Bundestagswahl 2025 PPP Politik, Personen, Parteien, Demokratie

Wir hoffen, dass wir Ihnen einen unterhaltsamen Liveticker zur Bundestagswahl liefern werden – mit vielen Themen und natürlich mit persönlicher Kommentierung, dieses Mal in Form eines Interviews.
Das erste Update schreiben wir zunächst weiter, es wird also ständig in diesm Artikel ergänzt.
Die Vorwahlberichterstattung »X Tage vor der Wahl« haben wir gestern abgeschlossen.
23.02.2025
12:30. Derweil scheint der Demokratie-Totalschaden in Österreich erst einmal abgewendet. FPÖ-Chef Kickl wird nicht Kanzler werden. Vorbild für die nun folgenden Koalitionsverhandlungen in Deutschland?
Hoffentlich nicht. Erst haben sich ÖVP, SPÖ und die anderen nicht gegen die FPÖ zusammenraufen können, dann hat es mit der ÖVP und der FPÖ auch nicht geklappt, jetzt der zweite Anlauf der sozusagen Volksfront gegen ganz rechts. Man müsste sich die Positionen der dortigen Parteien mal genauer anschauen, ob die auch alle so nach rechts gewandert sind wie hier, aber die FPÖ war bei den letzten Wahlen schon stärkste Partei und ist viel länger etabliert und tiefer im System verwurzelt als die AfD, im Grunde schon seit der Zeit von Jörg Haide in den 2000ern, der sie nach rechts getrieben hat. Damals gab es in Deutschlandn noch gar keine relevante ganz rechte Partei.
Eine Bewegung, die die FDP übrigens nachvollzieht, aber um auch so zu wachsen wie die FPÖ nach diesem Wandel, ist leider die AfD im Weg. Der Platz des Originals ist jetzt besetzt, und die Union wird sich noch wundern, wie es ihr bei kommenden Wahlen schaden wird, dass sie vesucht hat, von der AfD abzuschreiben. Aber vielleicht haben einige ihrer Politiker schon ein Ticket für einen Wechsel zur AfD in der Schublade und verhalten sich deshalb bewusst so, dass sie nicht nur das Land, sondern auch ihre Partei spalten. Die AfD braucht nur noch etwas mehr Hoffähigkeit bei den eher elitären Rechten aus dem Erbmilliardärswesen und den Konzernen, die sich immer so zieren, wenn es darum geht, direkt zuzugeben, was sie von der Demokratie halten. Es drückt sich aber in ihren Forderungen gegenüber der arbeitenden Bevölkerung gut aus.
Dass da AfD drinsteckt, wird nicht direkt gesagt, es gibt noch ein schmales Deckmäntelchen. Die AfD weiß schon, warum sie diesen Leuten buchstäblich das Blaue vom Himmel verspricht. Wenn das auch bei den verkappteren Snob-Rechten transportfähig im Sinne von offen propagierbar geworden ist, kann die Union im Grunde weg. Von einem christlichen Ansatz ist sie jetzt schon so weit entfernt wie vom Mond. Dieses C im Namen wird immer peinlicher.
11:30. Und hier noch einmal Infos zum Wahlkampfabschluss mit ein paar aufschlussreichen Einlassungen. Was sagen wir den Unentschlossenen, nachdem wir es schon hinter uns haben, das Wahllokal?
Gehen Sie bitte wählen und denken Sie daran, dass rechter Populismus noch nie Probleme gelöst hat! Schauen Sie sich die Leute an, die zur Wahl stehen. Wem vertrauen Sie wirklich?
Was mir gerade so einfällt, bei dem Stichpunkt: Wir haben dermaßen oft Wahlen, allein im letzten September drei Landtagswahlen im Osten. Zwei davon wenigstens am selben Tag. Und dann gibt es noch die vielen Kommunalwahlen. Ich halte die Idee für überlegenswert, dass man die Termine der Landtagswahlen zu einem zusammenfasst. Das würde für einmal ungleich lange Legislaturperioden bedeuten, bis man es so eingerichtet hat. In Deutschland ist ständig Wahlkampf, während die Autokraten dieser Welt ungestört vor sich hin regieren, manipulieren und strategisch unterwegs sein können. Diese Zusammenfassungslösung wäre kein Verlust an demkratischer Legitimität, aber viel effizienter als das jetzige System, auch wenn es auf den ersten Blick spannend sein mag, ständig über Wahlen zu berichten.
Und damit könnte man den Mangel an Strategie beheben?
Der Mangel an strategischem Denken in Deutschlands Politik hat viele Ursachen, eine davon ist sicher der permanente Wahlkampmodus, der die Sicht auf längerfristige Aufgaben versperrt und Opportunismus fördert. Das ist wie mit Unternehmen, die nur an die nächsten Quartalsergebnisse denken, um die Aktionäre zu befriedigen, damit sie an der Börse performen und nicht eins aufs Dach von den Anteilseignern bekommen – anstatt langfristig planen zu können, was auch einschließen würde, dass man in Phasen großer Zukunftsinvestitionen einen schmäleren Gewinn hat, dafür aber auch in zehn Jahren noch sicher am Markt sein wird.
11:10. Hier gibt es seriöse Infos mit allen wichtigen Daten und Fakten zur Wahl:
- ARD-Tagesschau: Was bei der Wahl heute wichtig ist.
- ZDF: wichtiges Wahlwissen und nützliches Wahlwissen.
10:40. Noch einmal neue Trends: Die Wahlkreisprognose.
- Union: 29,0 (-1)
- AfD: 21 (+1)
- SPD 15 (-1)
- Grüne 13
- Die Linke 8 (+1)
- BSW 3 (-1)
- FDP 5
Der Ost-West-Gegensatz könnte krasser nicht sein. Der Osten ist fast komplett-AfD-blau. Gegensatz allerdings ist auch wieder relativ, denn der Westen ist weit überwiegend schwarz, und so weit liegen die beiden Parteienformationen ja nicht mehr auseinander, inhaltlich. Und: Viele Unionswahlkreise im Westen gelten als gesichert für die Schwarzen, während die Mehrzahl der Ost-Wahlkreise für die AfD noch nicht als eingetütet gilt – laut Grafik. Die Linke gewinnt wahrscheinlich zwei Wahlkreise, ein dritter könnte hinzukommen. Unglaublich, wie schwach die SPD mit nur einem sicheren Wahlkreis nach dieser Prognose dasteht.
Aber: Olaf Scholz liegt in seinem Landkreis Potsdam-Mittelmarkt gut vorne, mit einer Prognose von 55 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit.
Die Linke wird vermutlich sogar mehr Direktmandate holen als 2021, als sie genau jene drei erreichte, die dafür notwendig waren, um trotz der knappen Verfehlung der 5-Prozent-Hürde (Ergebnis: 4,92 Prozent) wieder in den Bundestag einzuziehen:
Mittlerweile gehen die Umfragen davon aus, dass die Linke diesmal deutlich mehr als fünf Prozent bei der Bundestagswahl erreichen wird. Laut den Zahlen von „election.de“ dürften allerdings auch die drei Direktmandate sicher sein: Demnach sind Siege für Gregor Gysi (Berlin-Treptow-Köpenick) und Sören Pellmann (Leipzig II) sehr wahrscheinlich. Zudem soll der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow mit 62 Prozent Wahrscheinlichkeit in Erfurt – Weimar – Weimarer Land II gewinnen und die Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner mit 60 Prozent Wahrscheinlichkeit in Berlin-Lichtenberg. (Indirekte Quellenangabe).
Das BSW ist nach der Wahlkreisprognose chancenlos, die drei Prozent sind der niedrigste Wert, den wir bisher gesehen haben, seit die Partei gegründet wurde. Die FDP könnte es aber schaffen. Seien Sie ein netter Mensch, verhelfen Sie ihr nicht dazu, dass wir wieder Leute wie Lindner und Kubicki auf diesen blauen Sitzen sehen, mit der AfD und der CDU/CSU werden wir schon Rechte zuhauf ertragen müssen. Und verschenken Sie nicht ihre Stimme. Was wir heute gesehen haben, als wir gewählt haben:
Das BSW hat es nicht geschafft, in unserem Wahlkreis eine:n Direktkandidat:in aufzustellen, obwohl fast alle früheren Funktionsträger der Linken im Bezirk dorthin gewechselt sind, wohingegen wir von dem Direktkandidaten der Linken erstmals auf einem Wahlplakat gelesen haben. Das ging uns bei den Kandidat:innen der Grünen, der FDP und der SPD auch so, aber von der Linken und dem BSW haben wir eine etwas tiefere Kenntnis. Mit sich abschwächender Tendenz, mangels direkter Kontakte in letzter Zeit. Und bei der SPD ist Kevin Kühnert ausgefallen, das schwächt ihre Chancen und leider sieht die Wahlkreisprognose den CDU-Direktkandidaten, wie erwartet, mit Abstand vorne (67 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit).
10:30. Scholz will als einfacher Abgeordneter im Bundestag bleiben, wenn er die Wahl verliert.
Ich gehe auch davon aus, dass er die Koalitionsverhandlungen der SPD mit dem Mini-Trump nicht mehr führen wird und nicht Minister unter Merz werden wird. Wie es frühere Kanzler und die eine Kanzlerin gemacht haben, steht auch in dem Artikel. Ich glaube, wenn ich mal Kanzler gewesen wäre und abgewählt wurde, hätte ich keine Lust auf hintere Bank. Kohl hat es aber so gemacht, Scholz will es auch so halten.
10:10. Merz, der Mini-Trump, heißt es in diesem Artikel, bezogen auf SPD-Aussagen.
Wenn Deutschland die Power der USA hätte und Merz die Power eines Präsidenten in diesem System, dann würde er die gleiche Politik machen. Das ist mir nicht erst seut heute und diesem Artikel geläufig. Diese Leute sind hochgefährlich für die Stabilität der Demokratie. Dieser Mensch wird das Land nie einen, das will er auch garnicht. Genau, wie Trump auch als Präsident weiter polarisiert und bereits Minderheiten und Schwächere massiv angreift.
Man darf gar nicht erst davon ausgehen, dass Merz glaubt, ein Kanzler muss für alle da sein, das ist ein Idealbild, das der neuen ganz rechten CDU fern ist. Ich glaube auch nicht, dass Merz nach dem Wahlkampf plötzlich ein Staatsmann wird. Die Leute müssen dringend aufpassen, wen sie da wählen. Schwächere, Minderheiten, die normalerweise durch eine Demokratie geschützt werden, werden dem sogenannten Mehrheitswillen geopfert, wie schon einmal in Deutschland. Auch wenn es nicht zu Millionen von Toten dadurch kommen wird. Es sei denn, wir werden durch diese Politik auch in den Krieg hineingezogen. Ausschließen kann man das nicht.
Wer nach den Vorfällen im Bundestag vom 29.01 und 31.01. noch nicht glaubt, dass Merz die Verfassung aushöhlen will, der hat Probleme mit seinen Ohren, hat die laut schallenden Alarmglocke noch nicht gehört.
10:00. Machen wir auch heute den Umfragencheck gemäß Zeit-Panel?
Es gibt tatsächlich wieder neue Umfragen, seit gestern, die das Bild leicht verändert haben. In Klammern die gestrigen Werte.
- Union: 30,0 (30,0)
- AfD: 20,5 (20,5)
- SPD 15,3 (15,4)
- Grüne 13,2 (13,2)
- Die Linke 7,0 (6,8)
- BSW 4,4 (4,4)
- FDP 4,3 (4,3)
Erstaunlich, wie die Linke im Moment jeden Tag zulegt. Die Veränderung sind natürlich nicht riesig und betreffen nur die SPD und die Linke. Ich lerne immer noch hinzu. Das INSA-Institut, mit dem die Springerpresse arbeitet, hat wohl einen Merger hinter sich und heißt mit vollem Namen INSA-Consulere. INSA steht für Institut für Neue Soziale Antworten. Na bitte. Aus den Umfragen ergeben sich indirekt Antworten, wenn sie sich am Wahltag als richtig erwiesen haben.
09:30. Es wird viel versprochen und behauptet, im Wahlkampf, was nicht ganz oder gar nicht stimmt. Hier eine kleine Zusammenfassung (Berliner Tagesspiegel, abgeleitete Quelle).
Wenn man da noch die Behauptungen und Versprechungen auf den Wahlplakaten hinzunimmt, die wir gestern und vorgestern angeschaut haben, wird es dramatisch. Wir wollten ja noch einmal ergänzen, wenn die Zeit dafür ausreicht, und da wir heute schon so früh wählen waren, links haben wir wieder eines abgebildet. In einer Sache macht allerdings kaum jemand die wahre Rechnung auf.

Bei den Ukrainehilfen muss man auch die wirtschaftlichen Schäden einrechnen, die hierzulande durch die gegebene Handhabung dieses Krieges entstanden sind, dann kommt man sehr wohl auch in Relation zum BIP auf einen europäischen Spitzenwert. Was auch nie jemand berücksichtigt: Bei den massiven Hilfen seitens der EU ist Deutschland wieder dabei, und zwar an erster Stelle. Das ist keine Aussage darüber, ob diese Hilfe gerechtfertigt ist, nur eine Feststellung. Man soll diese Hilfe nicht immer so kleinrechnen. Manche Medien rechnen nicht einmal die Kosten für 1,2 Millionen Geflüchtete ein. Das Gesamtpaket aus Hilfen und ökonomischen Nachteilen beläuft sich mittlerweile auf über 100 Milliarden Euro. Konservativ geschätzt.
Jetzt aber bitte zu dem Wahlplakat.
Wir bilden ja immer alles ab, aber hier geht es nicht um den freundlichen Grünen-Politiker, sondern um den düster schauenden Menschen darüber, der uns sagen will, der macht sich Sorgen über die Schulden der Kinder. Dieser Mann ist ein Disruptions-Politiker. Er hat die Ampel disruptiert und will den gesamten Staat handlungsunfähig machen. In der Tat, die Kinder werden es abbekommen, wenn weiterhin die FDP Investionen in Bildung und Infrastruktur verhindert.
Die Zukunftsschäden für das Land werden in die Billionen gehen, wenn jetzt nicht Milliarden in die Hand genommen werden. Entziehen können sich diesem Desaster nur die Reichen, die alles privat organisieren können. Jetzt auf der Schuldenbremse zu bestehen, ist nicht verfassungsgemäß, sondern verfassungswidrig auf einer höheren Ebene: Die Chancengleichheit und die allgemeine Handlungsfreiheit, die Freiheit der Berufswahl und sogar die Menschenwürde werden mit Füßen getreten, wenn man alles so weiterlaufen lässt wie bisher und gezielte Zukunftsinvestitionen verhindert. Auch in der Union gibt es viele, die diese Disruptionspolitik à la wir trocknen den Staat aus fahren möchten. Sie wissen genau, dass viele dann der Demokratie als System die Schuld geben werden und nicht den Politikern, die diese Demokratie im Verein mit dem Kapital gerne loswerden möchten, denn ohne Schutz durch den Staat und ohne Demokratie hat das Kapital endgültig freie Bahn, um mit uns zu machen, was es will. Diese Gründe hinter vorgeblichen Hausfrauen-Spins von der FDP müssen unbedingt gesehen werden.
Dabei sind es nicht einmal Hausfrauen-Spins. Zumindest nicht, wenn die Hausfrau mit ihrem Mann zusammen in ein eigenes Haus investiert. Zukunftsinvestition mit Schulden in der Gegenwart.
Genauo so ist es. Das Beispiel mag ich nicht besondrs, weil dieses eingezäunte Eigentum mit die Wurzel allen Übels ist. Es macht Menschen konservativer und politisch träger. Der Witz ist, die Rechten kriegen es nicht mehr hin, es zu fördern, immer weniger Menschen können sich neues Wohneigentum leisten. Mancherorts sinkt die Eigentumsquote sogar und immer mehr freidrehende Großwohnkonzerne, die Rendite an Kapitaleigner in aller Welt abliefern müssen. Dafür werden die Mieten ständig hochgetrieben, anstatt wenigstens in die Häuser konsequent zu investieren, bestimmen das Bild. Das gefällt den Rechten von FDP, CDU, AfD noch viel besser als das konservative Kleineigentum, das Menschen ja bis zu einem gewissen Grad auch unangreifbar macht.
08:16 / 08.31. Gewählt. Wieder am Schreibtisch.
Es war schon einiges los, alle Kabinen waren besetzt, als ich ins Wahllokal kam. Aber keine Schlange. Die Basis-Selbstermächtigung eines Menschen in der Demokratie ist vollzogen. Und gleich eine inständige Bitte: Gehen Sie wählen! Es ist so wichtig. Jetzt oder nie, sonst wird das »Nie wieder« bald Geschichte sein. Und ich habe einen dummen Fehler gemacht.
Oh, oh. Einen Kommentar dazu geschrieben, weil wir ja immer kommentieren? Das darf man auf einem Stimmzettel nicht. Oder beim Ankreuzen vertan?
Kann man so sagen, wenn auch nicht im Sinne von sich verschreiben bzw. in der Zeile verrutschen. Es sind ja zwei Kreuze gewesen. Und eines war tatsächlich … Mannomann! Ich hätte dieses Mal zwischen Erst- und Zweitstimme splitten müssen. Ich glaube nicht, dass der Kandidat / die Kandidatin der Partei, der ich beide Stimmen gegeben habe, Chancen auf das Direktmandat in meinem Berliner Wahlbezirk hat. Die Erststimme hätte ich jemandem geben müssen, der mehr Aussichten auf den direkten Einzug in den nächsten Bundestag hat, um dabei zu helfen, diesen CDU-Kandidaten zu verhindern, über den wir hier geschrieben haben. So ein taktischer Fehler darf mir nicht passieren. Macht der Gewohnheit. Ich habe noch nie gesplittet. Nicht einmal bei der Steuer. Stundenlang am Tag über Politik nachdenken, und dann so ein Anfänger-Lapsus.
Gefängnisstrafe gibt es dafür nur, wenn es wirklich an dieser einen Stimme gelegen hat, dass die Mission »Rechtsruck verhindern« gescheitert ist. Außerdem hat der gemeinte Unionskandidat einen sicheren Listenplatz.
Es ist eine Frage der Ehre, so jemandem nicht indirekt zu helfen. Ich kann nur meine eigene Stimme ernst nehmen und sie als wertvoll ansehen, was andere tun, darauf habe ich bedauerlicherweise keinen Einfluss.
Und der Wahlberliner?
Bisher weiß ich von genau einer Person sicher, dass ihr meine Artikel bei der Wahlentscheidung geholfen haben, außer mir selbst. Ich habe mich in die Entscheidung hineingeschrieben.
Wie wär’s mit einem Podcast auf TikTok?
Ab nächster Woche. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Quatsch. Der Aufwand dafür ist ja nicht von Pappe, und ein paar Zeilen schreiben ist nun einmal leichter, das kann man nachmittags oder am Abend ohne größere Vorbereitung, falls kein Rechercheaufwand anfällt. Aber man soll wirklich niemals nie sagen. Wer weiß, was man noch alles tun muss, um die Demokratie zu retten.
Auf die Barrikaden gehen, wie Frau Reichinnek.
Ich hoffe wirklich, die Linke schafft es, im Bundestag zu bleiben. Zur Demokratieverteidigung reicht das zwar nicht aus, aber es gibt wenigstens einen Anker der Hoffnung in diesem Parlament, das auf jeden Fall einen Rechtsruck sehen wird. 10 Prozent mehr für die AfD, 5 Prozent mehr für die Union als letztes Mal, dafür 5 oder 6 Prozent weniger für die FDP, grob geschätzt. Das ist ein Plus von 9 bis 10 für die Rechte. Von wegen die Zeichen stehen auf Rot-Rot-Grün, wie jetzt in einigen Artikeln zu lesen ist. Das ist Clickbait-Tünkram. Wir machen mal eine kleine Pause, der zweite Kaffee ruft.
7:00. In einer Stunde öffnen die Wahllokale.
Schlafstörungen wegen einer Wahl, das hat es auch noch nie gegeben.
Wirklich wegen der Wahl?
Schon seit gestern. Aber heute war es wirklich massiv. Da können wir uns auch früh hinsetzen und den Liveticker vorbereiten. Und so früh wie möglich zur Wahl gehen. So früh wie noch nie vermutlich.
Warum die Schlafstörungen?
Ich habe mir noch nie solche Sorgen gemacht. Sicher ist es auch persönlich derzeit trubelig, aber das war eigentlich ganz gut im Griff. Ich möchte auch in den nächsten Jahren in einer Demokratie aufwachen. Eigentlich für immer. So viele Jahre war alles, was jetzt läuft, unvorstellbar. Ich glaube, man muss schon eine Zeitlang dabei sein, um zu vollständig begreifen, dass alles, was dieses Land lebenswert gemacht hat, in großer Gefahr ist.
Wann war die Gefahr erkennbar?
Das kann ich für mich ziemlich genau datieren. Es war noch vor der Bundestagswahl 2021, im Februar 2020. Als in Thüringen die FDP plötzlich einen Ministerpräsidenten stellte, der von der CDU und der AfD gewählt wurde. Danach starteten wir unsere Serie“Diskursverschiebung nach rechts«, vier Artikel gab es dazu. Und jetzt geht alles so schnell.
Der Eindruck kommt aber wohl auch von den Ereignissen in den USA.
Das spielt natürlich eine große Rolle. Wir sehen in Echtzeit, was hier auch passieren könnte. Nicht so schnell, aber auch unsere Institutionen sind nur so gut, wie sie mit Leben gefüllt werden. Wenn niemand sie verteidigt, möglicherweise nicht einmal ihre Angehörigen, dann ist die Demokratie ganz schnell weg. Besonders das Bundesverfassungsgericht habe ich dabei im Auge. Es wurde zwar bezüglich seiner Verfahren gerade etwas gestärkt, aber was, wenn die ziemlich konservative Besetzung dieses Gerichts das Grundgesetz biegt ohne Ende? Es ist gar nicht so viel anders als in den USA. Seit Jahren schieben die Rechten einen Richter nach dem anderen da rein, der das Gericht konservativer macht. Dazu hatten sie ja eine ewige Regierungszeit. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung, besonders im Verwaltungsbereich, ist oft geradezu reaktionär.
Wann hatte die deutsche Demokratie ihren Höhepunkt?
Der Wendepunkt war 1973/74. Gesellschaftspolitisch gab es seitdem natürlich noch Fortschritte, aber Deutschland verliert immer wieder in Schüben an Exzellenz, demokratischem Wagemut, Erneuerungsfähigkeit, Zukunftsorientierung in der Wirtschaft, in der Politik, im Allgemeinen. Die Merkel-Jahre haben endgültig den Boden für das bereitet, was wir jetzt sehen. Die Wähler:innen wollten es so. Das muss man klar sagen.
Deswegen kann man nicht von einer gesunden Gesellschaft sprechen, die in der Lage ist, sich immer wieder selbst neu zu erfinden, wie in anderen Ländern. Dieser Faden ist mit der Nazizeit und im Osten zusätzlich durch die nächste Diktatur gerissen. Das merkt man jetzt erst richtig. Wir haben keinen einzigen Politiker, der dafür steht, wenn es um das Wiedererstarken des Zusammenhalts durch ein fähiges Zukunftsnarrativ geht. Deutschland hat keine Story mehr, seit der Wiedervereinigung, weiß nicht, was es sein will, wo es hinwill. Aber dieses mentale Desaster können wir heute nicht vertiefen.
Man soll andere Länder nicht idealisieren, dort geht es auch nach rechts, oder? Aber zu dieser Jahreszahl: das heißt, es geht seit über 50 Jahren abwärts?
Ich orientiere mich an den Besten. Im Grunde wäre das Potenzial vorhanden gewesen, zu den Besten zu gehören. Zur Jahreszahl: Nicht linear natürlich, aber im Weltvergleich fällt Deutschland seitdem zurück. Wir werden in den nächsten Jahren auch weitere Abstiege in allen wichtigen Indizes sehen. Demokratie, Freiheit, Korruption, alles, was wichtig ist, damit man sagen kann, die Politik ist für die Menschen da, nicht, die Menschen müssen eine nur kleinen Minderheiten dienende Politik durchschleppen. Gerade die Hetzer und Spalter sind die größten Parasiten. Sie saugen Honig aus der Unfähigkeit der Menschen, sich gegen sie zu wehren. Sie besetzen Ämter und Mandate wie ein Schwarm von …
Heuschrecken. Das war vor einigen Jahren mal ein gängiges Bild.
Jedenfalls fressen Sie dieses Land kahl. Der Niedergang der Infrastruktur und der Bildung sagt alles über diese Politiker. Im Grunde ist die Disruption, um ein neues Modewort zu verwenden, schon lange im Gang. Die kleinteiligere Disruption, die die große Disruption vorbereiten soll, wie wir sie jetzt in den USA sehen. Dort schauen sich die Lobbys und rechten Thinktanks ab, was sie hier auch versuchen werden umzusetzen.
Halten wir fest, die Lage ist brandgefährlich, auch brandmauermäßig. Und gehen wir zu den Einzelthemen über.
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