Migration vor allem bei AfD-Wählern ein Thema +++ Deutschlands größte Herausforderungen? Kommt darauf an, wen man fragt (Statista + Kommentar: Blick aufs Parteienspektrum | Briefing 538 Update | PPP Politik Personen Parteien Gesellschaft

Briefing 538-UP, PPP, Gesellschaft, wichtigste Themen, Inflation, Einwanderung, Wirtschaft, Wohnraum, Kriminalität, Umwelt, Klima

Wir ergänzen heute das Briefing von gestern um eine weitere Grafik. Gestern ging es um die wichtigsten Themen für Deutschland, auch „Herausforderungen“ genannt, dabei wurden drei Cluster gebildet, mit Wähler:innen, die eher dem linken Teil des Spektrums zuzuordnen sind, eher mittig sind und jenen, die eher rechts denken. Wir haben auch erläutert, dass das, was vermutlich als Maßstab für „links, mitte, rechts“ galt, ein ziemlich verengter ist, wenn man die tatsächlichen Möglichkeiten anhand aller verfügbaren politischen Ideologien bemisst.

Mit anderen Worten: Das Spektrum relevanter Parteien in Deutschland ist so verengt, dass dabei gar keine wirklich linke Haltung abgebildet werden kann, wenn man sich als Anhänger:in einer dieser Parteien bezeichnet. Das gilt für alle Parteien im Bundestag, mit Ausnahme der Linken, die aber auch im Laufe der Jahre mehr an das Quadrat „rechts, autoritär“ herangerückt ist. Wir besprechen die Abwesenheit der meisten politischen Ideologien in Deutschland anhand des Political Compass, den wir auch im Ausgangsbeitrag erwähnt haben. Der Beitrag ist auch unten angehängt, da es sich bei dem Text, den Sie gerade lesen, um ein Update handelt.

Dass man Migration nicht wichtig nimmt bzw. sie nicht steuern will, ist demnach auch kein Beweis dafür, dass man links denkt. Eine andere Darstellung mit anderer Datengrundlage weist nun aus, wie wichtig das Thema Migration den Anhänger:innen verschiedener Parteien ist, die zu diesem verengten Spektrum zählen.

Einwanderung beschäftigt vor allem AfD-Wähler:innen

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Für rund 28 Prozent der AfD-Anhänger:innen ist Einwanderung das wichtigste politische Thema in Deutschland. Das zeigen die Ergebnisse einer Ipsos-Umfrage im ersten Quartal 2024. Wie die Statista-Grafik auf Basis der Umfrageergebnisse zeigt, polarisiert das Thema in der deutschen Politiklandschaft. Während AfD-Wähler:innen dazu neigen, der Migrationspolitik großes Gewicht beizumessen, bewerten nur etwa fünf Prozent der Linken und vier Prozent der Grünen die Zuwanderung als wichtigstes Thema. Bei den Anhänger:innen der Freien Wähler und der FDP sind es jeweils 16 Prozent, unter der CDU/CSU-Wählerschaft sind es etwa 14 Prozent und das BSW liegt bei rund 12 Prozent.

Die AfD wird vom Verfassungsschutz weiterhin als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat die Berufung gegen das vorherige Urteil zurückgewiesen. Laut Gericht gebe es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, „dass die Partei Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet“ seien. Das zeigt sich nicht zuletzt immer wieder beim Thema Einwanderung und Staatsbürgerschaft. Es besteht der begründete Verdacht, dass die AfD den Status von in Deutschland lebenden Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund rechtlich abwerten will.

Grundsätzlich stimmt die Grafik insofern mit der des Ausgangsartikels überein, als „rechts“ und „AfD“ übereinstimmen und beide Male im rechten Spektrum die Migration als wichtigstes Thema benannt wird. Aber in der Mitte wird es schon kritisch, denn in der Grafik unten gilt sie dort immerhin noch als zweitwichtigster Gegenstand, während die Anhänger der meisten „Mitte-Parteien“ sie deutlich weniger häufig nach vorne stellen, wenn man sich die obere Grafik anschaut.

Wenn die Ansichten von FDP-, Unions-, SPD- und BSW-Anhänger:innen auch sonst so kongruent sind, wie es hier bei der Gewichtung der Migration ausschaut, braucht man sich nicht darüber aufzuregen, dass die Person  SW aus dem Begriff BSW der Union schon Zusammenarbeit angeboten hat, da ist das BSW noch nicht einmal zu einer einzigen Wahl angetreten. Für diejenigen, die glauben, dass sie von links  zum BSW gegangen sind: Sie kriegen also CDU. Für uns undenkbar, aber für viele „waschechte“ Linke offenbar nicht. 

Überhaupt sollte man das Gerede von den Unvereinbarkeiten der Parteien in Deutschland, Koalitionsausschlüssen usw. nicht so ernst nehmen. Die AfD eignet sich gut zum Bashing, um eigene rechte Tendenzen zu verstecken, die Linke, um mit dem Hufeisen zu schmeißen, dazwischen sind alle so dicht beieinander, dass man sich nicht von Getöse in der Ampel oder einer Darstellung der CDU, als ob sie die Probleme dieses Landes nicht wesentlich mitverursacht hätte, ablenken lassen soll. Wenn man sich den erwähnten Political Compass anschaut, wird auch schnell klar, wie wenig die AfD von den  Unionsparteien und der FDP entfernt ist. Wenn man sich wirklich das gesamte denkbare politische Spektrum anschaut, sind das nur Nuancen. Wir prognostizieren, dass deswegen auch die sogenannten Brandmauern bald fallen werden, wenn stabile Regierungskoalitionen ohne die AfD nicht möglich sind. Wir sind besonders darauf gespannt, ob sich die CDU im Osten eher für die Linke oder für die AfD öffnen wird. Denken wir noch einmal an 2020, als in Thüringen schon einmal FDP, CDU und AfD versucht haben, zusammen einen Ministerpräsidenten zu installieren. Hätte die Bundes-CDU nicht ihr Veto eingelegt, wäre dieser „Tabubruch“ durchgegangen. Jetzt stehen die nächsten Wahlen an, im September ist es in gleich drei ostdeutschen Bundesländern so weit (Brandenburg, Sachsen, Thüringen) und die AfD wird stärker werden als beim letzten Mal.

Nicht scheint diesen Trend wirklich stoppen zu können, auch nicht, dass sich die Skandale  zuletzt häufen. Klar, wenn man sich selbst einen Opferstatus zurechnet, als Wähler:in, dann kann man natürlich auch die AfD als Opfer einer Intrige der „Etablierten“ labeln. Wie falsch das ist, in jeder Hinsicht, und wie wenig es vielen Menschen ausmacht, wie sich das Personal einer Partei geriert, das lässt auf einen schlechten Zustand der Demokratie und natürlich auch der Menschen schließen, denen dies alles wurscht ist nach dem Motto, wir lassen uns doch unsere Nazis nicht madig machen, wo kämen wir da hin? 

Neueste Umfragen besagen tatsächlich, dass die AfD bei 15 bis 17 Prozent bundesweiter Zustimmung schon ihren Boden gefunden hat, viel weiter runter wird es wohl vorerst nicht gehen, da können die Politiker der AfD treiben, was sie wollen. Und das sind wesentlich mehr als bei der Bundestagswahl 2021 (10,2 Prozent). 

Wir wollen hier anhand eines Umfrage-Updates nicht wieder das große Fass aufmachen, wie man es besser machen kann, damit Immigration gelingt und wie notwendig sie andererseits ist. Wenn wir eine Liste mit 30 Themen vor uns hätten und sollten die zehn ankreuzen, die für uns von diesen am wichtigsten sind, wäre die Einwanderungspolitik sicher dabei. Aber nicht an erster Stelle und immer im Zusammenhang mit anderen Themen wie Wirtschaft und Gesellschaft im Allgemeinen. 

Anders als diejenigen, die als „links“ eingeordnet werden, würden wir die wirtschaftliche Lage ganz nach vorne stellen, denn von ihr hängt letztlich ab, ob alle anderen Projekte angegangen werden können, die uns wichtig sind, und ob sie so gelingen, dass durch die Art, wie sie bei schlechter wirtschaftlicher Lage gegen die Menschen durchgedrückt werden, nicht die gesellschaftliche Spaltung weiter vertieft wird. Wir denken also von diesem Thema her, auch die nach dem  untenstehenden Schema als links markierten Themen Klima und Umwelt betreffend. Das ist keine N egierung dieser Probleme, sondern eine Aufforderung, das  zu tun, was wir für durchaus möglich halten: Die Ziele zu erreichen, ohne das Land  bzw. die Mehrheit der darin lebenden Menschen wirtschaftlich zu ruinieren. 

TH

26.05.2024

Wirklich überraschend ist die folgende Statistik nicht, die wir in diesem kurzen Artikel besprechen: Welche Probleme oder Herausforderungen für Deutschland die wichtigsten sind, wird unterschiedlich beantwortet. Je nachdem, wo im politischen Spektrum man angesiedelt ist. Trotzdem lohnt sich der Blick. 

Was sind Deutschlands größte Herausforderungen?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Was sind Deutschlands größte Herausforderungen? Die Statista Consumer Insights zeigen, dass die Antwort auf diese Frage auch davon abhängt, wo sich die Befragten politisch verorten. Bei einer Sache sind sich indes alle weitgehend einig, Inflation und Lebenshaltungskosten sind das wichtigste beziehungsweise zweitwichtigste Thema. Auch Gesundheit und soziale Sicherheit schaffen es bei allen Lagern in die Top 5 der Herausforderungen. Darüber hinaus gib es eine Reihe Bereiche, die mindestens zwei politische Richtungen zu den wichtigsten Problemen des Landes zählen, wie Wohnraum (Links, Mitte), Einwanderung (Mitte, Rechts) oder wirtschaftliche Situation (Mitte, Rechts). Aber es gibt auch eine Reihe deutlicher Unterschiede. Einerseits in der Gewichtung, wie etwa das Beispiel Einwanderung zeigt. Oder insofern, dass die Themen Klimawandel und Umwelt nur bei Befragten, die sich eher links einordnen, in den Top 5 zu finden sind. Dagegen schafft es Kriminalität nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums in die Spitzengruppe.

Wie eingangs erwähnt, überraschend ist die unterschiedliche Gewichtung von Themen nicht. Und natürlich  muss man etwas berücksichtigen, was man auf der Grafik nicht sieht. Vielleicht ist ein Thema, das bei einer Gruppe nicht unter den Top 5 ist, an sechster Stelle oder an siebter und erreicht fast eine genauso hohe Punktzahl. Dass wir dieses Mal nicht mit Zusatzinfos dienen, liegt daran, dass wir mal ein wenig Werbung für Statista machen wollen, denn die Umfrage ist eine von Statista selbst, sie fußt nicht auf allgemein zugänglichen Fremddaten, die wir weiter auschecken könnten. Wir verwenden von dem Unternehmen so viele gemeinfreie Grafiken, dass wir uns hier bescheiden und sagen. Wir können uns den recht teuren Zugang nicht leisten, der zu den Consumer Insights führt, aber vielleicht haben Sie ja einen oder wollen mal hineinschauen. Also bleiben wir bei dem, was man oben sieht. 

Was ist Ihr Weltbild? Angesichts der Tatsache, dass wir uns heute Morgen schon mit einem Großthema auseinandergesetzt haben, kommentieren wir das, was wir sehen, jetzt nicht sehr ausführlich. 

Zum Beispiel die Tatsache, dass die Priorisierung von Themen nicht heißen muss, dass auch alle die gleichen Ansichten dazu haben. Soziale Sicherheit wird links, in der Mitte und rechts ziemlich unterschiedlich verstanden. Die Priorisierung von Klima und Umwelt links weist hingegen auf eine gewisse Zusammenhanglosigkeit im Denken hin, denn Wirtschaft kann nicht ohne diese beiden Themen gedacht werden bzw. die Befassung mit ihnen führt immer wieder auch zu Wirtschaftsthemen. Nun könnte natürlich links die wirtschaftliche Situation auf Rang sechs stehen, sogar mit mehr Punkten als in der Mitte, weil links insgesamt etwas mehr Punkte vergeben werden und daher die Liste schon bei 43 endet, nicht mit 40, wie in der Mitte. Trotzdem ist die Unterrepräsentation dieses Themas symptomatisch und spiegelt sich darin, dass die Grünen einen Wirtschaftsminister installiert haben, der die geringsten Wirtschaftskenntnisse aller bisherigen Personen auf dieser Position aufweist, zumindest formal gesehen.  Rechts hingegen scheint man insgesamt weniger Probleme zu sehen, wenn man die Punktzahlen mit denen Links vergleicht. Das hätten wir jetzt nicht gedacht, denn angeblich steht Deutschland kurz vor dem Untergang, wenn man der AfD zuhört. Nur das Einwanderungsthema sticht etwas heraus. 

Was sich aus der Grafik auch nicht ersehen lässt: Was wird als mittig, was als links und was als rechts definiert. Wo ist die Grenze? Sind Grünwähler links? Das würden wir so einheitlich nicht bestätigen wollen. Vermutlich werden CDU-Anhänger:innen zur Mitte gerechnet, auch das stimmt nichts, einige ticken sehr wohl rechts, inklusive der Parteispitze. Was von dort mittlerweile kommt, ist für uns nicht mehr mittig, sondern rechtspopulistisch. Uns will es anhand dessen, was die Grafik zeigt, scheinen, als ob link und mittig relativ weit nach rechts ausgedehnt werden, sodass für rechts nur AfD-Anhänger:innen übrig bleiben würden.  Oder das Schema wurde nicht nach Parteipräferenzen erstellt, sondern erfolgt aufgrund einer Selbsteinschätzung. Es liefe aber auf die gleiche Verschiebung hinaus. Was viele Leute noch als mittig bezeichnen, gerade bei sich selbst, ist in Wirklichkeit rechts, wenn  man zum Beispiel nur das Grundgesetz und seine aktuelle Handhabe nimmt, die vielen zu sozial ist, die sich selbst als Mitte ansehen würden. Die Verfassungswirklichkeit selbst ist aber schon ziemlich rechts im Vergleich zu den Möglichkeiten und Intentionen, die mit dem Grundgesetz gegeben sind bzw. waren. Die meisten Menschen haben vermutlich keinen Begriff davon, dass alle relevanten politischen Parteien in Deutschland im Political Compass, der vier große ideologische Richtungen unterscheidet (links-libertär, rechts-libertär, links-autoritär und rechts-autoritär) alle im rechten oberen Feld (rechts-libertär) angesiedelt sind, eine Ausnahme bildete die Linke als links-libertäre Partei, die aber auch in den letzten Jahren dichter an dieses eine von vier Feldern herangerückt ist. 

Überraschend gering waren dabei vor allem die Abstände zwischen der Union, der FDP und der AfD. Das macht die AfD nicht besser, aber die anderen schlechter. Sie verkaufen uns ein Bild von sich, das keiner näheren Analyse von „Mitte“ standhält, wenn man das gesamte mögliche politische Spektrum anschaut, das in der Wirklichkeit der Bundesrepublik auf ein einziges von vier Feldern verengt ist. Immer auf die im Bundestag vertretenen Parteien bezogen, nicht auf alle Wahlmöglichkeiten, mit denen man aber seine Stimme verschenkt, wenn es die Fünfprozent-Hürde gibt. Es hat auch mit dieser Hürde zu tun, dass sich das politische Spektrum nicht wirklich erweitert bzw. keine Parteien richtig wachsen können, die nicht so mainstreamig rechts sind. Sie liegen oft unterhalb der Wahrnehmungsgrenze.

Die Fünfprozent-Hürde wurde aus Angst vor einer erneuten Fragmentierung des Parteiensystems à la Weimarer Republik eingeführt, weil die Schwäche der Mitte-Parteien den Aufstieg der Nazis mit ermöglicht hat und weil Hitler eine Rede gehalten hat, in der er sich über die Klientelparteien als Gegenmodelle zu seiner „Volkspartei“ lustig gemacht hat. Gerade die Tatsache einer heute viel mehr ausdifferenzierten Lebenswirklichkeit und so vieler unterschiedlicher Weltanschauung macht es fragwürdig, ob die Fünfprozent-Hürde weiter aufrechterhalten werden sollte. Viele wählen Parteien, mit denen sie nicht wirklich stark übereinstimmen, weil sie ihre Stimmen nicht verschenken wollen. Selbst dieses Verschenkungsnarrativ könnte man hinterfragen, aber wir denken gerade daran, dass wir auch so ticken. Deswegen werden wir wohl bei der Europawahl eine Partei wählen, die uns nicht besonders nahesteht, die auch in dem erwähnten rechten oberen von vier Feldern des Political Compass angesiedelt ist, aber wenigstens nicht ganz rechts steht.  Wir weisen aber auch darauf hin, dass gerade die Europawahlen grundsätzlich anders organisiert sind: Schon ab etwa 0,45 bis 0,6 Prozent Zuspruch kommt eine Partei in Deutschland zu einem Sitz im Europaparlament. 

TH


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