Briefing PPP, Politik, Personen, Parteien, CDU, Die Linke, BSW, AfD, Landtagswahl Sachsen 2024, Landtagswahl Thüringen 2024
Ein Thema, das wir hier schon diskutiert haben, kommt nach den Landtagswahlen von Sachsen und Thüringen natürlich wieder verstärkt auf. Soll die CDU sich der Linken öffnen oder nicht?
Sollte sich die CDU Ihrer Meinung nach im Allgemeinen einer Koalition mit der Linken öffnen?
Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vom Sonntag steht den Parteien eine schwierige Regierungsbildung bevor. In Sachsen liegt die CDU laut vorläufigen Wahlergebnis mit 31,9 Prozent knapp auf Platz eins, gefolgt von der AfD (30,6 %) und dem BSW (11,8 %). Die Linke ist unter die 5-Prozent-Hürde gerutscht, kommt aber durch zwei Direktmandate in den Landtag. In Thüringen ist die AfD (32,8 %) stärkste Kraft, gefolgt von CDU (23,6 %), BSW (15,8 %) und Linke (13,1 %). In beiden Bundesländern schlossen jedoch alle Parteien eine Koalition mit der AfD aus, wodurch sie keine Koalitionspartner finden könnte.
In Sachsen hat die bisherige Regierung aus CDU, SPD und Grüne unter Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) keine Mehrheit mehr. Und auch in Thüringen könnte die CDU ohne AfD oder Linke keine Mehrheitsregierung aufstellen. Rein rechnerisch möglich wäre eine Koalition aus CDU, BSW und Linke. Die CDU schließt jedoch jegliche Bündnisse mit AfD und Linke per Parteibeschluss aus. Daher könnte dem BSW eine Schlüsselrolle zukommen. Während CDU-Chef Friedrich Merz den Bundesländern die Entscheidung über eine BSW-Zusammenarbeit überlassen will, sind andere CDU-Politiker:innen skeptisch. Derweil ist BSW-Chefin Sahra Wagenknecht laut rbb nur bereit für Bündnisse, wenn die Koalitionspartner gewisse außenpolitische Sichtweisen einnehmen.
CDU-Politiker Mario Czaja fordert die CDU auf, den Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linkspartei aufzuheben. Wer die Linke mit der AfD gleichsetze, verharmlose deren „menschenverachtendes Denken und die Ideologie bei der AfD“, warnte Czaja im RND. Während die AfD flächendeckend vom Verfassungsschutz beobachtet wird, regierte Bodo Ramelow (Linke) zehn Jahre lang die thüringische Landesregierung und war dabei nie eine Gefahr für die Demokratie, so Czaja. CDU-Vize Karin Prien weist die Forderung zurück. „Der Beschluss steht”, sagte sie am Montag in Phoenix. Sie vertraue in Thüringen auf das Handlungsgeschick von CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt, um der CDU Zugewinne zu verschaffen und konstruktive Gespräche zu führen.
Lesen Sie bitte vor dem Abstimmen unseren ausführlicheren Kommentar zur selben Frage vom Mai dieses Jahres. Schon darin hatten wir uns mit den Landtagswahlen beschäftigt, die nun hinter uns liegen, und es hat sich herausgestellt, dass wir tatsächlich besser rechnen können als der Kapitalvertreter Friedrich Merz. In keinem der beiden Länder kann die CDU ohne die AfD in eine Zweierkoalition gehen, deswegen ist auch das Thema CDU und Linke weiter aktuell.
Man wundert sich nicht, dass Mario Czaja nicht mehr Generalsekretär der CDU ist, angesichts seiner politischen Mittigkeit, und durch den Scharfmacher Carsten Linnemann ersetzt wurde. Czaja stammt aber aus Berlin und weiß: Wenn die SPD sich nicht selbst erledigt hätte, dann hätte die CDU keine Chance gehabt, ohne die Linke jemals wieder die Stadtregierung zu führen. Hier ist es normalerweise aber die CDU, die nicht gebraucht wird, wenn die SPD keine rechte Partei sein will und freiwillig mit ihr zusammenarbeitet. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss kann sich hier jederzeit als Falle erweisen, wenn er nicht die AfD betrifft.
Die Wahlen sind so gelaufen, wie Umfragen im Mai, als wir uns zuletzt mit diesem Thema befasst hatten, es in etwa vorausgesagt hatten. Spätestens seit Juni aber, seit den Europawahlen, stand relativ fest, dass die CDU zum Machterhalt bzw. zur Machterlangung einiges an Verhandlungsgeschick wird aufbringen müssen.
Wir hatten im Frühjahr klar mit „nein“ gestimmt, aber in erster Linie deshalb, weil wir nicht sehen wollten, wie die Linke an und in einem Bündnis mit der CDU leidet. Revidieren wir nun diese Ansicht nach der Wahl? Um es klar zu sagen: Wir sind nicht ganz sicher. Die Linke muss sich komplett neu aufstellen, das kann sie nach unserer Ansicht in einem Bündnis mit der CDU nicht, sondern verliert weitere Wähler ans BSW oder wohin auch immer, weil links sein nun einmal heißt, nicht mit Rechtskonservativen in eine Regierung zu gehen. In Berlin wurde sogar darüber heiß diskutiert, ob man mit der SPD und den Grünen regieren darf, als das nach der Wahl 2017 anstand. Die Mehrheit in der Partei war dafür, also kam es zu den Koalitionen Rot-Rot-Grün (bis 2021) und Rot-Grün-Rot (2021 bis 2023). Wer hat dabei Federn gelassen? Alle außer den Grünen.
Linke Politik muss „Beinfreiheit“ haben, muss neue Projekte für die Menschen in Angriff nehmen können, darf nicht konservativ erstickt werden. Deswegen sind wir prinzipiell weiterhin gegen ein solches Zusammengehen mit der CDU.
Es gibt jedoch einen Aspekt, den wir im Mai nicht in den Vordergrund gestellt haben. Die Linke wird auf mittlere Sicht erledigt sein. Das war schon damals absehbar, aber es war noch nicht so klar, dass es möglicherweise trotzdem ohne sie nicht möglich sein würde, die AfD vom Regieren abzuhalten. Soll die Linke also, die von sogenannten Demokraten von der CDU immer so gebasht wurde, jetzt der Demokratie quasi einen letzten Dienst erweisen und helfen, sie zu erhalten? Wir hatten im Mai bereits zwischen Strategie und politischer Gesinnung getrennt. An den Trennlinien zwischen diesen beiden Aspekten hat sich nicht viel verändert. Aber wir sehen zwei unterschiedliche Situationen.
In Sachsen wird die Linke nicht zwingend gebraucht. Die CDU kann mit dem BSW und der SPD oder den Grünen oder mit beiden regieren. Hier sind wir klar dagegen, aus linker Sicht, nicht aus schnöseliger CDU-Perspektive, dass die gerupfte Linke sich in irgendeiner Form in die Regierungsarbeit einbinden lässt.
In Thüringen sieht es anders aus. Der thüringische Landtag hat 88 Sitze. Die CDU, das BSW und die SPD kommen nach den Wahlen zusammen genau auf 44 Sitze,die Grünen sind raus. Es gibt keine Regierungsmehrheit für eine der üblichen Koalitionen. Es fehlt ein Sitz. Die Linke wird also tatsächlich gebraucht, und die CDU kann sich ihren Unvereinbarkeitsbeschluss in den verlängerten Rücken schieben, wenn sie eine stabile Regierung für die nächsten fünf Jahre bilden will.
So haben wir bis vor kurzem gedacht, aber es zeichnet sich etwas ab oder ist denkbar, das eine neue Trennlinie aufzeigt, nämlich zwischen Scham und Schande und Demokratierettung.
Zumindest, und das könnte durchaus passieren, müsste eine linke Stimme, etwa die von Bodo Ramelow, dem bisherigen Ministerpräsidenten, quasi dauerhaft für eine Mehrheitsregierung sorgen, ohne dass eine formale Koalition mit der Linken beschlossen wird. Ehre und Stolz sind in der Politik ohnehin fragwürdige Tugenden, aber sich darauf einzulassen, dass man als Einzelstimme quasi missbraucht wird, nur, damit der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU formal aufrechterhalten werden kann, das alles ist nicht gut für die Demokratie und ihr Ansehen bei den Menschen. Aber vielleicht besser, als Thüringen unregierbar werden zu lassen. Wir möchten uns nicht ausmalen, wie Neuwahlen ausgehen würden.
Alles andere als eine reguläre Mehrheitsregierung wäre für ebenfalls eine Schädigung der Demokratie, weil eine Minderheitsregierung bei jeder Sachfrage, über die abgestimmt werden muss, aufwendige Verhandlungen und taktische Manöver durchführen muss, um zu einer Mehrheit zu gelangen, inklusive demokratieschädigender Deals über Anträge, bei denen die AfD zustimmt und Anträge der AfD, bei denen man zum Ausgleich zustimmt. Die Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow hat zwar fast fünf Jahre lang anständig funktioniert, dies basierte aber auf einem Sonderumstand, dem „Thüringen-Fail 2020“, als die AfD einen FDP-Mann in den Sattel hieven wollte. Da hatten die anderen, vor allem die CDU, einiges wiedergutzumachen, die bei dieser Pro-AfD-Aktion dabei war, aber ein Dauerzustand darf eine Regierung ohne durch Wahlen legitimierte Mehrheit in einer Demokratie nicht werden.
Letztlich heißt das eben doch, aufgrund der Lage in Thüringen werden wir unser Abstimmungsverhalten ändern, auch wenn wir weitere Schäden nicht nur für die Demokratie, sondern auch für linke Politik voraussehen. Aus der jetzigen Partei Die Linke und weiteren linken Kräften muss sowieso etwas Besseres, Modernes, von Altlasten möglichst Freies entstehen, wenn man wieder in den Vorwärtsgang schalten, aus der Defensive kommen will. In dem Fall ist uns also der vorläufige Erhalt der Demokratie wichtiger als das Schicksal einer Partei, die es sich, wie die anderen auch, selbst zuzuschreiben hat, dass die AfD sie alle so unter Druck setzen kann. Inwieweit sie sich auch die BSW-Abspaltung zurechnen lassen muss, darüber kann man viel diskutieren, es nützt aber gegenwärtig nichtviel.
Man müsste in Ruhe am Neuaufbau arbeiten können , ohne dass dabei die Einbindung in eine Koalition stört, in der man just mit jener Abspaltung nach rechts auf Betreiben einer rechten Partei zusammengespannt wird. Insofern wäre die Leihstimme für fünf Jahre sogar besser als eine Koalitionseinbindung der Linken. Es kommt eben an, wen man vor allem im Blick hat, was man nun weniger schlimm findet. Am Ende aber ist alles ein Spiel auf Zeit, um einen Weg zum Wiedererstarken der Demokratie zu finden. Denn ohne sie wird auch keine neue oder erneuerte Linke Raum gewinnen.
also besser so, als die AfD durch eine Minderheitsregierung geradezu zum Durchgriff einzuladen. Schlimm genug, dass sie in Thüringen die Sperrminorität (mehr als 1/3 der Sitze im Landtag) hat, mit der sie schon eine Menge Unheil anrichten kann. Da muss nicht auch noch eine schwache Minderheitsregierung zu weiterem Vordringen einladen. Wir gehen aber auch nicht ganz auf die andere Seite und sehen diese Situation positiv, sondern haben dieses Mal „unentschieden“ votiert. Sieben Prozent der übrigen Abstimmenden sind sich ebenfalls unschlüssig. Die klare Ablehnung überwiegt mit 41 zu 30 gegenüber der klaren Zustimmung zur Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses oder einer Form, ihn zu umgehen. Wenn man die überwiegenden zustimmenden oder ablehnenden Stimmen hinzurechnet steht es 48 zu 44 (Stand am Nachmittag des Starts der Umfrage). Ein heißes und vergleichsweise enges Thema.
In diesem Ticker haben wir noch etwas entdeckt, was beweist, dass die CSU offenbar etwas weiter als ihre Schwesterpartei ist, politikstrategisch betrachtet:
Darüber, dass der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke ein „lupenreiner Nazi“ sei, herrsche weitgehender Konsens. Das dürfe aber nicht dazu führen, das BSW zu verharmlosen, betonte Posselt.
Parteigründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht bezeichnete er als die „friedensgefährdende Chefpropagandistin Wladimir Putins“ sowie den „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“. Wenn die CDU ihren Brandmauer-Beschluss nicht formalistisch, sondern sinngemäß betrachte, müsse er eher gegen AfD und BSW angewandt werden und nicht gegen die „spärlichen Reste der Linkspartei“.
Zuvor hatte bereits Parteichef Söder gesagt, dass er sich etwa in Thüringen eine Zusammenarbeit mit dem BSW unter bestimmten Umständen schwierig vorstellen könne, besonders dann, wenn die Parteigründerin selbst Teil der Verhandlungen werde. Eine Kooperation mit der Linken hatte er explizit nicht ausgeschlossen.
Es ist ganz eindeutig, dass das BSW gefährlicher ist als die Linke, weil seine Namensgeberin den Putin-Autoritarismus verharmlost und dessen Urheber Friedensabschichten unterstellt, die er nicht hat, sofern sie nicht seinen totalen Sieg beinhalten. Diese Position steht auch nicht für sich, sondern sagt etwas über das Demokratie- und Freiheitsverständnis der maßgeblichen Person des BSW aus. In einer Position, in der sie mit einer solchen Position politische Wirkung in Deutschland erzielen könnte, ist die Linke nicht mehr, während man sieht, wie das BSW die CDU versucht von innen zu spalten. Diese hat sich selbst in die AfD-Abschreiber-Falle manövriert und ist dadurch in einer weiteren Falle, die sie, wenn man den Bogen etwas weiter spannt, ebenfalls selbst verursacht hat, nämlich, von einer weiteren populistischen Partei unter Druck gesetzt zu werden. Auch das ist ein Novum in der Geschichte der BRD, dass die Union sich dermaßen selbst fesselt. Man merkt, dass sie noch keinen adäquaten Umgang mit den neuen Realitäten gefunden hat. Dafür müsste die Union eigentlich büßen, indem sie gezwungen wird, den lächerlichen Unvereinbarkeitsbeschluss zu kippen, sprich: Die Linke müsste sagen, entweder Koalition oder keine Zusammenarbeit.
Das wäre ihr gutes Recht. Aber der Bodo Ramelow, das ist ja auch so ein Guter, er will es der Union leichter machen, als sie es verdient. Natürlich, der nähere Blick erklärt manches: Fünf Jahre konnte er regieren, weil dieses Agreement in die andere Richtung funktioniert hat. Dass es dafür handfeste Gründe gab, und zwar in Form der „Brandmauer“ und der Blamage der CDU im Jahr 2020 – siehe oben.
TH
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