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In wohlklingenden, aber in der Sache drastischen Worten beschreibt der heutige Leitartikel des Verfassungsblogs die politische Situation in Deutschland. Wir äußern uns fast jeden Tag zur bevorstehenden Bundestagswahl, die bereits in zwei Wochen stattfinden wird, mal mit viel Resonanz (UPDATE/BREAKING: Sensation im Bundestag: Weiterer Dammbruch verhindert!), mal, nach Zugriffszahlen, nicht mit dem Ziel, aber dem Ergebnis der vorwiegenden Selbstbefragung mit Positionsanalyse: (Der Wahl-O-Mat für die Bundestagswahl 2025 und wir: Auswertung und Leitkommentar mit allen zentralen Positionen).
Die Sensation ist die Sensation, die Aufmerksamkeit kann man im Grunde sehr gut steuern. Deswegen wissen wir, dass der folgende Artikel, in der Form unserer Übernahme, gelesen werden wird, aber nicht in dem Maße wie unser Bericht direkt von der historischen Bundestagssitzung am Freitag vor einer Woche. Selbstverständlich werden wir zum heutigen Leitartikel des Verfassungsblogs „Das Ende der Mitte“ einige Anmerkungen unterhalb schreiben, sie werden auf vollumfänglicher Zustimmung aufbauen.
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Das Ende der Mitte
Zur Lage vor der Bundestagswahl
(von Florian Meinel auf Verfassungsblog und Maximilian Steinbeis auf Verfassungsblog)
Die Bundestagswahl ist durch den Politikwechsel der Unionsparteien in der letzten Sitzungswoche unter völlig neue Vorzeichen getreten. Damit tritt die seit langem latente prinzipielle Veränderung des politischen Systems der Bundesrepublik in eine neue Phase. Wie lässt sich diese Veränderung der Lage beschreiben und was folgt aus ihr?
Die Bildung neuer parlamentarischer Mehrheiten ist in der parlamentarischen Demokratie ein konstitutiver Vorgang. Sie manifestiert, mögen die Beteiligten es auch gelegentlich bestreiten, den Willen zu gemeinsamer politischer Gestaltungsmacht in der Definition von Agenda, Zielen und Mitteln. Der einmal erfolgreiche, einmal gescheiterte Versuch der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, eine Mehrheit unter Einschluss der AfD zu bilden, verändert die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik deswegen von Grund auf.
Die Unionsfraktion hat mit ihrer Entscheidung jenen politischen Raum der Mitte zerstört, der seit Gründung der Bundesrepublik ihr programmatisches Betätigungsfeld und ihre Erfolgsbedingung in Wahlen war. Denn diese Mitte war notwendigerweise weniger inhaltlich als vielmehr durch die Abgrenzung zu den Extremen definiert. Das ist nun nicht mehr der Fall; die Menschen, die zu Hunderttausenden am vergangenen Wochenende gegen den Schulterschluss mit der AfD auf die Straßen gegangen sind, bezeugen es. Die politische Rechte hat zweifach und unmissverständlich ihren Willen signalisiert, sich unter Einschluss des Extremismus als eine geeinte Rechte zu positionieren, wenn auch zunächst nur auf einem Politikfeld. Die Frage, warum Merz dieses Risiko eingegangen ist und ob er sich dabei möglicherweise verzockt hat, betrifft nur seine Motive. Davon unabhängig sein sollte die politische Bewertung, gerade im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl.
Die Erfahrungen gemäßigt konservativer Parteien in allen anderen europäischen Demokratien zeigen, dass sich die Strategie der Umarmung des Rechtspopulismus durch Imitation von Standpunkten oder gar Koalitionen mittelfristig gegen sie selbst kehrt. Bislang konnten die deutschen Unionsparteien größtenteils als Ausnahmeerscheinung gelten, die sich dieser Strategie beharrlich widersetzte. Das hat sich nun als Illusion herausgestellt. Es spricht viel dafür, dass sich die vom Rechtsextremismus gesteuerte, die Mitte-Rechts-Parteien zerreißende Dynamik von Angsterzeugung, Radikalisierung und Regierungswille auch an der CDU/CSU vollziehen wird. Das von Friedrich Merz und seiner Fraktion gegebene Signal der Bereitschaft zu disruptiver Politik durch offen rechtswidrige Vorschläge lässt daran wenig Zweifel.
Die Beteuerungen der Union, das Gewollte und Getane entweder nicht gewollt oder so nicht getan zu haben, ändern daran nichts. Denn die Eskalationsdominanz liegt eindeutig bei der extremen Rechten, wie der in der Sache eindeutige Rechtskurs des CDU-Bundesparteitags belegt. Keine Beteuerung des guten Willens ändert etwas daran, dass die Union den Raum, den sie mit ihrem Abschied aus der Mitte betreten hat, nicht beherrschen wird, weil sie in einem System des Verhältniswahlrechts die harte Rechte nicht mehr absorbieren kann. Jener Raum gehört der AfD. Ihr gehört nicht zuletzt die Wirklichkeitsbeschreibung, von der sich die Union als Teil der Rechten auf diese Weise politisch abhängig macht: eine Wirklichkeitsbeschreibung, an der das Weiße Haus und der Kreml gleichermaßen interessiert sind und in der namentlich migrantische Gruppen und schwerste Verbrechen so lange obsessiv verknüpft werden, bis eine Politik der gewaltsamen Abschottung und der Angst als gebotene Verteidigung darstellbar ist, der man sich vermeintlich nur aus Konfliktscheu und Realitätsverlust verweigern kann. Diese Wirklichkeitsbeschreibung kann nicht mehr als Randbedingung der Ermittlung des Mehrheitswillens abgetan werden. Sie ist zu ihrem eigentlichen Gegenstand geworden. Ob sie die künftige Basis des Regierungshandelns wird, steht bei der Bundestagswahl zur Abstimmung.
Welche Folgen ergeben sich daraus für die übrigen, insbesondere die Parteien des progressiven Spektrums? Der Ausgang der Wahl und die Bildung einer neuen Regierung hängen in hohem Maße davon ab, welche Parteien die Ausgangsbedingungen der neuen Lage am schnellsten erkennen, zumal sich die Union noch eine Zeitlang in der halb zynischen, halb unpolitischen Illusion wiegen dürfte, die Zustimmung von der falschen Seite ändere nichts an ihrer irgendwie gut gemeinten („Sorgen der Menschen“) Sache.
Diese Lage trifft namentlich die SPD, aber auch die Grünen denkbar unvorbereitet und hart. Ihre Spitzenkandidaten haben ihre gesamte bisherige politische Karriere darauf aufgebaut, ihre Parteien in der Mitte zu positionieren und damit bündnis- und regierungsfähig zu halten. Es ist deswegen nicht überraschend, dass beide Parteien – vor allem die Grünen unter Habeck – reflexhaft darauf setzen, von der Union geräumte Positionen der Mitte durch einen maßvolleren Kurs auf das gleiche Ziel zu usurpieren. Die Signale der SPD gehen in eine ähnliche Richtung. Ob diese Strategie kurzfristig elektoralen Erfolg hat, wird sich zeigen. Was von den anderen Parteien aber in seinen Konsequenzen zu realisieren wäre, ist die Kehrseite der begonnenen Zerstörung der Mitte durch die politische Rechte. Wer sich als Gegner der Rechten versteht, kann mittelfristig nicht mehr darauf bauen, in einem politischen Raum namens Mitte zu reüssieren, den es so nicht mehr gibt oder der nur noch mit abnehmendem politischem Ertrag rhetorisch nachgeahmt werden kann.
Es mag nach den verpassten politischen Reaktionen von Grünen und SPD auf die letzte Woche zu spät sein, vor der Wahl die Konsequenzen zu ziehen aus dem, was jetzt offenbar geworden ist. Jene Konsequenzen hätten ein hohes Maß an Mut und Kraft erfordert, aber zumindest eine Chance geboten, in den verbleibenden gut zwei Wochen die Dynamik des Bundestagswahlkampfs zu drehen, anstatt ihn gleich und von vornherein verloren zu geben. Spätestens nach der Wahl werden sich allen Gegnern der Rechten die Fragen stellen, die eigentlich sofort zu stellen gewesen wären. Zur gewohnheitsmäßigen, aber wahrscheinlich aussichtslosen Besetzung von zentristisch klingenden Positionen gibt es zwei Alternativen, die beide mit immensen Risiken verbunden sind, aber den Vorteil haben, dass sie der realen politischen Lage Rechnung tragen.
Eine Politik, die defensiv noch einmal auf die Rekonstruktion des Raums der Mitte gerichtet wäre, müsste die Unionsparteien ultimativ zur Revision ihres begonnenen Strategiewechsels zwingen, was derzeit nur durch den übereinstimmenden und kategorischen Ausschluss von Koalitionen unter Merz‘ Führung möglich erscheint. Die Jugendorganisationen der SPD und der Grünen haben sich in dieser Richtung geäußert. Abzielen müsste eine solche Strategie aber vorwiegend auf die intermediären, vermittelnden Institutionen des vorpolitischen Raumes, vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk über die großen Verbände und Kirchen bis zum Deutschen Landkreistag, die sie mittragen müssten. Die politische Verständigung innerhalb der Mitte war auch und gerade ihre Existenz- und Funktionsbedingung, die mit der Aufkündigung der Mitte zumindest mittelfristig in Frage gestellt ist. Die in ihnen gepflegte Tradition der Überparteilichkeit und des Proporzes, die ein zentrales Element der Verfassungsordnung der Bundesrepublik ist, beruhte wie das Parteiensystem stets auf der Konstruktion eines politischen Raumes der Mitte, das heißt auf dem Ausschluss extremistischer Positionen. Gerade deswegen richtet sich die Politik der AfD so entschieden gegen sie. Ob sie in der derzeitigen Lage als Hüterinstitutionen der Mitte ansprechbar sind, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen.
Offensiv wäre dagegen eine Politik, die den Aktionsraum der Mitte einstweilen verloren gibt und nach links integriert. In diesem Sinne verspräche die Bildung eines bis in den Linksliberalismus hinein anschlussfähigen Parteienbündnisses nach dem Vorbild des französischen Nouveau Front Populaire den meisten Erfolg. Wäre die kurzfristige Umstellung des Wahlkampfes der SPD, der Grünen und der Linken auf einen gemeinsamen Gegner nicht eine reale Option gewesen? Sie hätte der Aufgabe entsprochen, vor die diese Wahl alle Gegner der Rechten stellt. Von der Bereitschaft und Fähigkeit, gegen die Politik der Angst und ihre Wirklichkeitsbeschreibungen eine Mehrheit zu organisieren, die lose um unterschiedliche Aspekte einer demokratischen, solidarischen und europäischen Politik gruppiert ist, hängt dann die Kanzlerfrage ab. Wer diese Aufgabe mit der größten Aussicht auf Erfolg zu lösen verspricht, qualifiziert sich als Kanzler des gesamten nicht-rechten Spektrums.
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Die Zeiten werden schwerer. Deshalb zunächst ein Dank an den Verfassunsblog, dass er alle seine zum Verständnis und zur Verteidigung der Demokratie relevanten Texte weiterhin kostenfrei republizierbar hält.
Samstag ist der Tag des Rechts. Wir gehen nicht mehr darauf ein, was uns leider nicht sehr überrascht hat: Dass eine immer mehr nach rechts driftende Union der AfD in die Falle geht. Lächerlicherweise gab es Kommentare in der Presse, in denen behauptet würde, Friedrich Merz würde er AfD eine Falle stellen, indem er sie einem Antrag (Mittwoch, 29.01.2024) zustimmen lässt, in dem sie kritisiert wird. Welch kleinteiliger Unsinn. Es war ein Dammbruch und wir werden das nicht vergessen, was da passiert ist. Am 30.01.1933 jährte sich der Tag der Machtübernahme der NSDAP zum 92. Mal. Am 31.01.2025 kam es gerade noch so zur Ablehnung eines Gesetzesentwurfs mit den Stimmen der AfD, weil es in der Union und in der FDP noch ein Häuflein Anständige gab, die tatsächlich dagegen gestimmt, sich enthalten oder weggedrückt hatten. Auch Letzteres kann in diesen Tagen schon als Widerstandshandlung angesehen werden, die viel Mut erfordert. In der FDP glauben wohl einige nicht an den Einzug in den nächsten Bundestag, das macht es etwas leichter, noch einmal an die alten Zeiten der demokratischen Fundierung auch deutscher liberaler Politik anzuknüpfen.
Die Demokratie stirbt nicht so schnell wie 1933, aber sie stirbt. Als wir nach dem „Fall Thüringen“ im Jahr 2020 unsere Reihe „Diskursverschiebung nach rechts“ geschrieben hatten, hätten wir nicht vermutet, dass es so schnell gehen wird. Damals haben wir das Kürzel „DiG“ (Demokratie in Gefahr) kreiert und kamen uns manchmal selbst dabei etwas dramatisch oder alarmistisch vor. Heute müssen wir eher überlegen, ob wir klar genug waren und genug getan haben.
Bei der Bundestagswahl 2021 kam die AfD nur noch auf 10,2 Prozent (nach 12,2 im Jahr 2017) und es sah auf den ersten Blick aus, als sei die Demokratie noch einmal gerettet. Vollkommen täuschen ließen wir uns nicht. Erstens war in der Ampel eine gelbe Partei als U-Boot der Rechten unterwegs, es gab also keine lupenreine Mitte-Positionierung in dieser Koalition, zweitens haben die Verwerfungen der Corona-Krise und des Ukraine-Krieges so schnell für eine Veränderung der Lage und der Stimmung gesorgt, dass klar war: Die Menschen hier sind endgültig bereit für die Zerstörung von allem, was ihnen Wohlstand und Freiheit gesichert hat.
Wir haben Politikfehler kritisiert, selbstverständlich. Aber wir sehen uns nicht als Mitschuldige, denn wir haben sie nicht von rechts, sondern von links kritisiert, mit wenigen Ausnahmen. Im Wesentlichen auf dem Boden der Verfassung von dort aus, wo sich nun nach Meinung der Autoren des heutigen Leitartikels die SPD, die Grünen, und in der Konsequenz natürlich auch die Linke hätten gegen dieses nach rechts ausgreifen der Union hätten versammeln müssen. Die Linke, das wurde vergessen zu erwähnen, hier also doch eine kleine Kritik, war die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die sich am 29.01. und am 31.01. wirklich kohärent verhalten hat. Weil ihre Ablehnung dessen, was die Rechte beschließen wollte, inhaltlich authentisch wirkte. Die Linke braucht bis jetzt keine Brandmauerrhetorik, ihre Positionen sind tatsächlich andere als die der Rechten, deshalb wird man deren Vorhaben nicht zustimmen.
Wohingegen, und da stimme ich wieder ganz dem Artikel des Verfassungsblogs zu, die SPD und die Grünen glauben, sich mit der Besetzung von Positionen retten zu können, die unter Angela Merkel noch rechts von der CDU gewesen wären. Das macht es für uns auch so schwer, die SPD zu wählen, neben der Person von Olaf Scholz, die großen Anteil daran hat, dass die SPD keine demokratische Führungsmacht in schweren Zeiten geworden ist und damit ihren historischen Auftrag nicht erfüllt hat. Sie versagt im Grunde, wie schon einmal vor über 100 Jahren, anders als vor 92 Jahren. Der obige Artikel hat uns noch einmal bewusst gemacht, was wir bereits gelesen und auch selbst geschrieben haben: Auch die Grünen und die SPD wandern nach rechts. Die Logik scheint zu sein, dass dort, wo die CDU nicht mehr ist, Platz sein muss für gemäßigt rechts gewendete Mitte-Parteien, die betonen, dass der CDU-Gesetzesvorschlag rechtswidrig ist, über den sie am Freitag, den 31.01.2025, abstimmen ließ, die aber nicht eine echte Gegenposition aufgebaut haben.
Selbstverständlich ist dieser Vorschlag gesetzwidrig, ganz sicher nämlich auf europäischer Ebene, und es wird nach der Wahl laufen wie bei Donald Trump, aber mit einem Unterschied: Die Regierung wird sich, wie er, mit den Institutionen anlegen und die Rechtswirklichkeit und die Rechtsinhalte verschieben wollen, um das alles durchsetzen zu können, was sie vorhat. Doch anders als die US-Regierung, in der sich Legionen von ausgewiesenen Demokratieverächtern zusammengefunden haben, hat die Union nicht die Kapazität, gleichzeitig nach vorne zu regieren, gleich, wo nach ihrer eigenen Definition vorne sein mag.
Diese Situation wird ein weiteres gefundenes Fressen für die AfD sein, sofern Merz mit ihr nicht sowieso in eine Koalition geht. In unserem Freundeskreis existiert die Theorie, dass Merz zwar den Wahlkampf noch führen darf, wer sollte es sonst jetzt noch zu Ende bringen, aber nach der Wahl abgelöst werden wird, weil die Grünen und die SPD mit ihm nicht regieren wollen. Wir sind anderer Ansicht, deswegen ist für uns die Einlassung bezüglich dessen, wie sich die beiden Parteien hätten nach dem 29.01. schon verhalten müssen und wie sie sich wirklich verhalten haben, wichtig. Jugendorganisationen sind immer etwas idealistischer unterwegs, das ist schön, aber verliert sich im Laufe des Abschleifens von Politiker:innen. Die „gestandenen Realpolitiker“ werden sich auch mit Merz einigen. Wir halten es eher für wahrscheinlich, dass Olaf Scholz nicht mehr bei den Koalitionsverhandlungen zugegen sein wird, als dass dies auf Friedrich Merz zutrifft. Scholz ist auch nicht Parteivorsitzender, insofern die Konstellation bei der SPD eine andere als bei den Unionsparteien. Robert Habeck wird auch mit Merz sprechen, er will unbedingt wieder Minister werden. Heute keine Aussage darüber, ob wir das gut fänden.
Es sieht nicht danach aus, als ob die SPD und die Grünen gebotene Konsequenzen aus dem ziehen würden, was die Union in der Vorwoche veranstaltet hat. Friedrich Merz wird also Kanzler werden. Hat er sich nun verzockt? Aktuelle Umfragen tendieren in verschiedene Richtungen, richtig und richtigerweise abgestraft wurde die Union bisher in keiner davon. Vor allem aber hat das, was die Union letzte Woche getan hat, der AfD genützt. Es gibt keine einzige Umfrage, in der sie verloren hat, die Tendenz ist sogar die, dass sie weiterhin leicht zulegt.
Ganz genau, wie oben beschrieben, es nützt alles der AfD, nicht der Union. Es ist unfassbar, dass aus den Ostwahlen im letzten September die CDU nicht herausdestilliert hat, dass die Übernahme rechter Positionen den rechtesten Rechten nützt, nicht aber ihr. Wir hatten schon einmal geschrieben, uns tun die Ministerpräsidenten der CDU leid, die mühevoll Mehrheiten jenseits der AfD zu finden hatten, es in einem Fall nicht schafften, sondern in unsicheren Verhältnissen regieren und nun von Friedrich Merz geradezu verraten wurden. Wir befürchten, dass an dieser schwachen Stelle ein weiterer Stein aus der Brandmauer herausgerissen werden wird.
Und wer mag heute noch ernsthaft behaupten, dass die Merz-CDU nach der Bundestagswahl nicht doch mit der AfD koalieren wird? Es gibt bereits eine Mehrheit für die Zusammenarbeit in der Sachfrage Migration, wie sie in der letzten Januarwoche angestrebt wurde, es gibt noch keine Mehrheit für eine CDU-AfD-Koalition. Das war unser Eindruck aus verschiedenen Umfragen der letzten Wochen. Aber dieser Unterschied wird sich auflösen, wenn die Noch-Mitte-Parteien die CDU auflaufen lassen sollten und er wird sich aus anderen Gründen auflösen, wenn die Union mit der AfD immer mehr gemeinsame Sache machen wird.
In Wirklichkeit haben die SPD und die Grünen durch ihre nicht eindeutige Abgrenzung zur Merz-CDU Handlungsoptionen verloren, nicht etwa dadurch, dass sie keinen vollständigen Kniefall getätigt haben. Die Kette geht jetzt nämlich so: Die AfD treibt die Union vor sich her und die Union treibt die SPD und die Grünen vor sich her. Das haben wir bisher so klar nicht formuliert, sondern die SPD vor allem als Korrektiv in der nächsten Regierung unter Kanzler Merz wählen wollen.
Sie wird aber erstens ein schwaches Ergebnis einfahren, was abzusehen war, und damit eine schwache Position haben. Sie wird zweitens wieder einmal von der Union in die Ecke gedrängt werden: Entweder ihr regiert mit uns oder wir werden sagen, dass keine „bürgerliche Mehrheit“ jenseits der AfD zu finden war, also mussten wir mit der AfD zusammengehen. Die Union wird versuchen, die SPD zur Schuldigen an ihrem eigenen Übergriff gegen die Demokratie zu machen, wie schon am Freitag. Wir haben das mit angehört, wir haben auch gesehen, wie die Demokraten in der Defensive waren.
Aber warum waren sie das? Weil viele von ihnen nur mit der Brandmauer argumentiert haben, während sie inhaltlich sehr wohl der Union weit entgegengekommen wären. Und genau das hat nicht sehr befriedigend gewirkt, da konnte die Rhetorik noch so markig gewesen sein, wie etwa bei SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich anlässlich des Vorgangs am 29.01. Genau das es, was viele im Land nicht verstehen: Man hat ähnliche Ansichten, aber man kommt nicht zusammen, sondern es kommt so, dass die arme, im Auftrag des „gesunden Menschenverstands“ handelnde CDU kann ja gar nicht anders als mit AfD-Hilfe ihre richtigen Positionen durchzubringen. Es ist klar, dass wir mit den Anführungszeichen auch markieren wollen, wie die Rechtsfigur des gesunden Menschenverstands von den Rechten hingebungsvoll rechtsgewendet wird, weil sie so ausfüllungsgeeigneet ist. Weshalb wir sie übrigens auch in ihrem normativen Kontext kritisch sehen.
Das alles, weil Gegenpositionen nicht klar genug kommuniziert werden, und da sind wir wieder bei Olaf Scholz und seiner totalen Unfähigkeit, eine bessere Erzählung wirksam werden zu lassen. Scholz kämpft nicht wirklich für die Demokratie. Manchmal fragen wir uns, wofür er überhaupt kämpft, aber das Problem hatten wir mit Angela Merkel ebenfalls, und auch sie steht in der Verantwortung für die heutigen Zustände, was sie immer noch nciht wahrhaben will. Die Grünen haben wir nicht näher besprochen, aber dass wir sie nicht wählen werden, ist klar, deswegen unsere Konzentration auf die SPD. Die Grünen haben mehr durch die Art ihres Auftrtitts als durch Inhaltliches dem Rechtsdrall in den letzten Jahren Auftrieb gegeben. Sie wirken viel verschrobener, viel weniger stromlinienförmig, als sie in der Bundes- und Landes-Realpolitik wirklich sind, weil sie mit Spins und Attitüden zu den Menschen sprechen, für die sie nicht stehen oder die sehr löcherig und inkohärent sind.
Natürlich ist die Schwäche der Mitte die Stärke der Rechten. Die Mitte hat aber auch ein Problem damit, den Rechtsstaat durchzusetzen, auch deswegen kann sie ihre Positionen nicht mehr halten. Die Rechte hingegen wird den Staat vor allem nach rechts treiben und ihn gegen Menschen einsetzen, bei denen das einfach ist, die nicht geschützt sind, und damit suggerieren, sie sei handlungsfähig. Diese üble Spiel, dass alles Unrecht nicht verringern, Probleme nicht lösen, sondern vsie ergrößern und der Unzufriedenheit weiteren Auftrieb wird, haben die SPD und die Grünen mitzuverantworten.
Auf den ersten Blick mag es wirken, als hätten sie die Demokratie durch ihr Verhalten am 29.01. und 31.01. geschützt. Wenn man aber sich anschaut, wodurch die Demokratie so unter Druck geraten ist, zeigt sich ein anderes Bild. Und zwar nicht, weil sie sich nicht von der CDU am 29.01. und 31.01. haben erpressen lassen, sondern, weil sie in eine Lage gekommen sind, in der dieser Erpressungsversuch überhaupt möglich war. Jetzt stehen sie in den Augen vieler als Verweigerer einer handelnden Politik da.
Es ist eine Politik des Ausnutzens von Angst, die hier immer weiter um sich greift, denn die Rechte gedeiht nur in einem Angst- und Aggressionsstau-Klima. Dieses Klima zu verhindern oder ihm entgegenzuwirken, wäre nach der Wahl 2021 noch möglich gewesen. Wie das nach der Wahl 2025 noch funktionieren soll, ist uns im Moment nicht klar, weil wir niemanden sehen, der diese sachliche und kommunikative Meisterleistung, der dies durch richtiges Handeln und klug darüber reden schaffen könnte. Es wäre die Aufgabe von Olaf Scholz gewesen, die Kommunikation zu steuern. Das hat er nicht ansatzweise hinbekommen. Insofern war Olaf Scholz wirklich der schwächste Kanzler der deutschen Nachkriegsgeschichte und vor allem der falsche Mann zur falschen Zeit. Wenn wir also trotzdem die SPD wählen, dann auch mit dem Gedanken, dass Scholz in ihr nach der Wahl keine Rolle mehr spielen wird. In einer Sache haben wir ihn unterstützt, das war seine Haltung im Ukrainekrieg, das wollen wir nicht auslassen, weil es ein ganz wichtiges Thema ist.
Doch wir müssen der SPD und denen in ihr, die dann mit Merz verhandeln werden, dringend davon abraten, sich wieder einmal von der CDU als Steigbügelhalter missbrauchen zu lassen, wie von Angela Merkel im Jahr 2017, als „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen scheiterten.
Wäre es für die Demokratie nicht vielleicht sogar besser, wenn die CDU gezwungen wäre, die Suppe, die sie sich am 29.01. eingebrockt hat, voll auszulöffeln und mit der AfD koalieren zu müssen, weil die Demokraten sich von ihr abgrenzen? Das wäre der Untergang der Union, so viel ist klar. 2029 würde die AfD vermutlich stärkste Partei werden.
Warum? Weil die Union ihr immer wieder hinterherrennen müsste und immer mehr von ihrem Mitte-Profil verlieren würde, ihren Markenkern dem der AfD anpassen würde, die aber das Original ist. Die CDU merkt nicht, was sie anrichtet, wenn sie es der AfD erlaubt, zu verbreiten, die Union habe „von ihr abgeschrieben“. Sie wissen ja, wie das ist. Sie sind ein mittelplusguter Schüler namens Friedrich Merz mit zwei Banknachbarn. Der eine ist schlechter als Sie, der andere der Primus der Klasse. Von wem würden Sie versuchen abzuschreiben, als ehrgeiziger Mensch, der es mal zu was bringen will, aber selbst kein Primus sein kann? In diesem Kernsatz, den die AfD mittlerweile ständig verwendet, steckt viel mehr, als viele, gerade in der Union, offenbar erkennen.
Wer sehr bald mit der Merz-CDU regieren wird, sei es die SPD oder seien es die Grünen oder beide, der wird sich keinen Gefallen tun, angesichts der rechten, teilweise verfassungswidrigen Positionen der CDU. Das war bei Angela Merkel noch etwas anders, obwohl wir schon damals gegen eine schwarz-rote Koalition waren, weil wir das Absorptionsproblem sahen. Und hätte sich nicht die Union beim Kanzlerkandidaten 2021 vergriffen, hätte dieses Absorptionsproblem sich auch damals schon manifestiert, dann wäre die SPD bei bestenfalls 20 bis 22 Prozent hängen geblieben, wie schon bei den Wahlen zuvor.
Man muss sich immer vor Augen halten, dass der vorgebliche zwischenzeitliche Stopp des Rechtsdralls nur einem Fehler der Union zu verdanken war, die bei einem normalen Verlauf des Wahlkampfs im Jahr 2021 nach 16 Jahren Angela Merkel wiederum den Kanzler gestellt hätte. Vermutlich wäre es dann Markus Söder gewesen. Es gab nach 2017 keine mögliche linksmittige Mehrheit mehr in Deutschland. Damals hatte die SPD nicht den Mut, mit den Grünen und der Linken zusammenzugehen. Auch deswegen sollte man sie eigentlich nicht wählen. Uns ist aber klar, dass wir siebeneinhalb Jahre weiter sind und die Situation immer neu bewertet werden muss. Und es ist eine Demokratie-Notsituation.
Ganz sicher sind wir uns doch gerade wieder nicht. Spaß macht es auch nicht. Denn der Anspruch, die politische Mitte zu sein, ist nicht mehr vorhanden. Wir haben es zwar kommen sehen, aber das nützt uns jetzt leider überhaupt nichts.
TH
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