera Roger Deakins
Schnitt Joel und Ethan Coen (unter ihrem Pseudonym „Roderick Jaynes“),
Tricia Cooke
Besetzung

 

 

 

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