Mosquito Coast (USA 1986) #Filmfest 1093

Filmfest 1093 Cinema

Fanatiker auf dem Weg zum Ende

Mosquito Coast ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1986. Er basiert auf dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Paul Theroux.

Regisseur Peter Weir hat so geliebte und interessante Filme gemacht wie „Der Club der toten Dichter“ (1989) und „Die Truman Show“ (1998). Sein letztes Werk vor „Mosquito Coast“ war „Der einzige Zeuge“ (1985), wie in „Mosquito Coast“ spielte darin Harrison Ford die Hauptrolle. Drehbuchautor Paul Schrader hat auch die Bücher zu „Taxi Driver“ (Rezension beim Wahlberliner) und „Raging Bull“ geschrieben, mit denen Robert de Niro berühmt wurde. Harrison Ford schließlich kennt jeder aus der Indiana-Jones-Trilogie und von seinen Anfängen in „Star Wars“ (1977). Zu vielen dieser Filme lassen sich Linien aufzeigen, auch zu den frühen Werken von Weir, die er in Australien drehte. Nicht in erster Linie über die Linien, sondern über den Film selbst referieren wir in der Rezension.

 Handlung (1)

Der einzelgängerische und exzentrische Erfinder Allie Fox verkauft sein Hab und Gut, da er die moderne Konsumgesellschaft – insbesondere in den USA – ablehnt und mit seinen Erfindungen zu Hause Ablehnung erfährt. Selbst die Erfindung des Prototyps einer Kältemaschine, die aus Wärme Eis herstellt, findet keine Anerkennung. Freudig verlässt er mit seiner Familie die USA zunächst mit dem Auto, dann mit einem Frachtschiff Richtung Honduras – eines der ärmsten Länder Mittelamerikas. Auf der Überfahrt lernt die Familie einen Missionar und dessen Familie kennen. Die Warnung des Kapitäns, der zufolge das Land kürzlich „in die Steinzeit zurückgefallen“ sei, ermutigt Fox noch. Nach ihrer Ankunft in einer Hafenstadt kauft er einem Deutschen eine „Stadt“ im Regenwald ab. Voller Begeisterung fährt Fox gemeinsam mit dem Kapitän „Mr. Haddy“, seiner Frau und seinen vier Kindern auf einem kleinen Boot in den Regenwald im Nordosten des Landes („Mosquitia“). Die „Stadt“ stellt sich als heruntergekommenes, zugewachsenes Dorf heraus. Ungeachtet dessen beginnt der enthusiastische Fox sogleich mit dem Aufbau einer Fischzucht, eines Wohnhauses und weiterer Infrastruktur (…).

Doch zwei Faktoren bedrohen die Stadt nach Ansicht von Fox: ein eifriger Missionar und drei Guerilleros, die er bei Indianern findet und irrtümlich für deren Gefangene hält. Ersterem verbietet er das Dorf, Letzteren gewährt er Gastfreundschaft, doch ihm ist schnell klar, dass ihres Bleibens nicht sein kann. Die Lösung, die ihm einfällt, um sie wieder loszuwerden, ist ebenso radikal wie fatal für das Dorf, das er unter großen Strapazen aufgebaut hat.

Rezension

 Wir nehmen aber noch einmal bezug auf die Einleitung. Trotz seiner Qualität bei Stab und Besetzung reicht „Mosquito Coast“ nicht an die meisten dieser Weir-Filme heran. Vielleicht, weil das Herz des Ganzen – zwar nicht fehlt, aber als Typ so sehr zum Fürchten ist. Wir wollen ja nicht, dass Filme unbedingt affirmativ sein müssen, im Gegenteil. Aber hier verrät der wichtigste Charakter seine im Grunde richtigen Ideale dadurch, dass er zum Egomanen an der Grenze des Wahnsinns – oder über diese Grenze hinaus – wird. Was sagt uns ein Film über Konsumverzicht und mit eindeutiger Kritik an missionarischen Typen mit dem Gestus der Auserwähltheit, wenn derjenige, der richtigerweise die Fehlkonstruktionen im Kapitalismus wie in der institutionalisierten Religion benennt, selbst ein rücksichtsloser Fanatiker ist, der seiner Familie und allen, die mit ihm in Berührung kommen, das Maximale zumutet.

Erstaunlich, wie lange die Kinder von Allie und vor allem die Mutter an ihn glauben oder an ihm festhalten. Der Mann ist ja auch charismatisch und verfügt über eine große Schaffenskraft, über einen unbändigen Erfindungsgeist. Man müsste ihn lieben, wenn er nicht als Mensch so begrenzt und überaus dogmatisch wäre. Wir kennen den einen oder anderen Ökoradikalen – ähnlich sinister und humorlos wirkt Harrison Ford als Allie Fox. Man könnte ihm zugutehalten, dass er wenigstens innovativ ist und nicht nur die Zustände bemäkelt, aber alles, was der Menschheit immer schon geschadet hat, ist in ihm veranlagt und richtet sich demgemäß gegen ihn selbst. Deshalb ist er nahe bei echten Charakteren angesiedelt, die uns über den Weg gelaufen sind, die nichts anderes sind als Faschisten, die sich mit einer hochstehenden Idee die moralische Absolution für ihren Faschismus holen wollen. Leider sind sie nicht schwer zu durchschauen.

Zu seinen Gusnten gehen wir bei llie Fox davon aus, dass er, im Gegensatz zu Menschen, die dadurch besonders finster sind, dass sie ihren autoritären Charakter bewusst mit der richtigen Einstellung rechtfertigen wollen, gar nicht anders kann und nicht in der Lage ist, über sich hinauszusehen. Es handelt sich bei ihm nicht um eineMasche. Er hat nichts Berechnendes, steht ganz dicht bei dem, an was er tatsächlich glaubt. Doch auch hier: es könnte irgendetwas sein. Als er anfangs keine japanischen Gummidichtungen kaufen will und gegen den Verfall der USA, die Kriminalität voran, wettert, könnte er genauso ein republikanischer Rechtsausleger sein wie ein Zivilisationskritiker. Erst seine Ideen von einer anderen Lebensform lassen das Pendel in Richtung Aussteiger-Idealist schlagen. Interessant auch, dass er die USA am Untergehen sieht ausgerechnet während der Reagan-Restitution, als es so aussah, als wenn alte Werte und alte Stärke zurückkehren würden. Der Börsencrash von 1987, der die Dinge erneut relativiert hatte, war zum Zeitpunkt des Drehs noch nicht vorhersehbar.

Anfangs wirkt er dadurch auch wenig fokussiert – er ist gegen alles und jeden und provoziert beinahe die Ablehnung seiner Kältemaschine durch einen Farmer, dem er sie andienen will, weil er so verschroben ist. Wäre er als seriöser, realistischer Mensch bekannt, hätte er’s vielleicht weniger schwer mit potenziellen Kunden gehabt.

Schließlich, in Honduras angekommen, suggeriert er seiner Familie sogar, dass die USA inzwischen durch einen Atomkrieg untergegangen seien, was die kleineren Kinder ihm beinahe abnehmen und was sie natürlich tief betrübt, denn sie lieben das Land, in dem sie aufgewachsen sind. Die mentale Belastung, die er anderen aufzwingt, ist beinahe unvorstellbar und seine Neusiedlung im Urwald von Honduras gleicht erst einmal einem Arbeitslager. Aber weil er selbst immer an der Spitze und ein charismatischer Typ ist, folgen ihm andere  – bis er in Konfrontation  zu einem Kirchenmann geht, der auf seine Weise genauso borniert und krankhaft einer Idee verschrieben ist wie er selbst und dementsprechend dargestellt wird. In Abwesenheit von Fox besucht der Missionar das Dorf und hetzt die Leute gegen den Chef auf, diese einfachen Menschen, von der Kirche von klein auf geprägt und daher einschüchterbar, folgen ihm schließlich.

Was wir im Grunde sehen, ist eine Ansammlung von Menschen, deren Charakter uns deutlich macht, warum es um die Welt tatsächlich so schlecht steht, und wenn Peter Weir es so zeigen wollte, ist ihm zumindest dies gelungen. Fox ist im Grunde eines der letzten Universalgenies, ein Mann, der große Erfolge haben könnte, aber durch seine negative Art ruiniert er letztlich mehr als das, was er an bescheidenem Wohlstand jemals hatte – einem für die USA erkennbar unterdurchschnittlichen Wohlstand, der deshalb nicht wachsen kann, weil er sich zu sehr an seiner Umgebung reibt und nicht ins System passt. Das zu zeigen und ihn besser auszuleuchten, die Hintergründe zu erklären, uns seine Seele zu zeigen, wäre ein Weg gewesen, auch den Film besser zu machen.

Der andere wäre vielleicht gewesen, die Konfrontation mit der Katholischen Kirche, die er in Honduras eingeht, zu einem dramatischen Showdown werden zu lassen, der nicht so nebenbei erledigt wird und bei dem Fox nicht so nebenbei angeschossen wird.

Denn was lässt uns Menschen folgen? Dass sie uns ständig mit ihren Ansichten traktieren, wie es Fox vor allem gegenüber seiner Familie tut? Oder dass er ein Typ ist, dem man folgen muss, weil man das große Herz spürt, das in ihm schlägt? Wir sind keine Folger-Naturen, sonst würden wir nicht schreiben, aber selbstverständlich gibt es Menschen, die wir bewundern und die wir nicht einer zivilisationskritischen Sichtweise opfern möchten. Es hätte einfach sein können, denn manche Ansichten von Fox teilen wir durchaus.

Dass wir uns dennoch nicht identifizieren liegt eben an dieser menschlichen Enge. Mit menschlicher Enge kann man durchaus andere begeistern, wenn man nur flammend genug auftritt, gewisse Diktatoren mit Massenwirkung belegen uns das. Im Film beschimpft Fox seinen treuen Bootsmann, Captain Haddy, er habe keine Vision. Wer Massen hinter sich bringen will, dem schadet es nicht, neben Kritik auch eine Vision anbieten zu können, so haben es jedenfalls die großen Demagogen gemacht. Diese Vision ist zwischenzeitlich auch sichtbar, als Fox mit viel Einfallsreichtum aus dem verfallenen Dorf ein kleines Utopia werden lässt. Doch als er es selbst vernichtet, da ist auch seine Vision am Ende. Anstatt in die USA zurückzukehren, gerne an einen anderen Ort, um neu anzufangen und seiner Familie ein vernünftiges Leben zu ermöglichen, will er aus Strandabfällen die nächste  Heimstatt generieren, nur noch für seine Familie. Damit erinnert er fatal an viele andere Gescheiterte, die jeden noch so kleinen Strohhalm ergreifen, um zu beweisen, dass sie Recht hatten, anstatt in den vermutlich aufnahmebereiten Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren.

Auch diesbezüglich wollen wir nicht missverstanden werden. Sich der Masse anzuschließen, ist nicht deshalb positiv, weil man dann nicht allein ist. Manchmal ist es besser, allein zu sein, als sich der allgemeinen Gedankenlosigkeit unterzuordnen. Aber dazu gehört eine gewisse Unabhängigkeit, und die hat Allie Fox am Ende nicht mehr. Da läge es nahe, sich, wenn er sich schon treu bleiben will, eine Community zu suchen, die seinen Idealen nahekommt. Einschränkend allerdings wieder: Gemeinschaften, die so zivilisationskritisch sind wie er, sind oft auch religiös determiniert.

Finale

Der Film ist aus der Sicht seines Sohne Charlie erzählt, dem Ältesten, gespielt vom leider viel zu früh verstorbenen River Phoenix. Dieser Sohn referiert auch, warum der Vater gegen die Kirche ist – weil sie den Leuten versucht das Diesseits als natürliches Jammertal zu verkaufen und das bessere Leben aufs Jenseits zu verschieben, weil sie damit autoritäre und ausbeuterische Regimes schützt und stützt.

Das ist tatsächlich oft so gewesen, gerade in Süd- und Mittelamerika, aber auch in Europa, kann man die konservative Rolle der Kirche leicht belegen, wenn es um sozialen Fortschritt ging und wie sie sich mit den Herrschenden dagegen gestemmt hat. Insofern ist grundsätzlich der Abstand zu Leuten, die andere in der Kirche beinahe einsperren wie in ein Gefängnis (mit Stacheldraht, wie im Film gezeigt) eine Sichtweise, der man folgen kann.  Und es ist nachvollziehbar, dass Allie die Gefahr spürt, die von dem Priester ausgeht, und ihn deshalb aus dem Dorf weist.

Die „Gehirnwäsche“, die jeder Umsetzung einer gerechteren Ordnung fremd ist, hätte das Zentralthema des Films sein können, aber letztlich ist alles Pessimismus und Trauer, nicht Aufbruch. Dass es so kommen würde, war schnell zu ahnen, im Grunde schon vor dem Aufbruch nach Honduras. Man hat auch eine Ahnung davon, was möglich wäre, wenn die Menschen eben nicht so wären, wie sie sind. Sie sind aber so, und das bedeutet immer wieder Unfrieden. Schade eigentlich, dass wir von einem Film verlangen, dass er uns etwas weist, anstatt nur etwas zu zeigen: Nämlich das kleine, trotz Talents so larmoyante Ich, das die meisten in ihrer Entwicklung irgendwann ausbremst und schlimmstenfalls, wie bei Allie, ins Nichts führen kann.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Mai 2024. Der Originaltext, wie oben beinahe unverändert publiziert, wurde vor zehn Jahren, während der zweiten Amtszeit von US-Präsident Barack Obama geschrieben. Die IMDb-Nutzer:innen geben dem Film nur durchschnittlich 6,6/10, deswegen haben wir uns auch das Nachschauen erspart, ob er einmal in der Top-250-Liste gestanden haben könnte, der Abstand ist zu groß. Ein bisschen können wir uns noch an Szenen erinnern, das heißt auch, dass es starke Momente in dem Film gibt. Was käme bei einer Neusichtung heraus? Dass Fox bei all seiner Beschränktheit im Grunde richtig liegt, seine Menschenfeindlichkeit betreffend? Die letzten zehn Jahre waren dermaßen ernüchternd, und es könnte noch schlimmer kommen. Immer, wenn wir Texte lesen, die so alt sind, haben wir das Gefühl, es geht alles im Kreis, es gibt keine logische Fortsetzung hin zu mehr Zivilisation.

Vielleicht sehen wir das in zehn Jahren wieder anders und wir ändern jetzt auch nicht die Bewertung, nur, weil wir den Eindruck haben, wir würden heute vielleicht mehr nicken und weniger Aufbruch fordern. Mit Obama, alle Fehler von damals hin oder her, auch diejenigen, die sich  jetzt zu massiven Krisen ausgewachsen haben, kam  noch einmal so etwas wie Hoffnung auf und trotz einer nicht ganz einfachen persönlichen Situation in jener Zeit hat das auch den Tenor unserer Rezensionen mitbestimmt, weil sie einen stark politisch, soziologisch geprägten Akzent aufweisen. Wir belassen es bei der vor zehn Jahren vorgesehenen Bewertung für den Film, auch wenn wir durch das 100er-Schema, das wir jetzt verwenden, genauer justieren können als damals mit der 20er-Einteilung. Wir haben in den USA gerade wieder Wahlen voraus. Alle wissen, was sich seit 2014 ereignet hat und was uns wieder blühen könnte. Da kann man radikal werden und die sogenannte Zivilisation hinter sich lassen. Dann denkt man daran, dass man nicht so ein genialer Erfinder ist wie Allie Fox und nicht alles, was es zum Leben braucht, beinahe aus dem Nichts erschaffen kann und trottet weiter im dunklen Tal der weitweiten Blödheit und Gemeinheit mit.

70/100

© 2014 Der Wahlberliner, Alexander Platz

Regie Peter Weir
Drehbuch Paul Theroux
Paul Schrader
Produktion Jerome Hellman
Musik Maurice Jarre
Kamera John Seale
Schnitt Thom Noble
Besetzung

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