The Gift – Die dunkle Gabe (The Gift, USA 2000) #Filmfest 1050

Filmfest 1050 Cinema

Ob eine Gabe dunkel ist, hängt von den Geschehnissen ab

The Gift – Die dunkle Gabe ist ein US-amerikanischer Film des Regisseurs Sam Raimi. Der Mysterythriller basiert auf einem Original-Drehbuch von Billy Bob Thornton und Tom Epperson.

Welch eine Wirkung ein toll gespielter Hauptcharakter für einen Film erzielen kann, haben wir gerade bei „The Sixth Sense“ bezüglich Bruce Willis dargestellt. Im selben Metier der übersinnlichen Fähigkeiten tummelt sich „The Gift“ und hier ist es Cate Blanchett, die dafür sorgt, dass man mitgeht. Vielleicht sogar in noch stärkerem Maß als Willis in „The Sixth Sense“ trägt sie „The Gift“. Willis hatte einen begabten Jungdarsteller namens Haley Joel Osmend an seiner Seite, mit der interagieren konnte, Blanchett ist, wie in dieser Stadt, in der sie als Annie Wilson lebt, ziemlich auf sich allein gestellt. Zwar enthält die Besetzung viele bekannte Schauspieler wie Keanu Reeves, Katie Holmes und Hilary Swank, aber diese sind in ihren Rollen zu sehr Klischees, als dass sie etwas Besonderes zu „The Gift“ beitragen könnten. Wir besprechen den Film weiter in der –> Rezension.

Handlung (1)

Annie Wilson lebt in einer kleinen Stadt und hat vor einem Jahr ihren Mann bei einer Explosion in seiner Firma verloren, jetzt muss sie ihre drei Kinder, alles Jungen, mit der schmalen Witwenrente durchbringen. Sie bessert dieses Einkommen dadurch auf, dass sie Menschen die Karten legt und weiß, dass sie tatsächlich eine Gabe hat, bestimmte Dinge zu sehen oder vorherzuahnen. Sie hatte auch ihrem Mann an jenem verhängnisvollen Tag geraten, nicht zur Arbeit zu gehen – ohne allerdings das konkrete Ereignis der Explosion vorauszusehen.

Ihr Tun eckt in der Stadt bei verschiedenen Menschen an – zum Beispiel bei einem gewissen Donnie Barksdale, einem Ausbund an familiärer Gewalt. Dessen Frau Valerie bekommt von Annie mehrmals den Rat, sich von ihrem Mann zu trennen, daraufhin diffamiert dieser Annie als Hexe und stellt ihr und ihren Kindern nach.

Weil ihr ältester Sohn in der Schule immer wieder Schwierigkeiten hat, lernt Annie den Schulleiter Collins und dessen Verlobte Jessica kennen und hat eine erste Vorahnung, als Jessica sie scherzhaft nach der gemeinsamen Zukunft mit Collins befragt. Wenig später verschwindet Jessica und da die Poizei nicht weiterkommt, wird Annie um Hilfe gebeten, obwohl der Sheriff ihr Tun für Hokuspokus hält. Tatsächlich kann sie den Ort beschreiben, an dem man nach Jessica suchen soll – und sie wird auf dem Grund eines Teiches gefunden, der zum Anwesen von Donnie Barksdale gehört.

Obwohl Donnies Rechtsanwalt im Prozess versucht, Annie zu diskreditieren, wird Donnie verurteilt und wartet auf seine Hinrichtung. Annie jedoch hat weiterhin Visionen und ihr ist klar, dass Donnie, so vorteilhaft dessen Verurteilung für sie selbst auch ist, nicht der Mörder von Jessica sein kann.

Rezension 

Dieser Film mit dem Drall in den übersinnlich-kriminalistischen Horror war die letzte Arbeit des Regisseurs Sam Raimi, bevor er die „Spider Man“-Trilogie inszenierte. Den ersten Teil der Trilogie haben wir rezensiert und es gibt eine auffällige Parallele – so unterschiedlich „The Gift“ und „Spider Man“ auch sind, in beiden Filmen ersetzen Effekte eine stringente und durchkonzipierte Handlung. Es liegt natürlich nicht nur am Regisseur, dass die Filme uneinheitlich wirken, sondern vor allem an den Drehbüchern, aber überzeugendes Kino kann und darf nach unserer Ansicht den Fehler nicht machen, wichtige Fakten einfach auszulassen, weil es offenbar Plotlöcher gibt, die nicht in hinreichend kurzer Spielzeit gestopft werden können.

Zunächst: Cate Blanchett. Wir haben sie nun in einigen Filmen gesehen (u. a. in „Benjamin Button“, „The Aviator“) und auch wenn wir ihre Darstellung von Katherine Hepburn in letzterem Werk erst einmal in uns aufnehmen mussten – dafür bekam sie immerhin den Nebenrollen-Oscar – merkt man gerade in schwächeren Filmen, wie wertvoll sie ist. Ohne sie wäre „The Gift“ mehr oder weniger Trash, die gewisse Hintergründigkeit, die neben den Darstellerleistungen etwa „The Sixth Sense“ auf der Habenseite zugebilligt werden kann, fehlt in „The Gift“ vollkommen. Es ist ein Reißer mit einigen Schockmomenten, die uns aber nicht so die Haare zu Berge stehen ließen wie im eben erwähnten „The Sixth Sense“. Vielleicht auch, weil „The Gift“, von Wilson abgesehen, zu sehr von eindimensionalen Figuren bevölkert wird, von denen sich dann eine als Wolf im Schafspelz entpuppt.

Aber Blanchetts Ausstrahlung hat etwas von Mysterium, ist warm und sehr weiblich, ohne auch nur einen Moment schmalzig rüberzukommen. Mit großer Sicherheit wandelt sie durch den Sumpf des Verbrechens und der Schuld und Verstrickung in „The Gift“ und ihr Gesicht bannt und erhält unser Interesse. Für uns ist sie ein besonderer Typ wie Julia Roberts oder Meryl Streep, ist ist kenntlich und fällt auch optisch auf unter den gleichförmigen Hollywoodschauspielerinnen, für die z. B. Katie Holmes in „The Gift“ steht, die männerverschlingende Jessica, die von ihrem Verlobten  umgebracht wird.

Solch eine banale Auflösung. Lasst es nicht so dämlich enden, flehten wir beinahe, um Blanchetts Willen, als sie mit dem Schulleiter Collins am See stand, aus dem man wenige Tage zuvor Jessicas Leiche gezogen hatte. Aber sie haben es getan, sie haben das simple Eifersuchtsmotiv und eine provokante Haltung Jessicas hergenommen, um aus dem netten Collins einen Affekttäter zu machen. Was in aller Welt ihn anficht, seinerseits noch einmal an den See zu wollen, um zu prüfen, ob Annie wirklich sehen kann ihn als Täter erkennen kann, das wissen die Götter. Man kann es sich vielleicht so zusammenreimen: Er will auf  Nummer sicher gehen und für den Fall, dass Annie ihn tatsächlich „sieht“, hat er die Taschenlampe dabei, um sie zu erschlagen. Das wiederum macht aus dem vormaligen Affekttäter einen echten Mörder und er ist eben kein guter Mann, wie er selbst von sich aber behauptet, und verliert in einem Moment alle Sympathie, die er als häufig Gehörnter und Gedemütigter noch ansatzweise hat. Diese Figur wird einfach geschlachtet, anstatt dass man den  Zuschauer in irgendeiner Weise im Suspense hält und sie als einen von vielen Verdächtigen aufbaut, die Jessica zu Tode gebracht haben könnten. Das ist ärgerlich. Okay, zwischenzeitlich kommt Donnies Frau Valerie in Verdacht, weil sie trotz Donnies Gewalt nur schwer ohne ihn kann und weil Jessica auch mit Donnie ein Verhältnis hatte, also auch Valerie eifersüchtig war. Das war’s aber schon, andere Figuren werden uns nicht ernsthaft als Verdächtige präsentiert. Vielleicht noch der Staatsanwalt, der – wir ahnen es – ebenfalls mit Jessica zugange war.

Der Film ist eben nun einmal auch als Whodunit aufgebaut. Hätte man den Kriminalfall anders aufgezogen oder nicht so in den Vordergrund gerückt, sondern mehr die soziale Situation, in der sich Annie Wilson befindet und die Mentalität der Menschen in dieser kleinen, etwas krank wirkenden Stadt, dann wäre auch ein zweiter Aspekt nicht so wichtig geworden: Warum wird Donnie eigentlich verurteilt?

Annie hat lediglich die Leiche verortet, aber nicht Donnie beschuldigt. Insofern wählt dessen Rechtsanwalt die falsche Strategie, indem er sie angreift, anstatt herauszustellen, dass der Fundort auf Barksdales Besitz noch lange nicht Barksdales Schuld belegen muss. Es gibt nicht einmal ein anständiges Motiv, alles wird auf der allgemeinen Gewaltbereitschaft Barksdales aufgebaut. Dabei sagt seine Frau Valerie schon früher im Film, er sei zwar ein Arschloch (m. a. W.), aber werde sicher niemanden umbringen – auch Annie nicht. Das haben wir behalten und deswegen war uns von Beginn an klar, dass er nicht der Mörder von Jessica ist, denn zur Logik dieses Films gehört auch, dass Aussagen, die Annie macht und die ihr gegenüber von ihren Kunden gemacht werden, wahr sind.

Sie sind höchstens etwas schwammig und auch bei Annie ist die Sehergabe nicht immer gleich stark ausgeprägt. So konnte sie ihren Mann nicht konkret vor dem Unglück in der Firma warnen, sieht aber den Ort, an dem Jessica umkam, sehr deutlich. Ebenso wie Jessica als Tote in ihrer konkreten Gestalt, als Wasserleiche mit einem eingeschlagenen Auge. Sehr effektvoll übrigens, weil es keineswegs auf eine Affekttat schließen lässt, jemanden so zuzurichten. Was sie lange Zeit überhaupt nicht sieht, ist der Mörder. So unstimmig wirkt das allerdings nicht, ihre Gabe konzentriert sich mehr auf Ereignisse denn auf Charakteranalysen. Menschen entschlüsseln kann sie gar nicht so gut, wie wir mehrfach feststellen dürfen. Wie in vielen anderen Horrorfilmen wird die Verbindung zwischen seherischer Gabe und Analysefähigkeit der sehenden Person nicht hergestellt, um ein Gefühl der unbestimmten Gefahr aufrecht zu erhalten. In Wirklichkeit würde wohl jeder, der eine solche Gabe hat, auch nach dem „Sehen“ von Situationen über deren Zusammenhänge nachdenken und dabei  schnell zu sinnvollen Schlüssen kommen – zumal bei einem so relativ schmalen Personentableau, wie es in diesem Film, in dieser gezeigten Kleinstadt, vorhanden ist.

Zurück zu Donnies Verurteilung durch die Geschworenen. Dass er Besitzer des Sees ist, in dem Jessica verschwindet, und bekanntermaßen zu Gewalt neigt, reicht nicht aus, was immer der Staatsanwalt behauptet. Den Geschworenen werden keinerlei Beweise oder nur tragfähige Indizien vorgelegt, die den Vortrag des Staatsanwalts erhärten könnten. Wir sind im Jahr 2000, in dem die DNA-Analyse von der Kriminaltechnik schon sehr gut eingesetzt werden konnte und sehr genaue Ergebnisse lieferte. Kein Wort davon, dass es eine diesbezügliche Analyse gab. Das Tatwerkzeug wird ebenfalls nicht unter die Lupe genommen oder ist  nicht Gegenstand der Betrachtungen . Das Urteil gegen Donnnie passiert mehr, als dass es gefällt wird.

Es ist kein Ausweis von Inspiriertheit, dass noch im Jahr 2000 die Kriminaltechnik, überhaupt die Arbeit der Polizei, quasi negiert wird, um eine uralt anmutende Geschichte zu erzählen, in der jemand umgebracht wird, niemand weiß, von wem, und eine mit übersinnlichen Kräften begabte Person das Rätsel lösen soll. Normalerweise hat die Polizei gar keinen Grund, so vorzugehen. Selbst wenn der Kleinstadtsheriff nicht das personelle und technische Equipment für das Lösen eines Falles wie dem von Jessicas Verschwinden hat, bekommt er natürlich Unterstützung vom nächstgelegenen Morddezernat, und das wird spätestens nach dem Leichenfund eine ganz andere Vorgehensweise wählen als die quasi unsichtbare in „The Gift“.

Finale

Wenn man will, kann man den Film als einen Totentanz sehen, wie Kritiker es getan haben, das vergleichsweise langsame Filmen als eine Steigerung der Spannung, die diesem Tanz innewohnt, man kann aber auch konstatieren, dass es sich um ein höchst durchschnittliches Werk handelt, dem der üppige Cast nicht hilft.

Nur Cate Blanchett sorgt dafür, dass man sagen kann, „The Gift“ ist sehenswert, weil ihre Figur Annie Wilson es wert ist, angeschaut zu werden. Wenn sie agiert, sind sehr innige Momente zu bewundern. Der schönste vielleicht, als sie beinahe mit dem Schulleiter etwas anfängt, aber dann ihren Mann nicht vergessen kann. Allein ihr Gesichtsausdruck, ihre Augenstellung, als sie einen Moment der Ruhe ausgerechnet beim Mörder sucht, der inzwischen ein wenig verwahrlost ist, sind grandios und einzigartig. Aber sie sieht ihn nicht. Sie fühlt nicht, dass die Gefahr von ihm ausgeht. Und wenn sie Dinge sehen kann, dann müsste sie doch auch sehen, dass sie selbst in Gefahr ist. Es ist nicht Blanchetts Schuld, dass es in diesem wichtigen Augenblick nicht mit dem Hellsehen klappt, sondern die des Drehbuchs. Damit rettet die Hauptdarstellerin den Film auf mittelmäßige

64/100.

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Sam Raimi
Drehbuch Billy Bob Thornton,
Tom Epperson
Produktion James Jacks,
Gary Lucchesi,
Tom Rosenberg
Musik Christopher Young
Kamera Jamie Anderson
Schnitt Arthur Coburn,
Bob Murawski
Besetzung

 

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