Soziales Pflichtjahr für Rentner? | Briefing 576 | Gesellschaft, CDU, PPP Politik Personen Parteien

12 Minuten Lesezeit Briefing 576 Gesellschaft, Soziales Jahr, Rentner:innen, PPP, Kristina Schröder, Christliche Politik, CDU

Soziales Pflichtjahr für Rentner? Die Personalnot ist groß, die Rentner:innen haben zu wenige Kinder gekriegt, als dass der Laden weiter rundlaufen könnte, da liegt es beinahe auf der Hand, dass nach den Menschen, die gerade ins Erwachsenenalter eintreten, nun auch die in den Fokus genommen werden, die aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden sind. Ist das logisch? Wir klären es im Kommentar.

Hier ist der Link mit der Originalfrage für Sie:

Wie bewerten Sie den Vorschlag von Kristina Schröder (ehemalige CDU Politikerin), Personen nach dem Eintritt in die Rente für begrenzte Zeit zu einem Dienst im sozialen Bereich zu verpflichten?

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Es wird schon länger darüber diskutiert, eine Dienstpflicht für Schulabgängerinnen und Schulabgänger einzuführen. Oft wird dabei argumentiert, dass junge Menschen so lernen würden, Verantwortung zu übernehmen und dass so der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden könne. Nun hat die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) ein soziales Pflichtjahr für ältere Menschen gegenüber BR24 ins Gespräch gebracht.

Schröder könne sich vorstellen, dass Rentnerinnen und Rentner bis zu 20 Stunden pro Woche in sozialen Bereichen wie Pflege- oder Flüchtlingsheimen oder Schulen tätig werden. Dort könnten sie ihre Erfahrungen weitergeben, auch um die Verantwortung zwischen den Generationen gerechter zu verteilen. Angesichts des demografischen Wandels und den zunehmenden Herausforderungen im sozialen Sektor wäre ein solcher Dienst eine wichtige Stütze für die Gesellschaft. Zudem hätten Ältere auch die Chance, selbst verursachte Probleme abzumildern – etwa in der Infrastruktur, Energie- oder Migrationspolitik. 

„Was haben die Ruheständler mit der Energiepolitik oder Migrationspolitik zu tun? Wohl nichts!” Rentenberater Peter Knöppel kritisierte die Idee eines sozialen Pflichtjahrs für ältere Personen auf dem Portal Rentenbescheid24 als unglaublich erschreckend. Er betonte, dass die Rentnerinnen und Rentner bereits genug durch ihre Arbeit und ihr Engagement für die Gemeinschaft geleistet haben. Es sei zudem äußerst unfair, die ältere Generation für politische Versäumnisse der Parteien verantwortlich zu machen und sie erneut in die Pflicht zu nehmen.​ 

Unser Kommentar

Kristina Schröder war einmal Familienministerin im 3. Kabinett Merkel. Erinnern Sie sich? Sie hat selbst dazu beigetragen, dass die Infrastruktur lahmt, indem sie nur ein Kind gezeugt hat. Sie ist eine von vielen Politiker:innen der Merkel-Zeit, die nicht wirklich etwas für die Zukunft des Landes bewegt haben, obwohl sie immer wieder auch kontroverse Positionen vertrat. Schon wegen der Person, von der die Idee jetzt gekommen ist, fanden wir sie schräg, aber vielleicht ist sie es doch wert, etwas genauer untersucht zu werden.

Falls uns dereinst jemand in ein soziales Pflichtjahr nehmen will, obwohl wir schon unseren Wehrdienst geleistet haben, werden wir uns vor allem darauf stützen: Wir haben die Politik nicht gewählt, die das Land so in die Grütze gefahren hat. Nachweisen könnten wir das allerdings nicht, also müssten wir dann doch ran.

Ein anderes Kriterium käme uns leide nicht zugute, das uns sofort als Beschränkung eingefallen war: Wer zwei Kinder oder mehr hat, müsste schon deswegen von dem sozialen Pflichtjahr ausgenommen werden, weil er ja nicht für die Bevölkerungspyramide gesorgt hat, die eher einem Pilz als einer ebensolchen ähnelt. Menschen, die immer gearbeitet und dabei noch mindestens zwei Kinder großgezogen haben, jetzt damit zu kommen, dass sie ihre sozialen Pflichten nicht erfüllt haben, ist schon steil. Wir sehen aber durchaus, dass eine egoistische Kinderverweigerung ein Problem ist, das mittlerweile viele westliche Gesellschaften haben.

Aber warum sind die Menschen, speziell in Deutschland, so kinderfeindlich? Was hat die Politik dazu beigetragen, dass hierzulande nicht endlich mehr Empathie und Zukunftszugewandtheit Einzug hielten? Man kommt bei diesen Überlegungen leicht in ein Dilemma: Was ist immer Eigenverantwortung und wo hat auch die Politik vernünftige Rahmenbedingungen zu setzen und zu einem kinderfreundlichen gesellschaftlichen Klima beizutragen? Die Familienminister:innen, also auch  Schröder, haben nicht gerade durch innovative Ideen geglänzt. Gerade die Konservativen sind ziemlich knickerig und einfallslos, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen von Kindern zu verbessern. Das hat natürlich ideologische Gründe, denn Familie ist in der Familie, im Wessentlichen, und die Frauen müssen mit den Problemen, die es in Deutschland bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt, alleine fertig werden oder sie haben hilfreiche Männer.

Das Hauptproblem sehen wir aber eher in einer Grundmentalität in diesem Land, und natürlich hat die jetzige Rentner:innengeneration dazu beigetragen, dass diese kinderfeindliche Mentalität weit verbreitet ist. Es gibt Gründe dafür, keine Kinder zu haben, es ist eine freie Entscheidung, aber wenn man irgendwann die Sozialstrukturen in Anspruch nehmen muss, die nur mit jungen Menschen aufrechtzuerhalten sind, die sich für die Älteren engagieren, dann darf die Frage erlaubt sein, ob jemand, der keine Kinder hat, nicht vielleicht doch durch ein solche Pflichtjahr etwas zur Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur beitragen könnte.

Es gibt ein Gegenargument dazu: Kinderlose und besonders Singles werden steuerrechtlich geradezu diskriminiert. Verfassungsrechtlich wird das schon dadurch abgesichert, dass sie weniger für die Zukunft des Landes tun, dafür drücken sie aber auch wirklich mehr Geld ab, mit dem der Staat seine sozialen Aufgaben wahrnehmen kann. Sie finanzieren überproportional diejenigen, die zum Beispiel Kindergeld oder sonstige staatliche Leistungen erhalten.

Die Frage ist also, welches Argument man für stärker erachtet. Den Unwillen, die Zukunft des Landes zu sichern, mit einer Pflicht zu belegen, oder zu sagen, das wurde schon durch höhere Abgaben an den Staat abgegolten. Wir sehen es so: Die höheren Abgaben ersetzen keinen Nachwuchs, aber sie können dazu führen, dass zum Beispiel Menschen aus anderen Ländern, die gerne gute Jobs in Deutschland annehmen, angeworben werden können. Auch hier mangelt es leider an freundlicher Aufnahmebereitschaft, parallel an freudiger Bejahung eines Kindersegens. Es ist immer wieder dieselbe negative Einstellung, auf die sich alles zurückführen lässt.

Auch die Tatsache, dass Menschen eine Politik wählen, deren Exponenten am Ende solche Ideen hervorbringen wie jetzt Kristina Schröder. Im Grunde haben sie sich das selbst zuzuschreiben. Aber da steht ja noch die Aussage im Raum, dass die Rentner damit ihr falsches Verhalten in Sachen Migration und Energie wiedergutmachen könnten, ein Stück weit jedenfalls. Als wir das gelesen hatten, hat’s uns wirklich aus den Socken gehauen. Es waren nicht die Wähler, sondern CDU-Kanzler:in Angela Merkel, die 2015/16 erstmals getestet hat, ob die Infrastruktur das aushält, was sie als Politik versteht. Jetzt passiert es gerade wieder.

Offenbar scheint Schröder davon auszugehen, dass das alles nicht funktioniert hat, sonst käme sie nicht auf diese gewagte Verknüpfung. Wir sind uns ganz sicher, dass es für den damaligen Move von Angela Merkel keine Bevölkerungsmehrheit gegeben hätte, ebenso wenig wie jetzt für die unbegrenzte Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Insofern ist es es von einer CDU-Politikerin wirklich ein starkes Stück, die älteren Menschen jetzt dafür verantwortlich zu machen, dass sie Merkels „Wir schaffen das“, das als „Ihr schafft das, wir hingegen tun nichts für die Infrastruktur, wir helfen euch nicht“ zu verstehen war, nicht so umsetzen konnten, wie es einige Blasenpolitiker sich wohl vorgestellt hatten.

Und das muss man sich also gefallen lassen, bei den niedrigen Renten in Deutschland, die in der Betrachtung ja auch nicht ganz außen vor bleiben können und für die viele, viele CDU-Regierungen gesorgt haben, die keinen Bock hatten, eine echte Rentenreform auf den Weg zu bringen. Die Ampel macht es nicht besser, dies wiederum macht die CDU-Politik nicht besser.

Sogar die Energiepolitik muss herhalten, damit Rentner:innen in Pflegeheimen arbeiten sollen. Sie merken, wir arbeiten die Argumente in Richtung zunehmender Absurdität ab. Dabei wird nicht einmal klar, was mit der „Energiepolitik-Schuld“ überhaupt gemeint ist. Vermutlich die Mehrheitsmeinung, dass man aus der Atomenergie aussteigen sollte. Die Versorgung mit russischem Gas kann es ja nicht sein, die wurde von der CDU mitorganisiert, während Schröder im Kabinett Merkel war. Grotesk, wirklich.

Energiepolitik hat mit den Mängeln in der Infrastruktur gar nichts zu tun, das ist bereits der Grundfehler dieses Arguments. Im Gegenteil: Wäre die Energiepolitik besser, dann würde die Wirtschaft mehr brummen und es würden noch mehr Arbeitskräfte gebraucht, die angeblich nicht vorhanden sind, weil die heutigen Älteren zu wenig Nachwuchs bekommen haben, um diese Lücken zu füllen. Wir haben dazu eine etwas andere Ansicht. Die Arbeitsbedingungen und Gehälter sind einfach zu schlecht, als dass man damit auch den letzten Zweifler in einen Lowjob bekommen könnte.

Und das wird sich nicht ändern, wenn die Union die heutigen Bürgergeldempfänger verhungern lässt, denn es wird sich etwas herausstellen, was die Populisten, zu denen sich auch Schröder gesellt hat, gerne verschweigen: Diese Art von Jobs gibt es nicht, die zu diesen potenziellen Arbeitskräften passt. Und es wird sie künftig im Zuge fortschreitender Automatisierung und Spezialisierung noch weniger geben. Bleibt wirklich nur noch die Parkreinigung. Lächerlich, in Berlin ist am Tag nach einem Reinigungsdurchgang eh alles wieder zugemüllt. Vielleicht eine Pflicht-Sisyphos-Aufgabe für Rentner:innen?

Damit zum nächsten Argument: Die Rentner:innen müssten ja auch gemustert werden wie Menschen, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen, wenn das soziale Jahr verpflichtend sein soll. Was dabei alles für Erkrankungen ans Tageslicht kommen werden, das können wir uns lebhaft vorstellen. Und dann noch in der Pflege arbeiten. Das ist einer der letzten Knochenjobs, falls es Leute wie Kristina Schröder noch nicht mitbekommen haben. Wir stellen uns gerade vor, wie eine gebrechliche 80-Jährige einer noch gebrechlicheren 90-Jährigen beim Klogang zur Hand geht. Bevor es jetzt zu sehr ins Ekelhafte driftet:

Ja, es gibt eine gewisse Logik, die besagt, dass die Menschen in Deutschland zu wenig gemeinschaftsdienlich unterwegs sind, aber was hier vorgeschlagen wird, ist nicht nur Zwangsarbeit, sondern auch eine Strafarbeit in Form von Nachsitzen für Ältere, das ist schon würdelos, vor allem, wenn es mit einigen wirklich unsinnigen Argumenten verknüpft wird. Die Parteien, die das soziale Klima in diesem Land über lange Zeit hinweg negativ mitgeprägt und seine Infrastruktur ruiniert haben, sollten sich mit solchen Vorschlägen zurückhalten.

Wäre eine solche Idee von einem Sozialverband gekommen, hätten wir uns vielleicht differenzierter damit auseinandergesetzt, aber hier ist zu viel Falsches im Falschen sichtbar.

Die Umfragewerte wollten wir Ihnen nicht vorenthalten, aber Civey war nicht direkt zu erreichen, sodass wir erst jetzt, nach dem Kommentar, abgestimmt haben. Wie derzeit 74 Prozent der Abstimmenden sind wir strikt gegen eine solche Idee. Das ist die größte eindeutige Mehrheit, die wir seit Langem bei einer dieser Umfragen gesehen haben, gleich ob als eindeutig zustimmend oder eindeutig ablehnend ausgewiesen. Das heißt auch, viele, die noch nicht im Rentenalter sind, können mit dieser Idee ebenfalls nichts anfangen. Wir wollen allerdings nicht verschweigen, dass bei jenen, die bald ins Rentenalter kommen werden, der Ablehnungsgrad noch höher war: 85 Prozent.

Merken Sie etwas? Die sogenannten C-Parteien wollen wieder spalten. Die Jüngeren gegen die Älteren aufhetzen, wie sie ja auch gerne die Mittelschicht dazu bringt, gegen die Schwächeren zu treten. Über nicht gelebte Verantwortung kann man immer diskutieren, da müssen wir uns auch selbst stellen, wenn es darauf ankommt – aber nicht so.

Am Ende noch ein Aspekt, den man nicht vergessen sollte: Niemand wird daran gehindert, offiziell länger zu arbeiten und dafür auch entsprechend bezahlt zu werden. Das ist einigermaßen fair, solange jemand es noch kann und will. Nicht ganz fair, denn nicht jeder kann etwas dafür, dass er körperlich oder psychisch nicht mehr in der Lage ist, mit 70 noch jeden Tag zum Arbeitsplatz zu schlurfen, aber einigermaßen. Und damit decken wir zum Schluss dieser Kommentierunternehmung noch etwas auf, was eine richtiggehende Schweinerei ist:

Kein Wort darüber, wie diese Sozialstunden vergütet werden sollen. Sollen sie wenigstens die Rente während der Zeit der Ableistung anheben oder sind sie schon in den niedrigen Renten eingepreist? Ganz unmöglich, dafür nichts zu zahlen. Wenn man aber zahlt, dann besser an jene, die wirklich noch etwas tun wollen oder die man dazu motivieren kann, und dann in angemessener Höhe. Alles andere würde nämlich dazu führen, dass die regulär Arbeitenden wieder auf der Verliererseite stehen und dringend notwendige Gehaltserhöhungen nicht durchsetzen können, weil Arbeitskräfte quasi für lau zwangsverpflichtet werden.

Wir müssen doch noch etwas dranhängen. Wir hatten uns für eine Dienstpflicht für Jüngere ausgesprochen, aus den bekannten Argumenten heraus. Das haben wir nicht getan, weil wir das hinter uns haben und uns die hier diskutierte Variante noch bevorstehen könnte. Wir mögen ältere Menschen und arbeiten gerne mit ihnen. Das heißt, wir würden es tun, wenn wir damit in einer Stadt wie in Berlin in unserer persönlichen Situation über die Runden kämen. Wir tun es aber nicht. Weil es nicht hinten und nicht vorne zum Leben langt.

Dieses kaputte Lohngefüge, das systemrelevante Jobs immer noch weit unterprivilegiert, mit Rentern:innenkolonnen perpetuieren zu wollen, ist ein Witz. Und das ist auch der Unterschied zu einem sozialen Pflichtjahr für Jüngere, die ohnehin noch ihre Ausbildung oder ihr Studium vor sich haben und bei denen der Findungsprozess noch eine wichtige Rolle spielt. Man kann bei all dem auch etwas lernen. Die jetzige Rentnergeneration, also die Männer, hat aber in der Regel sowieso schon einen Pflichtdienst, also Wehr- oder Zivildienst geleistet. Sie wären dann noch einmal dran, auch das spricht gegen dieses Konzept.

Wir könnten immer so weiterschreiben, bestimmt gibt es zig Argumente, die man eher dagegen als dafür ins Feld führen könnte, eine solche Alten-Dienstpflicht einzurichten. Da das Thema noch relativ neu ist, kann man sich noch einiges mehr dazu ausdenken, als wir das jetzt getan haben.

Trotzdem wurde es schon ein relativ langer Kommentar zu einer Civey-Umfrage, weil wir hier auch nicht auf frühere Artikel verweisen können (außer auf jene zur allgemeinen Dienstpflicht für junge Menschen, zum Beispiel hier).

Wenn sich übrigens die Variante durchsetzen würde, dass nur die Kinderlosen nochmal ran müssten, dann würden wir vielleicht eines Tages zur selben Zeit und am selben Ort mit Angela Merkel zusammentreffen, deren Ein-Kind-Familienministerin Kristina Schröder war. Würden wir das als kulturell bereicherend emfpinden und als sinnvollen Beitrag zur Stabilisierung der Sozialsysteme? Nun ja.

TH


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