Wie viele Staaten erfüllen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO? (Statista + Zusatzinfos + Kommentar) | Briefing 441 | Geopolitik

Briefing 441 Geopolitik, NATO, 2-Prozent-Ziel, Rüstungsausgaben, Verteidigung

Allüberall heißt es, die Europäer sind auf eine erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten schlecht vorbereitet und fast alle erwarten, dass seine mögliche zweite Amtszeit noch mehr Unberechenbarkeit in die internationalen Beziehungen bringen wird.

Ein Vorgeschmack ist die Rüstungsdebatte, die gerade entfacht wurde, das Neueste dazu können Sie hier und hier lesen. Mit weiteren Aspekten wie der Haltung der Bevölkerung in Deutschland zur Rüstungsexpansion und einer europäischen Atomrüstung hier.

Kürzlich machten Aussagen von Trump Schlagzeilen, dass die USA Länder nicht schützen würden, die nicht zahlen, also nicht das NATO-Ziel von 2 Prozent ihres BIP für Rüstung einhalten würden. Die USA selbst liegen regelmäßig zwischen 3,5 und 4 Prozent, bei den Europäern sind die Polen die neuen Pets der Amerikaner und übertreffen diese gegenwärtig sogar. Selbst da angeblich so arme Griechenland kommt auf 3 Prozent Rüstung vom BIP. Und Deutschland? Man hangelt sich langsam aufwärts, von 1,19 Prozent auf 1,57 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Inklusive oder exklusive dem Sondervermögen Bundeswehr. Vermutlich eher inklusive. Da die Wirtschaft in Deutschland stottert, ist es relativ leicht geworden, bei steigenden Rüstungsausgaben dem NATO-Ziel näher zu kommen, außerdem kurbelt mehr Rüstung wiederum das BIP an. Die USA profitieren von all diesen Anstrengungen der Partner natürlich am meisten, die Waffenindustrie ist die größte Exportbranche des Landes und die Power dieser Konzerne entsteht natürlich auch durch die hohen eigenen Verteidigungsausgaben der Vereinigten Staaten, in denen immer wieder riesige Summen für die Entwicklung neuer Spitzentechnologie ausgegeben werden.

Einen Ausschnitt aus der aktuellen Tabelle der NATO-Rüstungsausgaben sehen Sie hier:

Infografik: Wie viele Staaten erfüllen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

EX- und möglicherweise bald wieder US-Präsident Donald Trump angedeutet hat, nach seiner Wiederwahl nur die NATO-Staaten verteidigen zu wollen, die das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen. Wer damit gemeint sein könnte, zeigt der Blick auf die Defence Expenditures of NATO Countries. Demnach erreichen aktuell nur elf Staaten die Vorgabe, mindesten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke aufzuwenden. Am besten steht hier Polen mit 3,9 Prozent da. Dahinter folgen die USA (3,5 Prozent) und Griechenland (3,0 Prozent). Die europäischen Mitglieder kommen im Schnitt auf 1,9 Prozent – wobei sich Deutschland mit rund 1,6 Prozent im unteren Mittefeld einsortieren lässt. Am weitesten vom Zwei-Prozent-Ziel entfernt sind derzeit Belgien (1,1 Prozent) und Luxemburg (0,7 Prozent).

Wir haben für Sie die gesamte Tabelle aus der Quelle:

 

Table 3 : Defence expenditure as a share of GDP and annual real change

                       
 

Based on 2015 prices

                     
   

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

2021

2022e

2023e

                     
 

Share of real GDP (%)

                   
   

Albania

1,35

1,16

1,10

1,11

1,16

1,28

1,30

1,24

1,21

1,76

   

Belgium

0,97

0,91

0,89

0,88

0,89

0,89

1,01

1,05

1,19

1,13

   

Bulgaria

1,31

1,25

1,24

1,22

1,45

3,13

1,59

1,52

1,62

1,84

   

Canada

1,01

1,20

1,16

1,44

1,30

1,29

1,42

1,27

1,22

1,38

   

Croatia

1,82

1,76

1,60

1,64

1,55

1,61

1,71

1,98

1,82

1,79

   

Czechia

0,94

1,02

0,95

1,03

1,10

1,18

1,30

1,39

1,34

1,50

   

Denmark

1,15

1,11

1,15

1,14

1,28

1,30

1,38

1,32

1,38

1,65

   

Estonia

1,93

2,03

2,07

2,01

2,01

2,05

2,30

2,02

2,16

2,73

   

Finland

1,45

1,45

1,42

1,38

1,39

1,45

1,53

1,40

1,68

2,45

   

France

1,82

1,78

1,79

1,78

1,81

1,81

2,00

1,91

1,88

1,90

   

Germany

1,19

1,19

1,20

1,23

1,25

1,35

1,51

1,46

1,49

1,57

   

Greece

2,22

2,31

2,40

2,38

2,54

2,45

2,91

3,70

3,86

3,01

   

Hungary

0,86

0,90

1,00

1,19

1,01

1,34

1,76

1,68

1,82

2,43

   

Italy

1,14

1,07

1,18

1,20

1,23

1,17

1,59

1,57

1,51

1,46

   

Latvia*

0,94

1,03

1,44

1,59

2,06

2,02

2,15

2,07

2,08

2,27

   

Lithuania*

0,88

1,14

1,48

1,71

1,97

2,00

2,07

1,97

2,47

2,54

   

Luxembourg

0,37

0,42

0,38

0,50

0,50

0,55

0,58

0,47

0,62

0,72

   

Montenegro

1,50

1,40

1,42

1,34

1,37

1,33

1,73

1,55

1,41

1,87

   

Netherlands

1,15

1,13

1,16

1,15

1,22

1,32

1,41

1,38

1,63

1,70

   

North Macedonia

1,09

1,05

0,97

0,89

0,94

1,16

1,24

1,47

1,62

1,87

   

Norway

1,54

1,58

1,73

1,71

1,72

1,84

1,97

1,72

1,51

1,67

   

Poland*

1,88

2,23

2,00

1,89

2,02

1,99

2,23

2,22

2,40

3,90

   

Portugal

1,31

1,33

1,27

1,24

1,34

1,37

1,43

1,53

1,42

1,48

   

Romania*

1,35

1,45

1,43

1,73

1,79

1,84

2,01

1,86

1,72

2,44

   

Slovak Republic

0,98

1,11

1,12

1,10

1,22

1,70

1,92

1,74

1,81

2,03

   

Slovenia

0,97

0,93

1,00

0,98

1,01

1,05

1,06

1,24

1,25

1,35

   

Spain

0,92

0,93

0,81

0,91

0,93

0,91

1,01

1,04

1,07

1,26

   

Türkiye

1,45

1,38

1,45

1,51

1,82

1,86

1,86

1,61

1,36

1,31

   

United Kingdom

2,14

2,03

2,08

2,07

2,10

2,08

2,35

2,30

2,16

2,07

   

United States

3,72

3,52

3,52

3,31

3,29

3,51

3,64

3,48

3,45

3,49

 

NATO Europe and Canada

1,43

1,42

1,44

1,48

1,51

1,54

1,72

1,67

1,65

1,74

 

NATO Total

2,58

2,48

2,49

2,40

2,41

2,54

2,71

2,60

2,57

2,64

Nun wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, Belgien oder Luxemburg anzugreifen, aber was wir sehen, ist zum einen, dass nur 11 von 19 NATO-Staaten das 2-Prozent-Ziel erreichen, dass über zehn Jahre hinweg der Anteil der Rüstungsausgaben am BIP aller NATO-Länder etwa gleich geblieben ist, dass die Europäer und Kanada aber zugelegt haben. Bei einigen europäischen Staaten ist die Steigerung signifikant, zum Beispiel bei den baltischen Ländern, die sich von Russland stark bedroht fühlen. Überschlägig kann man sagen, dass vor allem Länder, die in Mittel- und Osteuropa liegen, ihre Rüstungsausgaben stark steigern. Je näher an Russland, desto stärker die Steigerung. Interessanterweise gilt das auch für Ungarn, trotz dessen putinfreundlicher Regierung.

Trump hat in einer Reaktion auf die Proteste gegen seine Nichtschutz-Aussage behauptet, die NATO sei durch ihn stärker geworden, da er dafür gesorgt habe, dass die Europäer mehr rüsten. Jetzt, wo er nicht mehr das Sagen habe, wieder nachlässig würden. Lügt Trump? Nicht ganz. In der Tat gab es einen Auftrieb ab 2017/18 und seit Joe Bidens Amtsantritt stagniert per Saldo der Anteil der EU und Kanadas am NATO-Gesamt-Rüstungsbudget.  Weder wurde aber unter Trump erreicht, dass der europäisch-kanadische Teil der NATO das Zweiprozentziel erreicht hat, noch ging unter Biden der unter Trump erreichte Wert von ca. 1,7 Prozent zurück. Die Trumpisten-Putinisten in Deutschland sollten sich diese Tabelle einmal anschauen. Es war vor allem Trump, der dafür gesorgt hat, dass die Bundesregierung schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine dem Druck aus den USA nachgegeben und das Verteidigungsbudget erhöht hat.

Das NATO-Ziel ist angesichts der Gesamtrüstung der NATO trotzdem äußerst fragwürdig. Nicht vorrangig auf die Quantität, sondern auf die Qualität und Integration der Rüstungssysteme, der Befehlsstrukturen und auf den Zustand der Streitkräfte kommt es an, wenn die NATO wirklich nur auf gemeinsame Verteidigung ausgerichtet sein soll.

Das ist sie selbstverständlich nicht. Das Ganze ist auch ein Geschäft mit vielen nationalen Eigeninteressen unter der Führung der Amerikaner und damit ein geopolitisches Puzzle, angesichts dessen man sich mehr und mehr fragen muss, ob die NATO im Falle eines Angriffs auf eines ihrer Länder funktionieren würde. Ihre offensiven Aktionen sind in den letzten Jahren jedenfalls nicht sehr erfolgreich gewesen.

Wir haben diese Frage bereits in mehreren Artikeln gestellt, besonders unter Berücksichtigung des Aspekts, dass Donald Trump wieder US-Präsident werden könnte, zuletzt anlässlich von Überlegungen / Umfragen zu einer eigenen Atomstreitmacht der EU oder Deutschlands: Wäre es nicht tatsächlich sinnvoll, endlich die Abnabelung zu vollziehen? Selbstverständlich nicht in der Form, dass Europa eine leichte Beute wäre.

Wir halten angesichts der zunehmenden Unzuverlässigkeit der USA eine europäische Atomstreitmacht schon seit einiger Zeit nicht mehr für komplett abwegig. Sicherlich kontrastiert das zu allen friedenspolitischen Ansätzen, aber eines ist unbestreitbar: Die Welt ist gegenwärtig nicht, wie wir sie uns wünschen, sondern entwickelt sich immer weiter von diesen Wünschen weg. Das Ganze hat eine gefährliche Dynamik. Auf der anderen Seite darf man nicht komplett naiv an alle geopolitischen Anforderungen herangehen, wie es in Deutschland weit verbreitet und sehr realitätsfern ist. Wenn die Amerikaner sich wie Idioten aufführen, die ihre eigene geopolitische Position beschädigen und ihre engsten Verbündeten vor den Kopf stoßen wollen, dann muss Europa darauf eine Antwort haben, die den Schutz des sogenannten Alten Kontinents trotzdem sicherstellt. Das NATO-Ziel spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle, weil die enorme konventionelle Rüstung der USA vor allem darauf basiert, dass diese unzählige Stützpunkte für ihre Streitkräfte weltweit unterhalten. Das trifft auf Europa nicht zu, deswegen würden die jetzigen Rüstungsetats wohl ausreichen, um unter Einschluss der atomaren Abschreckung Europa vor Angriffen zu sichern.

TH

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