Flieder für Jaczek – Tatort 72 #Crimetime 1244 #Tatort #Frankfurt #Konrad #HR #Jaczek

Crimetime 1244 – Titelfoto © HR

Immer wieder und wieder verblühet schnell der Flieder

Flieder für Jaczek ist ein von Fritz Umgelter inszenierter deutscher Kriminalfilm nach dem Roman Vorsicht – Jaczek schießt sofort von Stefan Murr. Er wurde vom Hessischen Rundfunk produziert und als 72. Folge der Reihe Tatort am 27. Februar 1977 im Deutschen Fernsehen erstausgestrahlt.[1]

Im vorletzten von 8 Tatorten des Hessischen Rundfunks mit seinem ersten Ermittler Konrad (Klaus Höhne) wird eine Entführung mit einem raffinierten Doppelplan inszeniert – und mit einem beträchtlichen Aufwand, vor allem seitens der Polizei.

Einer der prägenden Ermittler der 1970er hat eine persönliche Rechnung offen und bekommt auch gleich eine weitere präsentiert, von diesem Jaczek, der seinen ganzen Plan auf der Tatsache aufbaut, dass die beiden einander gut kennen. Aber kommt es darauf am Ende an?

Handlung

Franz Jaczek hat vor einigen Jahren einen Geldtransporter überfallen und zusammen mit seinem Komplizen 900.000 Mark erbeutet. Der Fahrer des Geldtransporters war erschossen worden – von seinem später bei einem Schusswechsel mit der Polizei getöteten Komplizen, wie Jaczek behauptete.

Daher wurde Jaczek nur wegen Geldraubs verurteilt. Nun wurde er aus der Strafanstalt Butzbach entlassen. Sofort bereitet Jaczek mit zwei Komplizen eine Geiselnahme vor, bei der ein Millionenbetrag erpresst werden soll. Sie bringen die Frau eines Bankdirektors in ihre Gewalt und fordern telefonisch zwei Millionen Mark Lösegeld. Das Geld soll abends auf einer Frankfurter Mainbrücke übergeben werden – und zwar von Kommissar Konrad.

Als Konrad auf der Brücke mit den Entführern verhandelt, stellt er fest, dass der maskierte Mann, der sich für Jaczek ausgibt, gar nicht Jaczek zu sein scheint. Konrad grübelt über die Frage nach, wo Jaczek wohl ist. Als er das erfährt, weiß er auch, was hinter all dem steckt.

Rezension

Eines hat sich über 45 Jahre Tatort hinweg wenig nicht verändert, war anfangs mit weniger Standorten und viel weniger Filmen pro Jahr (etwa eine Premiere pro Monat) sogar stärker ausgeprägt als heute, wenn man die besonders profilierten, altgedienten Teams außen vor lässt: das ganz Eigene, eine besondere Atmosphäre, einen Stil oder ein Themenschwerpunkt. Bei Finke vom NDR waren es vor allem der gleichermaßen sachliche wie intensive Stil, die dezente, aber jederzeit spürbare Präsenz des Ermittlers, häufig wurde auf moderne Weise auch schon versucht, den Täterfiguren gerecht zu werden. Die Holstein-Tatorte ragten nach heutiger Ansicht aus den Produktionen ihrer Zeit regelmäßig heraus.

Am meisten dem Klischeebild von einem Kommissar, das noch aus der Stahlnetz-Zeit der 1960er entstammte, entsprach hingegen der Hamburger Trimmel, der erste von allen Tatort-Kommissaren, obwohl seine Launigkeit und andere persönliche Eigenschaften schon mehr inszeniert wurden, als das in den 1960ern der Fall gewesen wäre.

In Baden-Württemberg war Kommissar Lutz hingegen einer der ersten, die austesteten, wie man als Ungelittener, als Passiv-Rebell und Feinschmecker Fälle löst und den Überblick in stets fremder Umgebung behält.

Beim HR hingegen spielte Konrad den neben Finke wohl sympathischsten Ermittler seiner Zeit, wenn auch ganz anders – viel offensiver und persönlicher. Kennzeichnend für die HR-Tatorte, lange bis in den 1980er hinein, war allerdings etwas anderes: Es ging immer ums Geld. Logisch, für eine Geldstadt wie Frankfurt, deswegen kommen in diesen Filmen auch vorwiegend Banker vor. In „Flieder für Jaczek“ als Opfer, manchmal aber auch als Täter oder Beteiligte, spätestens aber seit der Brinkmann-Ära.

Diese Gesamtanklage gegen die Dominanz des Mammons erforderte immer neue interessante Plot und vor allem Heist-Movies, denn die Hessen-Tatorte waren nicht selten als „Howcatchems“ aufgebaut, wie überhaupt überraschend viele Tatorte der frühen Phase keine „Whodunits“ waren, also keine Rätselkrimis, sondern Filme, in denen man Verbrecherfiguren schön charakterisieren konnte, weil sie dem Publikum von Beginn an bekannt waren und nur der Weg zu ihrer Ergreifung spannend blieb. Am besten verknüpft mit zwei Thrillerelementen, einzeln oder in Kombination: Es gibt ein Ultimatum, dessen fruchtloser Ablauf zu Todesfällen führen kann. Es gibt eine Geiselnahme oder sonstige Entführung, durch welche die Polizei unter Druck gerät und nicht so rücksichtslos jagen kann, wie sie es ansonsten täte. Leider hat gerade dieses Schema zu vielen Nachahmern in der Realität geführt, die glaubten, es besser zu können als die Filmganoven, die regelmäßig scheiterten.

In alle relevanten Schemata passt „Flieder für Jaczek“, und man merkt dem Film schon an, dass diese Schemata irgendwann an ihre Grenzen stoßen würden. Nämlich dann, wenn die guten Varianten für solche Plots einmal ausgehen und es zudem nicht gelingt, immer wieder originelle Verbrecherfiguren und –banden zu installieren. Heute wählt man eher die Variante, ähnliche Handlungsabläufe mit gerne wechselnden sozialen Milieus und mit immer aktuellen sozialen Problemen zu verknüpfen, um die neuen Fälle nicht zu ähnlich wirken zu lassen. Damit hat es die Reihe zu beinahe 1000 Filmen gebracht. Ein Ende ist berechtigterweise nicht abzusehen – und dann und wann gibt es auch das wirklich Besondere und Experimentelle, das selbst dann Highlight-Charakter hat, wenn es nicht so recht gelingt.

Einen solchen Charakter haben die oft konservativ wirkenden Konrad-Fälle sicher nicht. „Flieder für Jaczek“ ist allerdings doch ein wenig anders, das Lagebesprechungscenter, der Einsatz vieler Polizisten mit einem frühen SEK und behelmten Scharfschützen, mit modernster Übertragungstechnik weisen schon auf die Art hin, wie in jüngeren Tatort-Zeiten mit solchen Szenarien umgegangen wird und wie viele Verantwortliche eingebunden sind.

Am Ende macht Konrad allerdings sein Ding allein, und das wirkt dermaßen aus dem Hut gezaubert, dass man allzu deutlich bemerkt, das Drehbuch musste einen Ausweg aus verfahrener Lage finden, und zwar ein bisschen plötzlich. Die Schlussszene am Flughafen ist ziemlich aus den Angeln und basiert zudem auf einem Kartenfund seitens Konrad, den wir nicht nachvollziehen könnten, weil beim Abgang von Jaczek und dem Banker aus dessen Villa nichts auf eine zurückgelassene Karte hindeutet, die solche eindeutigen Rückschlüsse auf das weitere Vorgehen von Jaczek erlaubt hätte. Er hätte genauso gut den Banker als Geisel nehmen und zusammen mit ihm die Grenze im Auto passieren können. Das wäre gegenüber einem erzwungenen Flug sogar die wesentlich einfachere Variante gewesen. Zudem ist der Kommissar mit seinen Mannen zeitgleich mit Jaczek vor Ort, das ist gemäß vorliegendem Zeitschema nicht möglich, weil Konrad erst feststellen musste, dass sein Personenschutz-Polizist in der Villa nicht mehr antwortet, dorthin fahren, die Karte entdecken muss und dann erst denselben Weg zum Flughafen nehmen kann, wie vor ihm Jaczek und seine Geisel.

Aber zur Personenbeschreibung von Konrad gehört ja, dass er hin und wieder zaubert. Noch wichtiger für den Plot ist, ob Jaczeks Plan tatsächlich so exorbitant ist. Nach unserer Ansicht fußt er bei weitem zu sehr darauf, dass alle sich so verhalten, wie andere es von ihnen erwarten: Konrad so, wie Jaczek ihn einschätzt, umgekehrt ebenfalls, bis zum erwähnten Ende zumindest, und die beiden Mittäter von Jaczek, von denen mindestens einer ihm in keiner Weise verpflichtet ist, die müssen auch schön im Plan bleiben. Sie diskutieren zwar darüber, sich selbstständig zu machen, tun es aber nicht und lassen sich in die Falle locken. Warum es eine zweite Geisel neben der Bankiersgattin gibt, erschließt sich, wenn überhaupt, nur aus dem Blickwinkel, dass man der hübschen Michaela May eine Rolle zukommen lassen wollte und damit einen kurzen Dialog zwischen ihr und der echten Geisel drehen konnte.

Finale

Als Gastkommissare sind dieses Mal die Saarbrücker Ermittler Schäfermann und Liersdahl gleich im Doppelpack im Einsatz, weil sich die Gangster ins Saarland begeben, um sich über die französische Grenze abzusetzen. Vermeintlich stilgerecht fahren sie einen Citroen-Lieferwagen aus Wellblech. Im Saarland gibt es zwar geschichtlich bedingte Besonderheiten bei den Marktanteilen von Neuwagen zugunsten französischer Marken, aber diese Transporter waren auf deutscher Seite der Grenze sehr selten und daher eher auffällig. In Hessen hingegen scheint die Marke Opel, besonders in Form des Modells Rekord / Commodore, zwei Drittel des Autobestands zu stellen; bei der Polizei sind es fast 100 %. Dass Jaczek aus Wien stammt und ein Österreicher damit als Tunichtgut in den Mittelpunkt gerückt wird, hatte bekanntlich Nachwirkungen: In den österreichischen Tatorten mit dem aktuellen Moritz Eisner wurde das zehnfach zurückgezahlt.

Ob die Geiselbefreiung wirklich im Saarland gedreht wurde, können wir nicht sagen; die Wälder im südwestdeutschen Raum sind einander wohl doch recht ähnlich. Zu sehen ist aber nur der (damals neue) SR-Kommissar Schäfermann, der gerade Liersdahl ersetzte.

Auch wenn einige Rollen gut gespielt sind, so richtig abgefahren sind wir auf den Film nicht, dazu wirkt er denn doch zu konstruiert und hat ausgerechnet da Längen, wo es am Spannendsten hätte werden können: Bei der Vorbereitung der Geldübergabe. Viel Technik zu zeigen, so dachte man wohl, ist an sich spannend. Heute sind wir damit aber so vertraut, dass wir die Idee honorieren, ohne dabei aber den Thrill zu empfinden wie vermutlich der Premieren-Zuschauer im Jahr 1977.

6/10

Der diesem Film nachfolgende Tatort „Reifezeugnis“ wurde dann zur Legende und für ihn haben wir kürzlich eine zweite Rezension geschrieben – bisher die einzige Zweitkritik überhaupt, die wir einem Fernseh- oder Kinofilm geschenkt haben.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Wir haben bis auf sehr kleine Korrekturen an Stil und Rechtschreibung die Rezension so übernommen, wie sie vor acht Jahren verfasst wurde. Das heißt, Zeitangaben und unser Stand der Tatort-Bearbeitung durch Kritiken entsprechen dem Jahr 2016, nicht dem Jahr 2024. Damals waren ca. 400 Tatort-Rezensionen im „ersten Wahlberlinger“ veröffentlicht worden, mittlerweile enthält der neue Wahlberliner über 1.200 Artikel in der Rubrik „Crimetime“, davon überwiegend Meinungen zu Tatorten.

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

Regie Fritz Umgelter
Drehbuch
Produktion Hans Prescher
Kamera
Schnitt
Premiere 27. Feb. 1977 auf Deutsches Fernsehen
Besetzung

 


 

 


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