Crimetime 1234 – Titelfoto © SWR, Jacqueline Krause-Burberg
Schrott und Totschlag ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Die Folge wurde vom Südwestrundfunk unter der Regie von Jürgen Bretzinger produziert und erstmals am 6. Januar 2002 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Es ist die 490. Folge des Tatorts und 25. Episode mit der Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal.
Die ARD-Handlungsbeschreibung ist dieses Mal so lang ausgefallen, dass wir dadurch einige Zeilen bei der Rezension einsparen könnten. Sie weist allerdings auch auf die Plotanlage des Films hin: Denn hier handelt es sich nicht darum, den Täter zu ermitteln, sondern ihn zu fassen. Thrillerartige Filme, Howcatchems genannt, sind, der Ansicht sind wir nicht erst seit diesem Beitrag, fesselnder als Whodunnits, weil sie von den modernen Möglichkeiten, Täter mit all ihren Untiefen und Tiefen zu charakterisieren, mehr Gebrauch machen können. Ein Thriller wird aus einem solchen Film dann, wenn gegen die Uhr gearbeitet werden muss, wenn zu erwarten ist, dass der Täter weiter morden oder mindestens Kinder sexuell missbrauchen wird, wie in „Schrott und Totschlag“. Mehr dazu lesen Sie in der Rezension.
Handlung
Schwimmtrainer Bertram Nock ist beliebt bei den Kindern und anerkannt bei den Eltern seiner Schützlinge. Vor nicht allzu langer Zeit ist er zu seiner Freundin Sylvia gezogen, Friseurin und allein erziehende Mutter, deren sechsjährige Tochter bei ihm das Schwimmen lernt. Nock bemüht sich sehr um das Kind und hat mit seiner freundschaftlichen Art Ninas Zuneigung erobert.
Als Sylvia zu einer Fortbildung fährt und Nock mit Nina allein bleibt, kommt jedoch noch eine andere, bisher unterdrückte Seite in Nocks Zuneigung zu Nina zum Vorschein. Der sexuellen Anziehungskraft, die junge Mädchen auf ihn ausüben, kann er nicht mehr widerstehen. Nina jedoch will er nichts antun, und so vermummt er sich und sucht nach einem Ersatzobjekt. Als er auf einer einsamen Straße ein zwölfjähriges Mädchen sieht, zerrt er es ins Auto und versucht, es zu vergewaltigen. Giri Reinhard wird zwar von seinem Messer verletzt, trotzdem kann sie sich befreien und entkommen.
Giri ist außer sich, doch ihr Großvater Batscho Reinhard, der Kopf ihrer Sinti-Familie, beschließt, die Polizei nicht zu informieren, um Giri eine Zurückweisung zu ersparen. Als Giri am nächsten Tag auf dem Schulweg ihren Angreifer erblickt, läuft sie erschreckt davon. In ihrer Panik springt sie von einer Rheinbrücke und stürzt vor Nocks Augen in die Tiefe. Bertram Nock flieht.
Mord oder Selbstmord ist die Frage, die sich Lena, Kopper und die Spurensicherung stellen, als Giri tot aus dem Fluss geborgen wird. Bei der Begegnung mit der Familie wird deutlich, dass Giris Tod wahrscheinlich mit der versuchten Vergewaltigung zusammenhängt. Einzige Spur ist ein Hinweis auf den Wagen des Täters, die Suche scheint aussichtslos. Aber selbst als die Spurensicherung eindeutig von Selbstmord spricht, ist Lena nicht bereit, die Suche kampflos aufzugeben. Denn wer einmal ein Kind vergewaltigt, wird das wieder tun, falls er nicht gehindert wird.
Während Lena und Kopper Ansatzpunkte für eine Fahndung suchen, versucht Bertram Nock den Blutfleck zu entfernen, den Giris Halsverletzung auf dem Rücksitz des Wagens hinterlassen hat. Das Auto muss verschwinden, und Nock hat auch eine Idee, wie das geschehen soll: Er überredet den Schrottplatzbesitzer Karl Scherkamp, den blauen Golf heimlich zu verschrotten und so zum Versicherungsfall zu machen. In einer Nacht- und Nebelaktion wird der Wagen auf dem verlassenen Schrottplatz fertig für den Schredder gemacht. Aber Nock hat Pech, denn Scherkamp ist mit Batscho Reinhard befreundet und schöpft Verdacht. Als Scherkamp im Auto auf Spuren stößt, schlägt Nock zu. Mit Scherkamps Leiche im Kofferraum überlässt er den Wagen dem riesigen Schredder und verschwindet.
Hat er das perfekte Verbrechen verübt? Scherkamp wird vermisst, aber Lena findet weder eine Leiche, noch ein Motiv, weder Spuren noch Zeugen und schon gar keine Tatwaffe. Die Ermittlungen scheinen völlig aussichtslos. Bis sich in der Schrottverwertungsanlage doch noch eine aussagekräftige Spur findet.
Rezension
Der Titel verbirgt den Themenschwerpunkt und die Schauplätze und der Handlungsstrang mit Mario Kopper und seinem alten Alfa, der es gerade bis zu Oldtimer gebracht hat, als es zu seiner Verschrottung kommt, sind sehr in Kontrast zueinander gesetzt, ohne dass man darin mit Sicherheit einen konzeptionellen Ansatz erkennen kann. Es gibt keine Botschaft, die uns sagen soll, dass die Leute sich mehr um alte Autos scheren als um das Wohl ihrer Kinder. Tatorte mit solchen Aussagen sind nicht selten, aber hier muss man die Nebenhandlung loslösen vom eigentlichen Fall, und doch gibt es eine seltsame Verbindung: Es ist furchtbar, mitansehen zu müssen, wie ein wirkender Knopfaugen-Beinahe-Schönling wie Bertram Nock sich anschickt, selbst bei der ca. neunjährigen Tochter der Freundin sexuell zu denken und zu handeln, mehr, als wenn es zu seinen Attacken auf ihm nicht bekannte Mädchen kommt (wobei dies grundsätzlich keinen Unterschied machen sollte), und es verursacht Kopfschmerzen, wenn Koppers Alfa auf dem Schrottplatz sein Leben lässt. Die unberührten Kinder und die schönen Dinge, die sich beide nicht wehren können gegen die Rohheit und das Verlangen entgleister oder unverständiger Menschen, sind uns eben doch mehr, als wenn Verbrechen an Leuten verübt werden, zu denen wir keine emotionale Beziehung aufbauen konnten und wenn ein alter Golf II ablebt, der zudem ein Tatfahrzeug war.
Vielleicht liegt es genau daran, dass wir uns mit diesem Tatort so gar nicht anfreunden konnten, dass dieser Nock zu gut gespielt ist, ohne dass dafür eine Extraportion schauspielerischer Klasse notwendig war, dass dieser Durchschnittstyp so realistisch ist und dass wir beim Angucken dachten, oh, oh, wie viele von genau diesen Typen laufen hier in Berlin herum, sind Teile von Patchworkfamilien, und aus den Mündern blubbert eingeübter Sozialsprech und in den Hirnen lebt die Pädophilie. Das ist kompletter Unsinn, aber wir konnten uns kaum dagegen wehren. Die Unauffälligkeit solcher Täter steigert ihre Unheimlichkeit erheblich, und wer will es einer Frau wie seiner Partnerin verdenken, dass sie zunächst nicht glauben kann, wie er drauf ist? Man ist von ihrer Naivität genervt, aber warum? Weil es jedem passieren kann, dass er bei der Partnerwahl etwas Wichtiges übersieht. Diese alltägliche und wenig exaltierte Art, in der „Schrott und Totschlag“ gefilmt ist, ohne altmodisch zu wirken, entsprich dem Entwicklungsstand der Filmsprache innerhalb der Reihe in den frühen 2000ern, aber die heute üblichen Mätzchen oder die mittlerweile übliche Überbetonung der allgegenwärtigen Tristesse in uns und um uns herum würden der Wirkung des Täters als Herr Durchschnitts-Jedermann viel nehmen, und die Wirkung ist unangenehm.
Nicht alles an „Schrott und Totschlag“ ist gelungen, manchmal wird hier das Nüchterne übertrieben – was in der manchmal hölzern wirkenden Art zum Ausdruck kommt, wie Lena und Mario, vor allem aber sie, Humor produzieren sollen. Da stimmt oft der Ton nicht und wir hatten den Eindruck, dass Ulrike Folkerts diese Szenen so schnell wie möglich abgearbeitet haben wollte und befürchtet hat, das Drama um die missbrauchten Mädchen könnte darunter leiden, wenn sie in die Momente mit Kopper zu viel darstellerische Verve investiert. Bei Andreas Hoppe als Kopper klappt’s ein wenig besser, wir konnten ein- oder zweimal befreit lachen und uns so den Leidensdruck nehmen, den die Szenen mit den Mädchen verursacht hatte. Dass wir das Schicksal des roten Alfa Romeo Giulia aus persönlichen Gründen schrottig fanden, hat dann noch eine Ärger-Note reingebracht, die uns aber auch einen Fingerzeig gegeben hat, obwohl wir eben nicht glauben, dass Koppers Einstellung zu Autos dazu dienen sollte, dem Zuschauer etwas zum Nachdenken über den eigenen, die Sinne für das Drama im Nachbarhaus zustellenden Materialismus zu geben. Niemand hätte den Nock aufgrund irgendeines auffälligen Verhaltens als potenziellen Sexualstraftäter identifizieren können. Dazu brauchte es das buchstäbliche Eintauchen in seine Welt und in seine Unterwasser-Videos.
Wie diese zustande gekommen sein sollen, wollen wir lieber nicht eruieren, wo uns schon einige andere Elemente des Films aus plottechnischer, aber auch aus thematischer Sicht nicht ganz eingängig erschienen sind. Warum musste zum Beispiel das Mädchen, das von der Brücke sprang, eine Sinti sein? Damit Lena und Mario die Familie am Ende als Hilfssheriffs nutzen konnte, wo sie eh dabei war, dem Täter eigenhändig den Garaus zu machen? Um uns wieder mit dem Dilemma zu konfrontieren, dass wir Selbstjustiz rational und aus rechtsstaatlichen Erwägungen abzulehnen haben, aber dann doch emotionales Verständnis für die Angehörigen von Missbrauchsopfern bewältigen müssen, die sich eigenhändig rächen wollen? Der Film vergisst auch nicht, in Person des Familienoberhauptes der Sinti darauf hinzuweisen, dass Nock ja irgendwann aus dem Gefängnis entlassen werden wird. Was soll uns das sagen? Dass dem Rechtsstaat und dem Wunsch der Familie des Opfers nach Vergeltung gleichermaßen Genüge getan werden kann, und zwar schön der Reihe nach? Uns wär’s lieber gewesen, man hätte das Mädchen nicht „ethnisch“ sein lassen und dabei noch ein paar Klischees untergebracht – zumal die Sinti (und Roma) sich selbst eben gerade nicht als Zigeuner bezeichnen, wie es hier an einer verräterischen Dialogstelle geschieht. In den 1990ern gab es häufiger Tatorte, in denen versucht wurde, ethnischen Gruppen gerecht zu werden, und oft ging dabei etwas schief, weil das alles noch etwas krampfig wirkte – auch die Darstellung in „Schrott und Totschlag“ ist nicht sehr gut gelungen und sagt in Bezug auf den Fall überhaupt nichts aus, denn z. B. der Wunsch nach Vergeltung ist ganz gewiss nicht an Ethnien festzumachen, wie uns jüngst im Tatort „Preis des Lebens“ aufgezeigt wurde.
Finale
Auch das Vorantreiben des Plots durch viele unwahrscheinliche Zufälle, das verhindert, dass Nock weiter Unheil anrichten kann (inklusive der genau im dramaturgisch richtigen Moment stattfindenden Funde von künstlichen Hüftgelenken, von Messern etc.) ist nicht die hohe Schule der Krimiplottechnik. Letztlich bleibt, dass wir uns vor allem davon lösen müssen, diesen Tatort negativ zu bewerten, weil er so unangenehm ist. In den richtig alten Tatorten waren Verbrecher meist schon an der Visage zu erkennen und damit wurde voll in die Klischeekiste gegriffen.
Damals waren Filme über Kindesmissbrauch, dazu mit tödlichem Ausgang, allerdings noch nicht üblich, folglich musste man keine Männer zeigen, wie sie zu Dutzenden über die Straßen unseres Kiezes laufen, in den Cafés und Kneipen sitzen, mit ihren Frauen und ihren eigenen oder deren Kindern unterwegs sind. Wir haben uns längst angewöhnt, Kinder mehr oder weniger zu ignorieren, damit wir nicht missverstanden werden können. Das ist leider die andere Seite der zunehmenden Sensibilisierung für das Missbrauchsthema – dass man stets befangen und gefangen in dem Bewusstsein ist, wie heikel jede natürliche, zugewandte Reaktion auf ein unschuldiges Kinderlachen sein kann, wenn sie aus nachvollziehbarer Sorge falsch aufgefasst wird. Wenn man so will, sorgen Leute wie Nock sogar mit dafür, dass es heißt, dies sei ein kinderfeindliches oder kinderignorantes Land.
7/10
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Jürgen Bretzinger |
|---|---|
| Drehbuch | Dorothee Schön |
| Produktion | Ulrich Herrmann |
| Musik | Markus Lonardoni |
| Kamera | Jürgen Carle |
| Schnitt | Monika Kretschmann |
| Premiere | 6. Jan. 2002 auf Das Erste |
| Besetzung | |
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