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Das müssen wir gleich vorausschicken: Wir halten diese Statistik nicht für unproblematisch. Allein die Frage, ob Menschen Angst vor „Ausländern“ haben, belegt auch, dass hier wieder einmal ein konservatives Denken am Werk war, und das stimmt: Die Umfrage kommt von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Derweil setzt Statista wiederum „Ausländer“ und Zuwanderung zumindest im Titel gleich, demgemäß Angst vor Zuwanderung mit Ausländerfeindlichkeit.
Diese Gegenüberstellung, die wohl in etwa darauf hinausläuft, dass alle, die vor der AfD Angst haben oder vor dem Rechtsextremismus, keine Angst vor „Ausländern“ haben und umgekehrt, ist nicht die Art, wie wir eine solche Umfrage verfasst hätten. Gleichwohl ist sie nicht uninteressant, weil die Veränderung der Zahlen etwas belegt, was man auch wahrzunehmen glauben, was man fühlt, und was auf jeden Fall beunruhigend ist.
Infografik: Wovor hat Deutschland mehr Angst, Rechtsextremisten oder Ausländer? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat kürzlich Umfrageergebnisse dazu veröffentlich, wovor sich die Deutschen fürchten. Dabei zeigt sich, dass die Bedeutung des Themas Migration in den letzten Jahren zugenommen hat. Gaben 2021 der Befragten an, große oder sehr große Angst vor Zuwanderung nach Deutschland zu haben, waren es zuletzt 36 Prozent. Allerdings ist die Sorge vor Fremdenfeindlichkeit im gleichen Zeitraum ebenfalls gestiegen und beschäftigt deutlich mehr Menschen.
Dabei handelt es sich laut KAS nicht zwingend um unterschiedliche Gruppen: „Rund jede/r fünfte Befragte hat sowohl Angst vor Zuwanderung als auch vor Fremdenfeindlichkeit. Ähnlich wie beim Thema Klimawandel zeigt sich hier eine gesellschaftliche Ambivalenz, die keinen Widerspruch darstellen muss. So schließt die Angst vor Zuwanderung nach Deutschland nicht aus, dass sich dieselben Personen auch Sorgen vor Fremdenfeindlichkeit in Deutschland machen.“
Die Angst, „dass die AfD das Sagen bekommt“ treibt aktuell 61 Prozent der Teilnehmer:innen um. Auch hier verzeichnet die Umfrage eine Zunahme, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt. Noch stärker ist diese Sorge unter Partei-Anhänger:innen verbreitet. „Während die Angst vor einer Machtbeteiligung insgesamt um rund zehn Prozentpunkte angestiegen ist, steigt sie in der FDP-Anhängerschaft um 25 Prozentpunkte, in der Grünen-Anhängerschaft um 23 Prozentpunkte und in der Unions-Anhängerschaft um 20 Prozentpunkte.“
Die letzten Anmerkungen im vorausgehenden Absatz sollte man nicht so lesen, dass die Anhänger:innen der Linken oder der SPD weniger Angst vor der AfD haben, sondern eher so, dass die Angst dort wohl schon früher vorhanden war, während jetzt auch langsam diejenigen, die so eine Dreierkoalition aus Union, FDP und AfD generell schick finden würden, langsam Bedenken bekommen, wenn sie nicht ganz am rechten Rand der Wählerschaft dieser „Altparteien“ angesiedelt sind. Andere Umfragen spiegeln das noch nicht. Im Osten gäbe es Mehrheiten für eine CDU-AfD-Koalition bzw. umgekehrt, eine Mehrheit findet bei Spontanumfragen, wie sie oft an journalistische Artikel angehängt sind, dass man die AfD nicht verbieten sollte. Das muss man so lesen: Auch wenn die AfD sich als verfassungsfeindlich herausstellt und das BVerfG das feststellt, sollte man sie einfach weitermachen lassen. Das ist kein gutes Zeichen für das Demokratieverständnis vieler Menschen im Land.
Was wir oben aber angedeutet haben, ist der Trend zur Polarisierung, der sich in der Umfrage ausdrückt. Die Zeiten, in denen Menschen weder Angst vor der Zuwanderung noch vor der AfD hatten, scheinen vorbei zu sein. Die Realität sieht trotzdem ein wenig anders aus. Viele Menschen im Land sorgen sich um die Kapazitäten für weitere Zuwanderung und um die sichtbaren Mängel bei der Integration, die nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet werden, hat aber gleichzeitig Angst vor dem Rechtsruck.
Dies ist nicht exakt unsere Position, aber wenn wir uns für eine Priorisierung zwischen dem Erhalt der Demokratie und einer unbegrenzten Zuwanderung zu entscheiden hätten, dann würden wir uns für die Demokratie entscheiden, wenn wir diese Wahl als entweder oder begreifen würden. Es gibt so viele Fehlstellungen im Land und in der aktuellen Politik, dass wir sicher nicht zuerst die Immigration für diese verantwortlich machen würden. Da es diese Probleme aber gibt und dadurch auf vielen Ebenen die Kapazitäten kleiner sind, als bei guter Politik wären, schlägt die schlechte Politik tatsächlich auf das Verhältnis zur Migration durch, auch bei uns. Wir haben das Gefühl, die Steuerbarkeit des Landes hat erheblich nachgelassen. Für uns ist das ein Grund, mehr Solidarität und mehr Einsatz für die nicht Privilegierten zu fordern, auch für Zuwanderer und wie man sie in Deutschland aktiv integriert, aber damit gehören wir derzeit einer Minderheit an.
Was die AfD angeht, haben wir uns zuletzt hier klar geäußert: Wir sind für die Prüfung der Verfassungswidrigkeit dieser Partei und wenn aus dem Verdacht eine von höchster Instanz festgestellte Tatsache geworden ist, muss sie verboten werden. Das wird nicht einfach sein, der Ausgang eines solchen Verfahrens ist offen, aber die wehrhafte Demokratie muss endlich Konturen annehmen, damit Themen wie die Migration wieder mit Maß und Vernunft besprochen werden können. Derzeit treibt die AfD die meisten anderen Parteien vor sich her. Nnur die Linke, die nicht mehr in Verantwortung steht, auch nicht mehr auf Länderebene, ist noch nicht gekippt. Ohne diese Verantwortung und die nervenzerfetzenden Diskussionen mit Populisten und aufgebrachten Bürger:innen außerhalb der eigenen Blase ist es leichter, stabil zu bleiben. Das heißt nicht, dass es nicht wertvoll ist, dem Humanismus die Treue zu halten und sich im Ernstfall, im Fall einer Regierungsverantwortung, der Realität zu stellen. Derjenigen Realität, die mächtiger ist als irgendeine Partei in Deutschland und die Kompromisse in die eine oder andere Richtung erfordert.
Wir haben keine grundsätzliche Angst vor Zuwanderung, für uns ist der Eindruck wichtig, dass es dabei einigermaßen geordnet und demokratiefreundlich zugleich zugeht, sowohl vor der Einwanderung als auch danach. Wir haben aber mindestens große Sorge vor einem Machterwerb der AfD. In diesem Sinne, anders also im oben beschriebenen, sind wir aktuell bei der Mehrheit.
TH
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