Filmfest 1321 Cinema
Wir können auch anders … ist eine 1993 erschienene Komödie von Filmregisseur Detlev Buck. Der Film zeigt in satirisch zugespitzter Form die Umbruchsituationen in Ostdeutschland nach der Wende des Jahres 1989.
Joachim Król ist uns sehr vertraut aufgrund unserer Arbeit an der TatortAnthologie des Wahlberliners. Als wir in der IMDb nachlasen, dass er in „Das Haus am Ende der Straße“ zum neunten und letzten Mal den Kommissar Steier spielte, waren wir verblüfft, denn wir hatten sein Debüt schon „live“ kommentiert, kurz nach dem Start des Wahlberliners. Nur vier Jahre, und doch eine so lange Zeit.
Nach dem Start der Aufarbeitung der Reihe „Polzeiruf 110“ seit 2019 kennen wir natürlich auch Horst Krause, der in den Brandburg-Polizeirufen einen legendären Dorfpolizisten gleichen Namens spielte. Wie lang sind also erst zehn Jahre? Jedenfalls ist diese Art von Komödien, die hier beschrieben wird, schon wieder historisch.
Handlung (1)
Zwei westdeutsche Analphabeten, die Brüder Rudi und Moritz Kipp („Kipp“ und „Most“), fahren mit einem alten Hanomag-LKW nach Mecklenburg-Vorpommern, wo sie das Haus ihrer Großmutter geerbt haben. Da sie Autokarten und Straßenschilder nicht entziffern können und der ohnehin langsame Wagen technische Probleme bereitet, zieht sich die Fahrt länger hin als erwartet. An einer Tankstelle zwingt sie der flüchtige Sowjetarmist Wiktor mit vorgehaltener Kalaschnikow, ihn mitzunehmen. Einer tätlichen Bedrohung durch fünf Wegelagerer auf einer einsamen Landstraße entkommt das Gespann nur durch Wiktors Einschreiten. Sie drehen den Spieß um und zwingen die Banditen, in deren Auto einzusteigen und dieses in einen See zu fahren. Nur zwei von ihnen gelingt der Ausstieg aus dem sinkenden Auto.
Auf dem Weg nach Wendelohe, dem geplanten Ziel der Reise, kommt es aufgrund des naiv-unbedachten Verhaltens der beiden Brüder zu den merkwürdigsten Verwicklungen. Sie lassen sich für ihr gesamtes Geld ein fast wertloses Ruderboot aufschwatzen, entlassen aus Mitleid, aber unerlaubt, die durstigen Insassen eines Schweinetransporters und entwenden die Tageskasse eines Imbissstands. Das ersehnte Erbe in Wendelohe erweist sich keineswegs als prächtiges Herrenhaus, sondern als abgebrannte Tagelöhnerkate.
Als Most, Kipp und Wiktor erkennen, dass sie wegen Mordes der ertrunkenen Wegelagerer kriminalpolizeilich gesucht werden, nehmen sie die Wirtin einer Dorfkneipe als Geisel.
Im weiteren Verlauf überstürzen sich die Ereignisse: Kipp und Most legen eine ungewöhnliche kriminelle Energie an den Tag. Sie wechseln mehrfach das Fluchtgefährt und tauschen ihren alten Laster gegen eine Luxuslimousine, diese gegen zwei Pferde und diese gegen einen anscheinend herrenlosen Fischkutter. Nur dank Wiktor und der Geisel entkommen sie mehrfach der Polizei. Schließlich kommt die Jagd an einem ganz unerwarteten Ort zum Ende.
Rezension
Wie kommen da erst 22 Jahre rüber (30 Jahre im Jahr 2025)? Auch diesen Effekt, dass die Welt kurz nach der Wende im Film sich wesentlich mehr von der heutigen unterscheidet als in der persönlichen Wahrnehmung der Realität, kennen wir schon vom Schreiben über die Tatort-Reihe und mittlerweile auch die Polizeirufe. Aber Joachim Król als ein schmächtiger, recht junger Mann, daran mussten wir uns erst gewöhnen – es zeigt sich, dass wir einige der Filme mit ihm aus den 1990ern, die ihn bekannt gemacht haben, erst noch anschauen müssen, auch der 1990er Jahre wegen.
Immer wieder mal finden wir es schade, dass Deutsch nicht die Weltsprache ist und somit auch nicht die Welt-Filmsprache. Wir können uns kaum vorstellen, dass eine Untertitelung oder Synchronisierung ins Englische den sehr unterschwelligen Humor des Films herüberbringen kann. Man muss sich im Ausland auf die Situationskomik stellen, und die ist nicht wesentlich anders oder besser als in vielen ähnlichen Filmen unterschiedlicher Herkunft.
Was schon Detlef Bucks Flens-Werbung so besonders machte, nämlich der Ton der Dialoge, das ist aber das, worüber man in „Wir können auch anders“ am meisten schmunzeln und manchmal auch lachen muss. Joachim Król gibt den aus dem Heim entlassenen Rudi superb, wenn auch nicht ohne Wischer. In manchen Szenen merkt man sehr wohl, dass Król um Längen sprachlich fähiger und intellektueller ist als seine Filmfigur. Dann spricht er schneller und alles klingt ganz präzise, wie eben bei einem gelernten Schauspieler. Dass er dieses Können meist überspielt, ist trotzdem sehr schön anzuschauen und dazu trägt eben doch die Tatsache bei, dass wir ihn vor allem von seiner Rolle des Hauptkommissars Frank Steier aus wahrnehmen, der in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von Rudi Kipp darstellt.
Kipp ist naiv und pfiffig gleichermaßen, ungebildet und kenntnisreich – besonders die Schweinzezucht betreffend, Letzteres hat er gewiss mit dem Regisseur Buck gemeinsam, der auf einem Bauernhof aufwuchs. Das Leben auf Höfen, nicht nur in Norddeutschland, lässt offenbar einen soliden, vordergründig antiintellektuellen Humor entstehen, der ganz dem Leben und seinen kuriosen Momenten abgeschaut ist. Da scheint nichts Verkopftes drin zu sein, deshalb sollte man den Film auch nicht nach tiefgründigen philosophischen Ansätzen durchsuchen. Der Aha-Effekt, der auch in der Werbebranche funktioniert, beherrscht Bucks Film. Das Gewöhnliche wird so nuanciert, dass es besonders wirkt.
Die Roadmovie-Atmosphäre ist hingegen nicht so ausgeprägt wie bei manchen anderen Filmen des Genres. Das liegt nicht am Herkunftsland bzw. daran, dass es in den Weiten der USA besser möglich ist, gute Straßenreisen zu drehen. Deutsche Filme behelfen sich oft gut damit, dass sie den gesamten europäischen Raum einbeziehen (wie „im Juli“ von Fatih Akin, der eines unserer deutschen Lieblings-Roadmovies ist) und daraus Komik schöpfen können, die wiederum in den kulturell einheitlicheren ländlichen USA nur durch die Inszenierung besonders schräger Typen erzielt werden kann.
Hier wird nur eine kurze Strecke von Norddeutschland-West nach Norddeutschland-Ost gefahren, und wie macht man daraus etwas? Indem man die Protagonisten als des Lesens und Schreibens untauglich zeigt. Heute undenkbar, aber vor mehr als zwanzig Jahren gab es eben noch keine zivile Nutzung des GPS. Auch deswegen und nicht nur wegen der urigen Ostbewohner und Russen in diesem Film hat dieser etwas Nostalgisches, weitaus mehr als andere, wesentlich ältere Werke. Auch die Sepia-Rottönung und das in der gesehenen Version nicht maximal scharfe Bild tragen zu diesem Effekt einiges bei. Dass der NDR den Film am Tag der Alphabetisierung ausgestrahlt hat, ist allerdings schon eine sehr spezielle Variante von norddeutschem Humor – schließlich kommen die bildungsfernen Figuren in diesem Film am Ende am besten von allen weg. Generell taugt „Wir können auch anders“ nicht als Demonstration dafür, wie viel besser es ist, das Lesen und Schreiben zu beherrschen.
In der ersten Hälfte der 1990er war Roadmovie-Zeit. Auch in den USA entstanden in jenen Jahren neue Varianten der Reise per Auto, wie „Thelma und Louise“ oder „California“, und wie bei „Wir können auch anders“ ist das Verbrechen integraler Bestandteil dieser Filme. Das Komische an Bucks Film ist gerade das Kleinteilige, das ihn von den US-Vorbildern oder –Zeitgenossen abhebt. Auf wenigen Kilometern entspinnt sich eine ebensolche mörderische Story. Sie beweist, dass nicht zwischen Tod und Tod tausend Meilen liegen müssen und dass es keine limitierte Polizeiorganisation braucht, die immer an der nächsten Bundesstaatsgrenze endet, um es ewig dauern zu lassen, bis die Polizei der Sache und den Amokläufern näher kommt. Man muss nur unfähig genug sein, dann endet alles auf See und in Russland anstatt im Kittchen.
Finale
Wir haben ein wenig gebraucht, bis wir mit dem Film warm wurden, anfangs erscheint uns das Brüderpaar Kipp doch gar zu rudimentär. Erst durch die Situationen, die mit der Kalaschnikow gelöst werden, ergibt sich der große Kontrast zwischen dem scheinbar unbeholfenen Wesen und dem radikalen Handeln dieser beiden ungleichen Blutsverwandten. Aus einigen überraschenden Interaktionen mit der menschlichen und tierischen Umwelt – und damit die Mischung aus Heiterkeit und Spannung, die es braucht, um sich mit einer Krimikomödie wohlzufühlen, speist sich eine Art Konstrast-Humor. Zum Ende hin hat das immer besser geklappt, auch wenn einige der letzten Aktionen sehr stereotyp wirken und nicht vollständig ausgespielt sind. Eine besondere Erwähnung noch für Sophie Rois als kratzige Dorfwirtin, die sich allerdings erst im letzten Drittel zu dem mittlerweile etablierten Triumvirat der Kipp-Brüder und des russischen Deserteurs Wiktor hinzugesellt.
70/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Detlev Buck |
|---|---|
| Drehbuch | Detlev Buck Ernst Kahl |
| Produktion | Claus Boje |
| Musik | Detlef Petersen |
| Kamera | Roger Heereman |
| Schnitt | Peter R. Adam |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

