Die Rolle der Rechtsanwaltschaft im Kampf gegen rechts und die AfD: die Verfassung ernstnehmen! (Interview-Besprechung) | Briefing 419 | PPP – Politik, Parteien, Personen

Briefing 419 PPP, AfD, Kampf gegen rechts, DAV, Rechtspolitik, politisches Recht

Heute starten wir den neuen AfD-Sammler mit einem weniger spektakulären Thema als der Enthüllung, dass die AfD die anteilsmäßig am meisten staatsfinanzierte Partei im Bundestag ist.

Wir werfen einen  Blick auf die Rolle der Rechtsanwält:innen in der Diskussion um die AfD und den Rechtsextremismus in Deutschland werfen, weil uns zufällig ein Artikel von „Juve“ in die Hände kam, in dem sich die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege zu Wort meldet, in Person von  Dr. Ulrich Karpenstein, Partner in einer der führenden Berliner Wirtschaftskanzleien, Redeker und Partner. Der DAV, der im Interview genannt wird, ist der Deutsche Anwaltsverein, Dr. Karpenstein ist sein Vizepräsident.

Am Ende dieses Artikels haben wir alle Bestandteile des Vorgängerbriefings zur AfD (408) noch einmal für Sie verlinkt.

„Es gibt erschreckend viele Schwachstellen“ | juve.de

Hat die Anwaltschaft Möglichkeiten, auf die Bewahrung des Rechtsstaats einzuwirken – das ist wohl die Kernfrage des Interviews.

Ich finde das Interview zumindest inkohärent und manche Behauptung darin ist mit Vorsicht zu genießen. Der DAV ist eine Lobbyorganisation wie jede andere, auch wenn sie einen „Stand“ vertritt, und stellt ihre eigene Rolle natürlich besonders positiv dar.

Das Interview wird so eingeleitet: Wie sicher ist der Rechtsstaat gegen Angriffe von rechts? Was ist bisher passiert, um die demokratischen Institutionen zu schützen, falls eine autokratische Partei an die Macht kommt? Redeker-Partner und DAV-Vizepräsident Dr. Ulrich Karpenstein sagt: „Nichts, was mich ruhig schlafen lässt.“

Dem würde ich zustimmen, ich schlafe auch nicht ruhig, wenn ich mir die gegenwärtige Entwicklung vor Augen führe und wie wenig bisher dagegen unternommen wurde. Es liegt aber nicht daran, dass es keine Schutzinstrumente gegen die AfD gäbe, wir haben drei Möglichkeiten dargestellt, die Verfassung gegen die AfD in Stellung zu bringen: Ein Verbot der Gesamtpartei, ein Verbot der als rechtsextremistisch eingestuften ostdeutschen Landesverbände (Art. 21 II GG), eine Grundrechtsverwirkung gegen Björn Höcke (Art. 18 GG). Derzeit wird auch ein Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung diskutiert, weil dies gerade für „Die Heimat“, die NPD-Nachfolgerin, beschlossen wurde. Es gibt also einige Möglichkeiten, die alle nichts mit der Anwaltschaft zu tun haben. Bis auf die Tatsache natürlich, dass die AfD oder betroffene Einzelpersonen sich in derlei Verfahren von versierten Verfassungssrechtler:innen vertreten lassen wird. Was ihr Recht ist, in einem Rechtsstaat.

Sozialdemokraten verteidigen Rechtsextreme, wie im Interview erwähnt?

Sicher ist die Trennung von Mandat und Mandant wichtig. Was mich schon fast amüsiert hat, war, wie leicht Herr Dr. Karpenstein feststellt, dass die verfassungsrechtlichen Elemente eh am Ziel vorbeigehen und es außerdem zu spät ist. Das ist genau die Argumentation, die auch viele Populisten verfolgen, die durchaus ein Interesse am Weiterbestehen der AfD haben, auch aus dem nicht ganz so rechten, aber sehr konservativen politischen Spektrum, dem übrigens auch die meisten Wirtschaftsanwälte weltanschaulich gesehen angehören dürften.

Aber die Ansicht, dass die AfD politisch bekämpft werden muss, wird doch immer noch sehr häufig vertreten. Vermutlich ist sie sogar eine Mehrheitsmeinung.

Für mich ist dies der Kernsatz des Interviews, dieses leichthändige Abtun der tatsächlichen Instrumente der wehrhaften Demokratie, wie wir sie in der Verfassung vorfinden. Die hohen Hürden , die man gegen ein Parteienverbot ins Feld führen könnte, werden hingegen nicht einmal erwähnt. Auch das Dilemma bleibt außen vor, dass die AfD anfangs nicht rechts genug war, um ein Verbot realistisch erscheinen zu lassen, dann wurde sie immer rechter und gleichzeitig gewann sie die Potenzialität hinzu, die ihr anfänglich wohl auch gefehlt hätte, wobei es das NPD-II-Urteil ja noch nicht gab, als die AfD anfing, relevant zu werden oder Potenzial anzusammeln, das neben der Verfassungsfeindlichkeit auch die tatsächlichen Möglichkeiten in Betracht nimmt, die eine Partei hat,  um die Demokratie zu beschädigen.

Das heißt im Sinne der verfassngsrechtlichen Möglichkeiten eines AfD-Stopps was?

Die Verfassung wird nicht ernstgenommen und ihre politische Dimension sowie ihre Wehrhaftigkeit aus sich selbst heraus nicht als gangbares Mittel gegen rechts angesehen. Gerade bei Juristen finde ich eine solche Haltung schwierig. Sie wirkt ein wenig, als ob man fürchte, bei einem Verbot viele einträgliche Mandate zu verlieren, weil die Lage dann geklärt ist und nicht ständig Einzelprozesse gegen AfD-Politiker:innen wegen einzelner Aussagen von ihnen geführt werden müssen. Der DAV muss ja für alle Gruppen von spezialisierten Anwälten denken, auch für die Strafrechtler.

 Außerdem, wenn schon das Thüringen-Projekt erwähnt wird, das der Verfassungsblog gerade durchführt, um zu eruieren, wie gegen Rechtsextremismus wirksam operier werden kann, sollte man sich auch auf die oben erwähnte Grundrechtsverwirkung beziehen, die vom Verfassungsblog schon mehrfach ins Spiel gebracht wurde, speziell gegen die Person Björn Höcke gibt es dazu auch eine Petition, auf die wir in einem unserer Updates hingewiesen haben.

Der Anwalt verweist auf Projekte gegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen.

Dabei handelt es sich aber nicht um institutionalisierte Möglichkeiten, gegen braunes Gedankengut in der Anwaltschaft vorzugehen. Deswegen gibt es ja den Vorschlag einer Art von stufenweiser interner Disziplinierung. Bis hin zum Ausschluss. Das dürfte nicht einfach sein, außerdem ist es für mich nichts wesentlich anderes als eine teilweise Grundrechteverwirkung nach Art. 18 GG, denn letztlich geht es um ein Berufsverbot, bei Höcke um das Verbot, sich parteipolitisch zu betätigen, bei Rechtsanwälten um den Entzug der Zulassung.

Unternehmen, und da spricht der Wirtschaftsanwalt, brauchen die Rechtssicherheit eines Rechtsstaats, um blühen und gedeihen zu können, das heißt, Anwälte, die Unternehmen vertreten, haben ein originäres Interesse am Rechtsstaat, könnte man eine andere Passage zusammenfassen.

Die Argumentation halte ich für sehr gewagt. Die Demokratien, die unter Druck stehen, wie Israel und die USA, die Karpenstein auch erwähnt, funktionieren ökonomisch im Moment viel besser als Deutschland und andere europäische Länder. Das ist nur eine Momentaufnahme, deswegen mal etwas größer: Die USA haben etwa 120 Jahre gebraucht, um ökonomisch an die Weltspitze zu gelangen, trotz des gigantischen Reservoirs an Rohstoffen, das just zur sich entwickelnden motorisierten Ökonomie gepasst hat. China schafft seinen Aufstieg unter diktatorischen Bedingungen in viel weniger Zeit. Die reichen Autokratien am Golf und andere sind ebenfalls gute Beispiele dafür, dass der Kapitalismus problemlos ohne Demokratie funktioniert. Im Gegenteil, das ständige Austarieren fällt weg, der Staat kann der Wirtschaft alles aus der Bahn räumen, was bei der Weltmarkteroberung stört, etwa Arbeitnehmerrechte und allgemeine Freiheitsgrundrechte. Viele Unternehmer:innen in Deutschland hätten überhaupt kein Problem mit einer AfD-Regierung, da bin ich mir sicher. Allenfalls ein gewisser Imageschaden in der Anfangszeit wäre zu bedenken und natürlich würden sich ausländische Fachkräfte überlegen, ob sie in einem Land arbeiten wollen, in dem die herrschende Politik gegen sie hetzt. Gerade Wirtschaftsanwälte haben vor allem eine Funktion: Ihre kapitalistischen Auftraggeber bestmöglich zu beraten und zu vertreten, nicht, die Demokratie zu schützen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie sich vorwiegend oder auch in zweiter Linie als Demokratiewächter begreifen.

Würde sich in einer Autokratie nicht auch der unabhängige Stand der Anwälte von selbst erledigen?

Gerade Konzernanwälte, Spezialisten für internationales Wirtschaftsrecht, würde es weiterhin geben, denn auch Autokratien und ihre Wirtschaftseinheiten müssen ja mit anderen Staaten mit anderem Recht interagieren. Außerdem würde jenseits eines Verbots der Lobbycharakter erhalten bleiben. Sicher wären Anwälte, die sich für Bürgerrechte einsetzen, in einer ganz dummen Lage und müssten vielleicht sogar mit einem Tätigkeitsverbot rechnen, aber dann wäre auch die Gewaltenteilung obsolet usw. Dann müsste man ganz neu denken. Ich weise aber darauf hin, dass auch während der NS-Diktatur der Anwaltsstand weitgehend ungehindert operieren konnte, sofern es nicht darum ging, dass Anwälte jüdisch waren oder jüdische Interessen vertreten wollten, was sie nicht mehr konnten. Die Wirtschaft war hingegen nicht verstaatlicht worden, das Bürgerliche Recht blieb bis auf den Wegfall der Rechte für die nunmehr rechtlosen Gruppen komplett erhalten, ebenso das Strafrecht. Diese wichtigsten Gesetze es einfachen Rechts würde auch die AfD wohl nicht antasten, vor allem nicht die zivilrechtlichen, weil sie die Dinge unter Mitgliedern der Volksgemeinschaft nun schon so lange recht funktionabel geregelt haben. Allerdings würden Schutzrechte für Schwächere, wie sie mit der Zeit ins Zivilrecht einflossen, als man festgestellt hat, dass das Ideal der machtgleichen Parteien nicht gegeben ist, geschwächt werden oder wegfallen. Wie etwa der Mieterschutz. Im Strafrecht käme es zum Wegfall von Straftatbeständen einerseits, zu einigen neuen andererseits oder zu verschärfter Auslegung, verbunden mit erhöhtem Strafmaß bis hin zur Todesstrafe. Alles zivilisatorische Rückschritte, aber für die Anwaltschaft nicht existenzbedrohend.

Aber die ungehinderte Möglichkeit, Prozesse zu führen, ist doch ein Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit. Der Rechtsschutz ist eine Existenzgrundlage für die Anwaltschaft.

Sofer eine Diktatur nicht gleich auf dem Standpunkt steht, was Recht ist, bestimmen wir, selbst, wenn Staatsinteressen gar nicht betroffen sind, selbst, wenn der Staat gar nicht Partei ist, und es gibt keine Vertretungsmöglichkeiten mehr, sondern nur noch Festlegungen anstelle von Verfahren, sehe ich das so nicht. Wie gesagt, gerade das Zivilrecht mit den gegebenen Klagewegen wird wohl kaum von wem  auch immer so grundsätzlich umgewandelt werden, dass keine Rechtsanwälte mehr benötigt werden.

Summarisch heißt das, Schwachstellen hat der Rechtsstaat in Wirklichkeit nur deshalb, weil seine Möglichkeiten zur Selbsterhaltung nicht genutzt werden?

Ich sehe kaum institutionelle, sondern nur tatsächliche Schwachstellen, weil diese Möglichkeiten nicht konsequent genutzt werden. Also: ja.

Was mich aber gewundert hat, ist, dass in dem Interview nicht darauf verwiesen wurde, dass der DAV sich gegen rechts positioniert hat, wie sich auf Nachfrage bei ChatGPT herausstellte:

Ja, der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich gegen Rechts positioniert. Am 15. Januar 2024 haben sich viele juristische Organisationen auf DAV-Initiative zu einem gemeinsamen Statement zusammengefunden und es veröffentlicht 1Das Statement verurteilt den rechts­extre­mis­tischen „Masterplan“ aufs Schärfste und stellt sich entschlossen gegen das skizzierte Konzept und das dahinter­stehende Menschen- und Weltbild, das nicht nur unzähligen in Deutschland tätigen Juristinnen und Juristen, sondern uns allen nicht wieder gutzumachenden und dauerhaften Schaden zufügen würde 1.

Ich finde das viel wichtiger als darüber nachzudenken, ob man eventuell ein Verfahren etablieren könnte, das vermutlich erst dann zu einem Ausschluss aus der Anwaltschaft führen würde, wenn ein Anwalt vor Gericht den Hitlergruß zeigt oder den Holocaust leugnet. Was oben in Blau steht, ist das, was Organisationen tun können. Natürlich muss der Kampf auch politisch geführt werden, der verfassungsrechtliche Kampf schließt das ja nicht aus. Ich halte mittlerweile beides für unabdingbar, damit die Demokratie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehen bleibt.

Ich bin auch dagegen, dass einer seit Jahrzehnten zukunftsverweigernden Politik auf dem Umweg des Zusammenschlusses aller gegen rechts ein Persilschein ausgestellt wird, das gilt auch für die Ampelkoalition. Aber man kann die beiden Wege nicht gegeneinander ausspielen und sagen, hätte es eine bessere Politik gegeben, gäbe es keine starke AfD. Die Lage ist, wie sie ist, verschuldet von wem auch immer. Verschuldet auch von uns, den Wähler:innen, die sich nicht gegen Fehlstellungen in der Politik gewehrt haben. Ein verfassungsrechtliches Vorgehen ist eine Notoperation nach vielen Fehlern, die erst zum operationsbedürftigen Zustand geführt haben. Aber eine Demokratie nicht zu retten, weil diejenigen, die ihre führenden Köpfe sein sollten, sie nicht hinreichend geschützt und gelebt haben, ist, wenn man die Zivilgesellschaft als Antreiber der verfassungsrechtlichen Abwehr gegen rechts als Notarzt-Team ansieht, nicht hippokratisch gedacht.

Es ist auch eine Frage der Prioritäten. Wir können jetzt nicht alles auf einmal richtigen, was so lange auf der schiefen Bahn war, also muss erst das Schlimmste verhindert werden, und dazu ist die Verfassung selbst ein Werkzeug. Deswegen möchten wir auch Jurist:innen dringend darum bitten, ihren Einsatz nicht einmal in Erwägung zu ziehen. Viele Jurist:innen sehen das auch anders, nebenbei bemerkt. Es ist Demokratie, es so oder so sehen zu können.

Ich finde es gut, dass der DAV eine Positionsmeldung abgegeben hat, aber ich meine, seine Mitglieder wären gut beraten, mit all ihrer Kompetenz ein Vorgehen gegen die AfD auch auf verfassungsrechtlicher Ebene zu unterstützen oder sich wenigstens ernsthaft an einer Diskussion darüber zu beteiligen und das nicht mit „eh zu spät und Zielrichtung falsch“ abzutun. Statements sind schon auch wichtig, aber wohlfeil, solange niemand aufsteht und den Widerstand auf rechtlicher Ebene wagt. Für Rechtskundige gilt das zivilrechtliche Aktivitätsgebot nach meiner Ansicht mehr als für alle anderen Berufe und Stände, weil sie die Folgen eines Durchgriffs von rechts auf die Justiz, die Gesetzgebung und die Exekutive  am besten einschätzen und faktenbasiert  davor warnen können.

TH

Was haben wir im vorherigen  Sammler zur  AfD zusammengetragen (Briefing 408)?

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