Minenspiel – Tatort 597 #Crimetime 1228 #Tatort #Köln #Ballauf #Schenk #WDR #Minen

Crimetime 1228 –  Titelfoto © WDR

Minenspiel ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom WDR produzierte Beitrag wurde am 8. Mai 2005 im Ersten Programm der ARD ausgestrahlt. Es ist der 31. Fall des Ermittler-Teams Max Ballauf und Freddy Schenk und die 597. Tatortfolge.

Regisseur Torsten C. Fischer hat 2009 mit Jessica Schwarz in der Titelrolle das Biopic „Romy“ gemacht, wohl seine bisher bekannteste Arbeit, die ein geteiltes Echo fand. Auch wenn der Tatort die deutsche Premium-Krimireihe ist, ganz so hoch hängen die Trauben hier nicht, als wenn man das Leben von Romy Schneider in 105 Minuten erzählen will. Wie hoch wir die Bewertung gehängt haben und mehr zum Film steht in der Rezension.

Handlung (1)

Der Unternehmer Lars Fresinger, der regelmäßig im Stadtwald joggen geht, tritt eines Tages dabei auf eine Landmine. Beide Unterschenkel werden ihm abgerissen und er verblutet. Neben den Kommissaren Ballauf und Schenk ermittelt gleichzeitig der Staatsschutz. Damit übernimmt Eva Bertsch die Leitung der Ermittlungen des Falles „Minenspiel“. Der Grund für den Anschlag war sehr wahrscheinlich die Tatsache, dass Fresinger Vorstandsmitglied der Stiftung „Land statt Minen“ war. Seine Firma handelte mit Maschinen und unterhielt gute Beziehungen nach Afrika, wo er auch seine jetzige Frau kennenlernte.

Fátima Fresinger stammt aus Angola, einem Land das nach Jahren des Bürgerkriegs immer noch übersät ist mit Landminen. Sie hat dort als Dolmetscherin für Fresingers Firma gearbeitet. Bei der Vernehmung gibt sich die Witwe den Ermittlern gegenüber recht verschlossen. Das Verhältnis der Eheleute war in letzter Zeit abgekühlt. Bei einer Scheidung könnte sie nach Angola abgeschoben werden, als Witwe hätte sie ein Bleiberecht. Für Ballauf und Schenk ist das ein Grund in diese Richtung zu ermitteln. Fingerabdrücke von einem António Mussamo sind in Fresingers Haus gefunden wurden. Er ist ein Mitglied einer Organisation, die für ein freies Angola kämpft und vor vier Monaten nach Angola abgeschoben worden. Fátima Fresinger gibt an ihn nicht zu kennen, aber offensichtlich lügt sie. 

Rezension 

Man kann auch beim Tatort danebengreifen. Zum Beispiel, wenn man ein großes Thema angeht, es aber nicht in den Griff bekommt. 110 Millionen Landminen, die auf den Kampfgebieten der Welt verstreut herumliegen oder im Jahr 2005 herumlagen, sind ein großes Thema. U

Umso überraschender der Ansatz, einen Krimi daraus zu machen, in dem es nicht um das Ausbringen der Minen geht, nicht um mögliche Söldner, die in den Revolutionswirren von Angola für den Tod und die Verstümmelung von Menschen verantwortlich sind, sondern ausschließlich um die Minenräumung. Es ist, gerade in dieser Zeit, in der wir allen Grund haben, von politischen und wirtschaftlichen Verhaltensweisen enttäuscht zu sein, eine Enttäuschung mehr, dass selbst die Beseitigung von Minen als Dosenöffner für wirtschaftliche Interessen missbraucht werden kann. Wir waren, als „Minenspiel“ erstmalig gezeigt wurde, im Ausland und hatten eine andere Agenda als die enge Verfolgung politischer Vorkommnisse, aber wir gehen davon aus, dass das, was hier gezeigt wird, nicht vollkommen spekulativ ist. Und wär’s das, würde es trotzdem ins Bild passen und wirkt daher auch schön zeitlos.

Zudem ist „Minenspiel“ so gefilmt, dass er auch heute noch modern wirkt, setzt vor allem die Schauspieler auffällig gut ins Bild, blendet immer mal wieder ab, ohne dass wir dahinter ein Prinzip erkannt hätten; das mindert aber nicht die angenehme Gestaltung. In Köln gab es in den 2000ern ja einige stilistische Experimente, die man so oder so bewerten kann, „Minenspiel“ hingegen konzentriert sich recht gut auf seine Story. Dabei werden die Kommissare auf eine sehr flüssige Weise einbezogen, vor allem Klaus J. Behrendt (Max Ballauf) wirkt in diesem Tatort ausgesprochen präsent – emotional auf der Kante, wie immer schön persönlich angefasst. Man schrieb ihm kaum einen jener peinlichen Dialoge, die er sonst manchmal sprechen muss. Einmal geht er etwas überraschend hoch, als Freddy ein wenig an ihm vorbei ermittelt, weil auch er ein eigenes Ding mit einer Verdächtigen hat, aber da spielt sicher auch der Frust darüber eine Rolle, dass sich Fatima ihm dienstlich-emotional entzieht.

Bei Freddy ist es aber nicht anders, mit der Krankenschwester Maria, eine schöne Doppelung, die nicht einmal unnatürlich wirkt, weil die beiden Kommissare so authentisch sind als Gemütsmenschen, und weil das Thema, um das es geht und die Leiden, die sichtbar werden, Reaktionen hervorrufen – bei Freddy wirkt alles etwas väterlicher, Max verrennt sich lieber gleich zweimal in Frauen, die entweder für ihn unerreichbar sind (Fatima) oder verhält sich abwehrend (Eva Bertsch). Er würde gerne anders, aber es nicht zu schaffen, das ist nun einmal bei ihm Programm und besser, als dass ihm die Annäherung tatsächlich gelingt und die Frau dann getötet wird (Schlüsseltatort „Direkt ins Herz“). Eine Konsequenz des Personentableaus allerdings muss man sich nach dem Anschauen noch einmal in Erinnerung rufen: Dass eine so mitleidvolle und von allem, was geschah, angefasste Person wie die Krankenschwester es riskiert, dass durch ihre Minen-für-Köln-Aktion wiederum Kinder verstümmelt werden, was dann auch geschieht. Da erklärt sich der Sinn des Schuhbergs von selbst.

Trotz dieser emotional fordernden Konstellation (verstümmelte Kinder, Körper- und Seelenschäden bei Rückkehrern aus Angola, Frauen, die es den Ermittlern angetan haben) und einer deutlich spürbaren, stellenweise sogar sinnlichen Atmosphäre dieses Films wird nie die Distanz vollkommen aufgegeben, sodass wir zwar mitfühlen können, aber uns kampflos in einen Gefühlstrichter fallen lassen müssen – wir finden es gar nicht so schlecht, dass man genau diese Grenze zur Tränendrückermasche nicht überschritten hat, sondern auf einer Ebene verweilt, die eine sachliche, abwägende Beurteilung des Geschehens erlaubt. Nicht alles in diesem Film wird klar, etwa der Grund des Stopps des ersten Opfers an der Klinik, der belegt, wie gläsern wir mittlerweile sind- ein Kardiometer, beim Joggen getragen, gibt erstaunliche Aufschlüsse bei der Rekonstruktion eines Tathergangs. Oder gäbe sie, wenn man diesen Aspekt nicht verschenkt hätte.

Wir fanden den 597. Tatort hinreichend spannend, aber unsere Wahrnehmung war auch dadurch gesteuert, dass es eine Zeit her ist, dass wir mal wieder einen Schenk-Ballauf-Tatort anschauen durften, den wir noch nicht kannten und über den wir schreiben können. Bei allem Spaß, den das Gründeln in den Tatort-Urzeiten macht, das die Sender der ARD uns in diesen Monaten erlauben, wir merken, dass wir die beiden vermisst haben. Gewundert hat’s uns nicht, wir haben zu einem früheren Zeitpunkt bereits festgestellt, dass sie zu den wenigen Ermittlern gehören, deren Dienstende wir nicht nur schade, sondern als echten Verlust empfinden würden. Auf eine Weise sind die beiden in ihren Reaktionen so verlässlichen Kumpels unersetzbar, in einer Tatortwelt mit nun schon 21 Teams.

Finale

Wenn wir ein wenig objektiver an die Handlung herangehen, stellen wir fest, es ist nicht alles schlüssig, und die Wirkung zerfetzter Körper ist eindeutig stärker als der dramaturgische Aufbau des Films – doch die Atmosphäre und das gute Spiel gleichen das aus, sodass ein insgesamt respektabler Film entstanden ist.

Die Grundstimmung ist ernst, wie es sich für das Thema gehört, dennoch ist Zeit für ein wenig schwarzen Humor, als Freddy die ganze Nacht an der Stelle verharrt, um die vermeintliche Auslösung einer Mine zu verhindern, auf die er mitten in Köln geraten ist. In gewisser Weise ist der Film auch eine Parabel darüber, wie die Probleme der Welt uns eben auch hier einholen können – was uns in den letzten Jahren und in diesen Tagen allerdings wesentlich drastischer vor drastischer durch die Realität vor Augen geführt wurde, als ein Tatort sie anhand weniger involvierter Personen darstellen kann.

Einige Manierismen der Kölner Tatorte werden gekonnt variiert, wie das 2005 schon übliche und erst 2013 abgeschaffte, obligatorische Stelldichein an der Wurstbraterei mit Domblick: Dieses Mal findet es zwischendurch statt, und Freddy ist nicht mit Max, sondern mit Maria. Doch der rechte Appetit auf rote Currysoße will nicht aufkommen.

7,5/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Torsten C. Fischer
Drehbuch Karl-Heinz Käfer
Produktion Sonja Goslicki
Musik Fabian Römer
Kamera Hagen Bogdanski
Schnitt Benjamin Hembus
Premiere 8. Mai 2005 auf Das Erste
Besetzung

 


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