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Hatten wir nicht gerade einen Wahl-O-Mat ausgefüllt? Doch, für die Europawahl. Und wir haben letztlich sogar das Ergebnis zur Grundlage unserer Wahlentscheidung gemacht. Es war super knapp, obwohl die Partei, der wir unsere Stimme gegeben haben, mit einigem Abstand  vor den Grünen, der SPD und auch vor der Linken lag.

Und heute ist ein guter Tag für diesen Artikel, denn nach mehr als 6 Wochen Pause ist eine neue Sachsen-Umfrage erschienen (ZDF-Politbarometer).

Dieses Mal ist es anders. Nicht nur, dass alle erwähnten Parteien dicht beisammen liegen und auf mehr Punkte kommen als bei der Europawahl. Dieses Mal gilt es auch, die Fünfprozenthürde zu berücksichtigen, die Stimmen nicht an eine Partei zu vergeben, die keine Chance hat, in den nächsten sächsischen Landtag einzuziehen, nicht mit einer solchen Wahl dazu beizutragen, dass die Rechten besser durchmarschieren können. Nur – dieses Mal dürfen wir nicht mitmachen.

Sie wissen, dass uns dies nicht davon abhält, einen Wahl-O-Mat auzufüllen, denn es gibt keine verlässlichere Möglichkeit, ohne großen Aufwand die eigene Position mit politischer Parteien anhand von konkreten Sachthemen abzugleichen. Sympathie und Antipathien bleiben dabei ausßen vor, denn wir wissen zu dem Zeitpunkt, zu dem wir unsere 38 Klicks setzen, nicht, welche Partei auf welche Weise Stellung dazu bezieht. Natürlich können wir uns das in vielen Fällen denken. Dieses Mal haben wir auf eine Sache besonders geachtet: Dass wir keine Kompromisse mit uns selbst machen, dass wir nicht aus übergeordneten Gründen gegen unser Gefühl und gegen den Glauben an das bessere Wissen abstimmen.

Hat diese Maßgabe dazu geführt, dass alle relevanten Parteien prozentual viel dichter zusammenliegen als bei der Europawahl? Es gibt noch eine andere Erklärungsmöglichkeit: Sie liegen tatsächlich in Sachsen dichter beieinander, ihre Positionen betreffend, als wenn es um das Thema Europa geht. Außerdem haben wir uns wieder in allen Punkten neutral gestellt, bei denen wir uns kein Urteil anmaßen wollten. Zum Beispiel hatten wir keine Zeit, uns mit den Pro- und Kontra-Argumenten für die vermehrte touristische Nutzung der sächsischen Nationalparks auseinanderzusetzen. Ein paar weitere Themen sind uns nicht wichtig genug, zum hier zu sagen, es muss eine klare Für- oder Gegen-Position sein. Das trifft zum Beispiel auf Gleichstellungsregelungen zu. Einerseits finden wir, es muss sich noch etwas tun bei der Gleichstellung, andererseits sind wir nach wie vor davon überzeugt, dass wichtige Positionen die dafür am besten geeignete Person gehört, unabhängig von ihrem Geschlecht.

Zunächst unsere Abstimmung nach Sachfragen

 

Wir wollen jetzt aber keine falschen Akzente formulieren: Wir haben kein Thema, bei dem wir uns neutral gestellt haben, doppelt gewichtet. Dafür haben wir doppelte Gewichtungen vorgenommen bei Themen die klassischerweise als links gelten und bei ökologischen Gegenständen:

  • Nein zum Braunkohlabbau nach 2038
  • Ja zu mehr Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft
  • Ja zur Reaktivierung der Vermögensteuer
  • Ja zum Ausbau von Windkraftanlagen
  • Ja zum kostenfreien ÖPNV
  • Ja zum Landespflegegeld
  • Ja zum Lobbyregister
  • Ja zu mehr Weiterbildung für Langzeitarbeitslose

Damit haben wir 8 von 38 Themen eine doppelte Priorität eingeräumt. Einige dieser Doppelwertungsfragen betreffen typische Kernpunkte sozialer und ökologischer Politik, wie sie in fast jedem Wahl-O-Mat auftauchen. Sicher, für uns ist es leicht, gegen die Braunkohleförderung in Sachsen zu stimmen und für den Ausbau von Windkraftanlagen, denn in Berlin sind wir von beiden Themen wenig betroffen, für Menschen vor Ort kann es um die Existenz oder um starke Einwirkungen auf ihren Alltag gehen. Es sind auch fast immer „Ja“-Antworten, die wir doppelt gewichtet haben. Es geht um Fortschritt, nicht um Verhinderung, so sind die Fragen beim Wahl-O-Mat auch häufig gestellt: Dass man mit einem Nein eine Abwehr kundtut, mit einem Ja hingegen eine Verbesserung, einen Fortschritt wünscht. Ja-Antworten sind progressiver als Nein-Antworten, die Ausnahme in dem kleinen Doppelwertungskatalog ist die Braunkohle, hier wäre ein Ja die konservative Position gewesen.

Wer ist vorne? Die Partei, die schon bei der Europawahl bei uns ganz oben auf der Liste stand, damals zusammen mit der ÖDP. Die ungewöhnliche Spitzenstellung der ÖPD haben wir uns damit erklärt, dass einige Nichtübereinstimmungen mit dieser Partei angesichts der Themensetzung bei der Europawahl nur eine geringe Rolle gespielt haben.

Und hier das Ergebnis nach Parteien

 

Landtagswahlen sind anders, aber es gibt bemerkenswerte Verschiebungen. Von „Die Partei“ abgesehen, kommt keine Partei bei uns über 80 Prozent, andererseits schafft es selbst die AfD auf 46 Prozent, während die CDU hinter der AfD liegt, gleichauf mit der AfD wiederum die FDP. Dass dies nicht ausreichen würde, um eine der drei rechten Parteien zu wählen, versteht sich von selbst, auch wenn die strikt sachorientierten Fragen strategische Überlegungen die den Schutz der Demokratie nicht einbeziehen können. Das ist auch richtig so, man kann diese Überlegungen immer noch im Sinne eine Korrektur einfließen lassen.

Das war aber, wie bisher bei allen Wahl-O-Maten, nicht notwendig, denn die Mitte-Links-Parteien liegen auch dieses Mal vorne. Nur eben nicht so deutlich wie sonst, was auch daran liegen kann, dass bei Landesthemen die Parteien einander in ihren Positionen ähnlicher sind, als es das Wahlkampfgetöse vermuten lässt. Nun ja, so laut ist der Sachsenwahlkampf nicht, die besondere Situation in Thüringen mit der vermutlichen Ablösung der Linksregierung und der mögliche Regierungswechsel in Brandenburg sind mehr geeignet, politische Kommentare hervorzurufen als die vermutliche Fortsetzung der CDU-Regierung in Sachsen. Dass die CDU möglicherweise nicht stärkste Partei werden wird, ist in Umfragen schon so lange abzusehen, dass man sich beinahe daran gewöhnt hat. Dabei ist die Lage dort sehr interessant: Wird das BSW es tatsächlich wagen, von der CDU auf Bundesebene eine Abkehr von ihrer Außenpolitik zu fordern, damit es auf Landesebene eine CDU-BSW-Koalition, vermutlich mit einem dritten Partner, geben kann? Das wäre mehr als vermessen, das wäre ein Anschlag auf die Demokratie, denn wenn die Union darauf nicht eingeht, was sie faktisch nicht kann, weil sie im Bund nicht regiert und ideologisch nicht darf, dann wäre einer AfD-geführten Regierung möglicherweise Tür und Tor geöffnet. Wie gefährlich manche Populisten sind, das offenbart sich an solchen Befürchtungen.

Wen aber würden wir nun wählen? „Die Partei“ wäre es nicht, wegen der Fünfprozentklausel, so viel steht fest. Ob wir nun die SPD, die Linke oder die Grünen wählen, wäre im Prinzip egal. Gleiche Prozentzahlen bedeuten nicht gleiche Positionen, das wird in den Wahl-O-Maten immer erwähnt und ist selbstverständlich. Die Zustimmungswerte können bei unterschiedlichen Fragen erzielt worden sein. Dennoch gehen wir davon aus, dass sich SPD, Linke und Grüne in Sachsen nicht allzu sehr in ihren Positionen unterscheiden. In Berlin wäre eine Regierungskoalition dieser drei Parteien das, was wir uns nach dem Debakel 2023, das zu einer CDU-SPD-Regierung geführt hat, wieder wünschen würden, also würden wir wohl für die Linke stimmen, weil sie uns insgesamt nach wie vor von den relevanten Parteien am nächsten steht. Es könnte in Sachsen aber auch die SPD und es könnten sogar mal wieder die Grünen sein, sowohl die Sozialdemokraten als auch die Grünen haben wir in einem Wahl-O-Mat schon längere Zeit nicht mehr über 70, schon gar nicht über 75 Prozent gesehen. Dass konservative Parteien relativ gut abschneiden, kann die oben genannten Gründe oder einen weiteren haben: Dass die nicht ganz rechten Parteien, so muss man die SPD und die Grünen ja bezeichnen, dass diese politischen Kräfte in Sachsen nicht die am meisten linksorientierten Positionen innerhalb ihres eigenen Spektrums vertreten, weil die lokalen Parteigrößen wissen, dass man mit zu viel Progression in Sachsen nicht vorwärtskommt. Man wird vermutlich auch so gemäßigt, wie man dort auftritt, nicht viel ernten, denn mehr noch als im Westen regiert der Hass, vor allem auf die Grünen, und der hat wenig mit konkreten Sachfragen zu tun.

Und damit zu den Umfragen, denn ein bisschen strategisch würden wir ja doch denken, wenn wir in Sachsen zu wählen hätten.

Eine, sagen wir mal, mittelplusgute Nachricht gibt es aus Sachsen zu vermelden: Umfrage vor Landtagswahl in Sachsen: CDU liegt erstmals wieder knapp vor AfD (msn.com). 34 Prozent würden aktuell demnach der CDU ihre Stimme geben, 30 Prozent der AfD. Das ist durchaus eine Kehrtwende, außerdem sind 60 Prozent gegen eine Regierungsbeteiligung der AfD, also fast alle, die angegeben haben, die CDU wählen zu wollen. Das ist im Sinne der Demokratie gar nicht zu unterschätzen, dass es diese Mehrheit in dem Bundesland noch gibt, das lange Zeit als rechter Frontstaat in der Republik für Schlagzeilen sorgte. Das ist allerdings auch ein persönlicher Erfolg für den mittlerweile sehr bekannten sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der sich auch als Außenpolitiker darstellt und dabei auf wirtschaftliche Interessen des Freistaats verweist. In Sachsen gibt es eine putinfreundliche absolute Mehrheit aus AfD, CDU und BSW. Wenn das BSW also nicht auf die wirklich öbszöne Idee kommt, die Bundes-CDU vor sich hertreiben zu wollen, könnte eine CDU-geführte Regierung mit dem BSW und einer weiteren Partei als Koalitionspartner begründet werden:

Neben der Fortsetzung der aktuellen Koalition aus CDU, Grünen und SPD gäbe es damit auch eine knappe Mehrheit für ein Bündnis aus CDU und BSW. Reichen würde es auch für eine Koalition aus CDU und AfD, die Christdemokraten schließen solch ein Bündnis aber aus. Ein Drittel (33 Prozent) der Befragten weiß allerdings noch nicht sicher, wen oder ob sie wählen wollen.

Eine CDU-BSW-SPD-Regierung würde demnach ebenfalls möglich sein. Außerdem ist Kretschmer für die heutigen Verhältnisse ein sehr populärer Politiker: 64 Prozent würden ihm bei einer Direktwahl ihre Stimme geben, nur 16 Prozent dem AfD-Kandidaten. Hier die beiden letzten Umfragen von heute und vom 20. Juni noch einmal zum Vergleich. Sie stammen von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten:

Wenn man sich die Tabelle anschaut, könnte man meinen, das BSW habe seinen Zenit bereits überschritten, aber es handelt sich um eine Momentaufnahme und, natürlich, die CDU hat auch mit dem starken Aufwind, den sie gerade zeigt, auch potenzielle BSW-Wähler:innen wieder zurückgeholt. Schon bei den Europawahlen hat sich gezeigt, dass es zwischen diesen beiden Parteien eine relativ starke Wählerwanderung gibt (natürlich in Richtung des BSW, eine Bewegung in die andere Richtung war aufgrund des erstmaligen Antritts des BSW überhaupt bei einer Wahl nicht möglich).

Grüne und SPD würden es nach allen Umfragen der letzten Zeiten wieder in den Landtag schaffen, die Linke hingegen nicht. Und das würde unser Wahlverhalten beeinflussen. Wir hätten nichts davon, auch nicht im Sinne der Demokratie, wenn wir einer Partei unsere Stimme geben würden, die es geschafft hat, von der Nummer zwei im Osten (hinter der CDU) zu einer Kleinpartei zu werden. Das klingt herzlos, aber was sollten wir tun? An uns hätte dieser Abstieg sicher nicht gelegen, denn wir hätten in den Wahlen zuvor vermutlich die Linke gewählt.  Wir würden vermutlich der SPD unsere Stimmen anvertrauen, wenn wir am 1. September mitmachen dürften. Die Chancen stehen gut, dass die SPD auch an der nächsten Regierung in Sachsen beteiligt sein wird.

Zwischenzeitlich gab es für die SPD ein Hoch mit bis zu 13 Prozent in den Umfragewerten, das war nach der Bundestagswahl 2021. Jetzt müssten wir hoffen, dass wir uns mit SPD wählen nicht verzocken würden, weil die Partei doch noch unter 5 Prozent einläuft, wenn am 1. September das amtliche Endergebnis feststeht. Gut, dass wir die Verantwortung dieses Mal nicht haben, tatsächlich über das Schicksal des Bundeslandes mit abstimmen zu müssen, in dem wir wohnen. Wir müssen sowieso nächstes Jahr wieder zur Bundestagswahl ran und wieder erhebliche Kompromisse mit uns selbst schließen, so, wie die Umfragen derzeit aussehen. Da wird es wieder einmal heißen: alle gegen rechts, soweit es irgend geht, nicht klar Schiff und vorwärts in eine bessere Welt.

Wie immer, wie seit vielen Jahren: Eine Wahl aus felsenfester Überzeugung wäre es eben nicht, sondern letztlich eben doch ein Kompromiss, auch wenn die SPD im Sachsen-Wahl-O-Mat bei uns auf eine Prozentzahl kommt, die sie vermutlich, seit wir dieses Format bedienen, noch nie erreicht hat (seit 2018, als der neue Wahlberliner gestartet ist). Immerhin, beim Zufriedenheitsgefühl spielt es durchaus eine Rolle, dass wir unsere Stimme nicht an eine Partei vergeben müssen, die gerade mal etwas über 60 Prozent kommt (so wäre es gewesen, wenn wir die SPD bei der Europawahl gewählt hätten).

Kleine Episode am Rande: Die FDP wird bei neueren Umfragen gar nicht mehr eigens ausgewiesen, offenbar sind ihre Ergebnisse kaum noch seriös messbar, weil immer eine Fehlertoleranz von 1 bis 2 Prozent einkalkuliert wird. Wenn man bedenkt, wie viel Einfluss diese Lobbypartei auf die Bundespolitik nimmt, merkt man schon, dass da eine Schieflage herrscht. Nun ja, die drei Bundesländer, in denen im September gewählt werden, haben nun einmal eine ostspezifische Parteienstruktur herausgebildet, auch wenn sie am Ende des Tages der westdeutschen etwas ähnlicher sein könnte, als man zwischenzeitlich befürchten musste, als die AfD auf bis zu 35 Prozent der Stimmen kam. Nicht vergessen sollten wir, das Ergebnis der Wahl 2019 noch einmal darzustellen:

CDU 32,1 %
SPD 7,7 %          
Gründe 8,6 %   
FDP 4,5 %          
Die Linke 10,4 %              
AfD 27,5 %        
FW 3,4 %            
Sonstige 4,9 %

Sollen wir mal ein bisschen träumen? Die AfD schneidet 2024 nicht besser ab als 2019. Das wäre ein Riesenerfolg für die Demokratie in diesen rechtslastigen Zeiten. Das wäre ein gutes Zeichen, auch wenn man bedenken muss, dass ein ähnliches Ergebnis für die AfD wie damals bedeuten würde, dass sich immer noch sehr viele Menschen zu einer Partei bekennen, deren relevanter Landesverband vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Das war 2019 noch nicht der Fall. Interessant übrigens auch, dass trotz des neuen BSW die Sonstigen bei derzeitigen Umfragen auf 8 bis 9 Prozent kommen würden (2019: 4,9 Prozent). Darin dürften allerdings auch die Wähler:innen der FDP und die Freien Wähler enthalten sein, wenn diese beiden Parteien nicht mehr gesondert ausgewiesen werden, sodass man nicht sicher belegen kann, dass  trotz oder nach der BSW-Etablierung eine weitere Aufsplitterung des Parteienspektrums stattfindet.

19 Parteien werden sich bei der Landtagswahl am 1. September zur Abstimmung stellen. Neu dabei ist das BSW, das auf Anhieb drittstärkste Kraft werden könnte und die Freien Sachsen, eine Partei, die als noch weiter rechts gilt als die AfD und vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird. Mehrere Kleinparteien, die 2019 geringe Stimmenanteile erzielten, sind zumindest nicht mehr im Wahl-O-Mat für 2024 vertreten.

TH


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