Höhere Strafen für Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker? (Briefing 519 Update) | PPP, Politik, Personen, Parteien, Gesellschaft, Gewalt, DiG Demokratie in Gefahr

6 Minuten Lesezeit | Briefing 519-UP | PPP, Europawahl 2024, Sachsen, Dresden, Matthias Ecke, SPD, DiG, Polizeischutz, Polizeipräsenz, Polizeistaat, Strafrecht, Strafverschärfung

 Kürzlich kam es zu einer Umfrage bezüglich eines stärkeren Schutzes von Politikerinnen, heute wird über eine eine Verschärfung des Strafrechts nachgedacht.

Civey-Umfrage: Würde ein höheres Strafmaß für die Bedrohung oder Gefährdung von Politikerinnen und Politikern Ihrer Meinung nach zu weniger Übergriffen auf diese führen? – Civey

Sie beachten bitte, dass es nicht darum geht, für oder gegen härtere Strafen abzustimmen, sondern darüber nachzudenken, ob diese tatsächlich zu weniger Angriffen führen. So wird nämlich auch für die verkürzte Fragestellung ein Schuh daraus.

Hier der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Die gewalttätigen Angriffe auf Wahlkämpfer in Dresden, den SPD-Politiker Matthias Ecke und auf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) vergangene Woche entfachten eine Diskussionen um mögliche Konsequenzen. Viele fordern verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für politische Amtsträger und eine schärfere Verurteilung von politisch motivierten Gewalttaten. Gleichzeitig wird diskutiert, wie man das gesellschaftliche Klima verbessern kann, um solche Angriffe zu verhindern und den Respekt für demokratische Prozesse zu stärken. 

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nannte die Angriffe auf Politikerinnen und Politiker „Angriffe auf die Demokratie“. Das werde man nicht so hinnehmen, sagte er laut rbb24 Inforadio. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen (CDU), forderte, Angriffe auf Politiker:innen und Wahlkampfhelfer:innen künftig strenger zu bestrafen. Das bestehende Strafrecht bilde die Bedrohung für Amts- und Mandatsträger, aber auch für Ehrenamtliche „nicht mehr hinreichend ab“, sagte er der tagesschau. Dabei gehe es vor allem um die Straftatbestände Körperverletzung und Nötigung. Ähnlich äußerten sich Vertreterinnen und Vertreter der SPD- und der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. 

Der Soziologe Holger Lengfeld sieht eine Verschärfung des Strafrechts  nicht als langfristige Lösung, um das Problem in den Griff zu bekommen. Wer eine politische Person überfalle, den interessiere das Strafmaß nicht, sagte er in einem Interview mit der tagesschau. Er sieht in den jüngsten Gewalttaten einen Hinweis darauf, dass es weniger Respekt vor anderen Menschen und deren Meinungen gebe. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) steht härteren Strafen kritisch gegenüber. „Der Versuch, das gesellschaftliche Problem einer allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht allein zu lösen, wird scheitern“, sagte der FDP-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Trotzdem sei er bereit, sich Vorschläge der Länder zum Strafrecht anzuschauen, heißt es aus dem Justizministerium.

Unser Kommentar:

Wir haben uns bereits eher ablehnend zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen geäußert, darauf hingewiesen, dass herausgehobene Politiker:innen sowieso verstärkt geschützt werden und dass es andererseits nicht möglich ist, jeder im Wahlkampf helfenden Person einen Polizisten beizustellen.

Gewalt gegen Politiker: Mehr Schutz nötig? (Umfrage + Leitkommentar: Mehr Engagement nötig)

Heute arbeiten wir eine These hinzu, ohne die Antithese zu berücksichtigen. Wir sind klar dagegen, Straftatbestände zu verschärfen, wenn diese Verschärfung nur für Angriffe auf Politiker:innen gilt.

Ein Sonderstrafrecht für Privilegierte ist nicht hinnehmbar. Ohnehin gibt es einen klassistischen Aspekt bei der Ahndung von Gewalt. Das Interesse ist weitaus, komplett unproportional höher, wenn eine Politikerin einen Hieb abbekommt, als wenn reihenweise Obdachlose ermordet werden. Je weiter unten auf der sozialen Leiter, desto weniger interessieren Menschenrechte.

Wenn es eine Verschärfung des Strafrechts geben soll, dann bitte so, dass sie allen zugutekommt. Denn in dieser Zeit der Verrohung  gibt es keine Ausnahmen und hinter allem steht, was im letzten Absatz ein Soziologe richtigerweise erwähnt: Die Wurzel des Übels liegt tiefer.

Selbstverständlich bemühen wir auch andere Länder zum Vergleich. Die viel höhere Mordrate in den USA existiert trotz der Todesstrafe. Sie ist über Jahrzehnte etwas zurückgegangen, liegt aber immer noch ein Mehrfaches über der hierzulande. Ob sich die höhere Mordquote bis ins Delikt der einfachen Körperverletzung hinein verfestigt, untersuchen wir hier nicht. Aber drakonische Strafen waren noch nie ein Mittel, um Menschen friedlicher zu machen, sondern haben die Gewaltspirale weiter angeheizt. Eine bessere Verfolgung von Delikten wäre wünschenswert. Und da kommt wieder der Klassismus ins Spiel: Wir sind uns ganz sicher, dass diese Delikte dann eher ausermittelt werden, wenn Privilegierte von ihnen betroffen sind.

Morde werden mittlerweile, sofern als solche klassifiziert, mit moderner Kriminaltechnik meist aufgeklärt, aber unterhalb dieser Schwelle gibt es erhebliche Mängel bei der Aufklärung und Verfolgung.

Wir erwähnen auch gerne heute wieder, dass die Politik mit der Art, wie sie gestaltet wird, aber auch mit der Sprache, die darin geführt wird, zu dieser von der Politik beklagten Verrohung erheblich beiträgt.

Und wer ein konkretes Beispiel benötigt, wie damit umgegangen wird: Björn Höcke wurde gerade von einem Gericht wegen Verwendung einer verbotenen Nazi-Parole verurteilt. Und zwar zu einer Geldstrafe, die für ihn leistbar sein dürfte, bei deren Höhe aber ein kleiner Nazi ohne politischen Background ins Gefängnis einfahren würde, weil er die Strafe nicht zahlen könnte. Damit ist keine Äußerung zu dem Höcke-Delikt verbunden, außerdem steht ja die Berufung an von beiden Seiten wohl ins Haus. AfD: Björn Höcke legt nach Urteil um NS-Ausspruch Revision ein (msn.com)

Privilegierte werden von der Exekutive wie von der Justiz besser behandelt, das steht für uns außer Frage. Derzeit steigt gerade die Gefahr an, die mit einem exponierten Job verbunden ist, der bisher wirklich nur Vorteile hatte, wenn man von dem Druck durch den Konkurrenzkampf innerhalb der eigenen Partei absieht oder vom Erfolgsdruck, aber beide Faktoren gibt es in anderen Wirtschaftsbereichen auch.

Apropos Wirtschaft: Wie selten kommt es vor, dass jemand wegen eines Wirtschaftsdelikts, eines großen Vermögensdelikts wirklich ins Gefängnis muss, obwohl dabei Milliardenschäden angerichtet werden? Wie sehr ducken sich Exekutive und Justiz bei der OK weg? Dieser Rechtsstaat beugt sich sehr dem Druck und der Macht, wenn es darauf ankommt, Zeichen zu setzen, die man aus der Mitte der Gesellschaft heraus als Wille zur Gerechtigkeit begreifen könnte; er ist nicht für alle  da, schützt und bestraft nicht gleich.

Auch wenn es langsam langweilig wird, selbstverständlich betonen wir auch hier wieder, dass wir Gewalt gegen Personen ablehnen. In diesem Sinne wünschen wir allen, die bei einem Angriff auf ihre Person verletzt wurden, von Herzen gute Besserung und dass sich Angriffe auf sie nicht wiederholen mögen.

Aber wir sind auch nicht dafür, dass Gewalt nur dann wichtig ist, wenn sie einem bestimmten Personenkreis gilt und ansonsten herrscht weitgehend Schutzlosigkeit. Wir stimmen auch nicht zu, wenn wieder einmal Anzeichen gesellschaftlicher Probleme und Verwerfungen dazu verwendet werden, den Staat noch rigider zu machen. Deutschland sieht sich ohnehin einem Abschwung der Demokratie ausgesetzt, über den sich gerade demokratische Politiker ernsthafter Gedanken machen sollten. Eine weitere Entdemokratisierung durch Schaffung von verschärften Sonderstrafrechtstatbeständen, die nur Höhergestellte mehr schützen, sofern dieses Mehr an Schutz nicht ohnehin Fiktion ist, ist ganz gewiss nicht das, was die Demokratie jetzt braucht.

Was uns erstaunt hat: Wir sind mit unserer Ansicht bei der Mehrheit: 38 Prozent sind strikt, 18 Prozent eher gegen höhere Strafen speziell für Gewalttaten gegen Politiker:innen.

Wir hätten unsere Position in dieser Sache nicht für mehrheitsfähig gehalten. Was gegen unsere Ansicht sprechen könnte, haben wir hier nicht vorgestellt, weil wir meinen, es kommt auf das an, was uns letztlich zu diesem Abstimmungsverhalten geführt hat, nicht auf das, was nach der Abwägung letztlich als nachrangig erschien. Die Entscheidung war übrigens knapp, aber dafür ist sie eindeutig.

TH

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