Fargo – Blutiger Schnee (Fargo, USA 1996) #Filmfest 968 #Top250

Filmfest 968 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (122)

Wir sind Opfer und Täter … 

wenn auch nicht so viel Blut fließt.

Fargo (dt. Fernsehtitel Fargo – Blutiger Schnee) ist ein Film des amerikanischen Regisseurs Joel Coen, der zusammen mit seinem Bruder Ethan Coen auch das Drehbuch verfasste. Der Film spielt 1987 im verschneiten nördlichen Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.

Für die Darstellung eines schwangeren Sheriffs (Marge Gunderson) erhielt Frances McDormand 1997 den Oscar als beste Hauptdarstellerin, die Coen-Brüder erhielten den Oscar für das beste Originaldrehbuch.

Die Filme der Gebrüder Coen, die wir bis jetzt gesehen haben, sind so unterschiedlich, dass wir noch keine Gesamtbewertung ihres bisherigen Werkes vornehmen wollen, zumal uns noch einige wichtige Werke fehlen (gesehen und größtenteils für den Wahlberliner bewertet haben wir „Barton Fink“, „The Big Lebowski“, „O Brother, Where Are Thou?“, „No Country for Old Men“, „True Grit“). Alle Filme außer dem erstgenannten sind nach „Fargo“ entstanden, daher sind die Rezensionen im Rahmen der US-Chronologie hier noch nicht zu sehen. Nun also der Film, der vielen als der kultigste unter den Coens gilt: „Fargo“. Mehr dazu in der -> Rezension.

Handlung (1)

Jerry Lundegaard, der in Minneapolis als Verkaufsleiter im Autohaus seines dominanten Schwiegervaters Wade Gustafson arbeitet, steckt in großen finanziellen Schwierigkeiten. Über Vermittlung des vorbestraften Autohausmitarbeiters Shep Proudfoot heuert er deshalb in Fargo zwei Kriminelle an: den schweigsamen Gaear Grimsrud und den nervösen Schwätzer Carl Showalter. Diese sollen seine Ehefrau Jean „ohne Brutalität“ entführen, um von Jerrys Schwiegervater ein Lösegeld von 80.000 US-Dollar zu erpressen. Lundegaard stellt den beiden einen Neuwagen zur Verfügung und verspricht ihnen die Hälfte des Lösegeldes. Tatsächlich will er aber von seinem reichen Schwiegervater eine Million Dollar erpressen.

Nach der Gefangennahme von Lundegaards Frau werden die Entführer bei der Fahrt in ihr Versteck – ein abgelegenes Ferienhaus an einem See – in der Nacht auf einer einsamen, verschneiten Landstraße wegen eines fehlenden Kennzeichens von einem Streifenpolizisten kontrolliert. Nach einem erfolglosen Bestechungsversuch durch Showalter erschießt Grimsrud kaltblütig den Polizisten und zwei zufällig vorbeifahrende jugendliche Tatzeugen. Die hochschwangere Polizeichefin Marge Gunderson aus Brainerd nimmt die Ermittlungen auf. Aus dem letzten Eintrag des ermordeten Polizisten bei der Fahrzeugkontrolle ergibt sich eine erste Spur, die zu zwei Prostituierten führt, deren Dienste die Täter in Anspruch genommen hatten. (…)

Rezension 

Dass die Coens manchmal – oder meistens – mit den  Zuschauern Katz und Maus spielen und sie mit ihren Erwartungen und oft auch mit ihrem schlechten Geschmack konfrontieren, sie manipulieren und aufs Glatteis führen, zeigt sich in „Fargo“ zu Beginn gleich zweimal: Zum einen ist die Geschichte, die hier erzählt wird, eben nicht wahr, wie im Vorspann behauptet, und das zu suggerieren, ist ein Tabubruch. Die Coens haben die Handlung von „Fargo“ komplett erfunden, damit entfällt auch unsere Sorge, die sich ebenfalls aus dem Vorspann ergibt: Dass man zwar aus Respekt vor den Betroffenen die Namen geändert haben könnte, aber aus demselben Respekt heraus bei der Handlungsführung sehr eng an der Wahrheit geblieben sei.

Ersteres kann nicht der Fall sein, weil es Letzteres nicht gibt, und Letzteres müssen wir nicht so ernst nehmen. Die Ansammlung von Nerds, die in diesem Film aufs Brutalste direkt oder als Anstifter und Auftraggeber von Verbrechen tätig wird, ist selbst für ländlich-amerikanische Verhältnisse gruselig.

Der Eindruck drängt sich auf, angesichts der Figuren, die man vorgeführt bekommt, dass Eskalationen wie in „Fargo“ jederzeit möglich sind. Nicht nur durch um sich schießende Schüler, sondern auch durch Verbrechen, die aus dem Ruder laufen und eine wahrhaft blutige Spur durch den Schnee ziehen, der übrigens hauptsächlich Kunstschnee ist, da es während der Dreharbeiten in Minnesota partout nicht schneien wollte.

Was den Film so beliebt macht (IMDb: 8,2/10, derzeit Platz 156 unter den 250 besten Filmen aller Zeiten im Jahr 2015, als der Entwurf dieses Textes erstellt wurde, 8,1/10 und Platz 171 im Jahr der Veröffentlichung, 2023), ist wohl die einmalige Kombination aus blutigsten, rudimentären Verbrechen und einem köstlichen Humor, der bis auf den Killer Grimsrud alle Figuren mehr oder weniger liebenswert macht. Wir ergänzen: beinahe einmalig, denn auch die Filme von Quentin Tarantino weisen zuweilen diese Kombination auf.

Einen echt Bösen musste es also doch geben. Auch Lundegaards Schwiegervater und sein Berater sind krude Geschäftstypen und dessen Frau so wenig elaboriert, dass man seine Motive grundsätzlich verstehen kann – die fünf Morde, die dann passieren, waren selbstverständlich nicht von seinem Tatvorsatz als Anstifter umfasst. Der arme Spießer, der unter der Fuchtel seines Bosses und Schwiegervaters steht und mit seiner etwas beschränkten Frau auskommen muss, ist ein wunderbarer Antiheld, der natürlich, wie beinahe alle in diesem Film, die Nerven verliert und dadurch gefasst wird.

Auch Showalter ist eine reizvolle Figur voller in der Tat schräger Charakterzüge, die jedwede halbwegs gekonnte Verbrechensausführung verhindern, seine Optik, die Zeugen immer wieder beschreiben, ohne sich genau an sein Gesicht erinnern zu können, ist sozusagen die physiognomische Entsprechung – weniger ein Gangstergesicht als das eines Typs, der zum Gangster nicht bestimmt ist, weil er überall verhaltensauffällig wird.

Dass Frances McDormand für ihre Rolle als Polizistin Gunderson einen Oscar bekommen hat, ist im Ganzen verdient, allerdings hat sie dabei auch Emily Watson in „Breaking The Waves“ aus dem Feld geschlagen, und darüber könnte man diskutieren. Es ist eben alles relativ, manche Filmjahrgänge sind im Ganzen oder in bestimmten Bereichen stärker als andere, und es gibt mehrere oscarwürdige Darbietungen – so auch in der Saison 1996/97 bei den weiblichen Hauptrollen.

Ihre stoische, findige und gleichwohl sehr bodenständige, schlichtweg urige Art lässt den Film ab dem Moment, in dem sie auftritt (da ist von „Fargo“ schon ein Drittel abgespult) beinahe zu einem Stück Wohlfühlkino werden.

Nach wenigen Minuten weiß man, sie wird es schaffen, die Morde aufzuklären und alle Beteiligten, die noch übrig sind, ihrer gerechten Strafe zuzuführen. In einer Szene, die das Zeug zum Klassiker hat, redet sie auf den schweigsamen Grimsrud ein, der zuvor seinen Komplizen und die gefangene Mrs. Lundegaard getötet und damit begonnen hat, sie in der Häckselmaschine zu zerkleinern, wobei alles um den Platz herum, an dem die Maschine steht, blutrot verfärbt ist.

Gunderson vermtuet, Grimsrud habe das alles für ein wenig Geld getan und steigt natürlich nicht hinter die Tatsache, dass dieser Typ eine brandgefährliche Persönlichkeitsstruktur hat, die immer wieder Gewalt hervorbringen wird und die keine Geldgier, keinen typisch amerikanischen finanziellen Anreiz als Motivation braucht, um zu töten. So etwa 20-25 Jahre später: Wie viele Massaker sind seitdem vorgefallen, an denen niemand einen Cent verdienen konnte?

Finale

„Ein spannender Thriller mit perfekt eingesetzten Zutaten des Genres, aber ebenso viel Gespür für Komik und Absurditäten. Darüber hinaus ein geradezu anrührendes Porträt von Land und Leuten.“ – Lexikon des internationalen Films[4]

„Ein bizarrer Genremix: Einerseits schwarzer Humor und viel Blut, andererseits wunderschöne Bilder. Unwiderstehliche Loser-Typen sowie die liebenswürdigste Polizistin der neueren Krimigeschichte machen den Film zu einem Highlight.“ –TV Today

„,Fargo‘ ist ein Heimatfilm nach allen Regeln der Kunst, eine Huldigung an die Provinzialität dieses ,skandinavischen‘ Mittelwestens […] Nie haben die Coen-Brüder eine Geschichte (von der sie heimtückischerweise behaupten, daß sie eine wahre und aktenkundige sei) so detailreich, so lakonisch, so liebevoll und so wenig von oben herab erzählt, auch so entspannt, ja so menschenfreundlich.“ – Urs JennyDer Spiegel 46/1996[5]

Nie zuvor standen Komödie und blutiges Crime-Drama so dicht beieinander wie in „Fargo“, wobei „Fargo“ im Grunde den zweiten Bluff darstellt: In diesem Ort wird, warum auch immer, das Verbrechen zwischen Alltagsmensch Lundegaard, dem durchgeknallten Showalter und dem schweigsamen Mörder Grimsrud verabredet und, warum auch immer, Lundegaard fährt den beiden ein Auto dorthin. Schon diese Aktion ist mehr als seltsam und das war’s dann auch mit dem Ort Fargo.

Gehen wir in der Kinogeschichte weiter zurück, gibt es durchaus Filme mit Toten, die urwitzig sind, wie „Arsen und Spitzenhäubchen“, der ja auch von seinen skurrilen Figuren lebt, nicht viel anders als „Fargo“. Aber die blutige Darstellung macht wohl den Unterschied, dieses innige Zusammenspiel von Alltag und ungewöhnlichstdenkbaren Wendungen und Exzessen, die, im Gegensatz zu klassischen Kriminalkomödien, keiner inneren Logik folgen. Vielleicht, und da geben uns die Coen-Brüder doch einen Hinweis auf die Fiktionalität, ist dies deshalb eine „hausgesponnene“ Kriminalgeschichte.

Eine Oma würde lange an ihr stricken, aber sie könnte so pfifig und so naiv in einer Person sein wie Marge Gunderson, die schwangere Polizeichefin des Ortes Breinerd, in dem sich das Geschehen überwiegend abspielt. Der Film ist außergewöhnlich unterhaltsam, und, ja, auch wir bekennen uns zu dem schlechten Geschmack, den uns das Kino der letzten Jahrzehnte anerzogen hat. Die Veredelungsphase ab Ende der 1930er bis Mitte der 1960er Jahre betraf ohnehin nicht alle Genres gleichermaßen.

90/100

© 2023 Der Wahlberiner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Joel Coen
Drehbuch Ethan und Joel Coen
Produktion Ethan Coen
Musik Carter Burwell
Kamera Roger Deakins
Schnitt Joel Coen und Ethan Coen
(als „Roderick Jaynes“)
Besetzung

 

Hinterlasse einen Kommentar