Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers (Stand by Me, USA 1986) #Filmfest 1087 #Top250

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Eine nostalgische Leichensuche

Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers ist ein US-amerikanischer Coming-of-Age- und Abenteuerfilm aus dem Jahre 1986 von Rob Reiner. Nach der Erzählung Die Leiche von Stephen King schildert er Erlebnisse von vier Jungen aus einer fiktiven amerikanischen Kleinstadt namens Castle Rock im Jahre 1959. Der Filmtitel leitet sich von Ben E. Kings Lied Stand by Me ab.

Dass der Film nach einer Geschichte von Stephen King gedreht wurde, kann man nur daran erkennen, dass er eine morbide Note hat. Die Jungs suchen keinen Schatz, sind nicht hinter Mädchen her, sondern auf der Suche nach einem Toten und befinden sich dabei in einem Wettlauf mit einer Bande Halbwüchsiger, deren Mitglieder teilweise mit den 12jährigen verwandt sind. Es ist eben ein kleiner Ort irgendwo an der amerikanischen Ostküste, in dem alles stattfindet, ein typischer King-Ort. Dass in dem Film keine einzige weibliche Jugendliche vorkommt, ist für Kino dieser Art, für Initialisierungsgeschichten und amerikanisches Kleinstadtsetting, höchst ungewöhnlich, auch im King-Universum. Darüber hinaus zählt die zugrundeliegende Kurzgeschichte zu Kings „Castle-Rock-Zyklus“, die, wenn man sie in chronologischer Reihenfolge liest, die Geschichte jener Kleinstadt beschreiben. Wie der Film einen Ausschnitt davon darbietet, darüber mehr in der Rezension.

Handlung (1) 

Der Schriftsteller Gordon Lachance nimmt einen Zeitungsartikel, in dem über den Tod seines besten Jugendfreundes berichtet wird, zum Anlass, einen Blick zurück in die Zeit zu werfen, als er zwölf Jahre alt war und mit Gleichaltrigen durch das kleine Stätchen Castle Rock im Ostküstenstaat Maine zog: Die Handlung beschreibt eine Wanderung von vier Jungs, die der Suche nach der Leiche eines anderen Jungen aus der Stadt dient, der verschwunden ist. Sie erleben dabei typische Jugendabenteuer, bis sie tatsächlich den toten Jungen am Ufer eines Sees finden.

Rezension 

Ein Publikumslieblilng. „Stand by Me“ gilt nicht nur als eine der besten King-Verfilmungen, sondern auch als eine der schönsten Filme seiner Art, die junge Menschen zwischen dem Kind sein und dem Eintreten in die Erwachsenenwelt beschreiben. In der IMDb erreicht er ein Durchschnittsvotum von 8,1/10 und liegt auf Platz 180 der 250 besten Filme aller Zeiten (Stand 16.07.2014, Platz 229 im Mai 2024). Klar, dass die jungen Bewertungsgruppen (bis 18 Jahre, 18-29 Jahre) den Film besonders mögen. Dass Frauen ihn leicht höher bewerten als Männer, überrascht hingegen ein wenig, angesichts der Tatsache, dass es keine relevanten weiblichen Figuren gibt. Abwesenheit des eigenen Geschlechts kann allerdings förderlicher sein als eine Darstellung, die als unangemessen empfunden wird.

Kern des Films und Persönliches. Die Rituale der Jungs und ihre Relation zu den Eltern und den älteren Halbstarken sind, auf verdichtete Weise, genau das, was wir als Kinder erlebt haben: Ein ständiges sich Ausprobieren, ein Kräftemessen, eine Imitation von Erwachsenenritualen – und natürlich eine unbändige Abenteuerlust. Einen persönlichen Bezug haben wir auch: Wir erinnern uns an einen ebensolchen Gang auf Schienen mit einem Freund zusammen, der sich unbeabsichtigt immer mehr in die Länge zog und wir hatten uns total verschätzt in der Zeit. Es war lange dunkel, als wir endlich zurückkehrten nach Hause – und wurden auf dem Feldweg dorthin von den Eltern abgefangen, die uns suchten.

Selten haben wir erlebt, dass jemand so in Sorge um uns war wie an jenem Abend. Auch der Nervenkitzel mit den Zügen hat an dem Tag dazugehört, denn die Bahnstrecke, die wir begingen, war nicht etwa stillgelegt, wie manche andere in der Gegend. Und natürlich horchten und fühlten wir an den Schienen, ob denn nun bald ein Zug käme. Der sich allerdings nicht durch eine Dampfwolke ankündigen würde, wie im nostalgischen Maine des Jahres 1959. Wir erinnern uns nicht mehr, ob wirklich einer kam, aber es müsste so gewesen sein, angesichts stundenlangen Verbleibens auf den Schienen. Einen Unterschied gibt es aber schon: Wir wären nicht auf die  Idee gekommen, freiwillig bis zum letzten Moment zu warten, um von ebenjenen Schienen zu springen, bevor der Zug uns hätte überrollen können.

Im Film ist das ja auch nur das Ritual des „Verrückten“ unter den Jungen namens Teddy, der, so besagt es die Hinterlegung der Figuren, deshalb ein Exzentriker ist, weil sein Vater gewaltttätig  und lieblos mit ihm umgegangen war und er dadurch eine andere Gefühlswelt hat als etwa sein ständiger Gegenpart, der etwas füllige Vernon, der etwas ängstlicher ist als die anderen. Chris Chambers, der Anführer der Gruppe, stammt aus einem desolaten Elternhaus und für die Leute in der Stadt ist klar, dass er einmal auf die schiefe Bahn kommen wird. Der Junge wird sehr eindringlich gespielt von River Phoenix, dessen Potenzial sich hier schon erkennen lässt – auch, weil er den Darsteller von Gordon, der eigentlichen Hauptfigur, ein wenig in den Schatten stellt. Dieser wiederum hat sein eigenes Schicksal zu tragen: Sein von den Eltern heißgeliebter Bruder, der Footballstar einer College-Auswahl, kam erst kürzlich bei einem Unfall ums Leben und Gordons Vater lässt diesen spüren, dass Gordon keinesfalls an seinen Bruder heranreichen kann, in seiner eher sensiblen Art und mit der schmalen Statur, die ihn zum Beispiel für eine Footballkarriere ungeeignet macht.

Da der Film sich ganz und gar auf diese vier Jungen konzentriert, hat er alle Zeit der Welt, um sie uns näherzubringen und ihre Charaktere auszuformen. Gleichzeitig schafft die Tatsache, dass der Film retrospektiv erzählt wird, eine gewisse epische Distanz. Vieles daran wirkt ähnlich wie bei „Es“, dessen beide Verfilmungen wir mittlerweile kennen (ergänzt 2024).

Hier mit dem Unterschied, dass diese schrittweise verschwindet, ohne aber einer überbordenden Sentimentalität Platz zu machen. Die Nostalgie ist durchaus von deftiger Natur, einige Szenen sind sogar richtig ekelig, auch das unterscheidet „Stand by Me“ von vielen amerikanischen Filmen über Jugendliche. Der Höhepunkt in dem Bereich ist sicher die Geschichte vom dicken Jungen, die Gordon abends am Lagerfeuer erfindet, welcher bei einer Tortenschlacht ein unglaubliches Kotzen initiiert. Die oft sinnleeren Rituale und Events des Kleinstadtlebens werden in dieser Kurzgeschichte in der Erzählung so pointiert aufs Korn genommen, dass man sie als negatives Abziehbild vieler Stories ansehen kann, die in Erinnerungen an die Jugend im ländlichen Amerika schwelgen. Direkt danach im Ranking abstoßender Momente folgt die Blutegelszene – mit der Klimax, dass sich bei Gordon einer davon in der Unterhose versteckt hat und offensichtlich an seinem Penis festgesaugt und mit zitternden Fingern, die danach blutüberströmt sind, zieht Gordon das Ding aus der Hose – und wird im Anschluss ohnmächtig. Das kennen wir, wir können auch kein Blut sehen. Eine weitere persönliche Verbindung, wenn man so will. Da Gordon als Erwachsener aber Kinder hat, wie wir in der Schlussszene wahrnehmen, gab es keine bleibenden Schäden.

Auch, dass alle Jungs ihre Probleme haben und familiär nicht auf Rosen gebettet sind, sorgt dafür, dass das Sentimentale sich in Grenzen hält, wiewohl Chris und Gordon sich je einmal beim anderen ausweinen. Der eine, weil er eine hoffungslose Zukunft vor sich sieht, der andere, weil er sich von seinem Vater nicht geliebt fühlt. Chris wird später doch Anwalt, Gordon transportiert seine Gefühle, die sich  zuhause nicht ausleben dürfen, in seine Bücher hinein. Ein alter ego von Stephen King, versteht sich.

Weiterhin ist das Verhältnis der Jugendlichen auch geprägt von Frotzeleien und Rangkämpfen – wobei die Nummer Eins klar ist: Chris. Ebenso, dass Gordon an zweiter Stelle steht. Die beiden sind auch Außenseiterfiguren, würden auch in einer größeren Clique ihre Plätze finden. Anders Teddy und Vernon, die von Gordons Vater als unterbelichtet bezeichnet werden. Auch die Jungs  untereinander nehmen sich mit ihren Seltsamkeiten auf die Schippe und immer wieder bilden sich bei Entscheidungsprozessen neue Koalitionen.

Wenn wir wieder den Schritt in unsere eigene Jugend machen: So war’s auch bei uns, etwa bis zum zehnten Lebensjahr allerdings, danach kam eine Phase mehrerer Einzelfreundschaften, die wir unabhängig voneinander gepflegt haben und die sich aus unterschiedlichen Quellen speisten: Nachbarschaft, Schule, Sport – das Cliquenwesen kam erst wieder während der Ausbildung und dann an der Uni; selbst dort waren  durchaus noch Anklänge an die Art, wie die Jungs in „Stand by Me“ miteinander umgingen, wahrnehmbar. Eine der Cliquen war sogar ähnlich aufgebaut wie das Quartett in Rob Reiners King-Verfilmung. Es gab einen Sonderling, einen etwas Kräftigen, einen gut aussehenden Sonnyboy und eine Führungsfigur. Solche Cliquen halten selten über einen gewissen, funktionsorientierten Zeitraum wie das Studium hinaus, wenn man sie icht institutionalisiert oder sie nicht Teil von etwas Größerem sind, aber sie prägen Phasen unseres Lebens und King neigt dazu, diese Menschen später noch einmnal zusammenkommen zu lassen, um uns darüber zu erzählen, was sie sind und wie verblüffend das ist, im Vergleich zu den Pubertierenden, die wir dann in der Binnenhandlung sehen werden.

Demnach können wir sagen, „Stand by Me“ ruft, vor allem in der Nachbetrachtung, wohl in fast jedermann Erinnerungen wach, der eine Kindheit mit Erlebnischarakter hatte. Wer den unschätzbaren Vorteil genießen konnte, in einer überschaubaren, ländlichen Umwelt aufzuwachsen, mit viel Natur und geheimnisvollen Plätzen aller Art, die bei vielen nur nostalgische Gefühle hervorrufen, bei einem Stephen King aber animiert werden mit unheimlichen Phänomenen und Menschen zuhauf.

Aber die Kinder haben durch ihre Umwelt auch Dämonen in sich, werden von Alpträumen geplagt, wie Gordon, prügeln sich, pöbeln rum, müssen mit ihren Aggressionen und Friktionen umgehen. Oft kommen diese ganz unvermutet zutage, und das ist sehr gut beobachtet. Kinder, auch Jugendliche, sind in der Lage, urplötzlich ihr Verhalten zu wechseln – zumindest, wenn sie nicht von Eltern erzogen und mit Mustern konfrontiert werden, die es dann eher selten zu beobachten gibt, wenn diese prägende Generation wiederum durch vierzig Jahre Sozialpädagogik eingenordet wurde.

Filmisches. Die Story des Films ist sehr einfach, um nicht zu sagen dünn. Das heißt, der Film lebt von seinen Figuren und der Atmosphäre, und wenn man die Figuren mag und die Atmosphäre als authentisch empfindet, was wir für die USA von 1959 oder 1986 nur bedingt können, dann ist alles okay. Es gibt allerdings Filme wie „Back to the Future“, der etwa gleichzeitig entstanden ist, die weit mehr das typische Amerika jener Tage zu reflektieren scheinen als „Stand by Me“. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass dies eine King-Verfilmung ist, kein Originaldrehbuch, das auf maximale Wirkung im Kino angelegt wurde – und dass Kings Prosa durchaus ihre Längen hat und auch die Handlungen nicht so spektakulär und originell sind, wie man aufgrund des überwältigenden Erfolgs des Autors glauben mag.

Dafür stellt sich ein gewisses Mark Twain-Feeling ein, irgendwo zwischen Huck Finn und Tom Sawyer, den wir wesentlich mehr mochten – vielleicht, weil er ein typischer Kleinstadtjunge war, kein totaler Ausßenseiter, wie sein Freund Huck Finn und wie mindestens zwei der vier Jungs in „Stand by Me“. Auf dem Weg zur Leiche reiht sich ein Erlebnis an das andere und sie stehen in etwa gleichberechtigt – wobei der Fund und die Konfrontation mit den Halbstarken denn doch einen inhaltlichen Höhepunkt darstellt. Warum die Jungs nach der Leiche suchen? Weil sie berühmt werden wollen im Dorf, etwa wie Schatzsucher, die tatsächlich fündig geworden sind. Wir finden das gar nicht unlogisch – am Ende entscheiden sie sich aber für einen anonymen Anruf, aus Respekt vor dem Toten, sodass ihnen nur das Gemeinschaftserlebnis bleibt, und dass sie einen Toten gesehen haben.

Formal ist der Film unauffällig, es gibt weder eine memorable Musik noch visuelle Extravaganzen, die uns aufgefallen wären, typisch 1980er, wenn man so will und von großangelegten Blockbustern abgesehen. Es ist uns aber auch nichts Negatives in Erinnerung, und eine simple Jungsgeschichte zu erzählen, muss nicht mit einem riesigen formalen Applomb einhergehen.

Finale

Wir haben uns gut unterhalten mit „Stand by Me“ und fanden die vier Jungen spannend, und ihren Weg zur Leiche. Aber der Film hält eine Distanz zu unserem Inneren, das liegt nicht nur daran, dass er als Rückblick gefilmt ist. Auch solche Filme können packend sein. Es ist die unprätentiöse und sachliche Art, wie hier eine Welt beschrieben wird, die es vielleicht in der genauen Ausprägung nicht gibt, die aber bevölkert ist mit Typen, die wir für realistisch halten. Ganz so hoch wie die IMDb kommen wir nicht.

75/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Rob Reiner
Drehbuch Bruce A. Evans,
Raynold Gideon
Produktion Bruce A. Evans,
Raynold Gideon
Andrew Scheinman
Musik Jack Nitzsche
Kamera Thomas Del Ruth
Schnitt Robert Leighton
Besetzung

 

 

 

 

 

 

                                                                                

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