Miss Daisy und ihr Chauffeur (Driving Miss Daisy, USA 1989) #Filmfest 1079 #Top250

Filmfest 1079 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (156)

Miss Daisy und ihr Chauffeur (Driving Miss Daisy) ist ein Spielfilm des australischen Regisseurs Bruce Beresford aus dem Jahr 1989. Die Tragikomödie basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Alfred Uhry und wurde von den Filmstudios Majestic Films International und The Zanuck Company produziert. Der Film gewann bei der Oscar-Verleihung im Jahr 1990 vier Academy Awards, u. a. für den Film des Jahres und die beste weibliche Hauptrolle.

Ich hatte als Produktionsjahr 1993 im Kopf, vor dem Anschauen und auch währenddessen. Der Grund dafür ist relativ leicht nachvollziehbar. Über ihn und mehr zum Film sprechen wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

Atlanta, im Jahr 1948: Als die exzentrische Daisy Werthan, Witwe eines reichen jüdischen Textilfabrikanten, beim Ausparken versehentlich ihren Chrysler in den Vorgarten ihrer Nachbarn setzt, kündigt die Versicherung ihr die Police. Miss Daisys Sohn Boolie, der Geschäftsführer einer Baumwoll-Spinnerei ist, stellt daraufhin gegen den Protest seiner Mutter einen Chauffeur ein. Der schwarze Hoke, Anfang sechzig und ebenfalls verwitwet, soll von nun an Miss Daisy zur Synagoge, zur Bücherei und zu ihren wöchentlichen Mah-Jongg-Partien im Kreise dreier Freundinnen fahren. Zuerst wehrt sich die 72-Jährige, der der Unfall äußerst peinlich war, standhaft gegen diese Bevormundung durch ihren Sohn. Sie weigert sich, auf der Rückbank ihres Wagens Platz zu nehmen, und ignoriert den Chauffeur. Mit Beharrlichkeit gelingt es Hoke nach einigen Tagen, Miss Daisy von seiner Nützlichkeit zu überzeugen.

Als sie sich allein zu Fuß zum nächsten Lebensmittelgeschäft aufmacht, folgt er ihr im nagelneuen Automobil der Familie Werthan, einem vornehmen Fahrzeug der Marke Hudson. Schließlich kann er die resolute Dame dazu überreden, einzusteigen und seinen Fahrdienst anzunehmen. Anfänglich ist die Beziehung zwischen der schlagfertigen Miss Daisy und dem ruhigen und weisen Hoke sehr angespannt. Mit der Zeit entwickelt sich jedoch aus der anfänglichen Antipathie eine auf Toleranz und Verständnis basierende tiefe Freundschaft. Die ehemalige Lehrerin bringt dem Analphabeten Hoke das Lesen bei, während sie durch ihn Einblick in die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung erhält. Beide sehen sich mit Segregation und Antisemitismus konfrontiert. Im Stau auf einer verregneten Straße stehend erfahren Hoke und Miss Daisy durch die Polizei von dem Bombenanschlag auf die Synagoge von Atlanta am 12. Oktober 1958. Hoke macht Miss Daisy, die sich als liberale Jüdin aus dem Süden versteht, auf seine Weise die Verbindungen deutlich, die zwischen den Übergriffen auf die Synagoge seiner Arbeitgeberin und den Überfällen rassistischer Klan-Gruppierungen auf von Farbigen besuchte Kirchen bestehen. Darüber hinaus besucht Miss Daisy später einen Vortrag des schwarzen Baptistenpfarrers und Bürgerrechtlers Martin Luther King.

Im Jahre 1973 endet die Filmhandlung: Miss Daisy, mittlerweile an Demenz erkrankt, lebt in einem Pflegeheim, ihr Sohn Boolie wickelt den Verkauf ihres nun leer stehenden Hauses ab. Seit der ersten Begegnung zwischen Hoke und Miss Daisy sind 25 Jahre vergangen. Inzwischen ist Hoke, der allmählich sein Augenlicht verliert, 85 Jahre alt und seine ehemalige Arbeitgeberin hat das 97. Lebensjahr erreicht. Boolie lädt Hoke zu einem Heimbesuch bei seiner Mutter am amerikanischen Feiertag Thanksgiving ein. Tatsächlich erkennt Miss Daisy ihren langjährigen Weggefährten Hoke, der ihr in der letzten Filmszene liebevoll beim Essen eines Stück Kuchens hilft.

Rezension

„Miss Daisy und ihr Chauffeuer“ rechnen zu unserem Konzept, alle jemals in der IMDb-Top-250-Liste enthaltenen Filme auf dem Filmfest vorzustellen. Allerdings gab es einen vergleichsweise großen Wandel bei der Rezeption und es ist sozusagen ein Glück für den Film in Bezug auf unser Konzept, dass er im Jahr 1998 einmal kurz in der Liste vertreten war. Die 7,4/10, die das Publikum der größten Filmdatenbank der Welt heute ausgibt, sind zwar gut, aber nicht herausragend für einen Film, der den Oscar als bestes Werk des Jahres gewann. Worin ist dieser Wandel begründet und warum hielt ich den Film für ein paar Jahre jünger? 

Ich glaube, beide Fragen lassen sich zusammen beantworten: Der Stil ist absolut 1990er. Der damals aufkommende Begriff Hochglanz-Kino gewinnt durch die stets auf Hochglanz polierten Autos von Miss Daisy eine wörtliche Bedeutung. Im entspricht der Inhalt. Auf mich wirkte „Driving Miss Daisy“ sehr wie das typische Versöhnungskino der 1990er, das  zwar kritischere Filme zur „Rassenfrage“ nicht ersetzte, aber es gab doch eine Art Ende-der-Geschichte-Stimmung und jetzt konzentrieren wir uns aufs sehr Perönliche und machen natürlich auch Actionkino. Auf jeden Fall war es die Zeit der romantischen Komödien, und deren Stil nimmt „Miss Daisy“ bereits vorweg. Filme dieser Art waren in den 1980ern üblicherweise noch etwas weniger poliert und knackiger, während Chauffeur Hoke Colburn nicht nur sehr leise fährt, sondern auch einen sehr leisen Persönlichkeitsstil aufweist. Miss Daisy ist zwar ihrer sozialen Stellung entsprechend dominanter, ist eine Matriarchin, wie es in einer Kritik heißt, aber schon, dass sie „Miss“ genannt wird und den Namen einer Blume trägt, vermindert, dass man sie vor allem durch die soziale Brille betrachtet.

Wenn man das mit dem gesamten Film tut, kann man festhalten: Einen Anklagemodus kann man ihm beim besten Willen nicht entnehmen, auch wenn Hoke an einer Stelle sagt, es hat sich in 15 Jahren (und trotz des Civil Rights Act, der kurz zuvor beschlossen worden war) nicht viel geändert. Dass die Weißen beim entscheidenden Benefizdinner unter sich sind und Martin Luther King kein Afroamerikaner zuhört, kann man durchaus als Ansatz von Kritik verstehen.

Außerdem wird stellenweise angedeutet, dass der wirtschaftliche Wiederaufstieg des Südens mit dem Zentrum Atlanta, Georgia, auch darauf basiert, dass man sich moderat gibt, anders als im benachbarten Alabama, in dem es zur einzgen wirklich rassistischen Sitution für Miss Daisy und ihren Chauffeur kommt. Sie traut sich gegenüber den beiden rohen Landstraßencops, von denen sie überprüft werden, nicht einmal, zu sagen, sie trage einen jüdischen Namen, sondern belässt es dabei, dass ihr Name deutschen Usprungs ist. Die Cops haben trotzdem verstanden. Im Grunde ist bezüglich der jüdischen Seite mehr zu entdecken als die Lage der Afroamerikaner betreffend. Zum Beispiel die Überassimiliation des Sohnes von Miss Daisy, der alles dem geschäftlichen Erfolg unterordnet, auch wenn er ein recht netter Kerl zu sein scheint.

Die Familie feiert, vor allem dank seiner Frau, schon in den 1950ern Weihnachten (nicht etwa Chanukka), wie man es von heute kennt, wo Häuser auf eine dermaßen übertriebene Weise dekoriert werden, dass man auch als Christ nur noch den Kopf schütteln kann. Es ist alles auch Wettbewerb. Nur bei Miss Daisy nicht, die keine Ambitionen mehr hat, die familiären Dinge aber gut geregelt und in Sicherheit lebt, und bei Hoke nicht, der weiß, dass seine Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt sind. Nebenbei wird der Aufstieg einer kleinen Mühle zu einer der größten Textilfabriken des Landes durch Expansion und Automatisierung erzählt. Das ist ebenso geschickt gemacht wie die Darstellung des Alterungsprozesses von Miss Daisy, der im Film 25 Jahre umfasst. 

Für die glaubhafte Verkörperung einer Frau, die zu Beginn des Films schon 72 Jahre alt ist und trotz ihrer Schwäche beim Autofahren noch sehr wach und am Ende 97 und ein einem Heim leben muss, erhielt Jessica Tandy einen Oscar. Ich finde, auch Morgan Freeman hätte einen verdient gehabt, denn er hatte eine Aufgabe, die damals vielen afroamerikanischen Künstlern zufiel: Er musste versuchen, Verständnis im weißen Kino für die Belagen der Nichtweißen zu wecken. Das ist eine andere Herangehensweise wie die des Blaxploitation-Kinos etwa von Spike Lee und letztlich stabilisiert diese Fom von „Onkel Tom“, wie Freeman ihn hier verkörpert, die weiße Vorherrschaft. Er hätte sich ja auch mit einem Taxiunternehmen sebstständig machen können, mit seiner großen Erfahrung. So wunderbar gespielt der Film ist, das muss man festhalten, er tut niemandem weh, außer vielleicht ein paar echt rudimentären Rednecks. 

Den Bombenanschlag auf eine Synagoge in Atlanta hat es offenbar wirklich gegeben und er bietet sich dazu an, Rassismus etwas tiefergehend zu betrachten, aber das findet bis auf ein paar Bemerkungen Hokes die Miss Daisy dazu bringen, sich Martin Luther King anzuhören, nicht Ausdruck im Alltagsleben bei Mrs. Daisy Wertham, wie sie richtig heißt, denn in ihrem schönen und mittlerweile betagten Haus ist das Leben ein langer, ruhiger Fluss. Manchmal kommt ein neues Auto, nach dem Ende der Marke Hudson immer von Cadillac, am Schluss beweist Wertham junior, dass er immer mit der Zeit geht und fährt einen Mercedes, aber einen gleichermaßen wahrnehmbaren sozialen Progress gibt es in der im Grunde glücklich abgeschiedenen Welt von Miss Daisy, ihrem Chauffeur und bis zu einem gewissen Zeitpunkt der ebenfalls afroamerikanischen Haushälterin nicht.

Der durch zeitgenössische Kritiken herausgebildete Metascore für „Driving Miss Daisy“ lag bei 8,1/10, das der Durchschnitt, den es bräuchte, damit der Film heute eine Chance auf die Top-250-Liste hatte, die User:innen derselben Plattform liegen sogar bei 8,3/10 und das ist deshalb von Bedeutung, weil der Score aktuell ist, ebenso wie der von 7,4/10 bei der IMDb.

„Ihres (Tandys) ist eines der lückenlosesten Porträts der Stadien des hohen Alters, das ich jemals in einem Film gesehen habe.“ (Roger Ebert, Chicago Sun-Times)

„Die hervorragend gespielte, aber auf private Dimensionen reduzierte Geschichte ist sehr gefühlsbetont aufbereitet und sorgt damit eher für Rührung und nostalgische Gefühle, als Einsicht in gesellschaftliche Realitäten zu bieten.“ (Lexikon des internationalen Films)

In der Tat werden die negativen Seiten der Realität eher gestreift oder zart durch eine rührende Freundschaftsgeschiche umwickelt, aber die Oscarpreisträger, die hier zusammen spielen, haben trotzdem einen für 1989 modernen und im Stil des folgenden Jahrzehnts optimistisches Ensemble gestaltet, der vielleicht ein wenig von seinem Glanz, allemal von seinem Novitätswert verloren hat, aber auf der persönlichen Ebene immer noch funktioniert. Leider muss man sehr unbefangen sein, um den Film nur so anzuschauen und vor allem kommt unweigerlich die Überlegung auf, was sich in den mehr als 30 Jahren seit der Entstehung Von „Driving Miss Daisy“ ereignet hat. Durch die Priorisierung des persönlichen Verhältnisses entzieht sich der Film zwar bis zu einem gewissen Grad seiner Überprüfung durch die weitere soziokulturelle Geschichte der USA, aber sie  hat diesen Optimismus, wenn man ihn universell versteht, nicht gerechtfertigt. Nicht nur die Geschichte der USA hat ihn nicht gerechtfertigt, und das ist eine Schande für unsere Generation, die es hätte besser machen sollen.

Finale

Im Jahr 2019 wurde ein Film gedreht, der oft mit „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ verglichen wird: „Green Book“ mit Viggo Mortensen und Mahershala Ali, den ich kürzlich angeschaut und rezensiert habe (die Rezension ist hier noch nicht veröffentlicht).

Es ist aber, trotz einiger bewegender Szenen, kein Drama, sondern ein vor allem auf den Bauch zielendes Buddy-Movie in der Tradition von „Flucht in Ketten“, „Die Glücksritter“ oder, anders gelagert, „Driving Miss Daisy“. Ähnlich aus der Zeit gefallen wirkt auch „Green Book“ mit seiner naiven Prämisse, dass alles Übel in der Welt schon überwunden werden kann, solange sich Schwarz und Weiß über gesellschaftliche Hürden hinweg persönlich näherkommen und verstehen lernen. – Der Spiegel

„Flucht in Ketten“, hier die Rezension fürs Filmfest, finde ich gar nicht aus der Zeit gefallen, weil er für seine Zeit epochal war, sehr fortschrittlich, und weil es um eine Sonderlage, eine Gefahrenlage geht, in der Schwarz und Weiß zusammenfinden, weil sie es müssen, nicht, weil sie es wollen. Das ist eine andere Prämisse und der Film ist um einiges härter und realistischer als „Driving Miss Daisy“. Aber dass persönliches Kennenlernen Rassismus nicht zwangsläufig beseitigt, das ist leider wahr. Sonst wäre es wirklich einfach, ein universelles Verständnis herzustellen, indem man den Schüler- und Studentenaustausch quasi zum Pflichtprogramm macht. Wenn man einen kennt, kennt man eben nicht alle. Ich wiederum kenne Leute, die es prima hinbekommen, zwischen ihren persönlichen Bekannten und Freunden und deren verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten Unterschiede zu machen.

Etwas Rassismus oder doch diskriminierendes Verhalten ist in uns allen angelegt. Es beginnt schon im Kindesalter, wenn die ideologische Prägung im Elternhaus noch gar nicht die Hauptrolle spielt. Die Überwindung der Ablehnung des „Anderen“ ist eine zivilisatorische Aufgabe, die niemals endet. Das behauptet „Miss Daisy“ aber auch nicht, er suggeriert auch keine soziale und finanzielle Gleichstellung zwischen Kapitalisten und ehemaligen Sklaven. Diese Dezenz ist vielleicht besser als die Lügen über reale Gleichstellung, die mittlerweile den offenen Rassismus medial ersetzt oder überlagert haben. Dieser Spin äußert sich besonders in der Heraushebung einiger Menschen, „die es geschafft haben“. Deren persönliche Umstände haben eine „Karriere gegen den Strom“ eben auch zugelassen, das ist bei vielen anderen nicht der Fall. Weil das alle wissen, kann es passieren, dass Vorurteile durch solche Berichte sogar verstärkt werden.

Warum hat der Film seit dem Start der IMDb Top 250 (April 1996) einiges an Zuspruch verloren? Vielleicht, weil er doch recht sanft und besinnlich gefilmt ist, weil „echtes“ schwarzes Kino damals gerade erst begann, während „Miss Daisy“ doch aus weißer Sicht gefilmt ist, weil er einfach nicht mehr im Trend der Zeitliegt. Vielleicht, weil er ein guter Film ist, aber kein klassisches Meisterwerk. Einige Streifen, die mit „Bester Film des Jahres“ ausgezeichnet wurden, haben den Test der Zeit bestanden, wenn man ihn an dieser Topliste festmacht, andere nicht. Dieser wie der folgende Absatz wurde anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024 zusätzlich verfasst, die IMDb weist mittlerweile 7,3/10 aus, damit ist „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ sogar eher ein Kritiker- als ein Publikumsfilm (Metascore 81/100, allerdings spiegelt er nur zeitgenössische Meinungen, nicht, was Kritiker:innen heute schreiben würden). 

Hauptdarsteller Morgan Freeman selbst ist bekannt für seine politische Haltung, er setzt seine Bekanntheit als einer der wichtigsten People of Color in Hollywood für die Rechte der Community ein, in den USA und außerhalb. Einen Nebenrollen-Oscar gewann er für seine Darstellung in „Million Dollar Baby“ (2005). 

80/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

Regie Bruce Beresford
Drehbuch Alfred Uhry
Produktion Lili Fini Zanuck
Richard D. Zanuck
Musik Hans Zimmer
Kamera Peter James
Schnitt Mark Warner
Besetzung

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