„Ampel-Politik verschärft Wohnungsnot“ (Sahra Wagenknecht + Kommentar: Mietendeckel, BSW-Rhetorik vs. Realität im Allgemeinen) | Briefing 497 | Housing, PPP Politik, Personen, Parteien, Wirtschaft

Briefing 497 Wirtschaft, PPP, Sahra Wagenknecht, BSW, CDU, Union, Forderung und Realität, Idealismus und Enttäuschung

„Ampel-Politik verschärft Wohnungsnot“ betitelte Sahra Wagenknecht gestern ihren wöchentlichen Newsletter:

Inzwischen müssen mehr als 9,5 Millionen Menschen hierzulande auf zu engem Raum in einer überbelegten Wohnung hausen – das ist mehr als jeder Zehnte! Obwohl die Ampel das Gegenteil versprochen hat, sinkt die Zahl der fertiggestellten Wohnungen und Sozialwohnungen immer weiter. Dieses Totalversagen in der Wohnungspolitik muss endlich aufhören! Kanzler Scholz sollte Bauministerin Geywitz entlassen und endlich für bezahlbaren Wohnraum sorgen – u.a. mit gemeinnützigem Wohnungsbau und einem harten Mietendeckel. Meinungsvielfalt statt Cancel Culture (sp1-brevo.net)

Wenn man in den oben verlinkten Fokus-Artikel schaut, wird klarer, was Wagenknecht mit einem harten Mietendeckel meint: Eine Einfrierung auf dem Stand der Miethöhen von vor zwei Jahren. Nun ist das kein Einfrieren, sondern eine Kappung, denn die Mieten sind inzwischen weiter gestiegen. Aber grundsätzlich hat das BSW und hat Sahra Wagenknecht inhaltlich einen Punkt gemacht. Leider ist sie nicht den ganzen Weg gegangen.

Wir waren weniger darauf gespannt, ob und wann sich die Neu-Partei-Chefin zur Wohnungspolitik äußern wird, sondern wie. Dass sie es tun wird, war uns klar, denn es gibt kein Thema, das Wagenknecht nicht persönlich bespielt. Das muss sie nun auch, seit sie eine Partei führt, die auf sie persönlich zugeschnitten ist und von Beginn an ein „Volldienstleister im politischen Angebot als One-Woman-Show“ sein will, also sich nicht, wie einst die Grünen und später die AfD, mit ein paar Kernthemen nach vorne schraubt, die gerade aktuell sind, und dann Schritt für Schritt ihre Positionen ergänzt.

Das Spannende hat Wagenknecht nun aufgelöst. Wir waren uns nicht so sicher, in welcher Ausprägung sie in dieser Sache eine soziale  Haltung einnehmen wird.  Bei genauem Hinsehen bemerkt man folgendes: Es ist zwar viel vom innovativen Mittelstand die Rede und wie er geschützt werden soll, die Großkonzerne hingegen werden geradezu verteufelt, dabei gibt viele Konzerne, in denen die Arbeitsbedingungen weitaus besser sind als in Mittelstandsklitschen, die teilweise nicht einmal einen Betriebsrat haben, oder  in sogenannten innovativen Startups mit 100 Prozent Selbstausbeutungsquote für die dort beschäftigten „Freelancer“und mit einer Halbwertzeit von wenigen Jahren ausgestattet sind, wie man insbesondere im fehlgeförderten Berlin beobachten kann.

Ein Begriff kommt im gesamten Programm überhaupt nicht vor: Enteignung. Wenn die großen Preistreiber im Wohnungsbereich, private Immobilienkonzerne, nicht enteignet werden, wird sich die Mietpreisexplosion nicht bekämpfen lassen. Nicht, weil sie die Mieten am stärksten erhöhen, sondern weil sie mit ihrer großen Marktmacht den größten Einfluss auf die Mietspiegel haben, im Schatten ihrer Preistreiberei können dann auch kleinere Vermieter kräftig absahnen. Warum geht es nicht ohne Enteignung? Weil Wagenknecht bezüglich des Mietendeckels etwas ganz Wichtiges verschweigt. Angesichts der Tatsache, dass viele der Berliner BSW-Frontleute aus der Linken  kommen, muss man sagen: absichtlich verschweigt, denn diese Personen kennen den Stand der hiesigen Diskussion.

Selbstverständlich war uns klar, dass wir uns bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik mit dem BSW im Grundsatz häufiger treffen und vereinbaren können als bei der Außenpolitik. Uns ist auch geläufig, dass alles miteinander zusammenhängt. Trotzdem gibt es Unvereinbarkeiten: Nicht jede Logik springt problemlos von einer Assoziation zur nächsten: Wer zum Beispiel das Sanktionsregime gegen Russland hinterfragt, wie Wagenknecht es nicht zu Unrecht tut, ist noch lange nicht auf der richtigen Spur, was die Außenpolitik im Ganzen und speziell den Ukrainekrieg bezüglich seiner Genese und der richtigen Haltung im Hier und Jetzt angeht. Man kann zum Beispiel sagen, der Westen tut nicht zu viel in Sachen Waffenhilfe, sondern zu wenig, und darum entsteht jetzt eine Schieflage zulasten der Ukraine, die einen Diktatfrieden Russlands wahrscheinlicher macht. Die vielen Experten, die das betonen, zitiert Wagenknecht natürlich nie.

Warum dieses Beispiel? Weil wir die vielen Halbwahrheiten, die sich jetzt auch beim BSW schon zeigen, langsam über haben.

Weil das so ist, verweisen wir immer häufiger und nicht ohne den gewissen kleinen Sadismus gegenüber den Wagenknecht-Fans darauf: Wenn sie wirklich Bundespolitik machen will, in Regierungsverantwortung, dann wird sie von ihren außenpolitischen Vorstellungen genau 0,0 Prozent umsetzen können, weil die Zwänge und Bindungen Deutschlands viel zu stark sind, um von einer Einzelperson umgestoßen werden zu können, die im Grunde eine Newcomerin im echten Machtbetrieb wäre, gegen den die ewigen Zankereien in der Linken geradezu niedlich wirken. Der kleine Sadismus besteht darin, dass wir den Wagenknecht-Anhänger:innen schwere Enttäuschungen vorauszusagen, sollte ihre Ikone wirklich in diesem großen Stil Realpolitik machen können, dass sie zum Beispiel Außenministerin einer Koalition aus Union und BSW würde. Vielleicht wäre ihre Politik etwas weniger verlogen als die „feministische Außenpolitik“ Annalena Baerbocks, aber in der Sache fast identisch.

Leider stünden in einer solchen Regierungskonstellation auch ihre wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Ansichten unter einem deutlichen Fragezeichen. Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, wie in einer Koalition mit einer dominierenden CDU der Lobbyismus und die verlogene, weil sich hinter dem „C“ verschanzende Kapitalhörigkeit gekippt werden sollte. Dieses Mal in einer möglichen Funktion als Wirtschafts- oder Finanzministerin.

Und es ist nun einmal so, dass viele Voraussetzungen sozialer Politik, wie etwa ein „harter Mietendeckel“, auf Bundesebene organisiert werden müssen, da das BVerfG zuletzt dem Bundesland Berlin die Kompetenz zur Erlassung eines solchen Mietendeckels abgesprochen hat.  

Wegen des Scheiterns des Berliner Mietendeckels bzw. dadurch weiter befeuert, entstand der erfolgreiche Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, bei dem fast 60 Prozent der gültigen Stimmen auf  „ja“ lauteten. Davon bei Wagenknecht kein Wort. Sind für sie mieter:innenfeindliche, ultrakonservative Großwohnkonzerne, die überdies kaum neue Wohnungen schaffen, sondern nur Wohnungen raffen, „innovativer Mittelstand“?  Mag sie den Bewegungscharakter von „DWenteignen“ nicht? Haben nicht viele Linke, die jetzt beim BSW gelandet sind, die Bewegung bei den Wahlen 2021 noch unterstützt? Stattdessen fordert SW ein Instrument, dem auf Bundesebene zunächst die in Umfragen führende und wohl bald wieder regierende CDU zustimmen müsste, damit es Gesetz werden kann.

Warum sprechen wir eine mögliche CDU-BSW-Regierung an (möglicherweise noch mit der wenigstens offen ausschließlich dem Kapital zugeneigten FDP an Bord)? Weil Wagenknecht, nach unserer Ansicht viel zu schnell, der CDU schon Zusammenarbeitswillen signalisiert hat. Viele Wagenknecht-Anhänger sind, siehe oben, aus der Linken zum BSW gewechselt und wollen jetzt ernsthaft mit der CDU koalieren? Wir finden das bedenklich und auch blamabel. Die großen Enttäuschungen, die daraus bei jenen resultieren werden, die sich durch diesen Move keine einträglichen Positionen erhoffen können, sind eine Möglichkeit, eine extreme Wendehalsigkeit wäre die andere. Die Linke und die CDU können nicht miteinander und die Linke sollte sich der CDU nicht ebenfalls andienen, es passt einfach nicht. Egal, was bei den Ost-Landtagswahlen im Herbst herauskommt. Beide Parteien würden sich mit einer solchen Koalition letztlich selbst schaden, am meisten aber, wie immer, würde der kleinere Koalitionspartner leiden, der weniger durchsetzen kann, und das wäre die Linke.

Aber ebenso beim BSW, und deswegen kann Sahra Wagenknecht uns viel Wahres  und Halbwahres über soziale Politik erzählen, wenn sie keine strategisch Option hat, es wenigstens zu 25 Prozent unter die Menschen zu bringen. Es sei denn, die CDU fährt in vielen Bereichen eine andere Politik als bisher, und das kann sie nach  unserer Ansicht gar nicht. Angela Merkel ist mit einigen kleineren Ansätzen zur Selbstständigkeit Deutschlands, wie dem vom Westen hart torpedierten – Entschuldigung für die sozusagen wörtliche Wortwahl – Nord Stream Projekt gescheitert und die CDU macht nun wieder genau das, was Vertreter des US-Kapitals wie Friedrich Merz wollen. Das ist eben keine vornehmlich deutsche Interessenvertretung. Das ist schon gar keine menschenfreundliche Sozialpolitik.

Merz‘ parteiinterne Gegnerin Angela Merkel hat sich noch gerade rechtzeitig aus dem Kanzleramt verabschiedet, um nicht im Amt demontiert zu werden, u. a. wegen des Ukrainekriegs. Jetzt muss die Ampel alles ausbaden, was in ihrer Regierungszeit an Fehlstellungen eingerichtet, aber auch an Entscheidungen getroffen wurde, die damals als richtig erscheinen mussten.

Die vorgebliche christliche Union fährt eine solchermaßen bösartige Spaltungsrhetorik, dass man sofort merkt, dass sie den Interessen des Kapitals dient, das eine geschlossene Gesellschaft fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: Eine geschlossene Gesellschaft könnte ja auf die Idee kommen, ihrerseits die Interessen der Mehrheit durchsetzen zu wollen. Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft kann das nicht.

Es gibt für das BSW derzeit keine andere Machtoption als eine Koalition mit der CDU. Warum nicht? Sie könnte auch mit der SPD, das ist vorstellbar. Deswegen schont sie auch Olaf Scholz ein wenig und billigt ihm, wie wir es tun, eine gewisse Umsicht innerhalb seiner Möglichkeiten zu, kritisiert aber dafür umso härter die Grünen. Eine Koalition „links“ des Rechtsrucks hin zu CDU, FDP und AfD wäre aber nur möglich mit der SPD und den Grünen, alles andere scheint umfragetechnisch in weiter Ferne. Die Grünen sind zwar moralisch / ethisch viel flexibler, als man denken sollte, aber außenpolitisch gibt es zwischen ihnen und dem BSW genauso viele Unverträglichkeiten wie zwischen dem BSW und der CDU. Sozialpolitisch wäre mehr denkbar, wirtschaftspolitisch ebenfalls. Dafür wiederum nicht gesellschaftspolitisch: Wenn die Grünen vergessen, wie Wagenknecht sie angeht und sie die gefährlichste Partei in Deutschland nennt, um einer gemeinsamen Machtoption willen, dann enttarnen sie die Hohlheit der für sie so wichtigen Gesellschaftspolitik selbstständig.

Nun könnte man sagen, so ist die Politik: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Es könnte durchaus zu Koalitionen kommen, die man sich heute noch kaum vorstellen kann. Auf eine etwas naive Art zumeist sind viele von ihnen Idealisten. An der Basis, wohlgemerkt. Aber vom BSW würden sich, käme Wagenknecht in eine Machtposition und müsste allzu viele Positionen kompromissweise räumen, viel mehr Menschen enttäuscht abwenden, als das bei den doppelmoralischen Grünen oder den unchristlichen CDU-Anhängern der Fall wäre, die viel zynischer sind und überhaupt nichts dabei finden, dass es fast nur Mehrfachstandards und Spaltungsversuche gibt, die man als politischer Beobachter, der sich berechtigte Sorgen um die Zukunft dieses Landes macht, nur mit Kopfschütteln quittieren kann. Es sei denn – es sei denn, die Gefolgschaft, das Fan-Syndrom wäre bei den Wagenknecht-Anhängern so dominant, dass es alle Wendungen und Enttäuschungen überdauern würde.

Sich darauf zu verlassen, wäre aber der Anfang vom Ende des BSW: Gerade die Frustwähler im Osten, die sich dem BSW anstelle anderer Parteien zuwenden könnten, würden sich auch schnell wieder abwenden, wenn das BSW sich als „Systempartei“ herausstellt, anstatt das System herzhaft zu reformieren.

Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück: Die Conclusio aus allem, was wir inzwischen für diesen Artikel getippt haben, ist: Das BSW muss, um sozial wirken zu können, bundespolitisch Macht bekommen. Dort wird es auf Parteien treffen, die alles tun werden, um soziale Verbesserungen zu verhindern. Diese Parteien sind viel fester im System und in den Clustern des Kapitals eingebunden, viel besser vernetzt, als das BSW es nach so kurzer Zeit seines Bestehens sein kann. Außerdem halten wir Wagenknecht nach wie vor für einen Typ, der nicht dafürsteht, wenn er echten Widerstand überwinden muss. Die Beschlusslage der eigenen Partei ständig zu ignorieren, anstatt in der Partei für Mehrheiten zu sorgen, das kann sie bei einem Koalitionsvertrag mit der CDU nicht machen. Wir befürchten eher, dass es laufen würde wie mit Oskar Lafontaine und der SPD: narzisstischer Rückzug.  

Ausgerechnet den Mietendeckel durchzusetzen, dessen Berliner Variante die CDU mit einem Elan torpediert hat, den man selten antrifft, wenn es um die Interessen der Mehrheit geht, das wäre aber ein politisches Kunststück, das viel Ausdauer und Geschicklichkeit erfordert. Es wäre die hohe Schule der menschengerechten Reformpolitik und der Stärkung der Verfassung durch Stärkung ihrer sozialen Komponenten. Dazu müsste auch die Justiz mitspielen, nicht nur ein Koalitionspartner oder mehrere. Wir sehen in näherer Zukunft  keine Möglichkeit, wie selbst eine wirklich versierte Partei das hinbekommen will, schon gar nicht aber eine mit der noch sehr begrenzten Kapazität des BSW.

Zur Verdeutlichung: Die CDU hat ja nicht einfach „nein“ zu einem möglicherweise zustimmungspflichtigen Gesetz gesagt, den Berliner Mietendeckel betreffend. Sie hat das BVerfG angerufen und dies hat die obige Entscheidung getroffen. Selbst, wenn die CDU nun ihre Meinung ändern würde, wäre Voraussetzung für einen Mietendeckel, dass das BVerfG sagt, nicht die Bundesländer, sondern der Bund hat die Kompetenz dazu – und darf es auch. Und genau das ist der springende Punkt. Nach unserer Ansicht beinhaltet die BVerfG-Entscheidung implizit, dass das Mietrecht auf Bundesebene mieterinnenfreundlich genug ausgestaltet ist, technisch formuliert: Der Bund hat das soziale Mietrecht abschließend geregelt. Dadurch gab es die Lücke nicht, auf deren Basis  das Bundesland Berlin subsidiär Recht schaffen konnte. Die Logik beinahe  zwingend: Dann besteht auch für den Bund selbst keine Notwendigkeit, das Mietrecht sozialer auszugestalten.

Man darf nicht vergessen, wie konservativ-klassistisch auch das BVerfG nicht selten tickt, und daran kann das BSW auf Sicht überhaupt nichts ändern. Dafür braucht es Jahrzehnte der Infiltrierungsmöglichkeit, wie die Union sie dank ihrer epischen Verankerung in den deutschen Institutionen und ihrer langen Regierungszeit hatte und nach wie vor hat.

Wie sieht es nun mit der Wohnungspolitik aus? Für die Zinswende, die Bauen teurer macht, kann die Ampel nichts oder nur indirekt, weil die höheren Zinsen gegen eine Inflation gerichtet sind, die die Ampel zwar mitverursacht hat, die aber international ein Problem darstellt, sonst hätte die EZB diese Zinswende nicht vollbracht, sie war darin ohnehin sehr zögerlich. Das betrifft vor allem den privaten Bausektor, wo in der Regel auf Kredit gebaut und auch gekauft wird. Die gestiegenen Kosten für Handwerksarbeiten und Rohstoffe müssen differenziert betrachtet werden. Es gibt dabei Schuldanteile der hiesigen Politik, aber auch Einflüsse von außen.

Und das öffentliche Bauen? Hier zeigt sich das Ampelversagen in der Tat am deutlichsten. Aber wie und womit soll eine vernünftige Strategie umgesetzt werden? Sie ahnen wohl, was jetzt kommt: Die harte Verfolgung der Schuldenbremse à la FDP, die damit nicht zufällig für Verknappung auch des Angebots am Wohnungsmarkt sorgt, lässt es nicht zu, richtig loszulegen.

Das Dilemma, dass viele Menschen hierherkommen und das Angebot immer weiter verknappen, kann Klara Geywitz ebenso wenig lösen wie irgendeine andere Person, die  für sie das Bauministerium übernehmen könnte. Denn: Wo soll das Geld für den großen Bauschub lockergemacht werden? Das müsste auch Sahra Wagenknecht wissen. Sie hat natürlich das Recht, auf diese Weise indirekt die Schuldenbremse anzugreifen und die Ampel anzuschießen, aber besser wäre es, sie würde es auch in diesem Zusammenhang direkt tun. Es muss viel klarer werden, wer dieses Land gegen die Wand fährt. Es ist vor allem die FDP, die als kleinster Partner in der Ampelkoalition den Schwanz darstellt, der mit dem Hund wackelt. Und ist es nicht so: Wer mit der CDU gerne gehen möchte, könnte doch auch die FDP als Koalitionspartner akzeptieren? Für uns eine logische Konsequenz. Im Osten, wo gerade der Wahlkampf für die Landtagswahlen in Schwung kommt, spielt sie keine Rolle, auf Bundesebene wird das möglicherweise auch 2025 ander sein.

Selbst die Union wäre noch eher für eine Anpassung der Schuldenbremse an die Realität zu haben. Warum, ist allerdings auch klar: Wenn sie, was sich aktuell als überwiegend wahrscheinlich zeigt, ab 2025 wieder die Bundesregierung leitet, wäre sie schön angeschmiert, wenn sie mehr Geld in die Hand nehmen muss, um den Laden wieder zum Laufen zu bringen, wenn sie unter Erfolgszwang steht, das vorher aber selbst blockiert hat. Es wäre zu offensichtlich, wie unterschiedlich Worte und Taten sich gestalten.

Es tut uns wirklich leid, dass wir immer wieder darauf hinweisen müssen, dass die Realität viel komplizierter ist, als Sahra Wagenknecht sie uns darstellen will. Ein bisschen erinnert das, was sich derzeit bezüglich des BSW abspielt, an das französisches Vorbild, die national-sozialistische Bewegung „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon. Dieses linkspopulistische Modul hält sich ganz gut, weil es bisher nicht beweisen musste, dass es Regierung kann. Das BSW steht erst am Anfang, aber es wäre eine Hypothek für dessen Regierungsfähigkeit, wenn der Populismus so überhandnimmt, dass er auf ähnliche Weise wie die AfD-Spins zum Schaden für die Demokratie wird, die das BSW dereinst mitgestalten will. Eine andere Möglichkeit der Machterlangung wird es trotz der Erosion dieser Demokratie vorerst nicht geben, das sollten sich auch die Autokraten-Liebhaber aka Putin-Freunde im BSW klarmachen, denen die Demokratie nicht so wichtig ist.

Daraus folgt für uns nicht, dass man sich nicht klar positionieren darf. Man kann diese sozialpolitischen Forderungen erheben, und wir dürfen schreiben, dass wir sie richtig finden und wir dürfen auf große Mängel hinweisen, die sich zeigen, wenn man etwas genauer hinschaut. Wir müssen uns zudem vor Augen halten, dass ihre Umsetzung mit allen vorhandenen Parteien unter Einschluss des BSW sehr schwierig werden wird, wenn wir es nicht richten.

Wahlkampf ist Wahlkampf, in Programme darf man viele Dinge hineinschreiben. Aber wir finden es besser, wenn sie auch umsetzbar sind. Bei großen Linien wie „bessere Infrastruktur“ halten wir das grundsätzlich für möglich, weil es viele Wege der Finanzierung und Ausgestaltung gibt, wenn man von ideologisch begründeten Wahnvorstellungen von einem in Wirklichkeit gar nicht existierenden gerechten freien Markt  à la FDP absieht. Beim Mietendeckel muss man sich ehrlich machen und ein paar Worte dazu verlieren, wie schwierig er aus rechtlichen Gründen werden wird, wohingegen die Enteignungsmöglichkeit in Berlin politisch totgeredet wird, aber nicht rechtlich geklärt ist. 

Man könnte das BSW aber prüfen, indem man etwas tut, was vielen dort nicht geheuer ist: 

Wir, das heißt, die Wähler:innen, müssen sich wieder in Bewegung setzen und ihre Interessen wahrnehmen und damit erst eine Stimmung erzeugen, die politische Veränderungen zum Guten ermöglicht. Dazu würde auch gehören, der Union klarzumachen, dass ihr zynisches Spiel mit dem Aufhetzen von gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander zum Scheitern verurteilt ist. Das geht am besten, indem man sie 2025 eben nicht wählt und beim Auf-die-Straße-gehen gegen rechts nicht immer nur auf die AfD schielt. Die Unionspositionen unterscheiden sich teilweise kaum noch von jenen der AfD, weit Persönlichkeiten wie Merz, Linnemann, Spahn und ein paar aus der zweiten Reihe, die sich dranhängen, in dieser Partei die Sprachrohre des rechten Populismus sind.

Sollte man stattdessen das BSW wählen? Im Moment ist es sehr unwahrscheinlich, dass es so kommt: Aber nehmen wir an, das BSW würde mit Sahra Wagenknecht als Kanzlerin eine Bundesregierung anführen. Dann käme der Tag der Wahrheit. Was kann diese junge Partei als führende politische Kraft erreichen? Sollen wir ganz ehrlich und wieder ein klein wenig sadistisch sein? Nicht ansatzweise so viel, wie die Idealist:innen unter den BSW-Anhänger:innen es sich erhoffen. Wir analysieren das hier nicht zu Ende, denn es hat sowohl mit den Systemverankerungen der BRD zu tun als auch mit der Aufstellung des BSW. Und das zusammen ist mehr als nur ein einziges weites Feld. Es ist auch klar, dass Demokratie immer Kompromisse erfordert, aber die Fallhöhe ist entscheidend: Kann ich von  meinem Programm wenigstens ein Drittel umsetzen oder nicht einmal zehn Prozent und wirkt dann das Programm nicht etwas unseriös, wenn man im Grunde vorher weiß, dass es nicht in Realpolitik übersetzt werden kann. Außen- und Friedenspolitik, aber auch Teile der Sozialpolitik, wie der einfach so in den Raum gestellte „harte“ Mietendeckel, sind Wunschträume. Leider, in letzterem Fall, in ersterem ist das auch gut so, denn eine Pax Putin in Unfreiheit und ohne Demokratie will in Deutschland nur eine kleine Minderheit.

Derweil geht der Raid des Kapitals gegen mindestens die Hälfte der Gesellschaft weiter. Die Mieten werden immer teurer. Die Überbelegung steigt weiter. Deutschland fällt sozial immer weiter zurück. Es gibt dagegen eben nur einen Weg, so unbequem er auch ist: Die Zivilgesellschaft muss dagegen aufbegehren, nicht nur ei wenig über ihr Wahlverhalten nachdneken. Sie muss mehr tun. Durch Corona und durch die Krisen, die wir sehen, hat sozialer Protest einen erheblichen Schlag abbekommen und man muss sich immer am Riemen reißen, um dahinter keine Koordination derer zu vermuten, die von allen Krisen wie durch ein Wunder profitieren. Es sind nämlich immer dieselben kleinen, machtvollen Minderheiten. Es ist aber kein Wunder und ein Verschwörung ist alles, was ohne Öffentlichkeit vereinbart wird, um Dritten zu schaden, der Begriff „Verschwörungstheorie“ wird viel zu hoch gehängt und zu sehr gegen die Interessen der Mehrheit als eine Keuel verwendet. Es ist nur normal, dass das Kapital macht, was es will, wenn wir uns nicht wehren. Es ist ein Machtvakuum von unten entstanden, und dieses nutzt das Kapital umgehend aus.

Das BSW ist, wie bereits angedeutet, keine bewegungsfreundliche Partei und kann daher mit der Zivilgesellschaft nur schwerlich ein Bündnis der Veränderung eingehen. Gleichwohl haben wir registriert, wie Sahra Wagenknecht sich in Sachen Mieten und Wohnen positioniert hat. Daran wird sich das BSW nun messen lassen müssen, und bei dem Thema werden wir aus Tradition besonders eng verfolgen, was weiter aus dieser Richtung oder jeder anderen kommen wird. Wir sind gespannt, ob endlich der Mut gezeigt wird, die Enteignung derer anzugehen, welche die im Grundgesetz niedergelegte Sozialpflichtigkeit des Eigentums in besonders hohem Maße missachten.

TH

 

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