Filmfest 1244 – Die große Rezension
Der Mann, der die Ohrfeigen bekam (Originaltitel: He Who Gets Slapped) ist ein US-amerikanisches Stummfilm-Drama des schwedischen Regisseurs Victor Sjöström aus dem Jahre 1924. Die Hauptrollen spielen Lon Chaney Sr., Norma Shearer und John Gilbert. Als Vorlage diente Leonid Nikolajewitsch Andrejews russisches Theaterstück Tot, kto polutschajet poschtschotschiny von 1914, das Anfang der 1920er-Jahre auch im englischsprachigen Raum aufgeführt wurde. He Who Gets Slapped war der erste Film, der komplett bei der neugegründeten Metro-Goldwyn-Mayer entstand.[1] 2017 wurde er in das National Film Registry aufgenommen.[1]
Wir schreiten voran in der dritten US-Filmchronologie „Ein Film, ein Jahr, von Beginn an“ und konnten gleich von 1921 ins Jahr 1924 springen, denn für 1922 und 1923 liegen bereits Rezensionen vor. Für 1924 auch, aber „Sherlock, jr.“ mit Buster Keaton werden wir gesondert in der Werkschau Buster Keaton präsentieren. Wir klappern im Moment nur Berühmtheiten ab, könnte man sagen. Nach nach gleich zwei Filmen unter der Regie von Cecil B. DeMille aus den Jahren 1917 und 1918 ging es weiter mit „Broken Blossoms“ mit Lilian Gish und von D. W. Griffith, von dort zu „The Mark of Zorro“ mit Douglas Fairbanks und „The Sheik“ mit Rudolf Valentino. Genre für Genre öffnet sich das Blütenbouquet des großen Hollywood-Spektakels. Nun also Lon Chaney in „He Who Gets Slapped“. Ein weiteres Genre? Jedenfalls ein weiterer Großer des Stummfilmkinos. Der Anfang, die ersten 25 Filmjahre, war ein wenig mühsam, aber hier tut sich eine Wunderwelt auf und es gibt kaum Enttäuschungen. „He Who Gets Slapped“ zählt mittlerweile zu den Klassikern des US-Stummfilms, wie die Aufnahme ins nationale Filmarchiv belegt.
Handlung (1)
Wissenschaftler Paul Beaumont arbeitet seit vielen Jahren an radikalen Theorien über die Entstehung der Menschheit. Sein reicher Gönner ist Baron Regnard, in dessen Laboratorien er arbeiten darf. Paul und seine geliebte Frau Maria wohnen sogar im Schloss des Barons. Eines Tages verkündet Paul, dass er seine Theorie nun endlich bewiesen habe. Maria stiehlt jedoch die Unterlagen ihres Mannes und gibt sie an ihren heimlichen Geliebten, den Baron Regnard, weiter. Als Paul Beaumont in Begleitung des Barons seine Ergebnisse der Akademie der Wissenschaft vorstellen will, stellt er mit Schrecken fest, dass seine Unterlagen fehlen. Der schurkische Baron stellt sich den Wissenschaftlern stattdessen als Urheber von Pauls Theorien vor. Paul wirft dem Baron zwar vor allen Wissenschaftlern den Betrug vor, doch keiner glaubt ihm und alle machen sich nur über ihn lustig. Der Baron behauptet, Paul sei höchstens sein Assistent gewesen und gibt ihm verächtlich eine Ohrfeige. Paul verfällt in eine Depression und sucht Hilfe bei seiner Frau Maria, doch die verhöhnt ihn nur und erzählt ihm von ihrer Affäre mit dem Baron. Daraufhin verlässt Paul das Schloss.[2]
Rezension
Ich lese gerade einen Gedichtband, der einiges vom Alterswerk jenes Dichters umfasst. Allüberall kommt der Tod vor. Das sind keine Wohlfühlgedichte. Und „He Who Gets Slapped“ passt dazu, denn es handelt sich nicht um eine Wohlfühlgeschichte. Auch das kann Hollywood: kompromisslos tragisch sein. Zumindest in der Stummfilmära und besonders dann, wenn Lon Chaney die Hauptrolle spielt. Ein neues Genre ist dies aber noch nicht, denn anders als bei weiteren Chaney-Filmen kann man hier keine eindeutige Zuordnung zum Horrorfilm vornehmen.
Eine Assoziation war: Victor Sjöström, der berühmte schwedische Regisseur, den es, wie so viele europäische Größen, nach Hollywood zog, wollte einen Film über den amerikanischen Volkscharakter machen, der sich möglicherweise deutlich vom schwedischen unterscheidet. Dieses hemmungslose Auslachen von anderen, egal, ob ihnen ein Missgeschick passiert oder ob sie geohrfeigt werden, hat er dermaßen extrem inszeniert und in den Vordergrund gestellt, als sei es die Apotheose und das Symbol der Mutter aller Demütigungen. Das ist es natürlich auch, ein Sinnbild. Es steht für alle Formen der Erniedrigung und es ist so offensichtlich, es läuft nicht subtil ab, obwohl es so beginnt, als man Beaumont seine wissenschaftlichen Arbeiten klaut. Der Verrat steht am Beginn der Demütigung und aus einem Mann, der vielleicht den Nobelpreis verdient gehabt hätte, wird ein Clown, der alberne, niedrige Leute belustigt. Die „Er wird geschlagen“-Nummer ist sehr, sehr gut inszeniert, sehr variantenreich, ausführlich, sie wird dramaturgisch konsequent genutzt mit einer Wiederholung, die den Tod des Clowns einleitet.
Haben Sie jemals etwas Traurigeres als einen Clown gesehen? Ich nicht, zumal, wenn seine Nummer, die mit nicht weniger als 60 Personen ausgeführt wird (ein bisschen viel für einen „kleinen“ Zirkus) darauf aufgebaut ist, dass dieser Clown permanent Schläge ins Gesicht bekommt und die Leute vor Lachen geradezu rasen. Wie zuvor schon die Wissenschaftler. Das ist mit Absicht übertrieben gefilmt, vor allem bei den Akademikern, aber es geht ja um die Symbolik, und an der absoluten Demütigung darf kein Zweifel herrschen. Der käme bereits auf, wenn im Publikum oder unter den Professoren nur eine einzige Person wäre, die die Arme verschränkt und damit andeutet, dass sie diese Erniedrigung nicht gut findet, die gerade vor sich geht. Wohl dem, der mitten im Mobbing einen einzigen echten Freund gefunden hat. Einen solchen findet ER nicht, auch wenn die schöne Consuelo anders ist als die anderen und ihr Freund in Maßen auch. Auch sie dringt nicht aber durch und haut ihm ebenfalls eine rein, weil sie glaubt, er scherze, als er ihr seine Gefühle für sie eröffnet. Einmal Clown, immer Clown. Da kommt man nicht mehr raus. Das ist eine ganz andere Konzeption als in den meisten amerikanischen Filmen, der man die nordisch-europäische Herkunft anmerkt: Es gibt kein einfaches Entrinnen, man sogar sagen, es gibt einfach kein Entrinnen.
He Who Gets Slapped war an den Kinokassen mit Einspielergebnissen von rund 881.000 US-Dollar ein Erfolg. Auch die meisten Kritiker waren sehr positiv. Mordaunt Hall, Chefkritiker der New York Times, fand großen Gefallen am Film in seiner Kritik vom 10. November 1924. Die Darsteller seien exzellent, insbesondere Lon Chaney: „Niemals in seinen Bemühungen vor der Kamera lieferte Mr. Chaney eine so brillante Darstellung, so wie er es hier in dieser Figur tut. Er ist zurückhaltend in seinem Schauspiel, übertreibt nie die sentimentalen Situationen und wird von seinem Make-Up geführt.“ Hall verglich Sjöströms Werk mit denen von Charlie Chaplin und Ernst Lubitsch: „Mr. Sjöström führte Regie bei dieser dramatischen Geschichte mit allem Genie eines Chaplins oder Lubitschs und er hat mehr als diese in ihren zurückliegenden Werken Die Nächte einer schönen Frau und Die Ehe im Kreise geschafft, weil er im Gegensatz zu diesen eine ergreifende, dramatische Geschichte hatte.“[3] Die New York Times setzte He Who Gets Slapped außerdem auf die Liste der zehn besten Filme des Jahres.[4]
Nun waren „Die Nächte einer schönen Frau“ und „Die Ehe im Kreise“ nicht die meisterhaftesten Meisterwerke von Chaplin und Lubitsch, aber ich verstehe, worauf der Kritiker hinaus wollte: Die Charakterzeichnung Chaneys ist exzellent und gibt dem Film Tiefe, außerdem hat Sjöström auch optisch einiges eingebaut, wie die Tricksequenzen mit den Clowns, die auf einem Ring um die Erde herumsitzen und am Ende fällt einer runter ins Nichts, nämlich ER. Und die Story ist existenziell und erzählt von einem sensiblen und begabten Menschen, der von der Niedertracht und der Lust an der Gemeinheit anderer niedergetrampelt wird. Der Regisseur dämpft das absolute Desaster etwas durch die Figur der Consuelo, aber auch deren Vater und der Baron sind miese Typen. Letzterer sowieso, er hat ja auch die Unterlagen Beaumonts für seine Zwecke ausgebeutet. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Welt von ebenjenen Typen beherrscht ist, während die menschlicheren Menschen im Auge des Lachsturms hilflos sind und weggerissen werden.
Das Lexikon des internationalen Films urteilte: „Sehr theatralischer, trotzdem ausdrucksstarker Stummfilm“.[5] Das Fernsehmagazin Prisma war ebenfalls angetan: „Der große Lon Chaney – er war während der Stummfilm-Ära vor allem durch seine Wandlungsfähigkeit im Horror-Genre berühmt – in der Rolle des enttäuschten Wissenschaftlers, der in das Kostüm eines Clowns schlüpft. Der schwedische Regisseur Victor Sjöström, der 1923 dem Ruf Hollywoods folgte, zeigt hier ein in jeder Hinsicht erstaunliches Werk. Denn er wartet nicht nur mit vielen technischen Finessen auf, sondern durchzieht die Geschichte über die Erniedrigung und die daraus resultierende Rache eines Mannes mit bitterer Ironie.“[6]
Es ist immer leicht, sich an Kritiken anzuhängen und dies und das zu – sic! – kritisieren. Deshalb erwähne ich nur, dass es sich nicht um Rache handelte, sondern darum, dass der böse Baron einen weiteren Übergriff begehen wollte, den ER / Beaumont zu verhindern suchte. Er war nicht in die Rolle des Clowns geschlüpft, um einen Rachefeldzug durchführen zu können. Spontan war es ihm einfach zu viel, dass der Baron wieder einen Menschen unglücklich machen wollte, nämlich die schöne Consuelo, in die ER außerdem verliebt ist. Der Film hat eine Positivquote auf dem Kritiker-Aggregationsportal „Rotten Tomatoes“ von 85 Prozent und eine IMDb-Wertung von 7,7/10. Das ist allgemein schon gut, für einen Stummfilm aber herausragend, zumal es sich um einen Stoff handelt, der alles andere als leicht ist und bei den Zuschauern vor allem zwei Dinge auslösen dürfte, vielleicht sogar in Kombination: Scham davor, wie billig man doch als Charakter ist, über was man alles lacht. Hier werden auch Tausende von Slapstickfilmen gespiegelt und bis heute jede banale Sitcom, die auf Diskriminierung aufbaut. Sogar, wann man zu lachen hat, wird bei diesen Fernseh-Serienkomödien durch das betreffende Geräusch angezeigt. Die Entsprechung ist das geradezu hysterische Gejohle, das man zu hören meint, wenn man sich „He Who Gets Slapped“ anschaut, weil er nicht milde mittelmäßige Komik jeden Tag präsentiert, sondern an einem einzigen Kinoabend das Grauen des Mobs zu einem Inferno der Demütigung stilisiert.
Oder aber man findet, der Clown ist etwas zu empfindlich. Trotz des Spiegels, der gar nicht so sehr ein Zerrspiegel ist, wird das wohl selten jemand so direkt sagen oder schreiben. Es gibt eine weitere Variante: Man erinnert sich an Demütigungen, die man selbst erfahren hat und identifiziert sich mit Beaumont / ER. Die Kombination, dass aus einem geistigen Diebstahl eine riesige Lachnummer wird, dürfte zwar eher selten sein, aber das gilt nur für die direkte Variante. Wie jemand im Wissenschaftsbetrieb oder im Geschäftleben dasteht, der so beklaut wurde, dass er keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt, wenn er seine Urheberschaft nicht klar beweisen kann, das ist durch das Lachen ja eben nur symbolisiert. Aber dieses Entwenden der Früchte einer Arbeit ist ja auch nur ein Symbol für etwas Größeres, das Würde heißt und etwas für eine bessere Welt tun wollen. Die amerikanische Wikipedia ist etwas ausführlicher als die deutsche, also noch ein paar zeitgenössische Kritiken:
He Who Gets Slapped received mostly positive reviews from critics upon its release, with many praising the film and Chaney’s performance. In his 1924 review of the film for New York Times, Mordaunt Hall praised the film’s direction, performances, and story, calling it‘ „the finest production we have yet seen“.[18] Author and film critic Leonard Maltin gave the film three out of a possible four stars, calling it „a Pagliacci–type vehicle for Chaney.“[19] Christopher Meeks from Variety gave the film a positive review, commending the film’s inventive staging, lighting and sound design, and performances, but felt that the ending was predictable and drawn out.[20] Hans J. Wollstein from Allmovie gave the film a positive review, praising Chaney’s and McDermott’s performances.[21]
„At the Capitol this week there is a picture which defies one to write about it without indulging in superlatives. It is a shadow drama so beautifully told, so flawlessly directed that we imagine that it will be held up as a model by all producers. Throughout its length there is not an instant of ennui, not a second one wants to lose…Never in his efforts before the camera has Mr. Chaney delivered such a marvelous performance as he does as this character. He is restrained in his acting, never overdoing the sentimental situations, and is guarded in his make-up…For dramatic value and a faultless adaptation of the play, this is the finest production we have yet seen.“ —The New York Times
„While this picture may not quite live up to the claim made of „the perfect motion picture,“ it is nevertheless a mighty fine screen entertainment, capably acted, almost flawlessly directed and photographed…Lon Chaney as „He“ stands out as possibly the greatest character actor of the screen. In this role he displays an understanding of character beyond anything that he has done heretofore.“ —Variety[22]
„Lon Chaney does the best work of his career. Here his performance has breadth, force and imagination.“ —Photoplay
„(Chaney’s) makeup is, as usual, perfect and he gives you a magnificent performance, full of pathos that brings a gulp to your throat“ —Movie Weekly
„Never before have I seen Mr. Lon Chaney perform so faithfully and so knowingly as he does in this part of the tragic clown. Both as the scientist and later as the circus clown, he is shown to be abundantly equipped with those essential gifts which make for compelling characterization before the camera….(With all the film’s) fineness, I am inclined to think that Mr. Lon Chaney is the real triumph“ —New York World
Wir haben uns auch eine zusammenfassend-erweiternde KI-Interpretation schreiben lassen, was sich in künftigen Kritiken von uns häufiger finden wird.
Victor Sjöströms He Who Gets Slapped (1924) ist ein vielschichtiger Film, der zentrale Themen wie Demütigung, Identität, Schicksal und die menschliche Natur untersucht. Hier sind die wesentlichen Interpretationen zusammengefasst, einiges davon ist oben bereits erwähnt und erscheint hier in verdichteter Form:
- Symbolik des Schlags
- Der Schlag im Film symbolisiert die ultimative Erniedrigung und Entmenschlichung. Er steht für den Verlust von Macht, Würde und Identität, insbesondere im Kontext von Chaneys Figur, die durch Verrat und öffentliche Demütigung gebrochen wird34.
- Als Clown wiederholt Paul (der Protagonist) diese Erniedrigung in einer masochistischen Performance, was seine innere Zerrissenheit und sein Bedürfnis nach Selbstbestrafung widerspiegelt16.
- Der Clown als universelle Metapher
- Der Clown repräsentiert den „jeden Menschen“ und die Torheit der menschlichen Natur. Die weiße Schminke macht ihn zu einem Archetyp, der sowohl das Publikum als auch die Figuren im Film widerspiegelt1.
- Pauls Figur zeigt, wie Menschen ihre eigenen Ängste und Schwächen auf andere projizieren. Der Clown wird zum Sündenbock, der das Publikum von seinen eigenen Unsicherheiten entlastet14.
- Schicksal und Determinismus
- Der Film thematisiert das Konzept des Schicksals: Pauls Erniedrigung und sein späteres Leben als Clown scheinen unausweichlich. Die Eröffnungsszene mit dem drehenden Globus deutet darauf hin, dass alle Figuren hilflos dem Lauf des Schicksals ausgeliefert sind1.
- Gesellschaftskritik
- Der Film hinterfragt die Grausamkeit der menschlichen Natur, insbesondere die Freude am Leid anderer. Das Publikum im Zirkus lacht über Pauls Erniedrigung, was eine Reflexion über die Rolle des Zuschauers und dessen moralische Verantwortung darstellt14.
- Die Überblendung von Bildern des Zirkuspublikums mit denen der Wissenschaftler, die Paul ursprünglich gedemütigt haben, verdeutlicht die universelle Natur von Spott und Machtmissbrauch1.
- Liebe und Opfer
- Pauls unerwiderte Liebe zu Consuelo steht im Zentrum seiner Tragödie. Seine Opferbereitschaft zeigt sowohl seine tiefen Gefühle als auch seinen endgültigen Verlust von Hoffnung und Selbstwert23.
- Das Herz-Symbol auf seinem Kostüm wird zu einem zentralen Motiv: Es wird immer wieder zerstört und repariert, was den Kreislauf von Schmerz und Hoffnung in seinem Leben darstellt1.
- Masochismus und Selbstaufgabe
- Der Film ist eine Studie über emotionalen Masochismus: Paul nimmt seine Erniedrigung an und macht sie zu seiner Identität. Sein Name „He Who Gets Slapped“ zeigt seine völlige Hingabe an diese Rolle67.
- Diese Selbstaufgabe spiegelt eine tiefere Tragödie wider: Paul hat seine Menschlichkeit zugunsten einer einzigen Funktion – dem Objekt des Spottes – aufgegeben16.
- Stille als Ausdrucksmittel
- Als Stummfilm nutzt He Who Gets Slapped visuelle Symbole wie das clowneske Herz oder den Schlag selbst, um Emotionen auszudrücken. Die Abwesenheit von Ton verstärkt die Selbstreflexion des Publikums, da es gezwungen ist, sich auf das Gesehene zu konzentrieren13.
Der Film gilt als bahnbrechend in seiner Darstellung von emotionaler Tiefe und psychologischer Komplexität. Er hinterfragt nicht nur individuelle Motive, sondern auch gesellschaftliche Dynamiken und die Rolle des Zuschauers selbst./[3]
Finale
In diesen Zeiten, in denen man überall so viele Demütigungen sieht und wie die Gemeinheit auf eine Weise freidreht, die man vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte, hat auch dieser Film wieder eine Relevanz, die den Betrachter geradezu anspringt.
Ich muss in diesem Fall ganz deutlich zwischen „Gefallen“ und „Spaß haben“ auf der einen Seite und Wert und Sinn auf der anderen trennen, denn der Film ist nichts für depressive Menschen und man sollte ihn sich, auch wenn man nicht in diese Richtung tendiert, eher anschauen, wenn man nicht gerade einen Trauerfall zu verarbeiten hat oder eine Kränkung erfahren hat, die noch nicht verwunden ist. Es ist wenig tröstlich, dass es anderen auch so geht, denn selbst der Tod des Clowns basiert darauf, dass er hereingelegt wird: In dem Schirm des Grafen versteckt sich eine Fechtwaffe. Selbst die Art des Todes, gegen die er sich gar nicht zur Wehr setzen kann, weil sie auf einer überraschenden Finte beruht, ist eine weitere Niedertracht.
So gesehen, ist der Film auch ein Proto-Noir, in dem es von der Vorbestimmung über die Femme fatale in doppelter Ausführung, die zweite davon gegen ihren Willen, weil sie eigentlich ein gutes Mädchen ist, bis zum Charakter des Mannes, der einfach hineingezogen wird, über seinen Identitätswechsel, der im Noir ebenfalls häufig vorkommt, bis hin zum schicksalhaften erneuten Aufeinandertreffen mit den alten Gegnern (oder dem Gegner) – in dem es das Meiste gibt, was einen Noir ausmacht. Die große Melodramatik ist sicher nicht typisch für den Noir, aber die Anlage des Films schon. Die Sicht auf Menschen wirkt etwas übersteigert, ist es aber gar nicht. Man nehme nur etwas Gruppendynamik und Massenpsychologie und dann kann es genau so laufen, wie wir es hier sehen.
Man möchte, wenn man sich den Film angeschaut hat, am liebsten keine sozialen Bindungen mehr eingehen, denn die Enttäuschung, sogar der Verrat, folgt auf dem Fuße. Ob es mehr Schicksal ist oder mehr der Typ von Beaumont, der dazu herausfordert, ihn zu hintergehen, mag dahingestellt bleiben, die Dynamik der Ereignisse und das Verhalten der Menschen sprechen für sich.
Leider ist „He Who Gets Slapped” ein guter Film, und leider ist das, was darin gezeigt wird, nur etwas verdichtet und stilisiert, ansonsten jedoch aus dem Leben gegriffen. Die Darstellung wäre weniger wirksam, wenn ER tatsächlich ein Rächertyp wäre. „He Who Gets Slapped“ erhält die beste Wertung bisher für einen Film in der dritten US-Chronologie, womit er „Broken Blossoms“ als Spitzenreiter dieses Durchlaufs ablöst. Es sind also die Tragödien, in denen das Kino für mich bisher am höchsten stieg. Bedingt freilich durch die Auswahl der Filme, ich hätte mir aus dem Jahr 1924 auch einen anderen kassenträchtigen Film herausgreifen können. Am Kassenerfolg orientiere ich mich bei diesem Durchlauf, nachdem dieser seit 1915 in „The year … in film“ ausgewiesen wird. Manchmal sind die Kassenschlager auch gut.
84/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Victor Sjöström |
|---|---|
| Drehbuch |
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| Produktion |
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| Musik | William Axt |
| Kamera | Milton Moore |
| Schnitt | Hugh Wynn |
| Besetzung | |
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[1] Der Mann, der die Ohrfeigen bekam – Wikipedia
[2] Der Mann, der die Ohrfeigen bekam – Wikipedia, weitere Handlung. Fünf Jahre später: Paul hat das Gebiet der Wissenschaft verlassen und arbeitet nun als Clown mit dem Titel He Who Gets Slapped („der geschlagen wird“). Damit wird Paul zur Hauptattraktion eines kleinen Zirkus nahe Paris. Seine Nummer besteht daraus, dass die anderen Clowns ihm Ohrfeigen geben, wie einst Baron Regnard bei ihm getan hat. Der Leiter des Zirkus ist Graf Mancini. Er und seine bildschöne Tochter Consuelo planen, dass sie einen reichen Mann heiratet, damit der heruntergekommene Zirkus dann zu altem Glanz auferstehen kann. Der geplante Ehemann ist Graf Mancinis Freund Baron Regnard, der eines Tages im Publikum sitzt und dann Consuelo hinter der Bühne Avancen macht. Doch Consuelo ist angewidert vom Baron, sogar sein Geschenk – ein Juwel – lehnt sie ab. Stattdessen fühlt sich Consuelo immer mehr zu Bezano hingezogen, der wie sie als Kunstreiter im Zirkus arbeitet. In Abwesenheit ihres Vaters machen Consuelo und Bezano einen Ausflug und gestehen sich dabei ihre Liebe.
Unterdessen macht Graf Mancini dem Baron klar, dass er Consuelo nur haben könne, wenn er sie auch heiratet. Der Baron stimmt der Heirat zu. Später verlässt der Baron seine Geliebte Maria, die ehemalige Frau von Paul. Er hinterlässt der gebrochenen Maria nur eine Summe Geld.
Paul gesteht Consuelo ebenfalls seine Liebe, doch sie hält das für einen Scherz und gibt ihm lachend eine Ohrfeige. Unterbrochen werden sie von Graf Mancini, der Consuelo noch heute Nacht mit dem ebenfalls anwesenden Baron verheiraten will. Paul versucht die Heirat seiner geliebten Consuelo mit seinem Erzfeind zu verhindern, wird jedoch in einen Raum weggesperrt, in dem sich ein Löwe in einem Käfig befindet. Nun bereitet Paul einen Racheakt vor, bei dem der Löwe die wichtigste Rolle spielt. Zunächst lässt Paul seine wahre Identität gegenüber dem Baron fallen und bedroht ihn. Doch der Baron kann Paul mit seinem Schwert niederstechen. Der Baron und Graf Mancini wollen fort, gehen dabei jedoch in die von Paul gemachte Falle: Als sie eine Tür öffnen, wird dadurch die Tür zum Löwenkäfig geöffnet. Der Löwe tötet Graf Mancini und den Baron, nur der verletzte Paul kann im letzten Moment von den Löwenbändigern gerettet werden. Paul geht auf die Bühne, wo er an seinen Verwundungen zusammenbricht. Er versichert Consuelo, dass er glücklich sei und sie glücklich (mit Bezano) werden würde, dann stirbt er in ihren Armen.
[3] Die Quellen:
- https://www.reddit.com/r/TrueFilm/comments/18q0pem/victor_sj%C3%B6str%C3%B6ms_he_who_gets_slapped/
- https://carensclassiccinema.wordpress.com/2014/06/21/he-who-gets-slapped-1924-and-the-captain-hates-the-sea-1934/
- https://euppublishingblog.com/2022/06/01/he-who-got-slapped/
- https://silentlondon.co.uk/2022/09/17/he-who-gets-slapped-1924-life-is-a-cruel-joke/
- https://silentfilm.org/he-who-gets-slapped/
- https://www.sensesofcinema.com/2006/cteq/he-who-gets-slapped/
- http://archive.ebertfest.media.illinois.edu/sixteen/he-who-gets-slapped.html
- https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23299460.2023.2233231
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