Filmfest 1147 Cinema
Man müsste die Vorlage kennen
Der große Gatsby (Originaltitel: The Great Gatsby) ist ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 2013. Es ist eine 3D-Literaturverfilmung des mehrfach verfilmten Romans Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1925.
Nun kenne ich also alle drei noch erhältlichen Kinoversionen von „The Great Gatsby“ (hier zur bereits auf dem Filmfest vorgestellten, noch immer bekanntesten von 1974) nicht aber die Vorlage von F. Scott Fitzgerald, die hervorragend zu altern scheint und heute als einer der wichtigsten amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts gilt. Was von Beginn an auffällt: Er hat eine Reihe von Vorgängen aus dem Jahr 1922 beschrieben, mit dem Wissen von 1925 und dem Ausblick auf 1929, als dieser Hype des Jazz Age platzen und in die Great Despression münden sollte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die amerikanische Gesellschaft offenbar innerhalb weniger Jahre komplett gewandelt. Zumindest in den großen Städten und ausgehend von New York. Das Flirrende dieser Zeit wird im Film vor allem visuell hervorgehoben und man muss wissen, dass es sich um einen 3D-Film handelt, denn viele atemberaubende Effekte verpuffen ein wenig, wenn man ihn sich vor einem normalen 2D-Fernseher anschaut und Fragen stellen sich.
Handlung[1]
Nick Carraway wird in einem Sanatorium wegen seiner Alkoholsucht und seiner Depressionen behandelt. Er redet ständig über einen Mann namens Gatsby. Dabei hat er Schwierigkeiten, seine Gedanken richtig zu artikulieren. Aus diesem Grund fordert ihn der Arzt auf, seine Gedanken niederzuschreiben, weil ihm das Schreiben Erleichterung verschaffen soll. Dieser Anfang stammt nicht aus der Romanvorlage und dient als Rahmenhandlung, um den Erzähler einzuführen.
Der geheimnisvolle Millionär und Lebemann Jay Gatsby bewohnt eine grandiose Villa auf Long Island. Sein Nachbar, der angehende Schriftsteller Nick Carraway, der an der Wall Street arbeitet, kommt 1922 auf der Suche nach dem amerikanischen Traum aus dem Mittelwesten nach New York City und ist fasziniert von den rauschenden Festen und dekadenten Hobbys des skurrilen Junggesellen.[4] Auf einer dieser Partys lernt Nick Gatsby persönlich kennen und wird von diesem darum gebeten, ihn mit Daisy Buchanan wieder zusammenzubringen, einer Cousine von Nick, die fünf Jahre zuvor eine Liebschaft mit Gatsby hatte. Daisy ist allerdings schon mit dem vermögenden Tom Buchanan verheiratet. Sie beginnt dennoch eine Beziehung mit Gatsby.
Als Daisy, von Gatsby gedrängt, Tom mitteilen will, dass sie sich von ihm trennen wird, provoziert Tom Gatsby so sehr, dass dieser einen Wutausbruch bekommt. Daisy beginnt daraufhin zu zweifeln, ob sie ihren Mann tatsächlich für Gatsby verlassen will. Zuvor hatte Tom einen gemeinsamen Nachmittag in einem Stadt-Hotel arrangiert. Tom schickt Daisy und Gatsby mit dem Auto voraus; er selbst fährt mit Nick und Jordan, die auch eingeladen sind, im eigenen Wagen hinterher. Auf dem Weg vom Hotel zurück überfährt Daisy, die am Steuer sitzt, versehentlich Myrtle Wilson, die Geliebte ihres Mannes. Da ein Zeuge gesehen hat, dass Wilson von einem gelben Wagen überfahren wurde, wird Gatsby für schuldig gehalten und daher vom Ehemann Wilsons erschossen.
Der Einzige, der zu Gatsbys Beerdigung erscheint, ist Nick, während Daisy es vorzieht, mit Ehemann Tom und der gemeinsamen Tochter zu verreisen.
Rezension
Mit 7,2/10 ist die neueste Gatsby-Verfilmung diejenige, die beim Publikum der IMDb am besten abschneidet, die Redford-Farrow-Version kommt nur 6,4, die älteste noch erhaltene mit Alan Ladd als Gatsby auf 6,5/10. Das ist insgesamt eine magere Ausbeute für die Kino-Adaptionen eines Romans, der in jeder Zeit, in der er verfilmt wurde, die Chance geboten hätte, etwas Zeitgemäßes daraus zu machen. 1949 hat man das gar nicht erst versucht, sondern die Handlung in die damalige Jetztzeit verlegt, die nicht unbedingt die Stimmung des Jazz Age hatte. 1974 hatte man sich wohl gedacht, Redford könnte nicht nur in einer Komödie über die späten 1920er, „The Sting“, sondern auch in einem anspruchsvollen Melodram aus jenen Jahren funktionieren. Das tut er grundsätzlich auch, aber trotzdem hat der Film, schön gestylt, wie man die 1920er in den 1970ern bestenfalls darstellen konnte, Mängel, auf die ich in der Rezension eingehen konnte, ohne die Romanvorlage zu kennen – einfach aus dem Filmischen heraus. Heraus kam eine Bewertung von 68/100.
Und wie im Jahr 2013, nach der Bankenkrise, die eine hervorragende Verbindung ins Jetzt hätte darstellen können, zumal DiCaprio gerade in „The Wolf of Wall Street“ sehr erfolgreich war? Für mich hat er sich im Lauf der Zeit von einem glatten Burschi schauspielerisch hochgeadelt, aber sowohl er als auch Tobey Maguire, der Spiderman-Held der 2000er, lassen es in Baz Luhrmans Verfilmung an Tiefe vermissen. DiCaprio wirkt zu wenig ausdimensioniert, aber das schlau-naive Dauergrinsen von Maguire hat mich mehr genervt. Wiederum nicht so sehr wie der Stil des Films, obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass er, auf die heutige Zeit übertragen, das Hyperventilierende des Jazz Age visualisieren sollte. Leider ist man dabei recht ahistorisch geworden, nur um noch schicker und extravaganter rüberzukommen.
Im Film sind einige Wolkenkratzer zu sehen, welche im Jahr 1922 noch nicht existierten. Zum Beispiel befinden sich dort das Chrysler Building wie auch das Empire State Building gerade in der Bauphase. Tatsächlich begann deren Bau erst 1928 bzw. 1930. Andererseits fehlen im Film historische Wolkenkratzer wie das Singer Building und die Bürotürme über dem Hudson Terminal im Stadtteil Lower Manhattan. Beide Gebäudekomplexe wurden erst in den 1960er Jahren abgerissen.
Ganz viel Art Déco ist in diesem Film zu sehen, das Chrysler-Building gilt als der wohl berühmteste Skyscraper in diesem Stil und ist insgesamt stylischer als das Empire State Building. Doch 1922 war der Stil in den USA noch nicht weit verbreitet und vor allem sahen die Autos damals noch recht schlicht aus. Das ging angesichts der Schauwerte, die der Film haben sollte, gar nicht. Also lieh man sich unter anderem einen gelben Duesenberg der J-Serie aus, gebaut um 1930, eines der monumentalsten Vorkriegsautos überhaupt und mit den unverkennbaren, dicken seitlichen Chromrohren ausgestattet, die auf einen Kompressormotor hindeuten. Damit wurde zum Glück die unglückliche Frau nicht überfahren, das Ereignis, das Gatsby zu Fall bringt, das wäre ein Sakrileg an einem Höhepunkt der Industriekultur mitten während der Weltwirtschaftskrise gewesen, die jene Krise auch nicht überdauerte.
„In visueller Hinsicht hat ‚The Great Gatsby‘ ungefähr die Eleganz und Subtilität eines Scooter-Songs. Hyper, Hyper. Da saust die Kamera Hochhausfassaden im Höllentempo herab oder schießt immer wieder über die blaue Bucht, die Gatsby (Leonardo DiCaprio) von seiner geliebten Daisy (Carey Mulligan) trennt. Achterbahn- oder ADHS-Bilder sind das, schrill, steril und nervös. Die großen Partyszenen mutieren zu bombastischen, grell ausgeleuchteten Wimmelbildern, in denen alles zu hell, zu viel und zu schnell ist. Das treibt beim Zuschauen den Puls in die Höhe und sorgt für Gänsehaut auf den Unterarmen. Scooter hört man ja auch ganz gerne, manchmal.“ – Elena Meilicke: Perlentaucher[15]
Wie geschrieben, man muss es sich in 3D vorstellen, also so, als wenn man mittendrin wäre, nur dann funktioniert es möglicherweise auf der Mindfuck-Ebene. Bei mir, zwar in HD, aber auf einem die Distanz fördernden mittelgroßen Fernseher in 2D, hat das alles komplett übertrieben und den Inhalt zudeckend gewirkt. Was will uns der Film sagen, der „DEN“ amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts zu so einem Showcase macht, fragte ich mich immer wieder.
„Luhrmann bleibt seinem Kino der Eindeutigkeit treu, doch damit kann er Fitzgeralds Ambivalenzen nicht gerecht werden. Für die Spannung zwischen Faszination und Abstoßung, mit der Nick der titelgebenden Figur begegnet, findet er kaum eine filmische Entsprechung. Es wäre die Flucht nach vorn geblieben, die radikale Zuspitzung, die Tilgung der Ambivalenz durch eine emphatische Entscheidung. Mit weniger inhaltlicher und mehr geistiger Treue hätte die Begegnung zwischen Gatsby und Luhrmann durchaus funktionieren können. Doch so erlischt das grüne Licht auch im Kino irgendwann, der große Gatsby ist nur ein Aufschneider, und Luhrmanns fünfter Film eine nur halbwegs überzeugende Hommage an den ‚großen amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts‘.“ – Till Kadritzke: Critic.de[16]
Da kommt wieder ins Spiel, dass man eine Romanvorlage nicht unbedingt kennen muss, um einen Film als zu flach oder als inadäquat zu empfinden. Die Logik ist ganz einfach: Der Roman würde heute nicht als Meisterwerk gelten, wenn darin nicht mehr stehen würde, als Baz Luhrman uns zu sehen erlaubt. Aber ich werde ihn lesen, verdammt noch eins. Jetzt gerade. Und mich ganz sicher bestätigt sehen. Allerdings lieber auf Deutsch, nachdem ich mich mit dem Lesen größerer Werke über Jahre hinweg generell schwergetan habe. Warum wünsche ich mir gerade, DiCaprio wieder in „The Revenant“ zu sehen, anstatt in diesem Showcase? Spüren wir aber weiter, vielleicht finden wir die Essenz des Films in den positiven Kritiken, die es ja auch gegeben haben muss, damit wenigstens ein Metascore von 55/100 herauskommt. Sie stammen sicherlich aus den USA, in Deutschland war man 2013 noch nicht so weit, dass man Stil und Form als vollständig als Inhaltsersatz akzeptierte. Auch dann nicht, wenn bewusst freizügig mit Stil und Form von 1922 umgegangen wurde, um das Ganze auf die Spitze zu treiben. Wenn man von einem Film nicht überzeugt ist, dann überzeugen auch die positiven Kritiken dazu nicht, denn sie zeigen nun einmal eine andere Sichtweise als die eigene.
Finale
Ich glaube, dass im Roman eine grandiose Leere in vielen Facetten vorgeführt wird, die in den USA erst durch den New Deal einigermaßen und auf Zeit geheilt wurde. Davon künden viele Filme, die wirklich aus der Zeit stammen und teilweise kritischer und tiefgründiger mit ihr umgehen, das Maß ausschöpften, das der En twicklungsstand des Mediums und die Zensur damals erlaubten. Die Sicht aus dem Jahr 2013 verfehlt vor allem deshalb ihre Wirkungstiefe, weil sie weder auch nur die Absicht hat, die 1920er ernsthaft zu porträtieren, noch den Film in ein wiedererkennbares Heute in den Dekors jener Zeit transformiert. Letztlich versteht man zwar die hohle Welt, die uns gezeigt wird und das nicht sichtbare, aber hinzudenkbare Mehr an Wissen über sie, dass der Narrator im Laufe eines Sommers erwirbt, sodass er endlich einen großen Roman schreiben kann. Aber am Ende ist das alles ein schwülstig geschliffenes Champagnerglas und wenn es nicht ganz leer ist, so sind nur ein paar klebrige Tropfen darin, zu wenig für einen Film von zweieinhalb Stunden, um dafür ebenjene zweieinhalb Stunden abzusitzen. Es sei denn, man will ein Gefühl für wasted Time einer vergnügungssüchtigen wasted Generation bekommen.
Da wird einem plötzlich heiß, man hat das Gefühl, die Zeitkapsel ist zersprungen und man sitzt mitten im Jahr 2019, das noch als eine Art Wiederholung von 1929 in die Geschichte eingehen wird, wenn auch ohne großen Börsenkrach, sondern als letztes Jahr vor dem sichtbaren Niedergang. Nur, dass dieses Mal kein rettender New Deal im Kommen ist, der die Story fortschreiben und die nicht mehr ganz Jungen des Jahres 1922, respektive jene des Jahres 2013, die sich den vierten Gatsby-Film im Kino anschauten, weil er in 3D und pseudostylisch war, vor der Sinnlosigkeit ihres Daseins retten könnte. Und plötzlich ist die graue Welt der Arbeiter, durch die die Reichen hindurchjagen, bis diese Welt zurückschlägt, gar kein Dekor mehr und die Brillengläser auf der alten Werbetafel aus Holz schärfen die Augen dahinter so, dass sie alles beobachten, mehr rezipieren und sogar eine Meinung dazu haben. Es kann gar nicht ausbleiben, dass die Fassade weiter abblättert und die Brauen sich zusammenziehen.
54/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2022)
[1], kursiv, tabellarisch: Der große Gatsby (2013) – Wikipedia
| Regie | Baz Luhrmann |
|---|---|
| Drehbuch | Baz Luhrmann, Craig Pearce |
| Produktion | Baz Luhrmann, Douglas Wick, Lucy Fisher, Catherine Martin, Catherine Knapman |
| Musik | Craig Armstrong |
| Kamera | Simon Duggan |
| Schnitt | Matt Villa, Jason Ballantine, Jonathan Redmond |
| Besetzung | |
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