Stuttgarter Blüten – Tatort 28 #Crimetime 1197 #Stuttgart #Lutz #SDR #Blüten

Crimetime – Titelfoto © SDR

Zwei falsche Hunderter pro Monat

Stuttgarter Blüten ist die 28. Folge der ARDKrimireihe Tatort. Die Erstausstrahlung der vom Süddeutschen Rundfunk produzierten Folge erfolgte am 1. April 1973 im Ersten und konnte Zuschauer in einem Marktanteil von 71 % binden.[1] Für Kriminalhauptkommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher) ist es sein dritter Fall. Es geht um die Verbreitung von Falschgeld und zwei Tote im Zusammenhang mit diesem Fall.

Nicht weniger als fünfmal mussten wir ansetzen, bis wir diesen Tatort endlich bis zum Ende geschaut hatten. Das ist der bisherige Rekord. Vielleicht waren es für diese Fall die falschen Tageszeiten (spätnachmittags oder spätabends, kurz vor Mitternacht), aber es muss schon etwas bedeuten, wenn wir dermaßen oft die Konzentration verlieren und vor dem Fernseher einschlafen. Nein, superspannend ist „Stuttgarter Blüten“ wahrlich nicht. Aber ist er auch ein schlechter Tatort? Wir gehen das zur Abwechslung wieder einmal anhand einzelner Punkte durch –> in der Rezension.

Handlung (1)

Im Fernsehen wird vom Auftauchen falscher 100-DM-Scheine in Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg berichtet. Kommissar Lutz, vom Falschgelddezernat des LKA, berichtet dazu, dass bereits zwölf Blüten sichergestellt wurden. Diese lassen sich von echten Banknoten nur durch den fehlenden Sicherheitsstreifen unterscheiden.

Hoyer fährt seine Freundin zur Arbeit. Daraufhin holt er bei Hepp in dessen Zeitungsdruckerei, in der auch Eckstein in untergeordneter Position arbeitet, Druckplatten für 100-DM-Scheine ab. Auf der Fahrt von dort verunglückt er mit seinem Auto und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei durchsucht das Unfallfahrzeug und findet in Hoyers Koffer die zwölf Druckplatten (Klischees) für 100-DM-Scheine. Unterdessen werden zwei Männer telefonisch benachrichtigt. Einer der beiden, Wildner, verspricht, sich erst um den Wagen und dann um die Wohnung zu kümmern. Wildner bricht in Hoyers Wohnung ein, durchsucht sie und nimmt etwas Geld – einige Hunderter – und Papiere mit. Der andere der beiden Männer gibt sich im Krankenhaus als Hoyers Bruder aus und versucht, seinen Aufenthaltsort herauszufinden.

Die Polizei bringt die gefundenen 100-DM-Druckplatten mit der bereits bekannten Falschgeldserie A21 in Verbindung. Zur selben Zeit wird der Unfallwagen, noch bevor er von der Polizei ein zweites Mal inspiziert werden kann, durch Brandstiftung zerstört. Gutachter Lauresch vom BKA kann ermitteln, dass die Druckplatten fehlerhaft waren und offensichtlich korrigiert worden waren. Hierin vermutet er auch den Grund für den Transport der Druckplatten vom Chemigrafen zur Druckerei. Lutz weiß damit, dass die Druckerei der Serie A21 eine andere als die Druckerei Hepp sein muss. (…)

 Rezension

 Dadurch, dass wir so oft Teile dieses Films geschaut haben, sind uns dermaßen viele Fehler und Fragwürdigkeiten aufgefallen, dass es schon wieder lustig war. Zumindest beim letzten Mal, als wir uns nicht darüber ärgern mussten, dass wir wieder stecken geblieben sind. Ein Auszug aus der Mängelliste:

– Wie kann man einen Geldschein so beleuchten, dass nur die eine Seite sichtbar wird? Dazu müsste es eine einseitige Kopie als Vorlage geben, Eckstein legt aber, soweit sichtbar, einen normalen, echten Hunderter in den Projektor ein,
– wie dringen die verschiedenen Parteien so einfach in die mit einem Sicherheitsschloss versehen Wohnung von Hoyer ein?,
– warum nimmt Wildner aus dieser Wohnung Briefe und derlei Dinge an sich, wenn er nach festen Druckplatten sucht?,
– wieso tauchen immer genau zwei Hunderter pro Monat auf? Es müsste doch auch mal einen Zeitversatz geben, bis die Falsifikate auffallen,
– wie kommt das Blut in Hepps Gesicht, von einer Sekunde auf die andere und mitten in der Einstellung (die Einstellung bleibt tatsächlich genau gleich, dieser Aspekt fiel uns tasächlich erst bei der letzten Sichtung und durch zurück und wieder vorspulen auf),
– warum unternimmt Lutz mit Hoyers Freundin eine längere, vernehmungstechnisch komplett unsinnige Autofahrt, bei der folgerichtig nichts zutage kommt, weil die Frau überhaupt nichts zum Fall beitragen will? Aus männlicher Sicht verständlich, trotzdem schräg,
– warum ändern sich nach dem Autounfall mit dem blauweißen Opel Admiral die Staßenzustände so plötzlich,
– wie kommt dieser Jauch ausgerechnet in dem Moment zum Unfallort, als der für ihn bestimmte Transport auf diese Weise havariert?

Auch in der Interaktion der Polizei und deren Methoden gibt es manche Merkwürdigkeit, aber sie einzeln aufzuführen, ist nicht so grundwichtig – sie geben in Verbindung mit den obigen Fehlern und einigen weiteren technischen Mängeln aber ein Bild von einer Tatortzeit ab, das so nicht für alle Filme der 1970er Jahre gilt – nämlich, dass die Fälle ganz schön zusammengeschustert waren, denn die Handlung ist nicht nur fehlerhaft und es gibt eine Verschiebung zwischen wichtigen und unwichtigen Szenen, was deren Dauer und Ausgestaltung angeht – unter anderem erfährt man kaum etwas über die Fälscherbande als solche, wohl aber irren sich häufig entweder Lutz selbst oder sein Vorgesetzter mit ihren nassforschen, wertenden Vorgehensweisen, sodass es am Ende der Kleinfälscher sein muss, der die Polizei endlich auf die richtige Spur setzt, die Großfälscher betreffend.

Die Ermittlungen wirken ziemlich planlos und punktuell, von einer Strategie ist ebenso wenig etwas zu erkennen wie vom konsequenten Einsatz technischer Hilfsmittel, die es auch damals schon gab. Dagegen wirkt der kurze bayerische Teil des Leichenfundes mit Gastkommissar Veigl geradezu kompakt und professionell.

Wir sind zwiespältig. Der Film wimmelt von netten bis wunderbaren Einfällen, aber er ist auch sehr verworren und unsauber konstruiert und abgedreht. Der Hausregisseur der damaligen SDR-Tatorte, Theo Mezger, hat tatsächlich einen Hang zur unschwäbischen Detailnachlässigkeit, das sieht man auch in anderen Filmen mit Lutz, aber sie sind nicht immer so extrem ausgeprägt wie in einem Film, in dem es doch um eine Sache geht, bei der die Präzision eine so wichtige Rolle spielt wie beim Fälschen von Geld.

Trotz seiner unbefriedigenden Qualität als Krimi und Film wird „Stuttgarter Blüten“ keine Flop-Bewertung bekommen. Das liegt an den Typen, die wir sehen. „Wieder“, weil die starken Charaktere eine Spezifität der 1970er-Filme sind, wir haben das nach den SDR/SFB-Tatorten nun auch beim HR festgestellt, der gerade angefangen hat, seine Schatztruhe mit frühen Filmen der Reihe zu öffnen. Ob jemand Hessisch babbelt oder schwäbelt, spielt dabei  keine Rolle, sondern, wie regional alles wirkt – und natürlich muss es zeitgeistig sein.

„Stuttgarter Blüten“ hat den Vorzug, mit Willy Reichert als Eckstein und Max Strecker als Oberkommissar Brauchle zwei schwäbische Vollblut-Schauspieler zu haben, die so köstlich sind, dass dahinter aller Ärger über die Mängel des Films zurücktritt. Dass wir trotzdem so viele Anläufe gebraucht haben, um den Film endlich rezensieren zu können, liegt schlicht daran, dass wir die Phase, in denen beide selten auftreten, mehrfach nicht in wachem Zustand überstanden haben.

Dieser Komplex mit dem Unfall und die anschließenden Wohnungsdurchsuchungen, dieser falsche Bruder, der immer zu Hoyer will, und die Verschleppung von Hepp mögen viel kriminelle Energie beweisen, aber sind furchtbar umständlich gefilmt und lassen die Verve vermissen, welche die beiden genannten Schauspieler aufbringen, um dem Film etwas Besonderes zu verleihen. Die Dialoge zwischen Lutz und Brauchle sind Old School vom Feinsten, da gibt es noch keine Political Correctness und kein geheucheltes Einvernehmen. Wenn man einander nicht mag, dann wird nichts ausgelassen, um zu sticheln und zu stänkern. Und dann dieser Eckstein in Wohnumgebung als Opa, dann als abgeschiedener Geldfälscher im Laubenidyll, mit dem Wägelchen, das schon 1973 ein nostalgisches – oder sagen wir – assoziationsfähiges – Kriegs- und Nachkriegszeit-Feeling hinterlässt, wie er ja auch ein Typ aus jener Zeit ist. Wie er vor dem Fernseher sitzt, fasziniert von den Nachrichten, und sich die Bratwurst gegen die Wange schiebt – das sind Momente, die man heute vielleicht noch in Münster inszenieren könnte, sonst nirgends.

Finale

Der Fokus und die Fähigkeiten von Drehbuch und Regie liegen eindeutig auf dem Persönlichen, insofern ist „Stuttgarter Blüten“ bezüglich der Charaktere und deren Interaktion eine erstklassige Krimikomödie, auch die Idee mit den beiden unterschiedlich motivierten und aufgestellten Falschgeld-Produktionsstellen ist superb, zumal es am Ende mit der „dritten Druckerei“, an die niemand gedacht hat, einen echten und auch plausiblen Twist gibt. Dass diese zu einem Gefängnis gehört, daran denkt man nicht sofort, auch nicht als Ermittler.

Dafür wirkt die Handlung zeitweise fehlproportioniert und es gibt ziellose Momente. Mag schon sein, dass das Absicht war, weil dem Realismus eines gar nicht perfekten Polizeialltags verpflichtet, und natürlich, das wissen wir schon aus anderen Filmen mit ihm, neigt Lutz durchaus zu Irrtümern, die ihm sein besserwisserisches Wesen als Fallen stellt (siehe die witzige Szene in der Bäckerei, als er im Kopf schneller rechnen will als die Registrierkasse, aber sich um eine Mark vertut – diesen Moment fanden wir auch nicht überflüssig, weil er Lutz so hübsch charakterisiert).

Dass wir heute das 1970er-Feeling, das auch dieser Tatort wieder ausstahlt, als so exorbitant empfinden, ist ein besonderer Faktor. Wir sind uns nicht ganz sicher, aber wir haben das Gefühl, dass man dem Zuschauer bewusst etwas ganz Typisches und absolut Vergängliches, daher zeitlich genau Zuzuordnendes mitgeben wollte – auch für später, für unsere Zeit. Besonders deutlich wird das an Schauplätzen wie Hoyers modischer Wohnung, die wenige Jahre zuvor und wenige Jahre danach einrichtungsmäßig undenkbar gewesen wäre.

Vergänglicher Geschmack als Sinnbild für einen Job, der auch sehr vergänglich ist, wie wir bald darauf feststellen dürfen. Als Kontrast die konservativ-bürgerliche Wohnung der Ecksteins, in der konservative Erziehungsmethoden zelebriert werden. Sogar die Fernseher, ein damals sehr modernes Design in Weiß, aber mit farbigem Bild, und der ältere S/W-Fernseher bei Eckstein sind genauestens ausgesucht. Wie anfangs der Rudertrainer auf diesem ebenfalls sehr zeitgeistigen Klapprad Leistungssportler trimmt, daneben auf der DB-Teststrecke die automobile Zukunft geprobt wird und dann Eckstein mit seinem altmodischen Radl an einem nichtsahnenden Ruder-Ehepaar vorbei, das sein Boot pflegt, seine Laube aufsucht, die Tür verriegelt und anfängt, seinen Hunderter zu machen, ist liebevoll und als gewollter Kontrast reizend gemacht.

Über eine sinnvolle Bewertung für einen Tatort, dessen Stärken und Schwächen grundsätzlich so weit gespreizt sind und manchmal so dicht beieinander liegen, mussten wir eine Zeitlang nachdenken, ziehen aber doch noch die 7/10, denn am Ende und nach insgesamt drei oder vier Stunden, die wir fürs Anschauen gebraucht haben, hat er Spaß gemacht.

7/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Theo Mezger
Drehbuch Wolfgang Menge
Produktion
Kamera Horst Schalla
Schnitt Dieter Höpker
Premiere 1. Apr. 1973 auf ARD
Besetzung

 

 

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