Der große Gatsby (The Great Gatsby, USA 1974) #Filmfest 805

Filmfest 805 Cinema

Die Form und der Geist

Der große Gatsby (Originaltitel: The Great Gatsby) ist ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1974. Regie führte Jack Clayton, das Drehbuch schrieb Francis Ford Coppola anhand des mehrmals verfilmten Romans Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1925. Die Hauptrolle spielte Robert Redford.

Schade, dass es schon lange her ist, dass wir die 1949er Verfilmung mit Alan Ladd in der Titelrolle gesehen haben, der damals eine Art Star-against-all-odds des Film noir geworden war. Der Vergleich im Umgang mit dem Stoff mit der Version von 1974 hätte uns schon interessiert. Anlässlich der Veröffentlichung der Rezension fügen wir bei: Mittlerweile kennen wir auch die jüngste Verfilmung u. a. mit Leonardo DiCaprio, auch dieser Vergleich ist interessant. Ingesamt sagt das, was man zu den Filmen schreiben kann, vielleicht mehr über den Umgang mit literarischen Stoffen in bestimmten Epochen der Kinogeschichte aus als über den Stoff selbst

Handlung (1)

Nick Carraway, ein junger Börsenmakler, zieht im Jahr 1922 von Minnesota nach Long Island. Er bewohnt ein kleines Haus in unmittelbarer Nachbarschaft einer grandiosen Villa, in der Jay Gatsby wohnt, ein geheimnisvoller, noch junger Millionär, der in seinem Anwesen mit großem Garten regelmäßig aufwendige Partys veranstaltet.

Auf der anderen Seite des Sounds lebt Carraways Cousine Daisy, die mit dem steinreichen Tom Buchanan eine unglückliche Ehe führt. Nick besucht sie regelmäßig und trifft dabei auch die attraktive Jordan Baker. Bei ihr rechnet sich der zurückhaltende junge Mann allerdings keine Chancen aus, da er nur über wenig Geld verfügt.

Nick wird von einem Diener Gatsbys zu einer Party eingeladen (auf diesen Partys tritt Gatsby kaum in Erscheinung) und lernt ihn dort kennen, nachdem ihn ein weiterer Diener zu Gatsby geführt hat. Obwohl diese erste Begegnung sehr sonderbar verläuft, freundet sich Nick mit ihm an. Carraway erfährt, dass der (vermutlich) aus einfachen Verhältnissen stammende Gatsby noch immer Carraways Cousine Daisy Buchanan liebt, mit der er früher zusammen war, bevor er als Offizier der US-Armee am Ersten Weltkrieg in Frankreich teilnahm. Danach ist Gatsby wohl mit Alkoholschmuggel vermögend geworden (wie Tom Buchanan meint). Die Partys hatte Gatsby in der Hoffnung veranstaltet, Daisy einmal wiederzusehen, bislang jedoch vergeblich.

Nick arrangiert ein Treffen von Gatsby und Daisy Buchanan, die zum Liebespaar werden. Daisy erfährt dabei auch, dass Gatsby jahrelang Zeitungsausschnitte über sie gesammelt hat. Daisy Buchanan lehnt es jedoch ab, ihren Ehemann zu verlassen. Tom Buchanan, der selbst eine Geliebte hat – Myrtle Wilson, die Frau eines einfachen Tankstellenbesitzers –, ahnt bereits, dass zwischen Gatsby und seiner Frau eine Beziehung bestehen könnte.

An einem heißen Nachmittag fahren die fünf Bekannten, Nick, Jordan, Buchanan, Daisy und Gatsby in zwei Wagen nach New York. In einem Hotelzimmer in Manhattan kommt es zur Konfrontation: Gatsby und Buchanan drängen Daisy, sich zwischen ihnen zu entscheiden, woraufhin sie die Nerven verliert und aus dem Hotel flüchtet. Gatsby läuft ihr nach, er und Daisy Buchanan fahren gemeinsam in Gatsbys gelbem Wagen nach Long Island zurück. Nick, Jordan und Buchanan fahren hinterher und kommen bei Wilsons Tankstelle vorbei; dort hat sich ein Unfall ereignet: Myrtle Wilson ist nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann (der weiß, dass sie ihn betrügt, und in den Westen ziehen will) vor einen Wagen gelaufen und ums Leben gekommen. Wie sich herausstellt, war es Gatsbys Wagen. Daisy war am Steuer und ist in Panik weitergefahren. Gatsby will die Schuld aus Liebe zu Daisy auf sich nehmen. George Wilson geht bewaffnet zum Hause der Buchanans. Dort kann Tom Buchanan Wilson davon überzeugen, dass Gatsby der Fahrer des Wagens gewesen sei. Daisy, die wieder bei ihrem Mann ist, schweigt sich zum Sachverhalt aus.

Wilson sucht Gatsby auf, erschießt ihn in seinem Swimmingpool und begeht anschließend Selbstmord. Zu Gatsbys Beerdigung erscheint niemand außer Nick und Gatsbys Vater. Einige Zeit später trifft Nick noch einmal auf Daisy, von deren Gleichgültigkeit er tief enttäuscht und desillusioniert ist.

Nick teilt Jordan Baker mit, dass er in den Westen zurückgehen werde, da er für den Osten zu zart besaitet sei.

Rezension

Bemerkenswert ist auf jeden Fall an der späteren Verfilmung, wie sich die zwei Hauptlinien von New Hollywood an ihm festmachen lassen: Einerseits der harte, schnelle Großstadtfilm als ein Genre, das sich aus ebenjenem Film Noir entwickelt hat, aber auch moralisch andere Akzente setzt und auf erlesene Bildsymbolik überwiegend pfeift.

Auf der anderen Seite das Arbeiten an der Perfektion, die sich in „Der große Gatsby“ vor allem in der Kamera-Arbeit von Douglas Slocombe wiederfindet. Schon während des Anschauens dachten wir denn auch: Das Visuelle ist auch die stärkste Seite des Films – und konnten in der IMDb bei der nachträglichen Recherche feststellen, dass die Kameraarbeit tatsächlich mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Den anderen gab es für die Arrangements klassischer Schlager der 1920er durch Nelson Riddle. Ein weiteres Plus ist, dass man Originalzitate aus F. Scott Fitzgeralds Roman in den Film eingebaut hat, die Schönheit der Sprache unterstreicht und diese wiederum die Schönheit des visuellen Ausdrucks verstärkt.

Aber beide sind nicht die Quintessenz des Films, denn wären sie das, wäre er großartig. Wir waren versucht zu schreiben, ein großartiges Vehikel für Robert Redford und Mia Farrow. Ersterer war im Vorjahr durch „Der Clou“ endgültig zur neuen Nummer eins unter den amerikanischen Stars geworden und Mia Farrow musste unbedingt eine Rolle erhalten, die ihre Darstellung in „Rosmary’s Baby“ in Erinnerung rufen und vielleicht übertreffen konnte.

Das Drehbuch stammte von niemand Geringerem als als Francis Ford Coppola, der zwei Jahr zuvor „Der Pate“ gefertigt hatte. Von vielen als der beste Gangsterfilm aller Zeiten gerühmt, wir sind nicht ganz so euphorisch, denn etwas, was wir in „Der Pate“ als Schwäche ansehen, zeigt sich auch hier: Das zu elegische Ausspielen von Szenen, die nicht die Tiefe haben, die man ihnen offensichtlich mitgeben wollte. Man kann spannende lange Einstellungen verwenden, keine Frage, wir sind auch keine Fans des hastigen Kinos, in dem der Bilderkreisel die Schwäche des Inhalts verbirgt. Eine weitere Anmerkung, ergänzt 2022 anlässliche der Veröffentlichung: So, wie die neueste Verfilmung von „Der große Gatsby“ es leider tut. Doch hier (1974) hat man eindeutig des Gemächlichen zu viel getan – weil dem Film die Zentrierung, der Spannungsbogen fehlt und die wilden 1920er rüberkommen wie ein richtiggehend zähes Zeitalter. Auch die 1970er werden hier nach unserer Ansicht nicht getroffen, was ja auch eine Möglichkeit gewesen wäre: Eine Transformierung mit Kostümen aus dem Jazz Age in die Zeit des gerade endenden Vietnamkrieges. Aber damals brodelte es in der Gesellschaft und in Washington und in Relation zu beiden Zeitaltern wirkt der Film wie – aus beiden herausgefallen.

Allerdings gab es zu jener Zeit einige Filme dieser Art, die sehr kunstvoll wirken und doch, als hätten sie nicht mehr so viel zu sagen. Wir tendieren dazu, den Drehbüchen die Schuld zu geben, wenn Filme erhebliche Mängel haben, weniger der Regie. Aber ein versierter Regisseur kann natürlich auch die Entstehung des Drehbuchs beeinflussen, Anpassungen im Lauf der Inszenierung vorschlagen und durchsetzen, seinen Stil importieren. Manche Momente sind hier zum Beispiel so ausgewalzt, dass sie ans Lächerliche grenzen, etwa die erste Begegnung von Nick und Gatsby.

War es Absicht, dass Gatsby dabei so linkisch wirkt, als hätte er, aus dem Mittleren Westen kommen, gar nicht erst den Umweg über das Schlachtfeld in Europa und die vielen Geschäfte mit den Mächtigen, man darf annehmen, der Unterwelt, gemacht, die es erwirkt haben, das er das Geld für seinen Palast auf Long Island in nur drei Jahren zusammenbringen konnte? Was wir verstehen, ist, wie sich zwischen Nick und Jay ein vertrautes Verhältnis entwickelt und Gatsby den Underachiever aus gutem Hause fördern möchte. Das ist ein Motiv, aus dem große Männerfreundschaften entstehen und im Gangsterfilm meist von einer Seite verraten werden. Aber „Gatsby“ ist kein Gangsterfilm und er Gatsby wirkt eigentlich auch nie „groß“, auch nicht im ironisierten Sinn, wie es von Fitzgerald vielleicht gemeint war. Man kann auch sagen, Robert Redford gibt hier eine überwiegend gehemmte und steife Vorstellung ab, die ihn nicht als im Grunde idealistischen Romantiker ausweist, sondern als auf schlichte Weise zu schüchtern für seine auffälligen Anzüge. Anmerkung 3 aus dem Jahr 2022: Da strahlt Leo DiCaprio zumindest zeitweilig etwas mehr Dynamik aus.

Wir finden einiges an dem Film auch etwas schade, weil die verlorene Jugendliebe uns durchaus etwas sagt und das Rätsel darum, ob man die Vergangenheit zurückholen kann, noch ungelöst ist. Allerdings geht es zumindest im Film prinzipiell nicht um ein Zurückholen, sondern um einen Anschluss an eine Vergangenheit, die kurz war und wohl für einen Monat auch Erfüllung brachte. Nun wäre ja der Ansatz, daraus eine dauerhafte Beziehung zu machen. Dass Katholiken sich nicht scheiden lassen, daran  hat Gatsby gar nicht gedacht, als er absichtlich ein Anwesen auf der anderen Seite der Bucht kaufte. In Reichweite der Buchanans und doch so fern, dass es eines Mittlers wie Nick bedarf, damit sich Jay und Daisy nach sieben Jahren endlich wiedersehen. Interessanterweise betreibt Nick diese Rolle aber gar nicht aktiv, sondern wird von Jay hineingedrängt. So unmöglich ist das nicht, weil Jay sich entschlossen hat, Nick in seinen inneren Zirkel aufzunehmen.

Im Grunde gibt es in diesem Film einen weiteren großen Trigger über die Grundkonstellation Jugendliebe und wie nach vielen Jahren damit, wenn sie immer noch im Kopf herumspukt? Wir haben mal ein bisschen gegoogelt, noch vor dem Anschauen von Gatsby und festgestellt, wir sind dichter dran, als wir dachten. Aber etwas an dieser Recherche sagte uns, wir würden vermutlich eine ziemliche Enttäuschung erleben. Wir würden sie dann aber auch benennen, nicht, wie Gatsby, einen oberflächlichen Menschen zu einem Sehnsuchtsobjekt verdichten. So denken wir zumindest aus immer noch einigermaßen sicherer Entfernung und es ist vermutlich ein Glück für uns selbst und unsere Fähigkeit, Realität und Illusion zu trennen, dass wir nicht mit einem Palast prunken können. Anmerkung 4 aus dem Jahr 2022: Gerade in dieser Hinsicht hat sich unser Erfahrungsschatz gegenüber 2017 erheblich erweitert, durch ein ziemlich unwahrscheinliches Ereignis aus dem Jahr 2020, das mittlerweile ebenfalls den Eindruck gestärkt hat, Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Dieses Ereignis, merkwürdig wiederum, fand etwa drei Monate nach dem Schreiben des Rezensionsentwurfs statt.

Ein Problem zumindest für uns ist sicher die Darstellung von Daisy und dabei wird wohl doch auch ein drehbuchunabhängiges Regiedefizit deutlich: Vieles aus dem Roman versucht der Regisseur sozusagen direkt zu übernehmen, er lässt sogar Gesten und Momente, die literarischer Verdichtung entspringen, filmisch ausführen, wie etwa das Greifen Gatsbys nach dem mystischen grünen Licht am anderen Ende der Bucht, am Ende des Steges, der zu Daisys Wohnhaus führt. Es passt schon zu Mia Farrows Typ, aber die Art, wie ihre melodiöse Stimme hier inszeniert wird oder ihre seltsame Art, intensiv und doch undefiniert zu sein, das wirkt wie das Bemühen, Fitzgerald treu zu sein, aber eher in der Art wie jemand, der dessen Geist nicht so recht erfasst als wie ein Interpret, der sich einigermaßen auf Augenhöhe befindet und das Erbe des Schriftstellers auf filmische Weise zu verwalten versteht. Man merkt, wir haben uns mit der Beschreibung des Buches vertraut gemacht und vermissen umso mehr den eigenen Drive, den ein Film entwickeln muss, wenn er einen Roman adäquat, dem Sinn nach, nicht oder nicht vorwiegend an seinen Beschreibungen und Bildern orientiert, erfassen möchte.

Finale

„Der große Gatsby“ wirkt stellenweise langatmig bis langweilig und hat einen sonderbaren Ton, der offenbar von einer nicht bewältigten Umsetzung der Romansprache von F. Scott Fitzgerald ins Medium Film herrührt. Die vielen Zitate wirken eher wie ein etwas unsicheres Sich-Entlanghangeln am Vorlagetext denn wie eine Hommage an selbigen. Die deutlichste Verbindung dieses aus den Zeiten extrahierten Films zum Geist des Romans könnte darin liegen, dass die Gesellschaft und ihre Ambitionen in den 1920ern ebenso sonderbar und manchmal monströs waren, nach dem einschneidenden Krieg, der die alte Ordnung auch im jungen Amerika aus den Angeln hob, wie der Versuch, einen Film zu machen, der dem Roman treuer sein will als dieser sich selbst vielleicht sein wollte, denn er entstand aus diesen Quellen der damaligen Gegenwart, aus dem Mittendrin, das später oft als hervorragende Zeitdokumentation gilt, in diesem Falle trotz der vermutlichen Ich-Perspektive des Romans gewissermaßen als auktorial.

Schade, dass die Figuren, bis auf Nick vielleicht, dem wir doch eine Romanze mit Jordan, dem taffen It-Girl, gewünscht hätten, ihr Scheitern oder Dahingleiten nicht so an uns vermitteln, dass wir Nick glauben mögen, wenn er am Ende Gatsby so herausstellt. Wir konzedieren, dass der Mann ein einziges Ideal hat, die anderen hingegen gar keine. Dafür hat er aber auch einige üble Sachen getan, die man in diesem ästhetisierenden Film lieber nicht so genau anspricht. Diesbezüglich ist das Buch sicher etwas deutlicher.

68/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2020)

Regie Jack Clayton
Drehbuch Francis Ford Coppola
Produktion David Merrick
Musik Nelson Riddle
Kamera Douglas Slocombe
Schnitt Tom Priestley
Besetzung

 

 

 

 

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