Filmfest 1198 Cinema
Im dunklen Wald, da sind die Räuber und vielleicht einige Spießgesellen aus dunklen Zeiten
Mit „Ich denke oft an Piroschka“ (1955) wurde die Schweizerin Liselotte Pulver in Deutschland zum Star und blieb über viele Jahre eine der beliebtesten Schauspielerinnen hierzulande.
Der Regisseur ihres ersten großen Erfolgs jenseits der eidgenössischen Grenzen war Kurt Hoffmann. Derselbe, der drei Jahre später „Das Wirtshaus im Spessart“ inszenierte und kurz darauf die viel beachtete Satire „Wir Wunderkinder“. Die Räuber im dunklen Spessart sind vergnüglich anzuschauen und das liegt gewiss auch daran, dass ein Schelm, wer Hintergründiges dabei denkt. Es gibt bereits einen nett animierten Vorspann, wie er auch im US-Kino der Zeit gerade aufkam und doch ist der Film ein Einzelstück hinsichtlich seiner Inszenierung (Einleitung der Erstveröffentlichung des Textes im Jahr 2013).
Für das Jahr 1955 in der aktuellen Deutschland-Chronologie „ein Jahr, ein Film“ hatten wir „Ich denke oft an Piroschka“ ausgewählt – drei Jahre später sehen wir denselben Regisseur am Werk, der mit derselben Hauptdarstellerin von Ungarn in den Spessart gezogen ist, dort haben die beiden einen Film gemacht, der für eine deutsche Komödie der 1950er vergleichsweise deutliche satirische Ansätze zeigt. Noch im selben Jahr sollte dieser Ansatz mit „Wir Wunderkinder“ eine andere, deutlich erkennbar auf die Gegenwart bezogene Ausprägung erhalten. Es handelt sich um Kurt Hoffmann, der „Das Wirtshaus im Spessart“ inszeniert hat und um Liselotte Pulver, deren charakteristisches Lachen oft zu hören ist, wenn man sich die besseren unter den deutschen Komödien jener Jahre anschaut (Einleitung für die Republikation im „neuen“ Wahlberliner im Jahr 2024).
Handlung
Franziska Comtesse von und zu Sandau (Liselotte Pulver) ist mit ihrem Verlobten Baron Sperling(Günther Lüders), ihrer Zofe und einem Pfarrer per Kutsche auf dem Weg nach Würzburg, als sie im Spessart mit der Kutsche in eine Grube auf dem Weg fahren, wobei ein Rad bricht. Nicht ahnend, dass es sich um die Falle einer berüchtigten Räuberbande handelt, folgen sie dem Rat zweier zwielichtiger Gestalten (Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller) und steigen im nahe gelegenen Wirtshaus ab.
Dort treffen sie auf die Handwerksburschen Felix (Helmuth Lohner) und Peter (Hans Clarin) und auf die Räuber, die die Comtesse als Geisel nehmen, um von ihrem Vater ein Lösegeld zu erpressen. Diese tauscht kurzerhand mit Felix die Kleider und kann entkommen. Als Franziska erfährt, dass ihr Vater das Militär schickt statt das Lösegeld zu zahlen, kehrt sie zu den Räubern zurück, um in ihrer Verkleidung dem Hauptmann (Carlos Thompson) als Bursche zu dienen. Der erkennt das falsche Spiel schon bald und verliebt sich in Franziska.
Hintergrund
Mit den instabilen Machtverhältnissen während der Zeit der napoleonischen Feldzüge wurde auch die Gesellschaft instabil, Spielräume für Gewalt taten sich auf und Räuberbanden hatten Konjunktur. Die Geschichte von Hauffs Spessarträubern war im frühen 19. Jahrhundert zeitgemäß, insbesondere auch deshalb, weil die literarische Gattung des Unterhaltungsromans, speziell des Romans mit Räuberthemen, durch die Werke Götz von Berlichingen (Goethe) und Die Räuber (Schiller) in Mode kam. Die Gestalt des Räubers als edler Verbrecher, der mit seiner Bande zwar gegen Gesetze handelt, aber auch für Gerechtigkeit verarmter Unterschichten kämpfte, war dem „Volk“ willkommen.
Als Kulisse dienten für die Anfangsszene der historische Marktplatz von Miltenberg am Main und als Schloss des Grafen Sandau das Wasserschloss Mespelbrunn im Spessart.
In der Nachfolge drehte Kurt Hoffmann 1960 Das Spukschloß im Spessart mit der Filmkulisse von Schloss Oelber am weißen Wege in Niedersachsen und 1967 Herrliche Zeiten im Spessart. 2010 wurde der Fernsehfilm Im Spessart sind die Geister los gezeigt, der thematisch an Das Spukschloß im Spessartangelehnt ist. Abseits des Handlungsrahmens der drei Spessart-Filme entstand 1977 unter der Regie von Walter Krüttner Das Lustschloß im Spessart.
Die im Film verwendeten Zeichnungen wuden von Bele Bachem geschaffen. (1a)
Rezension
„Ich denke oft an Piroschka“ war nicht Pulvers erster deutscher Film, bereits in „Heidelberger Romanze“, fünf Jahre zuvor, spielte sie eine Hauptrolle. Und es ist keine Frage, dass „Piroschka“ auf eine so wunderbar natürliche Weise romantisch ist wie wohl kein zweiter deutscher Film der fünfziger Jahre. Erstaunlich aber, wie variabel Kurt Hoffmann im Fach Komödie arbeiten konnte, denn von der Puzta-Romanze von 1955 bis zu „Wir Wunderkinder“ von 1958 ist stilistisch und inhaltlich ein recht weiter Weg zu beschreiten gewesen.
Auf diesem Weg kommt man durch den dunklen Spessart, in dem die Räuber hausen und in dem es ein dubioses Wirtshaus gibt, in dem – ebenfalls die Räuber hausen. Übermütig und stellenweise unkonventionell entfaltet sich eine im Grunde simple Geschichte, in welcher eine Comtesse von einer Räuberbande geraubt werden soll, dann aber freiwillig folgt – in Männerkleidung, was der Hauptmann der Räuber, der in Wirklichkeit ein italienischer Graf ist, schnell herausbekommt.
Wen man hohe Anforderungen an kognitive Intelligenz stellt, ist der Verkleidungszauber Schmonzes, kein normaler Mensch hätte die mehreren Hin- und Rückverwandlungen nicht sofort bemerkt. Doch die Räuber sind eh nicht die hellsten Zeitgenossen und man wäre um den Genuss gekommen, die Pulver mit ihrem großen komödiantischen Talent als jungen Burschen zu bewundern – eine Eigenschaft, die ihr wohl auch die Hauptrolle in „Gustav Adolfs Page“ zwei Jahre später einbrachte, der allerdings weniger komödiantisch angelegt ist und sogar ein für ihre Filme ungewöhnliches tragisches Ende hat. Darin spielt sie an der Seite von Curd Jürgens, der den Schwedenkönig darstellt, dessen Truppen im Film natürlich in Deutschland nicht so viel marodieren, wie es in der Realität alle fremden Armeen getan hatten, die im 30-jährigen Krieg durch das Land zogen.
Einige Szenen in dem Film, der etwa 160 Jahre später spielt und im Spessart, sind erkennbar und etwas zu sehr in Zeitraffer gedreht – möglicherweise eine Anspielung auf die Hollywoodfilme, in denen Pferdeszenen ebenfalls beschleunigt wurden, um dem Galopp mehr Dynamik zu verleihen – allerdings eben nicht so auffällig wie im „Wirtshaus“. Wenn auch die Satire nicht so beißend ist wie im Hoffmann-Folgefilm „Wir Wunderkinder“, da steckt schon einiges drin und die Romantik, die in „Piroschka“ dominierte, tritt eher in den Hintergrund.
Aber war „Das Wirtshaus“ tatsächlich eine Allegorie auf die deutschen Nachkriegsverhältnisse, wie z. B. User der IMDb in ihren privaten Reviews vermuten? (1)
Dort werden sinngemäß vom Nutzer Robert Lander aus Jena folgende Parallelen und Schlüsse gezogen: „Die Männer im Film sind entweder Gauner, unfähig oder im Gefängnis. Dadurch haben die Frauen die Männerjobs zu übernehmen. Aber irgendwann kehren die Männer aus dem Arrest (gemeint ist u. a. die Kriegsgefangenschaft) zurück und die Frauen haben keine Wahl, als ihre traditionellen Rollen als Hausfrauen wieder anzunehmen. Weiterhin gibt es die Bandenmitglieder, die hoffen, mit ihren vergangenen Verbrechen davonzukommen und den Rest ihres Lebens mit Gärtnern zu verbringen.“
Sogar eine Linie zur Lebensraum im Osten-Philosophie der Nazis wird gezogen, wo Himmler die Deutschen, die sich dort ansiedeln sollten, Ackerbau betreiben lassen wollte.
Hat Kurt Hoffmann tatsächlich einen solchen Blick auf Deutschland werfen wollen? Ganz von der Hand zu weisen ist dies nicht, zumal das Militär als komische Truppe und der Graf Sandau , Vater der reizenden Comtesse, als geiziger und engstirniger Typ dargestellt werden, klassische Elemente der Satire. Außerdem darf man die Konstellation nicht außer Acht lassen, dass ein Adeliger, der inkognito lebt, Geld zurückbekommt, das ihm Sandau einst gestohlen oder von ihm geborgt hat. Er ist als Italiener erkennbar, aber wenn man will, kann man hierin eine Anspielung auf die von Nazis geraubten Vermögen vieler Menschen aus vielen Ländern sehen und auf deren Zwang, unterzutauchen und vielleicht sogar im Untergrund zu kämpfen – oder ins Exil zu gehen. Damit bekommen die Räuber, auch wenn sie nicht sehr politisch wirken, den Status von Partisanen.
Falls Hoffmann wirklich in diese Richtung tendiert hat, dann aber so, dass der normale Kinogucker jener Jahre es gewiss nicht bemerken konnte. Vielleicht hat er sich deshalb auch in „Wir Wunderkinder“ nach den großen Erfolgen der Zeit zuvor, inklusive „Wirtshaus“, getraut, der Gesellschaft einen wesentlich blankeren Spiegel vorzuhalten. Wenn man dies auch noch berücksichtigt, sollte man die Spuren ruhig weiterverfolgen und in „Das Wirtshaus“ eine sehr dezent angelegte, ironische Behandlung der damaligen Gegenwart kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sehen.
Es ist unbestritten, dass der Adel und der Geldadel unabhängig von der Gesinnung den Zweiten Weltkrieg und die Entnazifizierung nahezu unbeschadet überstanden haben, weil man sie einfach zu brauchen glaubte, um das Land wiederaufzubauen und dass insbesondere in den Regierungen von 1953 und 1957 viele Altnazis fröhliche Urständ als politisch Verantwortliche feierten. Einem scharfsinnigen Filmemacher wie Hoffman war das gewiss ebensowenig entgangen wie dem SPIEGEL und viele Zitate, auch von Konrad Adenauer, belegen mindestens die Tolerierung dieser speziellen Form von Resozialisierung.
Demgemäß wäre der Moritatensänger Buffon Parucchio (Rudolf Vogel) der mahnende, aber auch augenzwinkernde Chronist, stünden die beiden früh im Film schon auftretenden Gauner-Wandervögel Knoll und Funzel (Wolfgang Neuss, Wolfgang Müller) kleine Altnazi-Gauner, die vom gutbürgerlichen Ruhestand träumen, wären die Räuber, siehe oben, Widerständler und allgemein auch Robin Hood-Figuren, wie im Absatz „Hintergründe“ angedeutet. Unterlegt wird diese Doppelfunktion dadurch, dass die auf ein Märchen von Wilhelm Hauff zurückgehende Handlung des Films in den Zeiten der Unruhe nach den napoleonischen Feldzügen spielt und Räuber, die in den Wäldern den Reichen nach dem Gut oder gar Leben trachteten, die Armen aber ungeschoren ließen – in Wirklichkeit natürlich aus ökonomischen Gründen nichts mit ihnen anfangen konnten – allgemeine Beliebtheit im Volk genossen. Man sah sich eher im Boot mit diesen Desperados als mit den willkürlich Herrschenden, die übermäßig ausgeprägte Autoritätshörigkeit der Deutschen hatte sich erst in späteren Zeiten voll entwickelt und die NS-Herrschaft überhaupt ermöglicht.
Dazu eine Anmerkung anlässlich der Republikation 2024: Der vorherige Absatz ist auch für unseren Geschichte-Kentnissstand von 2013 zu allgemein gehalten. Vor allem die Dominanz preußischen Denkens und Handelns nach der Einigung 1871 hat diese Entwicklung befördert, weniger der südwestdeutsche Pietismus und das dort sehr kleinräumige und vertüftelte Denken, das aus logischen Gründen (die vielen kleinen, machtlosen Fürstentümer, in denen man lebte) weniger imperialistisch geprägt war als in den meisten Regionen Europas, die Teile expansiver Nationalstaaten waren. Insofern ist die Mentalität im Spessart nicht diejnige von Berlin-Brandenburg oder den preußischen Stammgebieten im Ganzen, aber beide sind Spielarten deutscher Haltung gewesen.
Die schematische und ausschließlich befehlsgeneigte Handlungsweise des Militärs im Film, mit der bestimmenden Figur des Majors, gespielt von dem Parade-Karikaturisten alten und neuen Preußentums im bundesrepublikanischen Film, Hubert von Meyerinck, kann man ebenfalls als starkes Indiz für Hoffmanns recht gut verborgene Tendenzen nicht nur zur Satire, sondern auch zur Hinterfragung angesichts der gerade erfolgten deutschen Wiederbewaffnung sehen. Solche Rollen waren mit von Meyerinck im Grunde immer subversiv besetzt, wir gehen davon aus, dass zumindest in Filmkreisen man Kenntnis davon hatte, dass Meyerinck homosexuell war und gerade deshalb solchen Charakteren ein ganz spezielles, unverwechselbares Gepräge verleihen konnte, das in sich selbst die Karikatur der dargestellten Person trägt, ohne dass diese auf eine besonders humoristische Weise handeln oder Dialoge führen m uss.
Die wundervolle Comtesse hingegen steht für die mindestens unterschwellige Lächerlichmachung männlicher Attitüden und die beiden netten Handwerksburschen, die uns als positive Figuren durch den Film begleiten, für eine neue, offene Jugend, die, Zitat „bei den Räubern viel lernen kann“. Gerade dieser Satz ist wohl kein Zufall. Man lernt das, was im Leben wichtig ist, also nicht beim Militär, sondern bei den freien Briganten im Wald, die man, wenn man will, auch als Partisanen ansehen kann und bei denen es selbstverständlich auch echte, wüste Schurken gibt, die von einem zivilisierten, in Wirklichkeit adeligen Anführer im Zaum gehalten werden. Dass also dieser Mann aus dem Establishment stammt, darf man nicht zu sehr als staatstragend deuten, denn als Italiener und als zivilisierteste Figur im ganzen Film trägt er auch die Hochachtung der Filmemacher vor anderen Kulturen und deren mäßigerer und bejahender Haltung in allen Fragen des Lebens und des Genusses mit sich.
Fazit
Man kann den Film also in die politische Richtung interpretieren, die wir in der Rezension erwähnt und der wir uns angeschlossen haben, ohne dass er dadurch an Reiz und auf der oberen Ebene an Komik verliert und ohne dass Liselotte Pulvers Darstellung an Charme einbüßt. Trotz seiner Thematik ist „Das Wirtshaus im Spessart“ nach heutigen Maßstäben nicht rau und trotz der Bettszene zwischen der Comtesse und dem Räuberhauptmann nicht mit Eros versetzt, also durchaus familientauglich und außerdem eine echte Räuberpistole. Aufgrund der kürzlichen Rezension haben wir ihn unwillkürlich während des Anschauens mit „Hände hoch oder nicht / Fra Diavolo“ (USA 1933) verglichen, einer Slapstick- und Verkleidungskomödie, die in Norditalien spielt, sich aufgrund ihrer Ähnlichkeiten bezüglich der Handlungsanlage und des Settings gut zum Vergleich eignet. So oft vor Lachen aus dem Häuschen wie bei diesem noch älteren Film mit Laurel & Hardy waren wir im „Wirtshaus im Spessart“ nicht, aber es war amüsant.
Während wir uns aber den bezaubernden „Piroschka“ auch mehrmals anschauen würden, trifft dies auf das Wirtshaus nicht zu, angesichts so vieler Filme, die noch zu rezensieren sind. Wir geben runde 7,0/10 für eine der besten deutschen Komödien der 50er Jahre.
Geändert auf 72/100 im Jahr 2024.
72/100
© 2024, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Kurt Hoffmann |
|---|---|
| Drehbuch | Heinz Pauck, Luiselotte Enderle, Curt Hanno Gutbrod |
| Produktion | Georg Witt |
| Musik | Franz Grothe, Günter Neumann |
| Kamera | Richard Angst |
| Schnitt | Claus von Boro |
| Besetzung | |
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(1) IMDb, The Spessart Inn, Reviews
(1a) Infos zu Hintergrund und Handlung WIKIPEDIA
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