#LIVETICKER #Bundestagswahl2025: Demokratiesorgen am Morgen, Frühwahl, dummer Fehler #btw2025 #btw25 #Bundestagswahl #Demokratie

Bundestagswahl 2025 PPP Politik, Personen, Parteien, Demokratie

Wir hoffen, dass wir Ihnen einen unterhaltsamen Liveticker zur Bundestagswahl liefern werden – mit vielen Themen und natürlich mit persönlicher Kommentierung, dieses Mal in Form eines Interviews.

Die Vorwahlberichterstattung »X Tage vor der Wahl« haben wir gestern abgeschlossen.

23.02.2025,

08:16 / 08.31. Gewählt. Wieder am Schreibtisch.

Es war schon einiges los, alle Kabinen waren besetzt, als ich ins Wahllokal kam. Aber keine Schlange. Die Basis-Selbstermächtigung eines Menschen in der Demokratie ist vollzogen. Und gleich eine inständige Bitte: Gehen Sie wählen! Es ist so wichtig. Jetzt oder nie, sonst wird das »Nie wieder« bald Geschichte sein. Und ich habe einen dummen Fehler gemacht.

Oh, oh. Einen Kommentar dazu geschrieben, weil wir ja immer kommentieren? Das darf man auf einem Stimmzettel nicht. Oder beim Ankreuzen vertan?

Kann man so sagen, wenn auch nicht im Sinne von sich verschreiben bzw. in der Zeile verrutschen. Es sind ja zwei Kreuze gewesen. Und eines war tatsächlich … Mannomann! Ich hätte dieses Mal zwischen Erst- und Zweitstimme splitten müssen. Ich glaube nicht, dass der Kandidat / die Kandidatin der Partei, der ich beide Stimmen gegeben habe, Chancen auf das Direktmandat in meinem Berliner Wahlbezirk hat. Die Erststimme hätte ich jemandem geben müssen, der mehr Aussichten auf den direkten Einzug in den nächsten Bundestag hat, um dabei zu helfen, diesen CDU-Kandidaten zu verhindern, über den wir hier geschrieben haben. So ein taktischer Fehler darf mir nicht passieren. Macht der Gewohnheit. Ich habe noch nie gesplittet. Nicht einmal bei der Steuer. Stundenlang am Tag über Politik nachdenken, und dann so ein Anfänger-Lapsus.

Gefängnisstrafe gibt es dafür nur, wenn es wirklich an dieser einen Stimme gelegen hat, dass die Mission »Rechtsruck verhindern« gescheitert ist. Außerdem hat der gemeinte Unionskandidat einen sicheren Listenplatz.

Es ist eine Frage der Ehre, so jemandem nicht indirekt zu helfen. Ich kann nur meine eigene Stimme ernst nehmen und sie als wertvoll ansehen, was andere tun, darauf habe ich bedauerlicherweise keinen Einfluss.

Und der Wahlberliner?

Bisher weiß ich von genau einer Person sicher, dass ihr meine Artikel bei der Wahlentscheidung geholfen haben, außer mir selbst. Ich habe mich in die Entscheidung hineingeschrieben.

Wie wär’s mit einem Podcast auf TikTok?

Ab nächster Woche. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Quatsch. Der Aufwand dafür ist ja nicht von Pappe, und ein paar Zeilen schreiben ist nun einmal leichter, das kann man nachmittags oder am Abend ohne größere Vorbereitung, falls kein Rechercheaufwand anfällt. Aber man soll wirklich niemals nie sagen. Wer weiß, was man noch alles tun muss, um die Demokratie zu retten.

Auf die Barrikaden gehen, wie Frau Reichinnek.

Ich hoffe wirklich, die Linke schafft es, im Bundestag zu bleiben. Zur Demokratieverteidigung reicht das zwar nicht aus, aber es gibt wenigstens einen Anker der Hoffnung in diesem Parlament, das auf jeden Fall einen Rechtsruck sehen wird. 10 Prozent mehr für die AfD, 5 Prozent mehr für die Union als letztes Mal, dafür 5 oder 6 Prozent weniger für die FDP, grob geschätzt. Das ist ein Plus von 9 bis 10 für die Rechte. Von wegen die Zeichen stehen auf Rot-Rot-Grün, wie jetzt in einigen Artikeln zu lesen ist. Das ist Clickbait-Tünkram. Wir machen mal eine kleine Pause, der zweite Kaffee ruft.

7:00. In einer Stunde öffnen die Wahllokale.

Schlafstörungen wegen einer Wahl, das hat es auch noch nie gegeben.

Wirklich wegen der Wahl?

Schon seit gestern. Aber heute war es wirklich massiv. Da können wir uns auch früh hinsetzen und den Liveticker vorbereiten. Und so früh wie möglich zur Wahl gehen. So früh wie noch nie vermutlich.

Warum die Schlafstörungen?

Ich habe mir noch nie solche Sorgen gemacht. Sicher ist es auch persönlich derzeit trubelig, aber das war eigentlich ganz gut im Griff. Ich möchte auch in den nächsten Jahren in einer Demokratie aufwachen. Eigentlich für immer. So viele Jahre war alles, was jetzt läuft, unvorstellbar. Ich glaube, man muss schon eine Zeitlang dabei sein, um zu vollständig begreifen, dass alles, was dieses Land lebenswert gemacht hat, in großer Gefahr ist.

Wann war die Gefahr erkennbar?

Das kann ich für mich ziemlich genau datieren. Es war noch vor der Bundestagswahl 2021, im Februar 2020. Als in Thüringen die FDP plötzlich einen Ministerpräsidenten stellte, der von der CDU und der AfD gewählt wurde. Danach starteten wir unsere Serie“Diskursverschiebung nach rechts«, vier Artikel gab es dazu. Und jetzt geht alles so schnell.

Der Eindruck kommt aber wohl auch von den Ereignissen in den USA.

Das spielt natürlich eine große Rolle. Wir sehen in Echtzeit, was hier auch passieren könnte. Nicht so schnell, aber auch unsere Institutionen sind nur so gut, wie sie mit Leben gefüllt werden. Wenn niemand sie verteidigt, möglicherweise nicht einmal ihre Angehörigen, dann ist die Demokratie ganz schnell weg. Besonders das Bundesverfassungsgericht habe ich dabei im Auge. Es wurde zwar bezüglich seiner Verfahren gerade etwas gestärkt, aber was, wenn die ziemlich konservative Besetzung dieses Gerichts das Grundgesetz biegt ohne Ende? Es ist gar nicht so viel anders als in den USA. Seit Jahren schieben die Rechten einen Richter nach dem anderen da rein, der das Gericht konservativer macht. Dazu hatten sie ja eine ewige Regierungszeit. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung, besonders im Verwaltungsbereich, ist oft geradezu reaktionär.

Wann hatte die deutsche Demokratie ihren Höhepunkt?

Der Wendepunkt war 1973/74. Gesellschaftspolitisch gab es seitdem natürlich noch Fortschritte, aber Deutschland verliert immer wieder in Schüben an Exzellenz, demokratischem Wagemut, Erneuerungsfähigkeit, Zukunftsorientierung in der Wirtschaft, in der Politik, im Allgemeinen. Die Merkel-Jahre haben endgültig den Boden für das bereitet, was wir jetzt sehen. Die Wähler:innen wollten es so. Das muss man klar sagen.

Deswegen kann man nicht von einer gesunden Gesellschaft sprechen, die in der Lage ist, sich immer wieder selbst neu zu erfinden, wie in anderen Ländern. Dieser Faden ist mit der Nazizeit und im Osten zusätzlich durch die nächste Diktatur gerissen. Das merkt man jetzt erst richtig. Wir haben keinen einzigen Politiker, der dafür steht, wenn es um das Wiedererstarken des Zusammenhalts durch ein fähiges Zukunftsnarrativ geht. Deutschland hat keine Story mehr, seit der Wiedervereinigung, weiß nicht, was es sein will, wo es hinwill. Aber dieses mentale Desaster können wir heute nicht vertiefen.

Man soll andere Länder nicht idealisieren, dort geht es auch nach rechts, oder? Aber zu dieser Jahreszahl: das heißt, es geht seit über 50 Jahren abwärts?

Ich orientiere mich an den Besten. Im Grunde wäre das Potenzial vorhanden gewesen, zu den Besten zu gehören. Zur Jahreszahl: Nicht linear natürlich, aber im Weltvergleich fällt Deutschland seitdem zurück. Wir werden in den nächsten Jahren auch weitere Abstiege in allen wichtigen Indizes sehen. Demokratie, Freiheit, Korruption, alles, was wichtig ist, damit man sagen kann, die Politik ist für die Menschen da, nicht, die Menschen müssen eine nur kleinen Minderheiten dienende Politik durchschleppen. Gerade die Hetzer und Spalter sind die größten Parasiten. Sie saugen Honig aus der Unfähigkeit der Menschen, sich gegen sie zu wehren. Sie besetzen Ämter und Mandate wie ein Schwarm von …

Heuschrecken. Das war vor einigen Jahren mal ein gängiges Bild.

Jedenfalls fressen Sie dieses Land kahl. Der Niedergang der Infrastruktur und der Bildung sagt alles über diese Politiker. Im Grunde ist die Disruption, um ein neues Modewort zu verwenden, schon lange im Gang. Die kleinteiligere Disruption, die die große Disruption vorbereiten soll, wie wir sie jetzt in den USA sehen. Dort schauen sich die Lobbys und rechten Thinktanks ab, was sie hier auch versuchen werden umzusetzen.

Halten wir fest, die Lage ist brandgefährlich, auch brandmauermäßig. Und gehen wir zu den Einzelthemen über.


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar