Wie fänden Sie es, wenn Joe Biden erneut US-Präsident würde? | Briefing 443 | Geopolitik, PPP

Briefing 443 Geopolitik, USA, Politik, Personen, Parteien, Joe Biden, Donald Trump, US-Präsidentschaftswahlen 2024

Mit großem Bangen blickt Europa auf die US-Präsidentschaftswahl im November 2024. Joe Biden ist alt, sein vermutlicher Herausforderer Donald Trump ebenfalls, aber Letzterer ist nicht zu alt, um mit seinen Aussagen für Angst und Schrecken zu sorgen. Was halten Sie davon, dass Biden weiterhin US-Präsident bleiben könnte?

Civey-Umfrage: Wie würden Sie es bewerten, wenn Joe Biden die diesjährigen US-Präsidentschaftswahlen gewinnen würde? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Der amtierende US-Präsident Joe Biden wird im November erneut für die Demokraten bei den US-Präsidentschaftswahlen antreten. Aufgrund seines hohen Alters wird die Kandidatur des 81-Jährigen teils hinterfragt. In der jüngsten Dokumentenaffäre unterstellte ihm ein Sonderermittler, wie ein „wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis” zu wirken. Zudem habe er laut SZ kürzlich bei einem Auftritt Helmut Kohl mit Angela Merkel verwechselt. 

„Mein Gedächtnis ist gut.” Das sagte Biden letzte Woche auf einer Pressekonferenz. Dabei übte der Präsident scharfe Kritik an dem Sonderermittler, der ihm Gedächtnislücken in Bezug auf seinen verstorbenen Sohn vorwarf. Etwaige Missverständnisse begründete Biden mit den Umständen, die beim Ermittlungsbeginn vorlagen – wie etwa dem Überfall der Hamas auf Israel. Es verginge allerdings kein Tag, an dem er sich nicht an seinen verstorbenen Sohn erinnere. 

Bidens wahrscheinlichster Herausforderer ist der ehemalige US-Präsident Donald Trump. Obschon der Republikaner bei den Vorwahlen einen guten Auftakt hatte, gibt es auch für ihn diverse Hürden. Es laufen mehrere Strafverfahren gegen ihn, u.a. wegen seines Einflusses auf den Sturm auf das Kapitol 2021. Zudem gab es auch bei dem 77-Jährigen Aussetzer. So habe er jüngst laut Tagesspiegel seine innerparteiliche Gegenkandidatin Nikki Haley für Nancy Pelosi, die ehemalige Repräsentantenhausvorsitzende, gehalten.

„Mein Gedächtnis ist gut“. Politiker haben bekanntlich immer dann ein schlechtes Gedächtnis, wenn es um ihre Verfehlungen geht. Bei Olaf Scholz liegt sicher noch keine Demenz vor, und wie schlecht erinnert er sich an Dinge, die seine Verstrickung in den Wirecard-Skandal oder die Cum-Ex-Affäre betreffen? Erstaunlicherweise kommen die Politiker mit solchen Fake-Erinnerungslücken immer wieder durch. Warum sollten da echte Aussetzer schlimmer sein?

Zum Beispiel, weil sie zu gravierenden Fehlentscheidungen mit hohem Sicherheitsrisiko führen könnten. Weil eine Verwechslung im falschen Moment ein politisches Erdbeben auslösen könnte. Weil geistige Fitness in der Machtposition, wie Biden sie innehat und wie Trump sie bald wieder innehaben könnte, unabdingbar ist für das Funktionieren des Westens im Ganzen.

Dass hieran Zweifel aufgekommen sind, ist schlimm genug. Dass es scheint, als ob es in den USA keine Politiker unter 77 gäbe, die in der Lage sind, sich als bessere Präsidentschaftskandidat:innen zu verkaufen als der Amtsinhaber und sein Herausforderer, die in umgekehrter Konstellation schon den vergangenen Wahlkampf bestritten, ist beinahe makaber.

Aber dass einer der beiden Kandidaten ganz bewusst versucht, die westliche Bündnisarchitektur durch seine Aussagen ins Wanken zu bringen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Die demokratietechnischen, innenpolitischen und sonstigen geopolitischen Volten wollen wir uns gar nicht so genau vorstellen, die unter einer erneuten Präsidentschaft Trumps zu erwarten wären.

Daher kommt es, dass wir denjenigen der beiden, der älter ist und noch etwas seniler wirkt als der andere, tatsächlich mit einem „eher positiv“ bedacht haben, seine Wiederwahl betreffend. Im Grunde ist dies eine verzweifelte Lage. Auch Bidens Politik ist alles andere als über Kritik erhaben, in vielerlei Hinsicht und ohne die zeitweiligen Ausfälle. Diese bestimmen andererseits auch nicht das Bild, sondern jeder davon wird hochgejazzt, weil der Mann so alt ist. Würde das einem jüngeren Politiker passieren, würde man es als Bildungslücke labeln, die man schließen kann, wie es bei George W. Bush immer wieder einmal der Fall war.

Trotzdem ist es ein böses Omen, dass eine Nation, die einmal das Land der Hoffnung und Zukunft für so viele Menschen war, es nicht mehr schafft, einen politischen Generationswechsel zu vollziehen. Es ist, als ob die Amerikaner die Zukunft nicht mehr wählen wollten und als ob das Land mental im Rekordtempo vergreisen würde. Barack Obama war der letzte Präsident, der etwas wie eine Hoffnung verkörperte, auch altersmäßig. Er ist immer noch wesentlich jünger als die aktuellen Hauptakteure im Kampf um das Präsidentenamt (63 Jahre), obwohl er nach zwei Präsidentschaften schon seit acht Jahren im Ruhestand ist, auf dieses Amt bezogen. Präsidenten dürfen in den USA nur einmal wiedergewählt werden.

Uns ist fundamental unwohl angesichts der geopolitischen Herausforderungen dieser Tage, wenn wir zuschauen, was in den USA politisch abläuft, nicht nur, weil die Herrschaften, sie sich um den Platz im Weißen Haus von Washington streiten, schon so alt sind. Doch es ist ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor. Es gibt Menschen, die bis ins höchste Alter sehr fit wirken, aber diese beiden Politiker sind ja nicht nur etwas vergesslich oder verwechseln einmal etwas, sie können auch keine Zukunft verkörpern. Trumps Bösartigkeit wirkt nicht weniger bedrohlich durch sein hohes Alter, zusätzlich wird der Unberechenbarkeitsfaktor höher, wenn jemand mit diesem Charakter noch einmal an die Schalthebel der Macht darf, der am Ende seiner Amtszeit ebenfalls über 80 Jahre alt sein wird. Biden hat zwar in seiner ersten Amtszeit einige interessante Entscheidungen getroffen, vor allem wirtschaftspolitisch. Diese waren aber im Grunde eine Fortsetzung von Trumps Politik des sehr offensichtlichen Egoismus. Doch eine Vision für die Welt von morgen, wie sie einem amerikanischen Präsidenten aufgrund seiner Stellung zufällt, darf man von ihm nicht mehr erwarten.

Es ist im Grunde wie bei uns: Man kann sich nur für die weniger schlimme Möglichkeit entscheiden, weil es keine überzeugende Auswahl gibt. Was dies für die Demokratien im Westen bedeutet, ist nicht im Detail einzuschätzen, aber es kann nichts Gutes sein. Dass ein Typ wie Trump in den USA Begeisterungsstürme auslösen kann, ist so schräg, dass man eigentlich das ganze Land auf die Couch verfrachten müsste, um herauszufinden, was dort nicht stimmt. Nicht, dass es in Deutschland so viel besser wäre, aber man schaut eben auf die Vereinigten Staaten und weiß instinktiv, dass man ohne sie ziemlich blöd dasteht, nach jahrelanger freiwilliger Abhängigkeit. Aber wer will von Männern abhängig sein, die sich eher einen Platz im Seniorenheim verdient hätten als weitere Jahre auf dem wohl verantwortungsvollsten Posten der Welt? Menschen, für die unsere Generation da sein und sie umsorgen sollte, nicht umgekehrt. Einen solchen Wahlkampf alter weißer Männer mitzuerleben, bedeutet auch, den gesellschaftspolitischen Rückschritt mitanschauen zu müssen, der sich mit dieser Kandidatenauswahl verbindet.

Wir glauben auch nicht, dass Trump noch gerichtlich gestoppt werden kann. Es ist unglaublich, mit was man in den USA alles durchkommt, wenn man nur ruchlos genug ist. Nicht ganz neu, aber so bedrohlich wie nie auch für uns in Europa, wenn ein so mit der Vergangenheit belasteter alter Mann das noch einmal schafft. Auch Biden hat, wie wir wissen, nicht eine ganz reine Weste, aber wir meinen, die Dimensionen der Verfehlungen sind nicht vergleichbar.

Es gibt aber etwas, das ähnlich bedenklich ist wie dieses Greisenrennen in den USA: In Europa gibt es viele junge Regierungschef:innen, aber es ist nicht zu erkennen, dass daraus eine eigenständige Dynamik entstehen würde, die den alten Kontinent progressiver wirken lassen würde als die USA. Vermutlich ist die gesamte westliche Zivilisation verbraucht, auch dank eines Wirtschaftssystems, das immer mehr alle Generationen unter dieselben Zwänge stellt, in denen kein Fortschritt mehr möglich ist. Das Kapital akkumuliert sich ohne jede Rücksicht auf das Gedächtnis oder Alter von Spitzenpolitikern immer mehr zulasten der Vielen.

Nur eine ziemlich abgewirtschaftete Kultur kann dazu führen, dass man angesichts von US-Wahlen denkt: Lieber Gott, lass den alten, verkrusteten Biden gewinnen und nicht den alten und fiesen Trump. Und ansonsten ist es wie auf hoher See. Vielleicht kommt ja während der nächsten Legislaturperiode mal jemand auf, der nicht enttäuscht, wie Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris, die für einen natürlichen Generationswechsel gestanden hätte, wäre sie nicht so untergegangen.

So wie wir, denken wohl die meisten der Abstimmenden, es gibt eine Mehrheit von insgesamt über 60 Prozent, die eine Wiederwahl Bidens bevorzugt.

TH

 

 

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