Briefing 473 Geopolitics, USA, US-Präsidentschaftswahl 2024, Donald Trump, Joe Biden
Am fünften November 2024 ist es wieder so weit. Das größte Wahlspektakel der Welt, die US-Präsidentschaftswahl wird stattfinden.
Es wird die 60. Wahl eines Präsidenten sein. Schon die Vorwahlen, erst recht der Wahlkampf sind ein riesiges Spektakel, das hierzulande surreal wirkt. Demokratischer sind die USA deswegen aber nicht, sie stehen in allen relevanten politischen Indizes mittlerweile schlechter als beispielsweise Deutschland, das seinerseits nicht gerade durch Fortschritte glänzt.
Klar ist, dass die Wahlen in den USA erhebliche Auswirkungen auf Deutschland haben werden, deswegen gibt es heute diese Umfrage:
Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter
Biden gegen Trump? Bei der diesjährigen US-Präsidentenwahl im November treten voraussichtlich Amtsinhaber Joe Biden und Ex-Präsident Donald Trump erneut gegeneinander an, berichtete das ZDF. Bei den Vorwahlen in mehreren US-Bundesstaaten haben beide genug Delegiertenstimmen gesammelt, um im Sommer von ihren Parteien als Kandidaten nominiert zu werden. Biden geht erneut für die Demokraten und Trump für die Republikaner ins Rennen.
Gegen Trump laufen mehrere strafrechtliche Prozesse. Die schwerwiegendste Klage betrifft die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021. Vorgeworfen wird ihm etwa die versuchte Wahlbeeinflussung und Verschwörung zum Betrug an den USA. Trump streitet jegliche Vorwürfe als „Wahlmanipulation” zugunsten Bidens ab. Der Spiegel geht von einer ungewissen Zukunft der NATO und dem Verbleib der USA in internationalen Institutionen aus, sollte Trump gewinnen. Auch deshalb unterstützen viele westliche Länder wie Deutschland Biden.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán warb jüngst erneut für Trump. Orbán bezeichnete ihn laut ARD als Friedensstifter, da Trump behauptet habe, er könnte den Krieg in der Ukraine in 24 Stunden beenden. Möglich würde dies durch die Einstellung der Hilfsgelder an die Ukraine, sobald er US-Präsident würde. Biden kritisierte dies und rief dazu auf, die Demokratie gegen derartige Populisten zu verteidigen. Währenddessen kämpft der 81-jährige Biden mit Vorbehalten aufgrund seines Alters. Zuletzt wurde er laut Zeit wegen seiner Nahostpolitik kritisiert. Jüngere Parteimitglieder werfen ihm Untätigkeit im Gaza-Krieg vor.
Hier können Sie alles Wissenswerte zur US-Wahl nachlesen: Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2024 – Wikipedia Sie werden dort sehen, dass dies eine Wahl der Superlative ist, unter anderem wegen des Rekordalters beider Kandidaten. Wer aus deutscher Sicht für Donald Trump ist, muss schon ziemlich bescheuert sein, um es mit schlichten Worten zu schreiben. Wer für Biden ist, muss ziemlich desillusioniert sein. Aber so sieht es wohl aus, die beiden Greise werden gegeneinander antreten und wir fühlen uns an die Situation hierzulande erinnert: Weit und breit gibt es keine überzeugende und im Sinne der Erlangung tatsächlicher Macht auch realistische Wahlmöglichkeit.
Eine erneute Präsidentschaft Joe Bidens würde es den Europäern erlauben, auf einigermaßen ehrenhaft wirkende Weise mehr Selbstständigkeit von den USA zu organisieren – während Trump sie brutal dazu zwingen würde, worauf insbesondere die Bundesregierung kaum vorbereitet ist. Es ist ganz unmöglich, wie auch immer diese Wahl laufen wird, einfach weiterzumachen wie bisher, wenn Europa nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit versinken will. Natürlich mussten wir uns entscheiden, deswegen haben wir klar für Biden gestimmt, wie über 60 Prozent derer, die derzeit schon einen Klick gemacht haben.
Es gibt in Deutschland aber auch eine Gruppe oder einige Gruppen, die nicht verrückt sind, wenn sie für Trump sind. Sie sind antidemokratisch und erwarten sich von einer Destabilisierungspolitik à la Trump eine Schwächung des Westens und eine Stärkung autokratischer Länder.
Im Falle des Ukrainekriegs wird es deshalb von diesen Kreisen als gute Idee empfunden, dass Trump der Ukraine nicht mehr helfen will bei ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg. Wir halten es durchaus für möglich, dass Trump sich damit in den USA durchsetzen wird. Dieser Mensch, der gerade mehr Justizverfahren gegen sich hat als die meisten Bosse der Organisierten Kriminalität in ihrem ganzen Leben zustande bringen, wird wohl trotzdem für die Republikaner ins Rennen gehen dürfen. Wen das nicht bedenklich stimmt, dem ist die Demokratie wurscht und findet es nicht schlimm, wie sich die USA rückwärts entwickeln.
Nun waren die USA noch nie ein Hort besonders hochwertiger Ethik, der Kampf gegen die Nazis ließ das nur einmal für kurze Zeit so wirken, aber es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Zustand des Landes vor ein paar Jahrzehnten und dem heutigen.
Man kann den Start der Abwärtsentwicklung hier oder dort ansetzen, bei Bush junior, bei Trump I oder spätestens beim ersten Kennedy-Mord; Tatsache ist, dass wir Lösungen für geostrategische Probleme brauchen, die auch durch eine Wiederwahl Bidens nicht verschwinden werden. Gegenwärtig hat Trump sowieso die Nase vorne, aber es wirkt nicht, als ob hierzulande ein Plan für seinen erneuten Sieg vorläge, der über die Erfüllung des 2-Prozent-Ziels der NATO hinausweisen würde. Wenn Trump plötzlich sagt, der Deal geht auf 3 Prozent, was ihm in Deutschland ja von einigen Politiker:innen, auch dem Verteidigungsminister, geradezu angedient wird, dann geht das Hasenrennen von vorne los, außerdem müssen ja die Versäumnisse der Vergangenheit noch aufgeholt werden, das könnte man in die Immer-mehr-Rüstung-Propaganda integrieren.
Hinzu kommt die während der ersten Präsidentschaft Trumps aggressive Außenwirtschaftspolitik, die eine Abkehr vom Fair Trade einläutete und von Biden keineswegs geändert wurde. Im Gegenteil, der Konkurrenzkampf mit Schulden machen als Treibstoff für die Konjunktur wird immer schärfer und Trump ist zuzutrauen, dass er diese Entwicklung auch wieder mit immerhin ehrlicher, feindseliger Rhetorik würzt. Damit wird der das Glacis der engsten Verbündeten der USA beschädigen und sie möglicherweise spalten.
Das hat Biden wenigstens noch vermieden, indem er zur alten Politik rhetorischer Vernunft zurückgekehrt ist. Darüber waren die Europäer so froh, dass sie weiterhin nicht erkennbar an einem Szenario des Exits aus der nahezu bedingungslosen US-Gefolgschaft, inklusive einer anderen Aufstellung der NATO, arbeiten. Nur ein solches Szenario, gut durchdacht, abgestimmt, glaubwürdig und entschlossen vorgetragen, kann Trump aber davon abhalten, noch mehr freizudrehen als zwischen 2016 und 2020.
Vielleicht ist alles ganz anders. Vielleicht müsste man sich Trump wünschen, damit Europa endlich aufwacht. Teuer werden die nächsten Jahre sowieso, aber ob sie auch noch aussichtslos werden, das kann die hiesige Politik durchaus beeinflussen. Wir haben beim Abstimmen nicht in diese Richtung gedacht, ganz sicher tun das auch nicht viele, die sich Trump wünschen. Es sind gegenwärtig nur knapp 17 Prozent. In der Regel wird eher linear gedacht, und dafür spricht natürlich auch einiges: Das Risiko einer zweiten Trump-Präsidentschaft für die geopolitische Stabilität ist enorm. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Trump 2025 wesentlich besser organisiert sein wird als 2017 und trotz seines höheren Alters schlagkräftiger an den Grundfesten einer regelbasierten Weltordnung rütteln wird als während seiner vorherigen Regierungszeit. Das würde die Diktatoren freuen und die Ähnlichkeit zwischen den USA und deren Herrschaftsgebiet vergrößern.
Viele Konflikte werden weder durch Trump noch durch Biden überzeugend gelöst werden können, Widersprüche werden zunehmen, die internationalen Spannungen ebenfalls. Man kann sich Biden wünschen, aus einem ehrlichen Impuls heraus, weil man will, dass es nicht immer schlimmer wird. Aber wurde es während seiner Präsidentschaft besser? Der Ukrainekrieg und der Gazakrieg sind eindeutige Belege dafür, dass die Antworten, die wir suchen müssen, nicht immer in die USA ausgelagert werden dürfen, die nicht mehr in der Lage sind, sinnvolle Antworten zu finden.
Gerade ein Land, das in den nächsten Jahren auf jeden Fall von Greisen regiert wird, ist ein schlagender Beweis dafür, dass nach vorne denken von dort nicht erwartet werden kann. Nicht so jedenfalls, dass es zu globaler Befriedung und mehr Wohlstand für alle führt. Mit diesen Kandidaten geht die westliche Führungsnation über den Umweg der Senilität oder Altersbrutalität in die Regression, und wenn wir uns dem nicht anschließen wollen, muss uns etwas Besseres einfallen, als diese Entwicklung einfach zu erdulden. Der Wettbewerb um die Ideen für die Zukunft findet hier statt. Je infantiler und degenerierter die US-Politik wird, desto mehr kann die Antwort nur lauten, dass Europa endlich erwachsen und solidarischer werden muss.
TH
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