Wie viele Deutsche wollen die AfD wählen? (Statista + Entwicklung seit Januar 2024 + Kommentar)

Briefing 610 Update 2 #ltwOst24 | Landtagswahlen Ost 2024, AfD, BSW, Thüringen, Sachsen, Westdeutschland, Entwicklung 2024

Zuletzt hatten wir im Januar eine Deutschland-Karte veröffentlicht, die darstellt, wie die AfD aktuell in Umfragen abschneidet. Von zentralem Interesse sind nun natürlich die Bundesländer Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In ersteren beiden wird in zwei Wochen ein neuer Landtag gewählt, in Letzterem in vier Wochen.

Infografik: Wie viele Deutsche wollen die AfD wählen? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

 „An der rechtsextremistischen Ausrichtung der AfD Sachsen bestehen keine Zweifel mehr“, so Dirk-Martin Christian Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes Anfang Dezember 2023. Zu diesem Schluss sind zuvor schon die jeweiligen Verfassungsschutzlandesämter in Sachsen-Anhalt und Thüringen gekommen. Trotzdem sind es genau diese Bundesländer, in denen die Partei wahlrecht.de zufolge mit etwa 30 Prozent der Wähler:innen-Stimmen rechnen kann. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg die AfD mit jeweils deutlich über 20 Prozent stärkste Partei. Indes schneidet die AfD auch im Westen der Republik, besonders in Niedersachsen und Hessen, bei Sonntagsfragen stark ab, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt. Den schlechtesten Wert erreicht sie dagegen mit neun Prozent derzeit in Hamburg.

Vergleichen wir doch zunächst mit der Januar-Karte, die noch betitelt war mit „Der Osten ist blau“. Das AfD-Design zeigt zwar blau als Grundfarbe, aber offenbar ist den Kartenmachern doch mittlerweile aufgefallen, dass man die Kartenfarbgebung auch so lesen könnte: der Osten ist besoffen, also wählt er AfD. Damals war bereits ausgewiesen, dass der Verfassungsschutz drei der ostdeutschen Landesverbände für gesichert rechtsextremistisch hält. Richtig braun wollte man die Farbe aber auch nicht gestalten, also wählte man dieses Mal eine Art Olivgrün. Nun ja. Schauen wir aber auf die Veränderungen, wir sortieren dabei die Bundesländer nach den aktuellen Umfragen mit AfD-Anteil absteigend.

  1. Sachsen: 32 Prozent (Januar: 35 Prozent), -3 Prozent
  2. Thüringen: 30 (34), -4
  3. Sachsen-Anhalt: 29 (33), -4
  4. Mecklenburg-Vorpommern: 25 (32), -7
  5. Brandenburg: 24 (27), -3
  6. Niedersachsen: 21 (18), +3
  7. Hessen: 18 (16), +2
  8. Baden-Württemberg: 15 (20), -5
  9. Rheinland-Pfalz: 12 (17), -5
  10. Schleswig-Holstein: 12 (12), 0
  11. Berlin: 12 (15), -3
  12. NRW: 11 (14), -3
  13. Bayern: 11 (14), -3
  14. Saarland: 10 (keine aktuellen Daten in der Januar-Grafik ausgewiesen)
  15. Hamburg: 9 (14), -5
  16. Bremen: Keine aktuellen Daten sowohl in der Januar-Grafik wie in der aktuellen Ausgabe, vermuteter AfD-Anteil: eher gering, da Bremen traditionell links tendiert.

Überschlägig spiegelt sich demnach ein gewisser Rückgang der AfD-Unterstützung. Lediglich in zwei Bundesländern gibt es seit Januar einen umgekehrten Trend, und die liegen im Westen: Schon auf der Januar-Karte wies Niedersachsen einen für Westverhältnisse hohen AfD-Anteil aus. Dort käme die AfD nun in einer Umfrage erstmals in einem West-Bundesland auf über 20 Prozent. Möglicherweise spielt die VW-Krise dabei eine Rolle, aber wir werden in diesem Artikel keine Tiefenforschung betreiben können, sondern nur einige Auffälligkeiten und Entwicklungen erwähnen. Wir erinnern auch daran, dass bei den hessischen Landtagswahlen im Oktober 2023 die AfD ebenfalls auf 20 Prozent kam und jetzt wieder 18 Prozent erreichen würde (mit einem Plus von 2 Prozent gegenüber Januar). Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass die Blauen in Bayern nur deshalb einigermaßen im Zaum gehalten werden konnten, weil es mit den Freien Wählern eine weitere rechte Partei von regionaler  Relevanz gibt. Insgesamt, die CSU inbegriffen, haben in Bayern 2/3 der Wähler:innen nach rechts tendiert.

Leider ist auch die mäßige Abnahme des Zuspruchs für die AfD im Osten keineswegs ein gutes Zeichen für die Demokratie. Zum einen deshalb, weil die AfD trotz der Rechtsextremismus-Einstufung der drei ausgewiesenen Landesverbände dort nicht mehr an Zuspruch verloren hat als anderswo und der Rückgang insgesamt gering ausfällt.

Zum anderen: Im Januar hatte das neue BSW von Sahra Wagenknecht noch keine wesentliche Rolle in den Umfragen gespielt. Wenn man bedenkt, dass das BSW derzeit auf 11 bis 19 Prozent in den Bundesländern kommen könnte, in denen in wenigen Wochen gewählt werden wird, die AfD aber jeweils nur 3 bis 4 Prozent verloren hat, ist klar, in welch einer Klemme die „Altparteien“ sich befinden. Das BSW macht nämlich nicht überwiegend der AfD, sondern der Union, der SPD und auch den Grünen Wählende abspenstig. Das haben die Europawahlen im Juni gezeigt, die ersten, bei denen das BSW angetreten war. Die Rechnung, dass das BSW die AfD stoppt, mit der wir auch geliebäugelt haben, hat sich bislang als Fehlkalkulation erwiesen.

Lediglich in Sachsen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD, ansonsten ist die trotz der geänderten Farbgebung der Karte immer noch blaue AfD überall im Osten vorne. Berlin ist zu zwei Dritteln ein West-Bundesland, daher sieht es in unserer Stadt weniger dramatisch aus, im Osten der Stadt, aber auch im Nordwesten, gibt es ebenfalls Viertel, die in hohem Maße von AfD-Wähler:innen besiedelt sind. Im Allgemeinen sind sie in den eher außen liegenden Bezirken stärker vertreten als in der Innenstadt. Grundsätzlich gilt das Schema für alle Bundesländer: Die ländlichen Regionen sind stärker AfD-lastig als die Städte, obwohl sie viel weniger von den Folgen des Themas Nr. 1 der AfD-Anhänger:innen, der Migration, betroffen sind. Dort spielt allerdings auch das Thema Nr. 2 eine wichtige Rolle: Der Niedergang von Wirtschaft und Infrastruktur, der in den meisten Städten noch nicht in dem Maße spürbar ist. Beide Themen werden von vielen Innenstadtbewohnern zudem entweder verdrängt oder, wie das bei uns der Fall ist, sie glauben nicht, dass rechts wählen die Lösung der Probleme darstellt. Wir sind beispielsweise der Ansicht, es müsste genau umgekehrt sein, damit sich etwas im positiven Sinne für die Menschen bewegt.

Wenn man tiefer geht, gibt es sehr viele regionale Themen und Unterschiede, die aber alle zu einem recht einheitlichen Ergebnis führen: Obwohl es eine weitere neue Partei gibt, die im Osten bei den anstehenden Wahlen vermutlich zweistellig werden wird, verliert die AfD kaum an Zuspruch. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Alternative zur Alternative bzw. Nicht-Alternative mit Maschen arbeitet, die allerhöchste Vorsicht geboten sein lassen, aber nach den Erfahrungen mit dem AfD-Zuspruch sind wir uns beinahe sicher, dass das die Wähler:innen im Osten nicht abschrecken wird. Und die Bundesregierung gibt direkt zu erkennen, dass sie selbst glaubt, auf dem Holzweg zu sein, das zeigt sich immer deutlicher und bei immer mehr Themen; es wird ihr aber bei den Wähler:innen kaum helfen. Schon gar nicht so kurzfristig, wie es notwendig wäre, um für Grüne, SPD und FDP im Osten noch etwas zu retten. Die CDU schafft es hingegen trotz eines für sie günstigen Bundestrends nicht, die AfD abzuhängen.

Die nächsten Wahlen lassen erhebliche politische Verwerfungen erwarten, auch wenn es zu früh ist, zu schreiben „Das Land wird nicht mehr das Gleiche sein“. Vor allem würde dieser Satz implizieren, dass alles perfekt war, wie es war, und das ist leider nicht der Fall. Die Konsequenzen, die Wähler:innen aus den Problemen ziehen, halten wir für falsch, aber wir haben selbst ein kaum übersehbares Problem. Wir haben auch keine Alternative anzubieten. Wir haben keine Empfehlung, keine linke Partei von Substanz, Relevanz und politischer Durchsetzungskraft, die wir guten Gewissens zur Abwehr des rechten Durchmarschs der rechten und neopopulistischen Parteien vorschlagen könnten.

Das war vor einigen Jahren noch anders, jetzt müssen wir uns selbst von Wahl zu Wahl neu entscheiden, und das bringt erheblichen politischen Stress mit sich. Immer nur ein noch größeres Übel verhindern zu wollen, weil man doch in der Wolle gewirkter Demokrat ist, kann zu Depressionen führen, wenn man anhand jeder Statistik, die man liest, jeden Artikel, in dem es um Sektoren der Wirtschaft oder der Daseinsvorsorge geht, merkt, es läuft so vieles falsch. Es passt hinten und vorne nicht, auch wenn man auf konkrete Vorgänge, auf Episoden, die medial oft ungebührlich hochgezogen werden, gar nicht abhebt. Man kann den Menschen zwar schreiben, die AfD ist nicht die Alternative und das BSW ist ebenfalls nicht die Alternative, aber man hat höchstens eine Idee davon, wie sie aussehen könnte, ohne sie in der Wirklichkeit abgebildet zu sehen.

Insofern ist es viel zu einfach, immer zu meckern über den Rechtsruck, aber außen vor zu lassen, was man doch im persönlichen Umfeld, bei der Arbeit, so wichtig findet: Kritik muss konstruktiv sein, damit sie Verbesserungen ermöglicht. Wir halten unsere mentale Struktur für konstruktivistisch, nicht für existenzialistisch oder gar nihilistisch, für humanistisch und universalistisch, nicht für nationalistisch und klassistisch. Gerade deshalb stehen wir im Moment ziemlich dumm da, um es offen zu schreiben, denn keine politische Kraft gibt uns das Gefühl, dass wir mit diesem Mindset bei ihr gut aufgehoben wären. Wir haben schon geäußert: Gut, dass wir im September nicht wählen dürfen. Zufrieden und eins mit uns selbst würden wir nicht aus der Kabine kommen, egal, für welche Partei wir uns entscheiden. Denn wieder einmal ginge es nicht um Fortschritt, sondern um Abwehr, würden wir uns möglicherweise von Parteien als Demokratie-Geiseln nehmen lassen, die es nicht verdient haben, dass man sich auf diese Weise von ihnen einfangen und einwickeln lässt.

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar