Filmfest 1320 Cinema – Die große Rezension
Ein bestimmtes Gefühl nach wenigen Szenen
Das Geheimnis von Malampur (englisch The Letter ‚Der Brief‘) ist ein US-amerikanisches Filmdrama des Regisseurs William Wyler. Das Drehbuch des 1940 entstandenen Films basiert auf dem gleichnamigen Werk von W. Somerset Maugham, das dieser 1926 als Kurzgeschichte und dann 1927 als Theaterstück publizierte. Der Film kam 1949 in die deutschen Kinos.
Wir hatten einige Sekunden vom Vorspann verpasst, unter anderem die Stelle, an welcher der Regisseur und der Kameramann genannt wurde. Das machte den Film doppelt spannend. Weil wir sofort eine sehr starke Handschrift spürten. Wer konnte für diesen frühen Film Noir verantwortlich zeichnen? Für die exzellente Bild- und Setgestaltung, die Komposition – und natürlich für die Schauspielerführung. Bette Davis ist immer für eine Topleistung gut gewesen, aber hier spielt sie außergewöhnlich intensiv in einer dieser düsteren Rollen, die ihr lagen wie keiner anderen Hauptdarstellerin der Zeit: Eine Mörderin, die ihre Tat als Notwehr darstellen will.
Das Spiel von Licht und Schatten, die Farbsymbolik von Kleidungsstücken in einem Schwarzweißfilm, die Inszenierung, die jedwede Ruhe bewahrt und gerade dadurch eine große dramaturgische Wucht gewinnt, wer war’s? John Ford hatte einen anderen Stil und zeichnete im selben Jahr für den großartigen „Früchte des Zorns“ verantwortlich.
Der Film weist Züge deutscher Bildgestaltungskunst auf. Die Szene, in der Davis in einem Spitzenschleier bei ihrer Rivalin erscheint, hat uns an Douglas Sirk (Detlef Sierck) und seine bedeutungsvolle und an Ornamenten reiche Ausstattung von Frauengestalten erinnert, aber diese Verschleierung ist hier Camouflage, steht für eine Verkleidung, wie sie bei Sirk nicht vorkommt und bricht das, was sie suggerieren soll, gleich mehfach. Wir werden uns in der Rezension damit beschäftigen.
Gewiss lag mit W. Somerset Maughams Vorlage ein Stück Literatur vor, das den Film begünstigte. Maugham ist großartig verfilmbar, vor allem die kürzeren Werke, die nicht erst mühsam, wie viele literarische Großereignisse, auf den Kern gebracht werden müssen, woraufhin man sich trefflich darüber streiten kann, ob ein Film einem dicken Buch gerecht werden kann, welches ohnehin jeder anders liest. Doch jede literarische Vorlage, auch eine besonders geeignete wie die Kurzgeschichte „The Letter“, bedarf einer versierten Umsetzung, um ein so guter Film zu werden wie dieser, dessen deutscher Verleihtitel „Das Geheimnis von Malampur“ zu umständlich und am Kern vorbei gestaltet ist.
Wir wollen unsere Leser nicht länger auf die Folter spannen: Der Film ist von William Wyler, der als Willi Wyler (mit „y“ gesprochen) im Jahr 1902 als Sohn eines Schweizers und einer Deutschen in Mühlhausen im damals deutschen Elsass geboren wurde. Selbstverständlich kannte Wyler die in Deutschland entwickelte expressionistische Filmsprache, auch wenn er schon 1920, einem Angebot des Universal-Chefs Carl Laemmle folgend, in die USA ging. Er verstand die sehr effektvollen Spiele, die „Schatten ins Licht brachten“, wie ein Sachbuchtitel zum Thema es ausdrückt und die den amerikanischen Film Noir so nachhaltig geprägt haben. Es ist sein Verdienst, durch „The Letter“ zu ihrer Adaption ins amerikanische Kino der 40er Jahre beigetragen zu haben.
Er besaß eine weitere, für seine Art zu filmen wichtigere Gabe. Er konnte mit Schauspielern. Obwohl oder vielleicht weil er sie oft sehr viele Wiederholungen einer Szene spielen ließ, bis er mit der Ausführung zufrieden war. Er holte das Beste aus den Stars, und er arbeitete meist mit Topstars. Er gewann drei Oscars als Regisseur für den besten Film und seine Stars fuhren 14 Darsteller-Oscars ein, weitaus mehr als unter jedem anderen Regisseur bis heute. Langfristige Zusammenarbeit mit bestimmten Hauptdarstellern, wie andere Regisseure sie pflegen, ist daraus nie erwachsen. Sicher war es anstrengend, mit diesem Perfektionisten und für ihn anstrengend, sich immer wieder auf neue Darsteller zu fokussiern – aber eine Herausforderung, die er großartig bewältigt hat. Und sicher ist, dass durch den Wechsel des Personals keine Routine im negativen Sinn aufkommen konnte.
Handlung (1)
Leslie Crosbie, die Ehefrau eines Plantagenbesitzers in Malaysia, erschießt Jeff Hammond und beruft sich auf Notwehr. Ihr Mann Robert lässt den Anwalt Howard Joyce einfliegen. Sein Angestellter Ong Chi Seng informiert den Anwalt über einen Brief. In dem Brief lädt sie Hammond zu einem Besuch bei ihr ein. Joyce konfrontiert Leslie mit dem Brief und versucht ein Mordgeständnis aus ihr herauszuholen. Doch Leslie kann den Anwalt dazu bringen, den belastenden Brief zu kaufen. Der Brief befindet sich im Besitz von Hammonds Witwe, die von Leslie persönlich 10.000 Dollar erhalten will. Das Geschäft wird vollzogen, Leslies Ruf ist bereinigt.
Als Robert eine weitere Plantage kaufen will, fällt ihm der Fehlbetrag von 10.000 Dollar auf. Er befragt seine Frau, die daraufhin ihre Schuld gesteht. Robert vergibt ihr, doch Mrs. Hammond kann dieses nicht und rächt sich, indem sie Leslie ersticht.
Rezension
Es geschah nicht auf einen Schlag
Vielfach wird „The Maltese Falcon“ (1941) von John Huston als der erste echte Film Noir des amerikanischen Kinos angesehen – stilistisch und inhaltlich. Das stimmt so nicht, auch wenn Humphrey Bogart in ihm einen neuen Typ von gebrochenem Charakter zu großer Kunstfertigkeit führt – in Person des Detektivs Sam Spade, dessen lakonische Art stilbildend für eine Spielart des Film noir werden sollte.
Wenn man die Charaktere betrachtet, ist zum Beispiel der Malteser Falke noch von vielen Grautönen durchsetzt. Nicht so „The Letter“. So rücksichtslos böse und doch auf eine aus heutiger Sicht noch menschlich und verständlich war eine Hauptdarstellerin bis dahin selten gezeigt worden. Mit solchen Filmen konnte man sich auch die Karriere ruinieren, doch Bette Davis war schon zuvor in „Jezebel“ (1938, ebenfalls unter der Regie von William Wyler) und 1939 in „The Old Maid“ eine Grenzgängerin geworden, in letzterem Film so gut und verzichtgeneigt, dass es schon fast wieder furchteinflößend wirkt – und wurde in den 40ern das erste richtig böse Mädchen Hollywoods.
Ihr Charakter Leslie Crosbie in „The Letter“ führt auf der moralischen Ebene abwärts zur phänomenalen, noch ruchloseren Phyllis Dietrichson, die von Barbara Stanwyck in „Double Indemnity“ (1944) verkörpert wird. Eine der großen Schauspielerinnen der Zeit musste den Stein ins Rollen bringen. Jemand musste damit anfangen, psychologisch schwierige und moralisch verwerfliche Frauenfiguren auf die Leinwand zu bringen, welche Frau in Hollywood mit Star-Appeal sollte das tun, wenn nicht Bette Davis?
Sie war auch im Leben eine nicht einfache Person und stritt sich gerne am Set über die Interpretation ihrer Figuren. So auch mit William Wyler ein Jahr nach „The Letter“ während des Drehs für „The Little Foxes“, da quittierte sie für zwei Wochen den Dienst. Der Film wurde ein weiterer großartiger Erfolg, und brachte ihr den Hauptdarstellerinnen-Oscar (für den sie auch mit „The Letter“ nominiert war).
„The Letter“ ist wirklich ein schwarzer Film, auch wenn er überwiegend gute Menschen zeigt. Eine Davis reicht, um alle Männer in ihren weißen Anzügen (bildsprachlich: weißen Westen) zu kompensieren. Sie trägt ein dunkles Kleid, als sie mordet, versteckt sich hinter weißen Spitzen, als sie ihr Motiv zu verschleiern sucht und stirbt in einem sehr eleganten und in einem Farbfilm vermutlich glühend roten Abendkleid durch einen Messerstich. Fantastisch, weil damals in Hollywood neu auch die Szene, als sie in einer weißen Bluse auf der Veranda steht und die Schatten der Außenjalousien dunkle Querstreifen über ihren Körper und ihr Gesicht legen (Titelfoto). Sie trägt weiß, aber die dunklen Schatten der Tat liegen schon auf ihr – gleichzeitig gelten diese Streifen in der Filmsprache als Kennzeichen für das gefangen sein, das sich abzeichnet. Hier das Gefangensein in der eigenen Seele, nach der eigenen Tat oder ein Hinweis auf das Ende.
Alles ist auf diese Figur konzentriert, auch wenn die männlichen Schauspieler durchweg annehmbare Leistungen abliefern. Nur, wenn sie im Bild ist und mit ihren großen Augen in die Nacht starrt, macht der Nachthimmel mit, indem er den Mond freigibt oder nicht. Das Dunkel der wolkenverhangenen Nacht schützt sie innerlich und äußerlich, die hellen Momente werfen Schlagschatten auf ihren Charakter und das, was sie tat, nämlich ihren Geliebten mit sechs Schüssen niederzustrecken, während ihr Mann auf Dienstreise war.
Der Film Noir hat sich über die Jahre entwickelt, wurde schärfer und dreidimensional, mit großer Tiefenschärfe oder, wie in „The Letter“ mit bewusst sehr fokussierter Perspektive und verschwommenen Figuren und Gegenständen im Vordergrund gefilmt. Es geht nicht so ins Subjektive und erst recht nicht in verzerrte Bildperspektiven, wie wenig später in Orson Welles‘ „Citizen Kane“, aber die Formensprache von „The Letter“ ist für 1940 sehr modern und ausgefeilt.
Weniger ist mehr, wenn man sich darauf konzentriert
Von späteren Filmen der schwarzen Serie unterscheidet sich „The Letter“ aber in mehrerer Hinsicht. Da ist zum einen seine Eleganz, die an Hithcocks „Rebecca“ erinnert, diese wiederum korrespondiert mit dem Kolonialherren-Milieu auf einer Gummiplantage in der Nähe von Singapur (welch Unterschied in der Darstellung eines Agrarunternehmens und der darauf lebenden Menschen zu einer ähnlich verorteten Unternehmung 1932 in „Red Dust“ – vor dem Hays Code war eben manches anders). Es gibt einige undurchsichtige Asiaten und honorige weiße Männer in „The Letter“, wie Leslies Mann Robert (Herbert Marshall) und den Anwalt Howard Joyce (James Stephenson). Letzterer korrumpiert sich, um den originaltitelgebenden Brief zu kaufen, der Leslie aufs Höchste belastet, um ihn vor der Staatsanwaltschaft zu verbergen. Ersterer muss dafür 10.000 Dollar bezahlen, damals etwa acht durchschnittliche amerikanische Jahresgehälter, und das ganze Ersparte, das er nach dem Freispruch für Leslie in eine neue Existenz stecken will, weil er am Ort des Geschehens nicht weiterleben mag.
Spätere Films noirs zeigen meist ein anderes Milieu. Erdiger, nachtclubseitiger, untergründiger, meist liegt das Zentrum jenseits des Gesetzes. Menschen, die vom Schicksal getrieben werden, Männer wie Frauen, die unausweichlich dem Tod geweiht sind, am Ende der schiefen Bahn. Hier ist es anders. Das Verhalten einer einzigen Person bringt eine kleine Welt von sehr zivilisierten Menschen ins Wanken, die anders in Ruhe hätte weiterbestehen können. Nicht das gesamte Szenario ist gefährlich, sondern diese eine Person. Einen dramaturgischen Schub einerseits, eine Moralisierung andererseits erfährt die Handlung durch den erwähnten Hays Code, der die Darstellung von Gewalt ebenso regelte wie er Sexuelles auf der Leinwand limitierte, nachdem die frühen 30er diesbezüglich zu einer der freiesten Perioden der Filmgeschichte geworden waren. Der Code, der 1934 bindend wurde, griff aber auch in die Stoffe ein.
In Maughams Vorlage kommt Leslie mit ihrer Darstellung einer versuchten Vergewaltigung und daraus folgender Notwehr durch, obwohl sie in Wirklichkeit ihren Liebhaber Hammond aus Eifersucht erschießt, weil dieser sich einer anderen Frau zuwendet und diese sogar heiratet. In einem codierten Film ging das nicht an, sie musste als moralisch verwerfliche Person sterben.
Damit wird das Ende aus heutiger Perspektive zwar einer reizvollen Version beraubt, aber auch richtig überraschend. Dass die Frau von Hammond ihr trotz der 10.000 Dollar, die sie für die Herausgabe des Briefes einfordert und erhält, nicht vergibt, sondern sie am Ende umbringt, ist nicht vorhersehbar gewesen. Die Auflösung kommt zudem abrupt und wirkt psychologisch nur bedingt stimmig. Effektvoll ist sie auf jeden Fall und macht den Film aus heutiger, an unzensierte Produkte gewöhnter Sicht noch düsterer und dramatischer.
In mir tobt das Drama
Darüberhinaus ist das Drama in der Person der Leslie Crosbie angelegt, die es sich sogar leisten kann, mit ihrer limitierten Schönheit zu spielen, als sie die Szene darstellt, die angeblich zur Vergewaltigung geführt hat. Man muss sich diese Schilderung nach wenigen Minuten Spielzeit ins Gedächtnis rufen, nachdem der Film zu Ende ist, um zu verstehen, wie Leslie mit sich und anderen spielt und doch ganz, ganz ernst und vollkommen rachsüchtig viel mehr Kugeln in den Leib ihres sie fliehenden Liebhabers jagt, als es für dessen Tod notwendig gewesen wären – und als es der Glaubwürdigkeit der Darstellung einer Notwehrlage guttut.
Doch sie bringt die Männer in ihrer Umgebung, meist intelligtente Menschen, dazu, ihr zu glauben. Erst, als der gewitzte asiatische Adlatus des Anwalts Joyce den Brief ins Spiel bringt, gerät das Lügengebäude ins Wanken und die Handlung mit ihrem fatalen Ende kommt ins Rollen.
Was dieser Film dem Zuschauer vorenthält, ist das, was wir gerade daran mögen: Die Erklärung der Person Leslie Crosbie. Sie ist, wie sie ist. Wir erfahren nichts über ihre Biografie, nicht, warum sie so wurde. Die Geschichte zeigt keinen epischen Ansatz und das ist nicht zu ihrem Nachteil. Weil der Film auf einer Kurzgeschichte basiert (genauer: Einer Long-Shortstory), gibt es den großen zeitlichen Bogen nicht. Wir haben darüber nachzudenken, warum ein Mensch so handelt, wie Leslie handelt. Das ist ein Film für etwas elaboriertere Kinobesucher, die gerne darüber reflektieren oder diskutieren, wie sich Liebe in Hass verwandeln kann und wie jemand so von Rachsucht dominiert werden kann, dass er jemanden, den er liebt, ihn in eine Falle lockt, um ihn zu ermorden. Ein klassisches, wenn man so will, Eifersuchtsdrama. Aber ein exzellent gespieltes und bis auf das etwas holprige Ende konsequent gefilmtes.
Während man auf viele Films noir ein wenig mit Distanz blicken kann, weil die Figuren klar als von ihrer Herkunft und ihrem Milieu dominiert erscheinen, ist das hier nicht so leicht. Leslie hat zwar eine flirrende Ausstrahlung, und der Knalleffekt im wörtlichen Sinn, mit dem sie zu Beginn des Films die Schüsse abgibt, lässt schon darauf schließen, dass mit ihr möglicherweise etwas nicht stimmt, zu deutlich ist, dass sie noch schießt, als der Mann schon die Verandatreppe heruntergefallen ist und im Staub liegt. Aber sie ist eine in die Gesellschaft integrierte Frau.
Nichts lässt darauf schließen, dass eine zudem außereheliche Beziehung dazu führt, dass sie deren Ende nicht akzeptieren kann und den Liebhaber tötet. Mörder (-innen) wie Leslie sind nicht aus einer fremden Welt, welche die meisten von uns niemals kennenlernen. Sie könnte auch unter uns leben, jederzeit. Und wer von uns wäre bereit zu töten, wenn er die Courage dieser Frau hätte und sich außerdem, wie sie, zutrauen würde, das Ganze so darzustellen, dass das Verbrechen darin vertuscht wird, ohne dass an der falschen kausalen Urheberschaft des Todesfalles ein Zweifel bestünde?
Leslies kriminelle Energie wird durch keine Umstände entschuldigt oder moralisch gemildert, wie man es aus den im Halb- oder Unterweltmilieu angesiedelten Films noir kennt, das Drama ist nicht die Welt, die Menschen zu dem gemacht hat, was sie sind, sondern ausschließlich eine Person, die, so hat man doch das Gefühl, immer die Wahl hat, ob sie moralisch richtig oder falsch handelt. Sie ist bereits eine der selbstbestimmten Frauenfiguren, die in den 1940ern zunehmend die US-Filme bevölkerten. Wir werten die Varianten des Film Noir nicht und es ist schön, dass es sie alle gibt. Aber wir geben zu, dass wir von der Figur Leslie Crosbie fasziniert sind und Bette Davis endlich in einer Rolle sehen, in der für uns sichtbar wird, was diese Schauspielerin so berühmt und einzigartig gemacht hat. Man muss ihre Mörderin Leslie nicht mögen, aber man muss zugeben, dass man sich von ihr lieber um die Ecke bringen lassen würde also von irgendeinem heruntergekommenen Halunken und aus ganz niedrigen Beweggründen wie Habgier oder gar Opfer eines Triebtäters sein.
Alles geschieht aus einem wohl pervertierten, aber starken Gefühl heraus, das wiederum nicht in einer Affekttat mündet, sondern in einer geplanten, man kann sagen: Hinrichtung – und damit in einen Mord auch nach deutschen Recht. Damals bedeutet es in fast allen Rechtsordnungen die Todesstrafe, wenn ein Mensch eines solchen Verbrechens überführt wurde, was unter Vorlage des Briefes als Beweismittel bei der Staatsanwaltschaft und vor der Jury eindeutig der Fall gewesen wäre.
Till clouds roll by
Die Zahl der Handlungselemente von „The Letter“ ist begrenzt, der Film ist auch in der von uns gesehenen, bildlich sehr schön aufbereiteten Fassung einige Minuten kürzer als im Original (ca. 87 vs. 95 Minuten), was ihn wohl noch einmal dichter macht. Von mangelnder Dynamik haben wir nichts gespürt, auch wenn manche Szenen sehr ausführlich sind – etwa diejenige, als Leslie und Joyce zu Mrs. Hammond (Gale Sondergaard), der eurasischen Frau des ermordeten Liebhabers, fahren, um Geld gegen Brief zu tauschen.
Der gespenstische Auftritt dieses extravaganten Typs, die Art, wie sich die Spannung ganz langsam hochschraubt, als Mrs. Hammond verlangt, dass Leslie den Spitzenschleier vom Kopf nehmen soll (bildlich: Die Verkleidung) und diese am Ende den Brief vom Boden aufheben muss, ist ohne Worte verständlich und knüpft ohne Weiteres an die Ästhetik und Symbolik an, die im Stummfilm entwickelt wurde, um Situationen und Erklärungen zu gestalten und Menschen in Bezug zueinander zu setzen.
Die Anleihen beim expressionistischen Film der 1920er Jahre sind gerade in der Sequenz, die im Chinesenviertel spielt, unverkennbar, eine Prise Horrorfilm von Universal, der ersten Station des Regisseurs Wyler in Hollywood, ist ebenfalls in dieser Szenenfolge enthalten. Das Ende mit den lange vorbeiziehenden Wolken, mit Nachtlicht und Nachtschatten, in denen Leslie schon getötet ist, wirkt ein wenig sonderbar – normalerweise folgt nach dem Tod der Hauptfigur sofort das „The End“, wenn keine weiteren Charaktere mehr auftreten.
Finale
„The Letter“ brilliert durch seine Hauptdarstellerin ebenso wie durch filmische Exzellenz. Zwar hatte William Wyler bei diesem Film nicht mit dem berühmten und innovativen Kameramann Gregg Toland zusammengearbeitet, sondern mit Toni Gaudio, und der Score von Max Steiner ist nicht so prägnant wie der, den er ein Jahr zuvor für „Gone With The Wind“ schrieb. Die Dekors sind etwas sparsamer als in Historienproduktionen, aber effektvoll in Szene gesetzt, alles Bildliche fügt sich mit den Darstellungen der Schauspieler zu einer zurückhaltenden Form von Eleganz, heutigem Kino ebenso fremd ist wie der heutigen Realität.
Dass „The Letter“ bei den sieben Oscars, für die er nominiert war, komplett leer ausging, ist auch der sehr starken Konkurrenz dieses Filmjahres 1940/41 zuzuschreiben (so war z. B. der Gewinner in der Kategorie „Bester Film“ das Krimi-Melodram „Rebecca“, der erste US-Film von Alfred Hitchcock; in der Kategorie „Beste Regie“ verlor Wyler gegen John Ford und dessen epochales Sozialdrama „Grapes of Wrath“).
Es gibt im Grunde nur Details, die man kritisieren kann, nicht aber das Produkt als Ganzes. Für uns ist „The Letter“ ein wichtiges Werk des werdenden Film noir. Das neue Jahrzehnt brachte gegenüber den harten, aber herzlichen Filmen der 30er, die im Ganzen simpler gestrickt waren als die der folgenden Dekade, mehr Atmosphäre und viel Psychologie auf die Leinwand. In mancher Hinsicht sind Werke der 40er noch heute unübertroffen – es hat unseres Wissens auch keine spätere Adaption des Maugham-Stoffes fürs Kino gegeben, die mit der von 1940 vergleichbar wäre.
Da wir ohnehin die Grenze zum Feature „Die große Rezension“ überschritten haben (3.000 Wörter), was 2012, 2014 noch selten vorkam und auf eine gewisse Begeisterung für den Film schließen lässt, fügen wir als Extra für die Wiederveröffentlichung 2025 den in der deutschen Wikipedia enthaltenen Spiegel der Rezeption des Films bei, der unsere Wertung bestätigt.
Rezeption / Kritiken
Sowohl bei seiner Veröffentlichung als auch noch heute wird Das Geheimnis von Malampur mit wohlgesinnten bis begeisterten Kritiken bedacht, was sich auch in den Auswertungen US-amerikanischer Aggregatoren widerspiegelt. So erfasst Rotten Tomatoes ausschließlich wohlwollende Besprechungen und ordnet den Film dementsprechend als „Frisch“ ein.[3] Und Metacritic ermittelt aus den vorliegenden Bewertungen „Allgemeines Kritikerlob“.[4]
Bosley Crowther lobte in der The New York Times vom 23. November 1940 das „feine Melodram“, das die Hand des Regisseurs Wyler aus der altgedienten, recht morbiden Geschichte Maughams gemacht habe. Seine Kameraarbeit sei eloquenter als es die Charaktere im Film je sein könnten, und mit kleinen Details und viel Atmosphäre werde stetig die Spannung gesteigert. Bette Davis, Herbert Marshall, Sen Young und Gale Sondergaard seien alle überzeugend in ihren Rollen, wobei James Stephensons schlauer, würdevoller, in düstere Angelegenheiten hereingezogener Anwalt die interessanteste Figur des Films sei. Crowthers einziger Kritikpunkt war das durch den Hays Code aufgezwungene Filmende, an dessen Ende anstelle Maughams scharfer Ironie ein schwach wirkender Mord stehe.[7]
„Authentisch in der Milieuschilderung, atmosphärisch äußerst dicht, hervorragend gespielt.“ Lexikon des internationalen Films[8]
„Regisseur William Wyler verfilmte hier das Theaterstück The Letter von W. Somerset Maugham mit der überragenden Bette Davis in der Hauptrolle, die hier einmal mehr das hinterlistiges und durchtriebenenes Biest glänzt, die ihr gesamtes Umfeld hinters Licht führt.“ – Prisma[6]
„Das Geheimnis von Malampur kombiniert William Wylers geschmeidige Regie und eine gute Leistung von Bette Davis zu einem der besten Melodramen der Leinwand. Der Film zeichnet sich durch seine üppigen Produktionswerte aus, darunter Tony Gaudios Kinematographie und Kostümkleider von Orry-Kelly, aber hauptsächlich ist es Davis, der den Film trägt. Sie wird von ihren Co-Stars, insbesondere Herbert Marshall als Ehemann und James Stephenson als ihrem Anwalt, tatkräftig unterstützt. W. Somerset Maughams Quellroman bietet einen starken Rahmen, der bereits 1929 mit Marshall als dem ermordeten Liebhaber verfilmt wurde.“ – Richard Gilliam: AllMovie[5]
Unsere Wertung:
85/100
2025, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2012)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | William Wyler |
|---|---|
| Drehbuch | Howard Koch |
| Produktion | |
| Musik | Max Steiner |
| Kamera | Tony Gaudio |
| Schnitt | Warren Low |
| Besetzung | |
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