Filmfest 1069 Cinema
Is this not America?
Der Falke und der Schneemann (The Falcon and the Snowman) ist ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1985, das die wahre Geschichte der Amerikaner Christopher John Boyce und Andrew Daulton Lee behandelt, die CIA-Informationen an die Sowjetunion verkauften. Das Drehbuch von Steven Zaillian basiert auf Robert Lindseys Sachbuch The Falcon and the Snowman: A True Story of Friendship and Espionage (1979). Regie führte John Schlesinger, der den Film auch koproduzierte. Aus dem Soundtrack zum Film stammt das Lied This Is Not America des Sängers David Bowie und der Jazz-Fusion-Band Pat Metheny Group.
„Marathon Man“ und „Midnight Cowboy“, zwei wichtige Filme John Schlesingers, sind für den Wahlberliner schon besprochen worden – wie steht „Der Falke und der Schneemann“ im Verhältnis zu diesen beiden?
Das Spätwerk vieler Regisseure, und „Der Falke und der Schneemann“ ist schon ein Schlesinger-Spätwerk, hat oft nicht mehr die Kraft, die Künstler auf ihrem Höhepunkt auszeichnete, und bei Schlesinger liegt dieser etwa von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er. Diese Spanne umschließt die Zeit, in welcher der Film spielt (das Jahr 1974 ist klar adressiert), aber nicht mehr diejenige, in welcher er gedreht wurde. Mehr dazu in der Rezension.
Handlung (1)
Christopher Boyce, dessen Hobby die Beizjagd ist, ist beruflich für die Einhaltung der Geheimhaltung der Dokumente, die Waffenlieferungen betreffen, in einem Unternehmen verantwortlich. Aus einer der Unterlagen erfährt er über die geheimen Aktivitäten der Central Intelligence Agency, die ihn empören. Boyce und der mit ihm befreundete Daulton Lee, der wegen seiner Drogensucht Geld braucht, beschließen, die erhaltenen Informationen an die Sowjets zu verkaufen. Sie nutzen die Kontakte von Lee unter den Drogenschmugglern und Lee reist nach Mexiko-Stadt, wo er sich an die sowjetische Botschaft wendet.
Die Russen versuchen, von Boyce weitere Geheimnisse wie die Frequenzen der Satellitenkommunikation zu bekommen. Boyce sagt, er möchte kündigen und studieren, woraufhin der russische Geheimagent den Ratschlag gibt, Russisch zu studieren und sich bei der CIA zu bewerben. Er betont, die Zusammenarbeit sei nicht beendet, sondern fange erst an.
Boyce besorgt die geforderten Frequenzen, für die er 100.000 US-Dollar bekommen will. Es kommt jedoch nicht mehr zur Transaktion. Lee wird vor der Botschaft festgenommen; die mexikanischen Polizisten halten ihn irrtümlich für einen Terroristen, der einen Polizeibeamten tötete. Lee wird gefoltert und gibt schließlich zu, er sei ein Spion. Er wird an der Staatsgrenze an die Amerikaner ausgeliefert.
Boyce kehrt in die USA zurück, wo er sich von seiner Freundin Lana verabschiedet und seinen Falken freilässt. Kurz daraufhin wird er festgenommen. Lee wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Boyce zu einer Gefängnisstrafe von 40 Jahren verurteilt.
Rezension
Durch die Einleitung ist der Ton im Grunde schon gesetzt: Der Film vermittelt durchaus 1970er-Feeling, auch wenn man immer wieder klar sehen kann, dass er jünger ist, denn die Outdoor-Szenen sind nicht so aufwendig gestaltet, dass man alles beiseite geschafft hätte, was auf die 1980er hinweist. Aber kurz bevor die großen Vietnam-Filme kamen, wie „Platoon“, „Full Metal Jacket“, setzt sich Schlesinger mit der Zeit auf eine andere Weise auseinander, in welcher dieser Krieg zu Ende ging. Speziell dem Jahr, in dem Richard Nixons Watergate-Affäre zum ersten und bisher einzigen Rücktritt eines US-Präsidenten geführt hat. Auf dem Höhepunkt der Vertrauenskrise erfasst diese auch einen jungen Mann, der in seiner Freizeit einen Falken jagen lässt.
Zunächst fühlt er nicht mehr die Berufung zum Priester in sich, dann geht ihm der Glaube an sein Land verloren, und er betrachtet es als politisches Statement, geheime Daten zu Spionage-Satelliten an die Sowjetunion zu verraten. Dabei gelangt er zu der Feststellung, dass die andere Seite auch nicht besser ist. Immerhin spielt der Film nicht bloß in der Epoche des Kalten Krieges, sondern wurde auch noch in ihr gedreht. 1985 war ein Wendejahr, aber das wusste noch niemand, als der Film entstand. Die frühen 1980er waren eher eine Zeit der Erstarrung zwischen den Blöcken, und als 1985 Michail Gorbatschow Generalsekretär des ZK der KPDSU wurde, misstraute man ihm im Westen erst einmal.
Der Film ist also keine Nachbetrachtung, sondern fängt den Geist der Belagerung und Belauerung durch zwei klar abgegrenzte Machtblöcke, welche die Welt beherrschten, klar ein. Auf die Idee zu kommen, eines der Systeme könnte besser sein als das andere, erforderte eine gewisse Naivität, aber Christopher Boyce, der bis zu einem gewissen Grad politisch denkende Falke, ist noch ein junger Mann und idealistisch, auf seine spezielle Art. Er setzt sich mit den Dingen auseinander, aber eine gewisse Abenteuerlust oder Lust an der Gefahr und dem Verbotenen ist auch dabei, als er aktiv wird.
Anders beim Schneemann, den Sean Penn in jungen Jahren schon eindrucksvoll spielt. Der unter Drogen stehende Typ ist eine Zeitbombe, Bestandteil von Chris‘ Plan und Gefahr zugleich, und sein Verhalten führt eine idealistische Gesamtschau auf den Geheimnisverrat ad absurdum. Er spiegelt die verkokst-hedonistische Gesellschaft der 1980er gut wieder. Man fand in der Reagan-Ära zwar konjunkturell wieder in die Spur, aber das frühere Selbstverständnis, dass das, was die USA tun, prinzipiell richtig ist, war nicht einfach so zu reparieren. Der lange moralische Abwärtsweg seit 1963 kulminiert in Typen, die nichts mehr zu sagen haben und durch eine materialistische Welt mäandern.
Der Film ist relativ zahm, es gibt kaum Gewaltdarstellungen, die Russen entledigen sich eines Typs wie Daulton nicht, indem sie ihn einfach verschwinden lassen, sie werfen ihn nur immer wieder aus ihrer Botschaft. Dadurch lassen sie es zu, dass er weiterhin für die Möglichkeit sorgen kann, dass seine Quelle und das gemeinsame Agieren aufgedeckt werden, selbst in Mexiko, wo der offenbar ohnehin etwas schlaffe Arm der CIA nicht hinreicht. Was er aber letztlich doch tut, wie wir am Ende sehen. Der Thrill tritt gegenüber dem Figurenstudium zurück, aber mich hat das nicht wesentlich gestört. Knackiges Action-Work ist ohnehin nicht John Schlesingers Herangehensweise, das hat er in früheren Filmen gezeigt.
Finale
Ein ansehnlicher Beitrag, der es versteht, das Interesse an den Figuren hochzuhalten. Ich habe mich unter anderem gefragt, welche Wertung der gezeigten Ereignisse er vornimmt. Sicher ist, dass er eine Hauptfigur wie Chris nicht zeigen könnte, wenn kein Verständnis für dessen falsche Art, das Richtige zu tun, vorhanden wäre. Aber letztlich gibt es keine Orientierung für den Zuschauer, und das entspricht dem Zustand der Figuren. Das ist eine ehrliche Zustandsbeschreibung, die auf Appelle verzichtet.
Und natürlich der Hit von David Bowie, der ist einen oder zwei Extrapunkte wert.
75/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | John Schlesinger |
|---|---|
| Drehbuch | Steven Zaillian |
| Produktion | Gabriel Katzka, John Schlesinger |
| Musik | Lyle Mays, Pat Metheny |
| Kamera | Allen Daviau |
| Schnitt | Richard Marden |
| Besetzung | |
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