Chinesische Autos in Deutschland und ein paar wirtschaftspolitische Anmerkungen | Briefing 420 | Wirtschaft, PPP – Politik, Personen, Parteien

Briefing 421 Wirtschaft, China, Autoindustrie, strategische Wirtschaftspolitik

Bisher fahren in Deutschland relativ wenige chinesische Autos. Weltweit ist die Lage komplett anders, China hat alle anderen Länder bezüglich der Pkw-Produktion komplett abgehängt. Signifikant ist auch der Produktionsrückgang in Deutschland in den letzten Jahren. Er hat mehrere Ursachen, aber im Moment müssen wir davon ausgehen, dass eine Rückkehr zur alter Stärke von der deutschen Autoindustrie nicht mehr zu erwarten ist.

Auch der Anteil chinesischer Marken an den hiesigen Zulassungen wird zunehmen, das zeichnet sich ab. Der Eintritt erfolgt über die Elektroschiene, und anders als bei früheren, erfolglosen chinesischen Versuchen, hierzulande Fuß zu fassen, hat China dort keinen Rückstand in Sachen Technologie, sondern einen Vorsprung. Zum ersten Mal seit dem Angriff der Japaner, der nun 50 Jahre zurückliegt, kommt es durch die chineische Offensive zu einer echten Verschiebung. Einige Industriebranchen in Deutschland wurden durch den Aufstieg Japans geradezu vernichtet, die Autoindustrie hat diese Zeit einigermaßen überstanden. Man kann nicht gut einschätzen, wo sie stehen würde, hätte es damals den neuen Konkurrenten nicht gegeben. Aber was in China passiert, hat noch einmal eine andere Dimension, weil der Heimatmarkt dort so groß ist, weil die Rohstoffe vor Ort gefördert und verarbeitet werden können, die für die moderne Automobilfertigung benötigt werden, dass allein aufgrund der Skaleneffekte deutsche Hersteller auf der Preisebene werden schwerlich mithalten können. Es sei denn, sie produzieren in China. Und genau den Weg gehe sie auch vermehrt. Über Kooperationen schon länger, was auch den technologischen Fortschritt in China mitverursacht hat.

Wir werden also wohl in Deutschland auch bald Fahrzeuge sehen, die zwar die bekannten Logos der hiesigen Hersteller tragen, aber nicht hier hergestellt sind. Neu ist das nicht. Schon im Jahr 2016, noch vor der Änderung der Spielregeln in Richtung Elektromobilität und vor Corona, hatten die deutschen Hersteller erstmals mehr Fahrzeuge im Ausland produziert als im Inland. Bei Kleinwagen ist es schon lange üblich, nicht mehr hierzulande fertigen zu lassen. Ist die neue Entwicklung nur eine Fortschreibung der bisherigen, ist sie harmonisch und logisch im Sinne einer ausgeglicheneren Weltordnung? Dazu unterhalb der Grafik noch ein paar Sätze.

Infografik: Wie viele Autos aus China gibt es in Deutschland? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Chinesische Autobauer wollen den europäischen Markt erobern. Auf deutschen Straßen sind Pkw aus China jedoch noch sehr selten anzutreffen, wie die Statista-Infografik auf Basis von Daten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) zeigt. Den größten Anteil an allen Neuzulassungen hat die Marke MG Roewe. Die Marke wird in der jährlichen Neuzulassungsstatistik des Kraftfahrt-Bundesamtes 2023 erst zum zweiten Mal geführt. Demnach verkaufte die Marke des SAIC-Konzerns mit Sitz in Schanghai rund 21.000 Personenwagen und erreichte damit einen Marktanteil von 0,7 Prozent. Es folgen die Marken Great Wall Motor (GWM), BYD, Lynk & Co und Nio mit jeweils fünfstelligen Zulassungszahlen. Maxus und Aiways kommen mit 64 bzw. 50 zugelassenen Autos nur auf einen Marktanteil von 0,002 Prozent.

China ist der mit Abstand größte Produzent von Kraftfahrzeugen. Im Jahr 2022 wurden etwa 23,84 Millionen Personenkraftwagen und knapp 3,2 Millionen Nutzfahrzeuge gefertigt. Insgesamt ist China damit für knapp ein Drittel der weltweiten Kraftfahrzeugproduktion verantwortlich. Im Bereich der Pkw lag der Anteil sogar noch höher – 2022 wurden 38,7 Prozent aller Personenkraftwagen in China hergestellt.

Vor allem im Bereich der Elektromobilität verzeichneten die chinesischen Hersteller zuletzt große Fortschritte und stellen eine zunehmende Konkurrenz für die etablierten Hersteller dar. So wuchs zum Beispiel der Absatz des Herstellers BYD Auto zuletzt von rund 713.000 Einheiten im Jahr 2021 auf rund 1,8 Millionen im Jahr 2022.

Die Augen in Deutschland, wenn es um den Aufstieg neuer Autohersteller geht, liegt vor allem auf Tesla. Ohne das Tesla-Werk in Brandenburg sähe die deutscheProduktionsbilanz zumindest 2023 noch etwas schlechter aus. Selbst, wenn man sagt, langfristig müssen wir mehr von dem ressourcenmordenden motorisierten Individualverkehr weg, ist das natürlich keine Aufforderung dahingehen, die größte deutsche Industriebanche zu schleifen und damit das Land auch politisch weiter zu destablisieren, weil Einnahmen wegbrechen und Verteilungskämpfe weiter zunehmen werden. Man hat sich, wie immer in diesem Land, nicht um Ersatz gekümmert, keine strategische Wirtschaftspolitik gemacht. Es gab natürlich Ansiedlunghilfen für neue Industrie, teilweise waren sie zuletzt so hoch, dass sie auch schon wieder hinterfragt werden, weil wir uns da in einem Wettbewerb mit den USA befinden, die keine Schuldenbremse und ähnliche Hindernisse haben, wenn es darum geht, für die Reindustrialisierung zu powern. Und trotzdem ist nicht ausgemacht, ob diese Idee funktionieren kann, wenn China und andere asiatische Länder weiterhin in dem bisherigen Tempo die Märkte aufrollen.

Kaum jemand von uns dürfte noch ein Mobiltelefon oder einen Computer verwenden, der nicht in China hergestellt wurde. Selbst wenn es bereits Anzeichen dafür gibt, dass China selbst Produktion in noch lohngünstigere, sprich ärmere asiatische Länder auslagert, Deutschland wird diese Entwicklung sicherlich nicht helfen. Deutschland hat es schlicht verpasst, durch Hochwertigkeit und Innovation vorne zu bleiben, und die Wurzeln für diesen Mangel lassen sich über Jahrzehnte zurückverfolgen. Die Merkel-Regierung hätte die letzte Chance gehabt, eine strategische Wirtschaftspolitik zu etablieren, die versucht hätte, mittelfristig diese Mängel zu korrigieren. Doch deren Ideenlosigkeit war der Gipfel einer grundsätzlich wirtschaftspolitisch ideenlosen Regierungstätigkeit in Deutschland. Nach der Wende hätte man die Wirtschaftspolitik als Teil einer neuen Story für das Land begreifen müssen, deren Abwesenheit jetzt so schmerzlich fühlbar wird, wo die Desorientierung immer weitere Kreise zieht.

Seit dem Jahr 2011, als der „erste“ Wahlberliner gegründet wurde, warnen wir vor dieser Entwicklung, aber die Regierung Merkel zog es vor, mit günstigen Zinsen eine Scheinblüte zu organisieren, die vor allem auf einer Steigerung des BIP durch mehr Umsatz in ganz konservativen Branchen wie dem Immobiliensektor fußte. Die Ampelkoalition muss es ausbaden, wirkt dabei zwar nicht schläfrig, umso mehr jedoch hektisch, inkohärent bis planlos und macht viele Fehler, weil sie auf eine solche Situation nicht vorbereitet war.

Und das ist der entscheidende Unterschied. Aus vielen industriellen Niederlagen gegen Japan hätte man lernen können. Dort gib es das sogenannte MITI, das mächtige Minsterium für Industrie und Technologie, das dort koordinierend eingreift, wo einzelne Firmen zu egoistisch und zu wenig an Zukunftskonzepten orientiert handeln. Viele Vorzüge japanischen Wirtschaftens wurden dort mit erdacht und umgesetzt. Manches, was dort auf den Weg gebracht wurde, war nicht fair den traditionellen Industrieländern gegenüber, besonders einige deutsche Industriebranchen  hat das anfängliche hemmungslose Kopieren und Verkaufen zu billigeren Preisen der Japaner hart getroffen. Daraus haben sie mit der Zeit aber einen qualitativ-technologischen Gleichstand oder sogar Vorsprung entwickelt.

In China hat das noch einmal andere Dimensionen. Dieser Moloch von einer neuen Industrie-Weltmacht dürfte zwar zentral nicht perfekt bis ins Detail zu steuern sein, aber die strategische Ausrichtung ist sehr wohl funktionabel, und sie kennt nur eine Richtung: Vorwärts und immer mehr Technologieführerschaften erobern. Dem ist die kopflose deutsche und europäische Wirtschaftspolitik nicht gewachsen. Allenfalls die Amerikaner können da noch einigermaßen mithalten, weil das Land immer noch über gigantisches Kapital verfügt, das aktiviert werden kann. Wenn alles „normal“ läuft, werden aber auch sie hinter China zurückbleiben, schlicht aus Gründen der Größenordnung, dem Bevölkerungsverhältnis von derzeit 4,3.1 zugunsten „Chinas Offensive hat gerade erst begonnen“ ist freilich eine zu einfache Zusammenfassung. Denn der weltweite Absatzmarkt ist nicht unendlich, auch der riesige Binnenmarkt Chinas wird einmal mehr gesättigt sein als jetzt – und Deutschland wurde jüngst von einem weiteren Land produktionsseitig überholt. Es ist nicht Südkorea, wie man vielleicht meinen könnte, obwohl der Abstand zu Hyundai und Kia recht gering geworden ist – sondern Indien. Und dieses Land hat noch mehr Aufholbedarf und genauso viel Potenzial wie China, wenn es insgesamt dessen Wirtschaftliche Entwicklung, wenn auch etwas langsamer, nachzeichnen kann. Durch Indien wird die deutsche Volkswirtschaft auch insgesamt demnächst einen Rang im Weltvergleich verlieren.

China aber schiebt mittlerweile alle anderen Herstellerländer gegen die Wand, wie sich an dieser Grafik deutlich zeigt. Ein Produktionszuwachs scheint daneben nur noch für Indien möglich zu sein, was wiederum für andere Länder, auch Deutschland, bedeutet, dass sie in einer Zangenbewegung eingeschlossen sind. Und: In Indien haben deutsche Hersteller nicht die Präsenz wie in China, wo sie lange Zeit führend waren (speziell VW natürlich) und davon profitierten, dass sie schon an China glaubten, als die anderen westlichen Hersteller dort noch kein Potenzial sahen. Das sichert den Konzernzentralen hierzulande jetzt einen Großteil ihrer Gewinne. Insofern ist der Boom in China natürlich auch ein Stück weit deutsch – bei der Gewinnung hiesiger Arbeitsplätze hilft das allerdings nicht. Die Zahlen werden erheblich sinken, wenn die deutsche Produktion weiterhin schwächelt.

Sie liegt jetzt um mehr als 2 Millionen Einheiten jährlich niedriger als zu Spitzenzeiten während der mittleren 2010er Jahre. Schon damals aber, ohne Sonderfaktoren der letzten Jahre, war aber abzusehen, dass es nicht über 6 Millionen hinausgehen würde und Politik und Unternehmen hätten gemeinsam handeln müssen, um a.) gegen einen allzu schnellen Abzug der Kapazitäten zu wirken und b.) Ersatzindustrien anzusiedeln, die möglichst nachhaltig sind. Stattdessen hat man, politisch gewollt, beispielsweise die einst führende deutsche Solarindustrie, einen der wenigen Hoffnungsträger der frühen 2000er, geradezu vernichtet, ihr den Boden entzogen. So viel zum langfristigen Sinn der billigen Gaslieferungen aus Russland, übrigens. Rückständigkeit rächt sich, wenn die Welt sich weiterentwickelt. Insofern werden jetzt durchaus ein paar richtige Akzente gesetzt, aber wenn der industrielle Boden für einen richtigen Innovationsschub fehlt, wird es mühsam werden, den Wohlstand hierzulande zu halten.

Sollen wir jetzt deutschen Autokäufer:innen empfehlen, nichts Chinesisches zu kaufen? Aufhalten wird man China damit sicher nicht, alles andere ist eine Frage der wirtschaftspolitischen Sichtweise. Um eine Frage wird man aber nicht herumkommen: Soll man sich weiter dem Ansturm immer weiterer Niedriglohnländer aussetzen oder doch die eine oder andere protektionistische Planke einziehen? Deutschland ist eines der letzten Länder, in dem nicht schon länger so gedacht wird, der letzte neoliberale Außenposten einer einstmals herrschenden Freihandelsideologie, die sich immer mehr zurückzieht, der Außenposten ist weit entfernt von den Zentren des Fortschritts, in denen längst wieder mehr regional gedacht wird.

Der chinesische Aufstieg hat aber noch eine Implikation, auch die haben wir in unseren Artikeln immer mitgedacht: Erstmals seit Jahrhunderten wird ein Land wirtschaftlich führend, das nicht europäisch-westlich geprägt ist und nicht, wie Japan, heute dem westlich-demokratischen Kreis angehört. Auch aus demokratietechnischen Gründen wäre es unbedingt gebton, wenn der Westen gemeinsame Anstrengungen unternehmen würde, die sich abzeichnende industrielle Überlegenheit Chinas zu bremsen. Wir denken antiimperialistisch, uns geht es nicht darum, dass China europäische Werte übernehmen muss, um mitspielen zu dürfen, Werte, die im Westen selbst immer sehr selektiv angewendet werden, sondern darum, dass nicht das Gegenteil passiert. Wir möchten nicht, dass Chinas rigide und in weiten Teilen menschenverachtende Diktatur zum führenden System dieser Welt wird. Auch der industrielle Aufstieg des Landes kommt nicht aus dem Nichts, sondern wird unter anderem mit den weltweit schwächsten Arbeitnehmer:innenrechten unter allen großen Industrieländern erkauft. Wird das Land aber so stark, dass es westliche Länder in die Zange nehmen und infiltrieren kann, was es zum Beispiel mit seinem so niedlich klingenden Seidenstraßenprojekt versucht, dann werden auch bei uns die Standards sinken. Mithin sehen wir auch hier eine von vielen Gefahren für die Demokratie. Und auf diese Gefahren hinzuweisen, ist beim Wahlberliner unser Kernanligen.

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar